Flüchtlinge in Berlin-Zehlendorf: "Lasst uns improvisieren!"
Auch Zehlendorf muss immer mehr Flüchtlinge aufnehmen, das macht manchen Anwohnern Sorgen. Andererseits haben sich überall im Bezirk Willkommensbündnisse mit vielen engagierten Menschen gegründet. Eine von ihnen sagt: "Wir werden alle Flüchtlinge willkommen heißen."
Die Unterbringung von immer mehr Flüchtlingen führt auch in Steglitz-Zehlendorf zu wachsenden Spannungen innerhalb der Bürgerschaft. Andererseits gibt es stetig wachsende und meist von den Kirchen getragene Willkommensbündnisse in den einzelnen Ortsteilen und auch im gesamten Bezirk, die mit großem Engagement gegen die Ängste und Sorgen der Anwohner ankämpfen.
Erst kürzlich fand im Rathaus eine Informationsveranstaltung zum künftigen Containerdorf für Flüchtlinge an der Potsdamer Chaussee Ecke Hohentwielsteig in Zehlendorf statt, die teilweise von aggressiven Fragen der Bürger geprägt war. Manche Gäste nutzten ihre Mikrofragezeit zu einem persönlichen Statement zur allgemeinen Flüchtlingspolitik. Immer wieder wurden Stichworte hineingerufen wie „Syrerlüge“, zu erwartende höhere "Kriminalitätsdelikte" im Umfeld der Container, Anklagen an die Bezirkspolitik. Ein wiederkehrender Vorwurf lautete, man würde doch sowieso vor vollendete Tatsachen gestellt und erhielte Falschauskünfte.
Einige Bürger kritisierten Bürgermeister Norbert Kopp (CDU) und Ingrid Stahmer, die langjährige, frühere Sozialsenatorin, die an dem Treffen teilgenommen hatte, heftig: „Nehmen sie denn auch Flüchtlinge bei sich zu Hause auf? Ihre Häuser sind doch groß genug? Sie fordern, dass wir Flüchtlinge willkommen heißen und sollten es vorleben." Immer wieder kam die Frage, aus welchen Ländern die Flüchtlinge seien.
Allerdings meldeten sich auch andere Bürger zu Wort, die durch persönlichen Kontakt zu Flüchtlingen nur von positiven Erfahrungen erzählen konnten. Ein Herr sah sich, aufgrund der geballten Fragen aller Skeptiker gemüßigt, sich zu outen. Er stand auf und sagte in akzentfreiem Deutsch: „Ich bin ein Flüchtling und sage Ihnen, niemand verlässt freiwillig sein Land und wird freiwillig zum Flüchtling."
Im Vorfeld versuchten engagierte Bürger auch die "Laubenpieper" einer Kleingartenkolonie im Umfeld des neuen Flüchtlingsheims an der Potsdamer Chaussee ins Gespräch einzubinden, es wurde ein Brief geschrieben, weil das Vereinsheim der Kleingärtner eine gute Möglichkeit bieten würde, dort etwa Deutschkurse durchzuführen. Doch die Laupenpieper antworteten nicht einmal.
"Standorte fernab vom Alltag sind nicht gut"
Gerade der Standort Hohentwielsteig, wo bereits im August die ersten Flüchtlinge einziehen sollen, ist sehr schlecht angebunden. Die Container liegen zwischen BSR-Hof, Kleingärtnern und Industriegebiet. Weder Schulen noch andere soziale Einrichtungen sind in unmittelbarer Nähe. Das ist auch einer der Hauptkritikpunkte von ehrenamtlichen Bürgern, die sich in den Willkommensbündnissen engagieren. Indra Wiesinger vom ökomenischen Willkommensbündnis in Wannsee sagt beispielsweise: "Der Bezirk hat bisher nur Standorte gewählt, die fernab vom normalen städtischen Alltag liegen. Es wäre aber einfacher, die Flüchtlinge zu integrieren, wenn sie städtischer untergebracht wären. Außerdem entsteht so zumindest der Eindruck, als wollte das Bezirksamt die Flüchtlinge möglichst fernhalten von den Bürgern. Aber ein solcher Gedanke wäre grundfalsch."
Wiesinger verweist auf die "tolle Arbeit" der Gemeinde in Dahlem, die es vorbildlich geschafft habe, sich um die Flüchtlinge in der Sporthalle der Freien Universität zu kümmern. In Dahlem haben Studenten, Anwohner und Kirchen gemeinsam ein Klima erzeugt, in dem auch Ängste und Sorgen der skeptischen Anwohner ausgeräumt werden konnten. Indra Wiesinger sagt: "Ich verstehe viele Bürger. Aber es geht jetzt nun einmal um eine Notsituation. Da müssen wir auch mal improvisieren können und nicht immer den geordneten bürokratischen deutschen Weg einfordern. So geht das nun mal nicht."
Wenn im Sommer die beiden Containerunterkünfte in Betrieb gehen, werden in Steglitz-Zehlendorf einschließlich der Unterkünfte in der Klingsorstraße und der Goerzallee knapp 1000 Flüchtlinge wohnen – ausgenommen der Notunterkünfte in den Turnhallen, die laut Norbert Kopp bis dahin geräumt sein sollen. Im kommenden Jahr werden nach einer Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Berlin etwa 20.000 Flüchtlinge erwartet. "Rund acht Prozent davon müssten hier im Bezirk untergebracht werden", sagt Kopp, macht insgesamt rund 1600 Plätze. „Im ehemaligen Krankenhaus Heckeshorn sind etwa 400 Plätze fest eingeplant“, sagt der Bürgermeister. Weitere Grundstücke und Gebäude seien im Gespräch, die er aber noch nicht öffentlich nennen könne.
Damit in Heckeshorn alle Bürger früh informiert sind und sich einbringen können - auch mit ihren Sorgen - wird das ökumenische Willkommensbündnis aus evangelischer und katholischer Kirchengemeinde sowie der Baptistengemeinde demnächst ebenfalls zu einer ersten Informationsveranstaltung einladen. "Es geht uns um eine gelebte Willkommenskultur", sagt Indra Wiesinger und hofft darauf, dass sich auch in Wannsee wie schon in Dahlem viele Bürger einfinden, die auch "über ihren eigenen Schatten springen können".
Das Potential engagierter Menschen in Zehlendorf ist groß. In diesem Sinne hat der Bezirk auch richtig gehandelt, indem er sehr früh auch ein offizielles, bezirkliches Willkommensbündnis installiert hat, in dem viele soziale Gruppierungen sitzen und das von der Integrationsbeauftragten des Bezirks, die direkt dem Bürgermeister untersteht, geleitet wird. Indra Wiesinger jedenfalls macht sich keine wirklichen Sorgen darüber, dass das Thema Flüchtlinge die Bürger wirklich spalten könnte: "Wir werden dafür eintreten, dass Flüchtlinge hier auch weiterhin willkommen sind. Und wir werden sie willkommen heißen!
Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben im Tagesspiegel und hat das lokale Portal Tagesspiegel Zehlendorf konzipiert. Folgen Sie dem Autor auch auf Twitter oder Facebook.