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Premier Viktor Orban ´muss ein EU-Verfahren wegen Vertragsverletzung fürchten.
© Yuri Kadobnov, Reuters

Demokratieabbau in Ungarn: Orban als Test für Europas Konservative

Ein EU-Bericht sieht Ungarn „in der Gefahrenzone“. Eine Grünen-Abgeordnete fordert die konservative Fraktion im EU-Parlament auf, endlich ihre Verantwortung wahrzunehmen.

„Wir sind in der Gefahrenzone“, sagt Judith Sargentini. Die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn sei schon lange gefährdet, im Bereich Presse- und Versammlungsfreiheit, dem Schutz von Minderheiten, dem Wahlrecht sowie neun weiteren Feldern entspreche Ungarn nicht mehr den europäischen Standards, schreibt die holländische Europaabgeordnete in ihrem Bericht an das Parlament. Die grüne Politikerin ist seit Mai letzten Jahres Berichterin über Ungarn.

Konsequenz ihrer Analyse, die das Parlament Ende Juni anhörte, könnte ein Verfahren nach Artikel 7, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn sein. Damit droht der Entzug der Stimmrechte im Rat der Ministerpräsidenten. Zunächst aber müssen im September zwei Drittel der 750 Abgeordneten im Europaparlament für den Bericht und die Einleitung des Verfahrens durch den Rat stimmen.

Aushöhlung des Rechtsstaates

Die größte Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP), steht nicht mehrheitlich hinter Sargentini. Ihr Votum verhinderte 2013 ein Artikel-7-Verfahren. Viktor Orbans Regierungspartei Fidesz ist ebenfalls Mitglied der EVP. Jetzt fordert Sargentini die westeuropäischen Mitglieder der EVP, darunter auch Mitglieder der CDU und CSU, auf, die Brisanz zu erkennen: „Ein EU-Mitgliedsstaat vernachlässigt ernsthaft moralische Werte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.“

Manfred Weber, CSU-Abgeordneter im Europaparlament und Vorsitzender der EVP-Fraktion, hat zwar die polnische Regierung, gegen die ein ähnliches Verfahren eingeleitet wurde, scharf kritisiert. „Über Ungarn würde er eine solche Rede aber nicht halten“, sagt Sargentini. Die polnische Regierungspartei PiS ist im Europaparlament nicht in der EVP, sondern in der Fraktion der Rechts-Konservativen (ACRE) vertreten.

Seit 2010 hat Fidesz mit einer Zweidrittelmehrheit sieben Verfassungsänderungen durchgesetzt, die schon viel früher als Brüche der Rechtsstaatlichkeit hätten erkannt werden müssen, so Sargentini. „Den Menschen in Ungarn geht es durch den Abbau der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit immer schlechter“, sagt Sargentini.

Vertreter der Zivilgesellschaft fühlen die Aushöhlung des Rechtsstaates in ihrem Alltag. Bis 2014 gab es noch einige Strukturen, über die die Zivilgesellschaft Einfluss auf die Politik nehmen konnte. „Jetzt gibt es keine Möglichkeit mehr“, sagt Todor Gardos, Ungarn-Experte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. „Wir fühlen, wie der öffentliche Raum immer mehr schrumpft und die Regierung die gesellschaftliche Diskussion monopolisiert.“ Die Artikel-7-Prozedur sei nur der erste Schritt, um auf Veränderungen in Ungarn zu dringen.

Budapest klagt über "Hexenjagd"

Mit Vertragsverletzungsverfahren und verschiedenen Berichten hat die EU vermehrt auf Probleme in Orbans Gesetzgebung hingewiesen. Häufig korrigierte die Regierung in Budapest umstrittene Gesetze nachträglich nach dem Schema „zwei Schritte vorwärts, einen zurück“, sagt Sargentini. 2013 wurde beispielsweise wie jetzt in Polen auch in Ungarn das Rentenalter der Richter herabgesetzt, um das Verfassungsgericht neu zu besetzen. Als Reaktion auf die Kritik der EU setzte die ungarische Regierung die Altersgrenze wieder herauf und entschädigte die Richter finanziell. Auf den Posten blieben aber die neugewählten, Orban-nahen Richter.

Ungarns Außenminister Peter Szijjarto nannte Sargentinis Bericht ein „politisches Urteil“, das Brüssel über Ungarn fälle. Für Ungarns Staatssekretärin für EU-Angelegenheiten, Judit Varga, ist das Verfahren nach Artikel 7 ein weiteres Kapitel der „politischen Hexenjagd“ gegen Ungarn. Sargentini fordert dagegen, der EU-Rat müsse nun endlich seine Verantwortung erkennen. Mittlerweile werden innerhalb der EVP kritische Stimmen gegen Ungarn lauter. Im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten stimmten acht von 17 EVP-Mitgliedern für Sargentinis Bericht, darunter der deutsche Abgeordnete Axel Voss (CDU). Andreas Nick, Ungarn-Berichterstatter für die CDU im Bundestag, kritisierte kürzlich ebenfalls die Politik Viktor Orbans.

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