Ungarns Premier: Viktor Orban und die Operation "Aushungern"
Für Ungarns Premier Viktor Orban startet eine neue Amtszeit. Er will noch härter gegen Kritiker vorgehen. Doch die Demonstrationen gehen weiter.
Brüssel hat einen Plan. Künftig will die EU keine Gelder mehr an Mitglieder zahlen, die den Rechtsstaat demontieren. Dieses Verfahren ist für den Haushaltsplan 2021 bis 2027 vorgesehen, dessen Entwurf EU-Kommissar Günther Oettinger jetzt vorstellte. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto reagierte erbost: Das sei Erpressung. Eine solche Koppelung weise man zurück. Die Reaktion kommt nicht überraschend. Ungarn gehört zu den größten Netto-Empfängern aus den EU-Fonds und gleichzeitig steht das Land in der Kritik. Brüssel wirft der rechtsnationalen Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban vor, die Rechtsstaatlichkeit zu untergraben.
In Budapest konstituiert sich – einen Monat nach der Wahl – an diesem Dienstag das Parlament. Zwei Drittel der Abgeordneten gehören Orbans Partei an, sie werden ihn voraussichtlich am Donnerstag für eine weitere Amtszeit zum Regierungschef wählen. Und er kann sicher sein: Gesetze, die er will, wird er auch durchsetzen können. Ein noch schärferes Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft hat Orban bereits angekündigt.
Massendemonstrationen in Budapest und anderen Städten
Doch eine Woche nach der Wahl zeigten Massendemonstrationen in Budapest und vielen anderen Städten, dass längst nicht alle Ungarn mit dieser Politik einverstanden sind. Allein in Budapest gingen 100.000 Menschen auf die Straße. Politiker aller Oppositionsparteien, von der rechtsextremen Jobbik bis zur sozialistischen MSZP, schlossen sich an. Zur Begrüßung des neuen Parlamentes versammelten sich am Morgen des 8. Mai Demonstranten, um eine Menschenkette rund um das Parlament zu bilden. Zunächst wurde der Platz von Polizisten abgesperrt, doch die Demonstranten wurden schließlich bis zu den Stufen des Parlamentes vorgelassen.
In der ungarischen Zivilgesellschaft wächst die Angst, Orban werde rasch Ernst machen mit den Ankündigungen des Wahlkampfes. Mit dem geplanten „Stop Soros“-Gesetzespaket möchte die Regierung künftig Organisationen und Personen kontrollieren, die im Bereich Migration arbeiten oder „illegale Migration unterstützen“.
Dafür hätten die Wähler durch ihre hohe Beteiligung an der Abstimmung und das Wahlergebnis der Regierung den Auftrag gegeben, argumentiert das Orban-Lager. Es sei notwendig, die Aktivitäten von Organisationen, die „der Migration helfen“, streng zu kontrollieren. Der aus Ungarn stammende und in den USA lebende Milliardär George Soros unterstützt solche Organisationen und ist ein erklärter Gegner Orbans.
Ungarische NGOs finanzieren vor allem von ausländischen Spenden
Schon 2017 wurde ein Gesetz erlassen, das die Arbeit von NGOs einschränkt. Wenn sie Einkünfte über 24.000 Euro aus dem Ausland erhalten, müssen sie sich registrieren und öffentlich kennzeichnen, dass sie aus dem Ausland unterstützt werden. Mit „Stop Soros“ müsste jede Organisation beziehungsweise Person, die Migration unterstützt, für ihre Aktivität eine Erlaubnis vom Innenminister beantragen. Außerdem müsste sie sich an den Kosten des Zaunes und der Grenzbewachung an der südlichen Grenze nach Serbien beteiligen. 25 Prozent ihrer Zuwendungen müsste die betreffende Organisation als Steuer an die Regierung zahlen. Sollte sie den gesetzlichen Regeln nicht folgen, droht eine Strafe von 200 Prozent der ausländischen Einkünfte oder die Auflösung.
Ungarische NGOs finanzieren ihre Arbeit mittlerweile zu großen Teilen durch ausländische Spenden – so zum Beispiel das Hungarian Helsinki Committee. Etwa die Hälfte der 30 Mitarbeiter arbeitet im Asylrechtsprogramm. Die Organisation veröffentlicht Informationen über das ungarische Rechtssystem auf sieben Sprachen. Ein Netzwerk von Anwälten gibt kostenlose Rechtsberatung in den sogenannten Transitzonen an der Grenze zu Serbien.
EU-Kommission leitete 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren ein
Aniko Bakonyi, Projektmanagerin im Flüchtlingsprogramm, nennt das geplante Gesetzespaket „Operation Aushungern und Ersticken“. Nicht nur die Finanzierungsmöglichkeiten seien gefährdet, sondern auch die Mitarbeiter persönlich bedroht, so Bakonyi. Politisch motivierte Repressionen gegen Mitarbeiter seien nicht auszuschließen. Dadurch, dass die Rechtshilfe für Flüchtlinge an eine Erlaubnis vom Innenminister gebunden ist, werde die Arbeit des Helsinki Committees unmöglich gemacht, so Bakonyi. Sie hofft auf internationale Organe, wie die Venedigkommission des Europarats, das Gesetzespaket auf die Vereinbarkeit mit Standards des Europarats prüft. „Dieses Gesetz steht den europäischen Normen diametral gegenüber“, sagt Bakonyi.
Wegen des Gesetzes von 2017 hat die EU-Kommission im Juli vergangenen Jahres ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Es wird derzeit vor dem EU-Gerichtshof verhandelt. Bakonyi hat wenig Illusionen: „Die EU ist nicht darauf vorbereitet, dass ein Mitgliedsstaat die gemeinsamen Normen auf diese Weise bricht.“ Soros hat unterdessen gehandelt. Ein paar Tage nach der Wahl kündigte der Finanzmagnat an, das Budapester Büro seiner Stiftung „Open Society Foundation“ werde noch 2018 nach Berlin verlegt. Die von ihm finanzierte Central European University, die 2017 vor der Schließung stand, plant einen Campus in Wien.