Steigende Flüchtlingszahlen in Brandenburg: Mehr Flüchtlinge, aber auch mehr Helfer
Brandenburg richtet zwei neue Erstaufnahmestellen ein – auch dort soll es Willkommensinitiativen geben. Erwartet werden in diesem Jahr gut 14000 Menschen.
Man nimmt sie nur selten wahr, die Flüchtlinge in Hohenleipisch, einer 2000-Einwohner-Gemeinde im Süden Brandenburgs. „Wir haben erst durch den Vorfall letzte Woche erfahren, dass dort Asylbewerber sind“, sagt eine Rentnerin, die mit ihrem Mann und Enkel im nahe gelegenen Elsterwerda einkauft: „Da wollte sich ein syrischer Flüchtling vom Dach stürzen, weil man ihn nach Ungarn abschieben wollte. Kümmert sich denn dort niemand um die Flüchtlinge? Da müsste man dringend was tun.“
Es hat sich einiges getan in Brandenburg, sagt Ingo Decker, Sprecher des brandenburgischen Innenministeriums: „Im Gegensatz zur Situation Anfang der 90er Jahre gibt es viele Willkommensinitiativen. Da merkt man, dass sich hier eine Zivilgesellschaft entwickelt hat.“ Ende Mai lebten nach Angaben der Landesregierung 7844 Asylsuchende in Brandenburg. Hinzu kamen 104 Asylberechtigte, 3081 geduldete Flüchtlinge, also Ausreisepflichtige, deren Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wurde, sowie 1026 Personen, die als Flüchtlinge anerkannt sind. Es kommen immer mehr, sagt Ingo Decker: „Zu Beginn dieser Woche waren 2162 Flüchtlinge in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen gemeldet, so viele wie seit Jahren nicht mehr.“ Die Zentrale Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt wurde längst um Außenstellen in Frankfurt (Oder) und Ferch erweitert, auch im „Flughafenasyl“ in Schönefeld befinden sich mehrere Dutzend Flüchtlinge. Geplant sind weitere Erstaufnahmeeinrichtungen in Wünsdorf für 1200 und in Doberlug-Kirchhain für 800 Menschen.
Derzeit kommen pro Woche etwa 500 neue Flüchtlinge hinzu. Deshalb sind in Eisenhüttenstadt jetzt zwei Zeltlager aufgestellt worden. Vor gut einer Woche öffnete in Eisenhüttenstadt bereits ein erstes Zeltlager für 300 Flüchtlinge. Ab Dienstag sollen 500 neue Flüchtlingen in weiteren 70 Zelten untergebracht werden. Erstmals will Brandenburg nun auch Familien mit Kindern übergangsweise in Zelten unterbringen. Die völlig überfüllte Erstaufnahmestelle soll entlastet werden.
Doppelt so viele Flüchtlinge wie im Vorjahr
Nach dem „Königsteiner Schlüssel“, der jedes Jahr entsprechend den Steuereinnahmen und der Bevölkerungszahl der Länder berechnet wird, muss Brandenburg etwas mehr als drei Prozent der nach Deutschland geflüchteten Menschen aufnehmen. Wurden 2007 lediglich 565 Personen aufgenommen, werden es nach der aktuellen Prognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge 2015 über 14000 Menschen sein. Im vergangenen Jahr waren es noch 6300. Sie kommen vor allem aus Syrien, Serbien, Russland, Eritrea und Kamerun.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben die Asylsuchenden maximal drei Monate, dann werden sie auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. Dort gibt es derzeit 75 Gemeinschaftsunterkünfte, in denen rund 6900 Menschen wohnen. Daneben sind 2590 Menschen in 918 Wohnungen untergebracht.
Flüchtlingsrat: Mehr Flüchtlinge sollen in Wohnungen leben
Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert, dass mehr Asylsuchende in Wohnungen leben können, und wirft der Landesregierung vor, sich zu wenig auf die steigenden Zuwandererzahlen vorbereitet zu haben. Der Rat kritisiert auch, dass es immer wieder zu Übergriffen auf Asylunterkünfte kommt – nicht so dramatisch wie in Sachsen, aber auch sehr belastend für die Betroffenen. So wurde nach Auskunft der Opferperspektive, die sich um von rechter Gewalt und rassistischer Diskriminierung Betroffene kümmert, im September 2013 ein Brandanschlag auf ein geplantes Asylbewerberheim in Premnitz im Havelland verübt. Im Mai wurde ein Brandanschlag auf die geplante Erstaufnahmeeinrichtung in Wünsdorf verübt – die Täter aus der rechtsextremen Szene waren schnell gefasst. Am Sonnabend gab es einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingswohnung in Brandenburg/Havel und einen Neonazi-Aufmarsch gegen Flüchtlinge in Frankfurt (Oder).
Dennoch ist Jörg Wanke von der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“ optimistisch: „Es gibt überall im Land Willkommensinitiativen, die von einzelnen Bürgern, der Kirche oder Hilfsorganisationen gegründet wurden und oft von staatlichen Behörden unterstützt werden.“ Natürlich hätten es die Gemeinden im sogenannten Speckgürtel rund um Berlin leichter, weil dort ein höheres Maß an Zivilgesellschaft vorhanden sei und mehr materiell abgesicherte Menschen leben würden, die gern einen Teil ihrer Zeit der Integration von Flüchtlingen widmen, sagt Wanke: „Je weiter man sich von Berlin entfernt, umso schwieriger haben es solche Initiativen.“ Und gerade in den ersten Tagen und Wochen in Deutschland sollten den Flüchtlingen möglichst viele Helfer zur Seite stehen. (mit axf)
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