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Die Wohncontainer werden nicht für alle Flüchtlinge reichen.
© dpa

Wohnlage für Flüchtlinge in Berlin: Wohncontainer reichen nicht aus

Im Herbst wird sich die Wohnlage für Flüchtlinge weiter verschärfen. Zelte als Unterkünfte sind dann nicht mehr möglich. Berlin setzt auf Modulhäuser und Hotels.

Warnungen gab es. Doch sie wurden nicht gehört. Jetzt ist die Not groß. Deutschland ist nicht auf die vielen Flüchtlinge vorbereitet, die täglich ins Land kommen. Die Lage hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschärft und könnte sich wetterbedingt im Herbst noch zuspitzen. Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, warnt: „Ab Oktober sind Zelte als Unterkünfte nicht mehr möglich.“

Daher müssten Länder und Kommunen dringend für eine Unterbringung in festen Unterkünften sorgen. Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestags, sagt dazu auf Anfrage dieser Zeitung: „Wir sollten vorbehaltlos jeden Vorschlag prüfen, der geeignet ist dafür, Sorge zu tragen, dass die hohe Zahl von Flüchtlingen in angemessener Weise untergebracht werden kann.“ Dies um so mehr als man nicht davon ausgehen könne, dass der anhaltende Zuwanderungsdruck schon in absehbarer Zeit stark nachlassen werde.

Ist Berlin auf diese Entwicklung vorbereitet?

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) brachte bereits Flüchtlingsheime in Aldi-Bauweise ins Spiel. „Die Handelskonzerne Aldi und Lidl zum Beispiel ziehen ihre Läden ja auch auf der Basis eines einzigen Architektentwurfs – also quasi immer das gleiche Gebäude – schnell hoch und bauen trotzdem solide", hatte Pistorius gesagt. Wie ein Sprecher des Innenministeriums dem Tagesspiegel bestätigte, laufen dazu jetzt Gespräche mit dem Finanzministerium und dem für die niedersächsische Bauordnung zuständigen Sozialministerium.

Einen Supermarkt als Zuhause kann Boris Pistorius allerdings nicht gemeint haben. „So eine Halle würde die Zwecke nicht erfüllen“, sagt Andreas Maeck von der Firma Bartram aus Schleswig-Holstein. Sein Unternehmen ist auf Stahlbetonbauten spezialisiert. „Keine Fenster, kein Schallschutz“ – zum Wohnen wären Hallen nichts, sagt Maeck. Bartram baut aber auch Bürogebäude aus Stahlbetonsegmenten. Für sie sind dann allerdings Bauzeiten von sechs bis sieben Monaten zu veranschlagen. Eine schnelle Lösung für die Flüchtlingsunterbringung wären sie also nicht.

Schon drei Wohncontainerdörfer fertiggestellt

Eine Typenbauweise jedoch ist genau das, was Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) in Berlin auf den Weg gebracht hat. 36 Modulbauten mit insgesamt 7200 Plätzen sollen – wie berichtet – 2016 und 2017 entstehen. Dreistöckig, mit Zweibettzimmern und gemeinsamen Küchen, werden zwei Riegel gegenüberstehen und einen Hof bilden. Die Modulhäuser können relativ schnell gebaut werden, weil die Typen nicht mehr einzeln genehmigt werden müssen. Weiterer Vorteil: „Damit ist das Land nicht mehr in Abhängigkeit von privaten Anbietern“, sagt Regina Kneiding von der Pressestelle der Senatsverwaltung für Soziales auf Anfrage.

Zuletzt hatte es Unregelmäßigkeiten bei privaten Heimbetreibern gegeben. Die Berliner Senatsverwaltung hat für dieses Jahr schon drei Wohncontainerdörfer fertiggestellt, beziehungsweise bauen lassen. Drei weitere werden in den nächsten Wochen eröffnet. Sie entstehen am Hohentwielsteig und am Ostpreußendamm in Steglitz-Zehlendorf sowie am Hausvaterweg in Lichtenberg. 1400 Plätze sind damit insgesamt geschaffen. Das wird aber nicht reichen für die 8000 Flüchtlinge, die dieses Jahr noch in Berlin erwartet werden.

Im Herbst erste Ergebnisse

Anders als bei den Wohncontainerdörfern, wo alles ganz schnell gehen musste, sollen Berlins Bezirke ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Standorte für die geplanten Modulbauten haben. Im Herbst wolle man zu ersten Ergebnissen kommen, sagt Kneiding von der Senatsverwaltung für Soziales weiter. Dann sollen die Bauleistungen ausgeschrieben werden.

„Das ist immerhin ein Anfang“, sagt Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur zu den Berliner Plänen. Neben der Schnelligkeit und dem Preisvorteil sieht er noch einen anderen Vorteil des seriellen Bauens: Es nimmt die Konkurrenz um Handwerkerdienstleistungen aus einem ohnehin schon überhitzten Markt. Denn die ankommenden Flüchtlinge träfen heute auf einen angespannten Wohnungsmarkt – anders als Anfang der 90er Jahre, als die Zahlen der Zuwanderer ähnlich hoch waren.

Schnelle Alternative: Container

Als schnelle Alternative bieten sich Container an. Aber die sind zurzeit schwer zu bekommen. „Wie leergefegt“ ist der Hof beim Anbieter Optirent, sagt Daniel Dämmer vom Verkauf auf Anfrage dieser Zeitung. Von 7000 Mieteinheiten stünden noch 25 zur Verfügung, alle anderen seien verliehen. Neue Container in nennenswerter Größenordnung könne er erst Mitte nächsten Jahres liefern. Der Berliner Containerdorf-Betreiber Jörg Duske will in den Markt mit Flüchtlingen nicht einsteigen. Er ist mit der Organisation seines Studentendorfes im Plänterwald ausreichend beschäftigt. „Für uns ist es kein Geschäftsmodell, Notunterkünfte für Asylanten zu errichten“, sagt Duske auf Anfrage. „Dies ist in der Regel mit erheblichen Abstrichen in der Architektur und des Wohnkomforts verbunden.“

Was schnell und möglichst billig gebaut wurde, müsse nicht hässlich sein, entgegnet Reiner Nagel von der Bundesstiftung Baukultur. „Dann möchte niemand so eine Unterkunft in seinem Umfeld haben“, sagt er. Andererseits habe man es auch mit einem Neidproblem zu tun. So hätten sich Anwohner in den neunziger Jahren über Holzpavillons beschwert, die für Asylsuchende gebaut wurden: Den Neuankömmlingen sei ein „Bullerbü“ hingestellt worden.

Lageso kommt nicht hinterher

Doch neue „Bullerbüs“ sind nicht in Sicht und die Unterbringung von Flüchtlingen in Hotels stößt auch in Berlin bereits heute an Grenzen. Flüchtlinge, die Gutscheine für eine Unterbringung erhalten, finden oft keine Plätze. Diese müssen dann unter freiem Himmel übernachten, berichtete der Flüchtlingsrat in dieser Woche. „Ich finde es unglücklich, wenn man Asylbewerber und Flüchtlinge mit Gutscheinen ausstattet und sie sich selbst was suchen müssen“, sagte dem Tagesspiegel dazu Thomas Lengfelder vom Hotel- und Gaststättenverband.

Es sei ein Problem, dass sich bei den Hotels inzwischen hohe Außenstände angehäuft hätten. Offensichtlich kommt das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales nicht mit der Bezahlung hinterher. Lengfelder weiß von drei Hotels mit insgesamt 500 000 Euro Außenständen, die noch Beträge aus Mai und Juni offen haben.

„Das Beste wäre natürlich, den Flüchtlingen ganz normalen Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, sagt Peter Haslinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Refugees Welcome – Konzepte für eine menschenwürdige Architektur“ an der Universität Hannover. Akut müsse es aber Zwischenlösungen geben. Zu den entwickelten Konzepten der Hannoveraner gehören Dachaufbauten aus Holz, mit denen schnell Wohnraum geschaffen werden soll. Im nächsten Schritt sucht die Hochschule nach Partnern unter Fertighausbauern für die Umsetzung, sagt Peter Haslinger.

Langfristiger Wohnraum für Alle

Doch die Fertighausbauer winken zunächst ab. Sie haben Flüchtlingsheime offenbar noch gar nicht als Geschäftsfeld entdeckt: „Aus unserem Mitgliederkreis habe ich leider keine Informationen über aktuelle Bauvorhaben“, sagt Christoph Windscheif vom Bundesverband Fertigbau auf Anfrage.

Die Akademiker von der Universität Hannover haben mit ihrem Projekt eine Dimension in den Blick genommen, die im Stress um die notdürftige Unterbringung schnell aus dem Blick gerät: Die Flüchtlinge sollen ja möglichst auch integriert werden. „Statt ständig neuer Notunterkünfte muss langfristig nutzbarer Wohnraum für Alle geschaffen werden“, fordert auch der Flüchtlingsrat Berlin.

"Kollaps sehe ich nicht kommen"

Nach einer 2014 verabschiedeten Neuregelung des Bauplanungsrechts dürfen Flüchtlingsunterkünfte jetzt auch in Gewerbegebieten errichtet werden. Dies ist umstritten. Doch der Kritik entgegnet Städtetagspräsidentin Barbara Bosch: „Die Not ist ja so groß, dass wir derzeit gar nicht mehr groß heraussuchen können, wo wir die Gemeinschaftsunterkünfte hinstellen.“

Ihr Hauptgeschäftsführer Stephan Articus ist eine der wenigen beruhigenden Stimmen in der Debatte um die Unterbringung von Flüchtlingen: „Es wird vor Ort immer schwieriger, die Provisorien werden häufiger, aber einen Kollaps sehe ich nicht auf uns zukommen.“

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