zum Hauptinhalt
Ungarns Regierungschef Viktor Orban mit Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Pressekonferenz im Kanzleramt.
© Kay Nietfeld/dpa

Streit mit Viktor Orban über Flüchtlingspolitik: Merkel: "Die Seele von Europa ist Humanität"

Ungarns Premier Viktor Orban war nach vier Jahren erstmals wieder im Kanzleramt zu Gast. Die Begegnung mit Angela Merkel wurde zum Schlagabtausch über die Flüchtlingspolitik.

Seit Jahren ist dieser Mann ihr größter Widersacher in der Europäischen Union. Doch am Donnerstag empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel den ungarischen Regierungschef Viktor Orban im Kanzleramt. Es war sein erster Besuch in Berlin seit mehr als vier Jahren. In der Zwischenzeit hat Orban immer wieder den Schulterschluss mit CSU-Chef Horst Seehofer, damals noch Bayerns Ministerpräsident, gesucht. „Wir sind nicht gegen Angela Merkel“, sagte Orban bei einem Treffen mit Seehofer 2016 in Budapest – doch je mehr die beiden dies beteuerten, desto weniger nahm man es ihnen ab.

Nun hat Merkel den Gegner ihrer Flüchtlingspolitik wieder ins Kanzleramt eingeladen. Eigentlich sind solche Termine Routine für sie. Auch dass es große inhaltliche Differenzen mit einem Gast gibt, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Dann fällt der Händedruck eher kurz aus, die Kanzlerin sagt ein paar kritische Worte zur Menschenrechtslage im jeweiligen Land, das Lächeln bleibt höflich-distanziert.

Doch der Auftritt mit dem nationalkonservativen Premier aus Budapest wird am Ende zum Schlagabtausch in Sachen Migrationspolitik. Nur kurz sind Merkel und Orban auf Verbindendes eingegangen – etwa beim Erinnern an das Wendejahr 1989. Deutschland werde „die Öffnung der Grenzen zu Österreich“ nie vergessen, sagt die Kanzlerin. Selbst über diese historischen Ereignisse lässt sich derzeit kaum reden, ohne zugleich an die Grenzfragen der Gegenwart zu denken.

"Die Kanzlerin und ich sehen die Welt anders"

In der Migrationspolitik seien die Sichtweisen zwischen Deutschland und Ungarn „sehr unterschiedlich“, sagt die Kanzlerin. Orban betont wenig später, in dem Gespräch sei „klar geworden, was wir vorher schon wussten: dass die Frau Bundeskanzlerin und ich die Welt anders sehen“.

In der Frage der Rücknahme bereits registrierter Flüchtlinge gab es keine Annäherung. Merkel kritisierte, dass Ungarn eine Zuständigkeit auch für die wenigen Flüchtlinge ablehnt, die dort namentlich erfasst wurden. „Das Problem ist, dass Ungarn sich nicht im Sinne der Dublin-Verordnung für zuständig hält, auch wenn es die Registrierung vornimmt“, sagt Orban. Gemäß dieser EU-Verordnung ist grundsätzlich das Land für einen Asylsuchenden verantwortlich, in dem dieser erstmals registriert wurde.

Die Regierung in Budapest sieht dagegen die EU-Länder in der Pflicht, in denen die Flüchtlinge ankamen: „Wir denken, dass diese Menschen von Deutschland nach Griechenland zurückgebracht werden sollten und nicht nach Ungarn“, sagt Orban. Nach dem Streit zwischen CDU und CSU will die Bundesregierung mit europäischen Ländern Vereinbarungen über eine Rücknahme von bereits registrierten Flüchtlingen schließen. Ein solches Abkommen lehnt Orban derzeit ab. Seine Regierung steht grundsätzlich einer Aufnahme von Flüchtlingen, insbesondere von Muslimen, ablehnend gegenüber.

Orban will mit dem Grenzzaun "Europa beschützen"

Dagegen hob er bei seinem Auftritt mit Merkel mehrmals hervor, dass sein Land einen Zaun an der EU-Außengrenze gebaut hat: „Ich habe der Frau Bundeskanzlerin versichert, dass Ungarns Südgrenze geschützt ist.“ Das werde auch so bleiben, und dies helfe nicht nur seinem Land, sondern auch Deutschland. „Das strategische Ziel Ungarns besteht darin, Europa zu beschützen.“ Wenn nicht 8000 Bewaffnete in Ungarn 24 Stunden am Tag an der EU-Außengrenze stünden, würden „jeden Tag 4000 bis 5000 Migranten nach Deutschland kommen“, rechnet Orban der Kanzlerin vor. Es schmerze die Ungarn, dass man ihnen in Deutschland mangelnde Solidarität vorwerfe.

Doch dass sich Orban als Retter Deutschlands vor den Flüchtlingen darstellt, vor denen, „die das Übel importieren“, wie er an anderer Stelle sagt – das will die Kanzlerin so nicht stehen lassen. Statt die Frage eines Journalisten zu beantworten, geht sie zunächst auf Orbans Äußerungen ein und erklärt zugleich das Fundament ihrer Flüchtlingspolitik. Zwar sei es richtig, dass Ungarn die Kontrolle der Schengen-Außengrenze übernimmt. Das Problem sei jedoch ein anderes: „Wir dürfen nicht vergessen, dass es um Menschen geht.“ Merkel warnt vor einer Gleichsetzung von Grenzschutz und Abschottung und verweist auf Europas Werte: „Die Seele von Europa ist Humanität.“ Europa könne sich nicht abkoppeln von der Not der Flüchtlinge. Man müsse die Außengrenzen schützen. „Aber wir nehmen auch Flüchtlinge auf.“ Darin bestehe der Unterschied zur Position Ungarns, sagt Merkel. Der Gast aus Budapest allerdings zeigt sich weiter unbeeindruckt.

Zur Startseite