Rechtspopulismus: Ist Europas Freiheit in Gefahr?
Rechtspopulisten und Rechtsextreme sind auf dem Vormarsch. In einigen Ländern stellen sie die Regierung oder sind als Koalitionspartner beteiligt. Die Institutionen der EU blicken mit Sorgeauf die Entwicklung. Machtlos sind sie aber nicht.
ITALIEN
Im letzten „Rule of Law Index“ der US-NGO „World Justice Projekt“ im Frühjahr machte Italien, noch Mitte-links regiert, einen dürftigen 20. Platz unter 26 untersuchten westlichen Demokratien. Verantwortlich waren freilich alte Leiden: Korruption in Regierung und Verwaltung und Rechtsunsicherheit durch überlange Prozesse – im Schnitt dauert es 1600 Tage bis zu einem endgültigen Urteil.
Inzwischen zeichnen sich weitere Bedrohungen für Freiheit und Gleichheit unter der Koalition von Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsradikaler Lega ab. Auch wenn die Registrierung der Roma, von der Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini tönte, sich als undurchsetzbar herausstellte: Der Koalitionsvertrag lässt keinen Zweifel daran, dass die neue Regierung entschlossen ist, die Roma – die meisten sind italienische Bürgerinnen und Bürger – systematisch zu verfolgen.
Im Kapitel über Sicherheit sind die „Nomadenlager“ ein eigener Punkt, abgefasst in offen rassistischem Duktus. Die „Verbreitung“ solcher Lager, „die exponentielle Steigerung der Kriminalität durch ihre Bewohner und die extrem schlechten hygienischen Bedingungen“ seien „ein schweres soziales Problem“. Lösung: Abriss. Kein Wort darüber, dass die EU Rom seit Jahren dafür verantwortlich macht, dass Roma praktisch nie anderen Wohnraum finden.
Ein weiteres Lieblingsprojekt der Lega ist bereits im Abgeordnetenhaus in Arbeit: die Reform des Rechts auf Notwehr. Es würde die Möglichkeiten, sich mit (Waffen-)Gewalt gegen Einbrecher oder Diebe zu wehren, erweitern und Selbstverteidigern Prozesskostenhilfe vom Staat garantieren. Schon jetzt fühlen sich schießwütige Bürger zur Selbstjustiz berechtigt. Wobei die Schuld der Getroffenen meist darin besteht, schwarz zu sein. In Vicenza wurde jetzt ein kapverdischer Arbeiter auf einem Baugerüst angeschossen – der siebte in den vergangenen 50 Tagen. Andrea Dernbach
DÄNEMARK
Hinter den dicken Mauern von Christiansborg sind in den vergangenen Jahren Gesetze durchgepeitscht worden, die jeden Fan des nordischen Wohlfahrtsstaats erblassen lassen: Errungenschaften wie ein Arbeitslosengeld, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, und kostenlose Sprachkurse für Einwanderer werden nach und nach beschnitten. Als eine der ersten Amtshandlungen beschloss die Regierung, die zu Anfang ungewöhnlicherweise aus nur einer Partei bestand und auf die Unterstützung der konservativen Kräfte bauen musste, das Arbeitslosengeld für Studienabgänger zu kürzen. Um 300 Euro vor Steuern, von etwa 2000 auf etwa 1700 Euro brutto, setzten sie das sogenannte „dagpenge“ herab. Außerdem führten sie sogenannte „Karenztage“ ein, also Tage, an denen die Unterstützung nicht gezahlt wird. Drei davon gibt es pro Jahr.
Obwohl die nordischen Länder als grün und umweltnah gelten, trifft das für das Landwirtschaftsland Dänemark kaum zu: Die Dänen produzieren seit jeher eher intensiv als extensiv, 2017 etwa gab es zweieinhalbmal so viele Schweine wie Menschen in dem Fünf-Millionen-Staat. Die blaue Regierung hat, ähnlich wie hierzulande, ihre Wählerschaft hauptsächlich im ländlichen Raum und hofiert daher die Landwirte. In der umstrittenen Gesetzesvorlage zum Landwirtschaftspaket etwa sollten Schutzzonen für Gewässer verschmälert werden, sodass Landwirte Stickstoffdünger auch in Wassernähe aufbringen dürften und damit mehr Fläche zum Ackerbau zur Verfügung hätten. Die wissenschaftlichen Berechnungen, die diese Novelle rechtfertigen sollten, stellten sich als problematisch heraus, die Umwelt- und Ernährungsministerin Eva Kjer Hansen musste wegen der problematischen Abschnitte in der Grundlagenstudie sogar zurücktreten. Durchgesetzt wurde das Gesetz dennoch.
Vor allem Einwanderer treffen die Einschnitte hart: Waren ausländische Studenten bis zum Sommer 2018 noch berechtigt, bis zu drei Jahre lang wöchentlich bis zu sieben Stunden kostenlos an Sprachkursen teilzunehmen, müssen sie jetzt etwa 350 Euro pro Unterrichtsmodul zahlen – ein unwahrscheinliches Szenario in einem Land, das ohnehin schon wesentlich höhere Lebenshaltungskosten hat als die meisten Herkunftsländer der Studierenden. Auch im Gesundheitssystem bekommen Dänisch-Anfänger die harte Hand gegen solche, die sich vermeintlich nicht integrieren wollen, zu spüren: Übersetzer werden neuerdings nicht mehr bezahlt, wer sich nicht auf Englisch oder Dänisch verständigen kann, muss den Dolmetscher selbst zahlen. Nantke Garrelts
POLEN
In Polen hat die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) in den vergangenen Jahren schrittweise die Kontrolle über die staatlichen Medien und die Justiz übernommen. Die Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelten als reine „Parteipropaganda, seitdem die PiS die Senderchefs bestimmt.
Seit Herbst 2015 hat die Regierung den Umbau des Justizwesens vorangetrieben – und nun weitgehend abgeschlossen. Zu spüren bekam das kürzlich Malgorzata Gersdorf, die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes. Sie sollte zum Stichtag 3. Juli „zwangspensioniert“ werden. Am folgenden Tag erschien sie dennoch zur Arbeit. Niemand könne sie absetzen, sagte sie. Ob die kritische Juristin tatsächlich im Dienst bleiben kann, wird sich zeigen.
Feststeht, dass die polnische Regierung inzwischen einen immensen Einfluss auf die Justiz hat – zu viel, um den rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung zu erfüllen, wie Kritiker sagen. So kann in Polen der Justizminister eigenhändig Richter entlassen, wovon der rechtskonservative Zbigniew Ziobro ausgiebig Gebrauch macht. Nach einem neuen Gesetz bestimmt außerdem das Nationalparlament den Justizrat, ein 15-köpfiges Gremium, das für die Auswahl der Richter im ganzen Land zuständig ist. Seit vergangenen März sitzen im Justizrat nur noch Gefolgsleute der PiS-Partei. Sie entscheiden, wer in Polen Richter wird und wer nicht.
Damit sei es mit der Unabhängigkeit der polnischen Justiz vorbei, die Rechtsstaatlichkeit am Ende, sagen Kritiker. Sie setzen nun ihre Hoffnung auf die EU-Kommission. Die hat mehrfach Druck auf Warschau ausgeübt, Teile der Reform zurückzunehmen. Im Dezember 2017 hat die Kommission sogar ein Verfahren eingeleitet, an dessen Ende Polen theoretisch das EU-Stimmrecht entzogen werden könnte – als Strafe für die Justizreform. Der Europäische Gerichtshof befand am 25. Juli 2018, dass die Rechtsstaatlichkeit in Polen nicht mehr garantiert sei. Unter dem neuen Justizsystem seien faire Verfahren keine Selbstverständlichkeit, urteilten die Luxemburger Richter. Paul Starzmann
UNGARN
Viktor Orbán ist nun das neunte Jahr in Folge Premierminister. Gleich zu Anfang, im Januar 2011 ließ er die Verfassung erneuern, nach Vorstellungen der nationalkonservativen Fidesz-Partei und ihrer Koalitionspartnerin, der christdemokratischen Volkspartei KDNP. Seit 2010 konnte Orbán in jeder Legislaturperiode auf die Unterstützung von zwei Dritteln der Abgeordneten vertrauen. Verfassungsänderungen waren ohne große Debatten mit Zivilgesellschaft und Oppositionsparteien möglich.
Nach mehrfachen Verfassungsänderungen wackeln nun die Pfeiler der pluralistischen Gesellschaft. Ungarn ist zwar seit 14 Jahren EU-Mitglied, heute behaupten aber Beobachter, es würde nicht mehr den Beitrittskriterien entsprechen. Am 25. Juni verabschiedete auch der Innenausschuss des Europaparlaments einen Bericht, der die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn in zwölf Punkten gefährdet sieht. Unter anderem in den Bereichen Wahlrecht, Datenschutz, Verfassungs- und akademische Freiheit habe es spürbare Veränderungen gegeben. Als Beginn des Verfalls der Rechtsstaatlichkeit würde Ungarn-Berichterstatterin Judith Sargentini die Verfassungsänderungen „in schneller Folge“ seit 2010 festmachen.
Zum siebten Mal wurde die Verfassung im Juni 2018 geändert, nachdem die Recherche für den EU-Bericht schon abgeschlossen war. Seitdem ist Obdachlosigkeit verfassungsrechtlich verboten, also wenn jemand „für gewöhnlich auf der Straße lebt“. Wer sein Recht auf Versammlung ausüben möchte, darf dabei nicht das „Privat- und Familienleben sowie die Wohnung anderer stören“. Zudem schreibt die Verfassung nun allen staatlichen Institutionen vor, dass sie die „christliche Kultur schützen“ müssen und dass „keine ausländische Ethnie nach Ungarn eingesiedelt werden darf“.
Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze werden spürbar, wenn sie in Gesetze umgesetzt werden: Ab 15. Oktober wird Obdachlosigkeit als Ordnungswidrigkeit gelten, die mit gemeinnütziger Arbeit geahndet wird. Die Regierung erklärt, dass genug Plätze in Obdachlosenheimen zur Verfügung stünden, Menschen also nicht auf der Straße leben müssten. Nach Angaben der Organisation „Die Stadt gehört allen“ kommen jedoch nur rund 11000 Plätze auf 30000 Obdachlose landesweit. Wird gemeinnützige Arbeit nicht verrichtet, drohen Geld- oder Gefängnisstrafen.
Doch auch abseits von Verfassungsänderungen sind Einschränkungen zu spüren, zum Beispiel im Bereich Bildung und Forschung: Die Ungarische Akademie der Wissenschaften und ihre Forschungsinstitute sollen künftig nicht mehr eigenständig über ihre Finanzen walten können, sondern stärker von einem neugeschaffenen Ministerium für Innovation und Technologie abhängig sein. Mitglieder der Akademie fürchten um die Unabhängigkeit ihrer Forschung. Die internationale Central European University sieht ihre Existenz seit über einem Jahr von einem Gesetz bedroht, gegen das die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleitete. Judith Langowski
RUMÄNIEN
Anders als in Polen oder Ungarn hat die regierende Partei in Rumänien keine Agenda für den Kampf gegen den Liberalismus. Den regierenden Sozialdemokraten geht es beim Abbau der Gewaltenteilung „lediglich“ darum, Macht und Privilegien abzusichern. Seit einem Jahrzehnt versuchen die Sozialdemokraten, die endemische Korruption zu legalisieren.
Drahtzieher ist Liviu Dragnea, der Chef der Sozialdemokraten. Vor Kurzem verurteilte ihn das oberste Gericht des Landes zu drei Jahren und sechs Monaten Haft ohne Bewährung wegen Amtsmissbrauchs. Dragneas Gegenspieler ist Staatspräsident Klaus Iohannis.
Doch der ist in letzter Zeit wenig erfolgreich. So gelang es Iohannis nicht, die Chefin der Anti-Korruptionsbehörde DNA gegen den Willen des sozialdemokratischen Justizministers im Amt zu halten. Der Präsident legte beim rumänischen Verfassungsgericht Einspruch gegen die Entlassung der Staatsanwältin ein – und unterlag. Das Staatsoberhaupt dürfe den Justizminister nicht überstimmen, befanden die Richter kürzlich.
Das Parlament verabschiedete gerade ein Gesetz, dass es der DNA unter anderem verbietet, gegen Verwaltungsbeamte zu ermitteln. Präsident Iohannis will dieses Gesetz nicht unterzeichnen, er hat die Venedig-Kommission um eine Überprüfung gebeten. Das ist ein Expertengremium des Europarates, das Staaten verfassungsrechtlich berät. Juristen sind jedoch der Ansicht, die rumänische Verfassung selbst ist das Problem. Sie wurde 1991 geschrieben, da war noch gut im Gedächtnis, welch unsägliche Rolle Geheimdienst-Sonderkommissionen und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung Andersdenkender spielten. Deshalb wurden ihre Vollmachten bewusst beschränkt. Das macht sich der Chef der Sozialdemokraten jetzt zunutze. Er dreht den Spieß einfach um: Er sei nicht Täter, sondern Opfer, behauptet Dragnea. Die Justiz habe einen „parallelen Staat“ geschaffen, der das Recht beuge mit Hilfe des Präsidenten. Frank Herold
DEUTSCHLAND
In Deutschland sehen manche die Bürgerrechte von neuen Sicherheitsgesetzen bedroht. Zum Beispiel durch die Novellierung des bayerischen „Polizeiaufgabengesetzes“ aus dem Frühjahr 2018. Kritiker befürchten, dass die neuen Regelungen Polizeiwillkür Tür und Tor öffnen. So dürfen bayerische Polizisten Menschen bei „drohender Gefahr“ festsetzen. Bisher war das nur erlaubt, wenn die Polizei eine konkrete Gefahr für Leib und Leben anderer nachweisen konnte. Neu geregelt ist auch, wie lange der bayerische Staat Gefährder einsperren darf. Bis zu drei Monate ist das jetzt möglich, dann muss ein Richter die Haft überprüfen. „Unendlichkeitshaft“, sagen Kritiker.
In Nordrhein-Westfalen sind ähnliche Vorschriften geplant. Nach dem Willen der Bundesregierung soll außerdem bald ein „Musterpolizeigesetz“ kommen, das bundesweit schärfere Regelungen bringen könnte – etwa eine „Ausweitung der DNA- Analyse“ in der Polizeiarbeit.
Bislang nur getestet wurde in Deutschland die elektronische Gesichtserkennung bei der Videoüberwachung – in einem Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz. Der Trend zur Kamera ist allerdings unübersehbar. So sollen Polizisten in Bayern ab jetzt „Body Cams“ tragen. Auch im digitalen Raum weiten die Behörden die Überwachung aus. Seit August 2017 gibt es eine gesetzliche Basis für den Einsatz des „Staatstrojaners“, der unbemerkt private Computer ausspähen kann. Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung gibt es hingegen bislang nur auf dem Papier. Zwar wollte die Regierung Telekommunikationsunternehmen 2015 dazu verpflichten, die Verbindungsdaten ihrer Kunden zu speichern. Doch so viel Einblick in das Online-Verhalten seiner Bürger wird der Staat so schnell nicht erhalten. Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht – weil sie zu sehr in das digitale Privatleben eindringe, wie der Europäische Gerichtshof findet. Paul Starzmann
TSCHECHIEN
Als der Milliardär Andrej Babis vor einigen Jahren in die Politik einstieg, waren die Bedenken groß. Da kommt noch ein Berlusconi, hieß es, einer der seine wirtschaftliche Macht und den Besitz bedeutender tschechischer Medien nun als Finanzminister skrupellos und egoistisch politisch nutzen wird. Interessenskonflikte sind tatsächlich zu beobachten, wenn auch nicht in dem befürchteten Ausmaß. Die eigentliche Gefahr für die liberale Demokratie in Tschechien ist eine andere: Es ist der ungebremste Rechtsnihilismus der Eliten und der generelle Vertrauensverlust der Bevölkerung in „die da oben“, der lange vor Babis bereits eingetreten war.
Es beginnt an der Spitze des Staates. Dort interpretiert der egozentrische Präsident Milos Zeman die Verfassung willkürlich – mit dem Argument, er sei der Einzige, dem das Volk in direkter Wahl das Vertrauen ausgesprochen habe. Dass Zeman mit seiner populistischen Freund-Feind-Logik das System der Gewaltenteilung aushöhlt, ist ihm gleichgültig. So betreibt der Präsident schon seit Langem eine Nebenaußenpolitik, deren Säulen eine radikal antieuropäische Rhetorik und eine betonte Putin- Freundlichkeit sind. Zudem verstand sich Zeman oft schon als Volkes Stimme, wenn es darum ging, die Minister abzukanzeln.
Andrej Babis ist inzwischen Regierungschef – und der einzige Vertreter eines EU-Mitglieds im Europäischen Rat, gegen den die Anti-Korruptionsbehörde Olaf und die Staatsanwaltschaft des eigenen Landes ermittelt. Es geht um Subventionsbetrug. Einen Grund zum Machtverzicht sieht er darin nicht. Noch weiter geht sein Justizminister Jan Knezinek. Der erklärte kürzlich bei seinem Amtsantritt, auch wenn Babis verurteilt werden sollte, sehe er keinen Rücktrittsgrund für den Premier. Babis kam in die Politik mit dem Versprechen, „die Gesellschaft umzugestalten“. Er will den Staat wie seine Unternehmen führen. Dabei geht ihm darum, die oftmals langwierigen demokratischen Diskussions- und Entscheidungsprozesse radikal abzukürzen. In der Gesetzgebung hat sich noch nicht viel getan, aber das Projekt ist auch nicht abgeblasen.
Besonders deutlich zeigen sich die Zweifel an der liberalen Demokratie am Wiederaufstieg der Kommunistischen Partei. Seit den letzten Wahlen hat diese unreformierte, stalinistische Kraft wieder eine Hand an der Macht. Das Land wird von einer Minderheitsregierung geführt und von der KP toleriert. Weniger als die Hälfte der Tschechen findet das bedenklich. Künftig werden die Kommunisten vor jedem Gesetz die Bedingungen für ihre Zustimmung stellen. Vor allem wenn es darum geht, europäisches Recht in nationales zu überführen, könnte es zu Problemen kommen – von der EU halten die Kommunisten gar nichts. Frank Herold
ÖSTERREICH
Die Koalition aus der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) unter Kanzler Sebastian Kurz und der rechtspopulistischen FPÖ unter Vizekanzler Heinz-Christian Strache hat im Wahlkampf vor allem auf das Thema Asyl und Migration gesetzt. In den vergangenen Monaten hat die Regierung jedoch nicht nur damit begonnen die Lebensumstände für Ausländer in Österreich zu verschlechtern, sondern auch Pläne vorgelegt, die die Lage der Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft verschlechtern könnten.
Eine der weitreichendsten und meist debattierten Reformen tritt bereits im September in Kraft. Arbeitnehmer in Österreich können dann legal zwölf Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche arbeiten, statt der bisherigen zehn Stunden pro Tag und maximal 50 Stunden pro Woche. Die Regierung argumentierte, dass durch mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessert werden soll, dabei wurden die Forderungen der Industrie fast wörtlich übernommen. Immer wieder betonte die Regierung, dass Arbeitnehmer frei entscheiden könnten, ob sie länger arbeiten wollen. Im Gesetzentwurf heißt es jedoch, dass Überstunden nur „aus überwiegenden persönlichen Interessen“ abgelehnt werden können – Arbeitnehmer sich also vor ihrem Chef rechtfertigen müssen.
Nach Massenprotesten ruderte die Regierung in diesem Punkt zurück und änderte den Gesetzestext. Die Reform wurde von Opposition und Gewerkschaften als ausbeuterisch kritisiert, auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie würde erschwert. Dazu kommt noch, dass die Regierung 30 Millionen Euro pro Jahr weniger für die Kinderbetreuung ausgeben will. Die Länder sollen vom Bund nur mehr 110 statt 140 Millionen Euro bekommen. Ursprünglich waren im Budget sogar nur 90 Millionen Euro veranschlagt. Gespart wird auch bei der Förderung von Frauenvereinen, und ein Projekt zur Prävention häuslicher Gewalt, an dem Polizei, Innenministerium und Interventionsstellen beteiligt waren, wurde gestoppt.
Weitere Einsparungen will die Regierung bei der Mindestsicherung vornehmen. Bisher hatte jedes Bundesland eigene Regeln, manche strenger, manche lascher. Nun soll ein System für alle gelten. Vor allem für Mindestsicherungsbezieher in Wien, wo die Regeln großzügiger waren, bedeutet das scharfe Einschnitte. Auch Familien mit vielen Kindern bekommen weniger, da der Zuschlag pro weiterem Kind sinken soll. Migranten und Asylwerber sollen weniger Mindestsicherung bekommen, wenn sie Deutsch nicht auf Niveau B1 sprechen. Gleichzeitig hat die Regierung die Zahl der angebotenen Deutschkurse gekürzt.
Neben der geplanten Kürzung der Mindestsicherung, will die österreichische Regierung auch beim Arbeitsmarktservice sparen. Hatte die Vorgängerregierung für 2018 noch 1,94 Milliarden Euro in Aussicht gestellt, sind es nun nur noch 1,4 Milliarden Euro – 534 Millionen Euro weniger als geplant. Im Zuge dessen hat die Regierung die erst vergangenes Jahr ins Leben gerufene, „Aktion 20000“ beendet, die Langzeitarbeitslosen helfen sollte, einen Job zu finden. Melanie Berger