Jahrsabschluss-Interview 2018: Oberbürgermeister Mike Schubert über das unfertige Potsdam
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert zum Jahresabschluss 2018: Es geht um Wachstum, Brauhausberg, Kita-Plätze, Verzicht, Potsdams "Ungeheuer von Loch Ness", die AfD und die Frage: Ab wann ist man Potsdamer?
Potsdam -
Herr Schubert, Sie sind jetzt seit genau vier Wochen Oberbürgermeister von Potsdam. Fühlt sich das immer noch gut an?
Ja, es fühlt sich noch gut an, aber es ist immer noch ein bisschen ungewohnt. Es war ja nicht nur ein Bürowechsel im Haus, da muss man sich an ein paar kleine Dinge durchaus erst gewöhnen.
Zum Beispiel?
Nun, etwa, wenn der frühere Oberbürgermeister bei einem Termin neben mir steht und irgendjemand den Oberbürgermeister anspricht, habe ich instinktiv erstmal zu Jann Jakobs geschaut. Der nickt mir dann zu und sagt: Du bist das jetzt. Oder bei den Abstimmungen.
In der Stadtverordnetenversammlung?
Genau. Als ich nach 16 Jahren als Stadtverordneter Sozialdezernent wurde, musste ich mir den Reflex, zur roten Karte zu greifen, ganz mühsam abgewöhnen. Beigeordnete haben ja kein Stimmrecht. Und jetzt, in meiner ersten Stadtverordnetenversammlung als Oberbürgermeister, wurde ich bei den Abstimmungen aus der SPD-Fraktion mit großen Augen angeguckt, als mein Arm erstmal ruhig blieb. Jetzt muss ich also wieder umdenken (lacht).
Und Ihr Familienleben? Das hat doch bestimmt gelitten.
Nein, eigentlich nicht. Wir wussten ja, worauf wir uns einlassen. Das Arbeitspensum eines Beigeordneten unterscheidet sich nicht so sehr von dem eines Oberbürgermeisters. Man muss sich aber in viele Dinge neu einlesen.
Einen ruhigen Start hatten Sie jedenfalls nicht, im Gegenteil. Wichtige Ausschreibungen kommen nicht voran, Entscheidungen werden nicht getroffen, weil überall Personal fehlt.
Es kommt jetzt darauf an, zwei Dinge parallel anzugehen: Erstens neues Personal zu finden und die Verwaltung zu modernisieren und zweitens das Tagesgeschäft zu managen – mit all den spannenden Facetten, die Potsdam zu bieten hat.
Bleiben wir noch einen Moment bei der Personalsituation. Die Denkmalpflege hat seit Monaten keinen Chef, die Bauaufsicht ebenso wenig, der Bereich Beteiligungsmanagement, der die wichtige Aufgabe hat, die Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und kommunalen Unternehmen zu steuern, ist gar seit fast zwei Jahren führungslos. Wie kann das sein?
Lassen Sie mich das so formulieren: Wir müssen uns wieder bemühen, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Es reicht nicht mehr, eine schöne Stadt zu sein. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen gerne bei uns arbeiten – und sich vorher auch gern bei uns bewerben. Das heißt, wir müssen mehr bieten als nur einen guten Arbeitsplatz. Das Umfeld muss auch passen, die Menschen müssen eine Wohnung finden. Wir haben einen Fachkräftemangel in der Region. Und der schlägt gerade in den Verwaltungen zuerst durch, weil dieselben Jobs in der freien Wirtschaft zumeist besser bezahlt werden. Das gilt für Ingenieure ebenso wie für IT-Spezialisten oder Vergaberechtler.
Womit kann die Stadt dann aber punkten, welche Anreize kann sie bieten?
Einerseits gibt es bei uns unglaublich spannende Tätigkeiten. Wer in Potsdam arbeitet, arbeitet auch fast 30 Jahre nach der Wende in einer Stadt, die nicht fertig ist, die im Werden ist. Da beschränkt sich etwa die Arbeit in der Bauverwaltung nicht nur darauf, irgendwo noch einen letzten Baum zu pflanzen oder den letzten Grünflächenplan fertigzustellen. Hier gibt es noch eine richtig spannende Entwicklung, nehmen Sie nur die Potsdamer Mitte. Für Bewerber, die noch einen echten Gestaltungswillen haben, ist Potsdam also genau das Richtige. Aber die Arbeitsbedingungen müssen stimmen.
Wie meinen Sie das?
Wir müssen an den Zustand der Gebäude ran. Viele Verwaltungsgebäude sind marode oder mindestens stark renovierungsbedürftig. Die Angestellten sollen ja in einer vernünftigen Umgebung arbeiten können, auch das gehört dazu, wenn man gute Fachleute bekommen will. Und letztlich müssen auch die technischen Bedingungen stimmen, wir brauchen also verlässlich funktionierende Technik in allen Bereichen.
Im Moment schafft es die Stadt ja nicht einmal, bereits vorhandene neue Computer anzuschließen, wie das Beispiel an der Hanna-von-Pestalozza-Grundschule in Groß Glienicke zeigt. Dort stehen die Rechner noch bis zum Frühjahr herum, weil IT-Experten fehlen. Peinlich.
Ich bin ja viel belacht und kritisiert worden, als ich vor einem Jahr gewarnt habe: Achtung, diese Stadt wächst zu schnell. Das wurde dann so ausgelegt, als ob ich überhaupt kein Wachstum mehr wollte. Das stimmt aber nicht. Ich meinte, dass das Tempo zu hoch ist. Wir haben bei vielen Themen in Potsdam die Situation, dass einerseits Experten fehlen, andererseits aber dringende Probleme schnell gelöst werden müssen. Das führt dann auch zu Situationen wie an der Pestalozza-Schule in Groß Glienicke. Und ja, mir sind solche Situationen peinlich und ich will sie ändern.
Aber die personelle Misere herrscht nicht erst seit gestern. Warum gelang es Ihrem Vorgänger trotzdem, relativ geräuschlos zu regieren, während Ihnen die Situation jetzt auf die Füße fällt?
Ich sehe das nicht so. Wir müssen – und das galt auch für Jann Jakobs – einen Spagat schaffen zwischen personeller Aufstockung auf der einen Seite und der finanziellen Lage auf der anderen. Neue Stellen kosten Geld, wir müssen aber auch noch investieren können. Und an dieser Stelle setze ich einen neuen Schwerpunkt: Erst müssen wir wieder einen ausreichenden Personalstamm aufbauen. Sonst haben wir ja auch niemanden, der die Investitionen umsetzen kann.
Sie wollen im nächsten Jahr im Rathaus 100 neue Stellen schaffen. Wie soll das gelingen, wenn man schon für die seit Monaten oder Jahren unbesetzten Stellen keine Bewerber findet?
Wir brauchen neue Mitarbeiter auf allen Ebenen, nicht nur in Führungspositionen. Mehr als 600 gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Trotzdem bin ich optimistisch, dass wir das hinbekommen. Dafür müssen wir aber die bereits erwähnten Bedingungen schaffen, also vernünftige Arbeitsräume und -technik und Familienfreundlichkeit. In Privatunternehmen ist so etwas heute durchaus Usus, dass man auch über solche Dinge wie Kitabetreuung oder Wohnraum redet. Wenn es sich herumspricht, dass Potsdams Stadtverwaltung das auch macht, bekommen wir auch wieder gute Führungskräfte.
Das heißt, der neue Feuerwehrchef hat gleich Haus und Grundstück zum Job dazubekommen?
Nein, ein Wünsch-dir-was ist es natürlich nicht. Aber wenn jemand den Job erst in einem halben Jahr antritt, kann man als Stadt ja beraten. Es geht nicht um Rundum-sorglos-Pakete, aber wir werden dennoch zunehmend über die Bereitstellung von Wohnungen für Arbeitnehmer nachdenken müssen.
Und woher sollen die kommen? Von der Pro Potsdam?
Nicht unbedingt. Wir müssen über Modelle reden, die es vor 100 Jahren schon einmal gab, nämlich Betriebswohnungen. Das Bergmann-Klinikum denkt darüber nach, der Verkehrsbetrieb auch.
Wie muss man sich das vorstellen?
Wir stehen da noch ganz am Anfang der Überlegungen. Aber im Prinzip geht es darum, dass die Stadt und ihre Unternehmen eigene Wohnungen im Bestand halten, die sie potenziellen neuen Mitarbeitern anbieten können – für eine gewisse Zeit, bis sie etwas Passendes gefunden haben.
Die Personalaufstockung kostet viel Geld, auch bei der Rückzahlung der zu hoch berechneten Kitabeiträge muss die Stadt tief in die Tasche greifen. Bislang hieß es zwar immer, Potsdam stehe finanziell gut da, doch die Ausgaben steigen von Jahr zu Jahr. Was kann sich Potsdam künftig noch leisten?
Wir haben beim Wachstum ein Tempo erreicht, das wir – wenn es in dieser Form anhält – tatsächlich bald nicht mehr aus eigener Kraft werden stemmen können. Das heißt also, dass wir uns etwa bei der Fortschreibung der Stadtentwicklungskonzepte Wohnen und Verkehr Gedanken machen müssen, wie wir das steuern können.
Wie wollen Sie das Wachstumstempo denn drosseln? Sie können den Menschen ja nicht verbieten herzuziehen.
Ich wehre mich dagegen, Wachstum als gottgegeben hinzunehmen. Dann bräuchten wir in den Städten kein Planungsrecht mehr. Wenn wir annehmen, dass Wachstum nicht gesteuert werden kann, benötigen wir keine Bauleit- oder Haushaltsplanung mehr. Dann würden wir sagen: Hier sind die Flächen, bitteschön – baut so dicht, so viel und so hoch ihr wollt. So hat Potsdam, Gott sei dank, aber nie funktioniert. Und zweitens müssen wir bei der Diskussion weg von der Kirchturmspitze.
Wie meinen Sie das?
Menschen ziehen nicht unbedingt in eine Stadt, sie ziehen in eine Region, nach Werder (Havel) oder Caputh. Die Metropolenregion ist bis nach Brandenburg an der Havel attraktiv. Deswegen setze ich auf Kooperation. Wir müssen zusammen unsere Probleme lösen – beim Verkehr, aber auch beim Wohnraum oder bei Wirtschaftsansiedlungen. Die Menschen suchen nicht nur an einem Ort nach einem attraktiven Lebensumfeld. Daher will ich mit der Stadt Brandenburg und den benachbarten Landkreisen Mittelmark und Havelland auch über eine gemeinsame Wachstumsstrategie sprechen.
In den letzten Jahrzehnten zählte die Zusammenarbeit mit den Umlandgemeinden nicht eben zu Potsdams Stärken.
Ich bin dem Oberbürgermeister von Brandenburg und den Landräten von Mittelmark und Havelland auch sehr dankbar dafür, dass sie – sogar noch vor meiner Wahl – meinen Vorschlag begrüßt haben. Am Ende soll möglichst ein regionales Entwicklungskonzept stehen. Gemeinsam sind wir eine starke Region.
Da wird Potsdam aber auch Kompromisse schließen müssen, die vielleicht nicht jedem Stadtverordneten schmecken.
Willy Brandt hat einmal gesagt: Der Kompromiss ist die Seele der Politik. Wir merken ja vielfach, dass wir an Grenzen stoßen, nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich. Die Wachstumsstrategie der letzten Jahre lässt sich für Potsdam so nicht mehr allein weiterverfolgen. Es ist also nur logisch, die anderen dazu zu bitten und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.
Kommen wir noch einmal zurück zu den Kosten, die das Wachstum verursacht. Die Kommunalaufsicht, also das Land, hat von der Stadt bereits eine Erhöhung der Zuschüsse an den Kommunalen Immobilien Service gefordert, damit der kreditwürdig bleibt. Es drohen also weitere Millionenausgaben. Wo soll das ganze Geld für Investitionen denn herkommen?
Wir sind dabei einen Kassensturz zu machen. Im Januar werden wir dann entscheiden, ob wir wegen der geplanten zusätzlichen Stellen und der Rückzahlung der Kitabeiträge einen Nachtragshaushalt brauchen oder nicht. Aber natürlich geht es um die Frage, was wir uns zur insgesamt tollen Entwicklung der Stadt zusätzlich noch leisten können. Aus meiner Sicht ist jetzt nicht die Zeit für große neue Ideen, die zusätzliche Gelder erfordern. Es geht erst einmal darum, Versprechen der Vergangenheit einzulösen. Wir haben den Menschen ein Wachstumsversprechen gegeben: Wenn ihr herzieht, habt ihr eine Schule oder eine Kita in der Nähe. Das haben wir nicht überall eingelöst. In Fahrland etwa soll bis zum Sommer die nächste Kita fertig sein. Das sind aber Nachholarbeiten, die eigentlich längst fertig sein sollten.
Bei Ihrer Amtseinführung hatten Sie ja bereits erklärt, dass die Stadt, um all die Aufgaben stemmen zu können, auch mal auf das eine oder andere schöne Projekt verzichten müsse. Welche meinten Sie konkret?
Es geht nicht darum, irgend etwas zu streichen, sondern nur um die Frage, ob man noch was obendrauf packen muss und worauf man dann verzichtet.
Neben den geerbten Baustellen schaffen Sie sich parallel auch neue. Ihre Ankündigung, die Verwaltung umzubauen und Zuständigkeiten neu zu sortieren, hat viel Wirbel verursacht. Mit einem solchen Schritt macht man sich nicht nur Freunde.
Ich glaube, die Kollegen teilen die Ansicht, dass sich etwas ändern muss im Rathaus. Ob man dabei bei jedem Schritt immer alle Mitarbeiter hinter sich hat, weiß ich nicht. Es ist aber sicher normal, dass neue Akzente gesetzt werden, wenn nach 16 Jahren ein neuer Oberbürgermeister sein Amt antritt. Ich glaube, es ist auch der Länge der Regierungszeit von Jann Jakobs geschuldet, dass das jetzt wie etwas ganz Neues wirkt. In Frankfurt (Oder) hat mein Amtskollege René Wilke von den Linken im Rathaus auch erst einmal die Strukturen geschaffen, mit denen er arbeiten möchte. Wichtig ist aber, dass man die Mitarbeiter einbezieht. Darum haben wir auch gleich zwei Mitarbeiterversammlungen durchgeführt und unsere Pläne erklärt. Jetzt führen die Bereichsleiter weitere Gespräche. Der Personalrat unterstützt die Umstrukturierungen, das war mir auch sehr wichtig. Und wir werden den Mitarbeiterdialog im neuen Jahr fortsetzen.
Trotzdem werden nicht alle gejubelt haben. Beschneiden wollen Sie etwa die Kompetenzen des Kämmerers, der den Zukunftsbereich Digitalisierung ans Oberbürgermeisterbüro abgeben muss. Ihr Verhältnis zu Burkhard Exner gilt ohnehin nicht als das beste. Wird er seine Amtszeit, die ja noch drei Jahre läuft, regulär beenden?
Er bleibt mit Sicherheit bis zum Ende seiner Amtszeit. Wie ich liebt er diese Stadt, sonst hätte er ja nicht ebenfalls Oberbürgermeister werden wollen. Ich brauche einen guten Kämmerer, einen, der so konsequent für die Stadt arbeitet, wie Burkhard Exner das tut. Seine Rolle wird oft unterschätzt. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, Bildungsdezernentin Noosha Aubel und dem Baubeigeordneten Bernd Rubelt, die auch mit neuen Vorschlägen kommen können, muss er den Mahner geben und sagen: Moment, das können wir uns aber nur in kleinerer Ausprägung leisten. Die Umstrukturierungen haben nicht das Ziel, irgendjemandes Kompetenzen zu beschneiden.
Sondern?
Ganz einfach eine effizientere Arbeit zu ermöglichen. Der Bereich Digitalisierung war auf insgesamt drei Geschäftsbereiche verteilt. Das müssen wir besser bündeln, sonst können wir auch nicht schneller werden. Und schneller werden müssen wir, denn die Menschen erwarten heute schon eine digitale Verwaltung.
Sie waren der einzige Ossi unter den Beigeordneten und auch sonst sitzen deutlich mehr Westdeutsche im Rathaus auf leitenden Positionen. Es ist ja zuletzt viel über eine Ostquote in der Politik diskutiert worden. Wünschen Sie sich so etwas auch in der Verwaltung der zunehmend nobler werdenden Stadt Potsdam?
Uns steht in den nächsten Jahren ein großer Personalwechsel auf Leitungsebene bevor. 61 Führungskräfte werden in den Ruhestand gehen. Da wünsche ich mir Nachwuchs aus den eigenen Reihen. Wir wollen jungen Menschen, die hier leben und die hier ausgebildet wurden, an der Uni Potsdam oder einer der anderen guten Hochschulen im Land, eine Perspektive bieten. Auch das ist übrigens ein Weg zur Behebung des Fachkräftemangels. Da wollen wir uns auch von der Uni helfen lassen, etwa durch Praktika, bei denen Studenten mal in die Arbeit im Rathaus reinschnuppern können. Aber zurück zu Ihrer Frage: Ich kann die Diskussion schon in Teilen nachvollziehen.
In Potsdam ist ja inzwischen viel vom Verlust von Identität, von Heimat die Rede. Als jemand, der hier groß geworden ist: Geht es Ihnen auch so?
In manchen Dingen schon, ja. Man muss in einer solchen Diskussion aber auch fragen: Ab wann ist denn jemand Potsdamer? Was ist mit denen, die vor 20 Jahren hergezogen und deren Kinder hier aufgewachsen sind? Natürlich haben die eine Potsdamer Identität. Aber es ist eine andere als meine, die im Potsdam der 1970er-Jahre beginnt. Daher ist die Diskussion um die Wiederannäherung an die historische Mitte in erster Linie eine Identitätsdiskussion. Für einen Teil jener, die in den 50er- oder 60er-Jahren hier groß geworden sind, ist das DDR-Stadtbild Teil der Identität geworden. Es geht in der Debatte aber nicht nur um Identität, sondern um die verschiedenen Architekturepochen. Und da müssen wir aufpassen, dass alle in der Stadt sichtbar bleiben.
Das klingt jetzt ein wenig nach Kritik an Ihrem Vorgänger, der sich ja sehr stark für die Wiederherstellung des alten Stadtgrundrisses eingesetzt hat. Werden Sie da weniger konsequent sein?
Wir haben eine tolle Innenstadt und ich bin sehr froh, dass ich 20 Jahre lang an deren Neugestaltung mitwirken durfte. Aber schon als SPD-Fraktionschef im Stadtparlament habe ich ja punktuell eine andere Linie vertreten, etwa bei der Diskussion um das Mercure-Hotel.
Das Jann Jakobs gern abreißen wollte.
Ich wechsele da jetzt nicht den Kurs, nur weil ich jetzt Oberbürgermeister bin. Es gibt Bauwerke, bei denen man sich – nicht nur aus Identitätsgründen – gut überlegen muss, was ein Abriss mit der Stadt als solches macht, wenn auf der Fläche dafür eine Wiese angelegt oder ein anderer Bau errichtet wird. An der Friedrich-Ebert-Straße wird nach dem Abriss der Fachhochschule ebenfalls ein Quartier entstehen, das der Stadt gut tun wird, davon bin ich überzeugt. Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, überall nur historische Maßstäbe anzusetzen.
Es gibt ja noch Steuerungsmöglichkeiten. Man könnte beispielsweise den Staudenhof-Wohnblock stehen lassen. Dafür müsste man aber an dieser Stelle auf ein historisches Karree verzichten. Ist das für Sie eine Option?
Vor einem Abriss des Staudenhof-Wohnblocks muss erst einmal nachgewiesen werden, dass ein solcher nebst angestrebtem Neubau in historischen Dimensionen billiger wäre als eine Sanierung. Diese Bewertung kann man jetzt aber noch nicht machen, das wäre viel zu früh, denn der Staudenhof hat Bestandsschutz bis Ende 2022. Vielleicht kommen wir ja in vier Jahren zu dem Schluss, dass es angesichts immer weiter gestiegener Baupreise doch besser wäre, den Wohnblock stehenzulassen, dass ein Abriss völlig unwirtschaftlich und damit unsinnig wäre. Man kann nicht etwas jetzt schon final infrage stellen, nur weil es vermeintlich nicht schön aussieht. Stadtentwicklung ist nicht nur eine Frage der Architektur, sondern auch der Wirtschaftlichkeit und des Lebensgefühls.
Um genau diese Fragen geht es sicher auch bei der Wiedergewinnung des Stadtkanals, der ebenfalls zur Potsdamer Mitte gehört, aber vom Rathaus bislang recht stiefmütterlich behandelt wurde. Wie wichtig ist Ihnen dieser Wasserlauf durch die Innenstadt?
Tatsächlich ist der Stadtkanal eins meiner Lieblingsprojekte in der Mitte, weil er der Stadt gut tun würde. Bislang wurde die Wiederherstellung immer nur unter städtebaulichen Gesichtspunkten diskutiert, dabei geht es um viel mehr – nämlich um Stadtklima, um Lebensqualität. Stellen Sie sich doch einmal vor, wie es wäre, in der Geschäftszeile der Wohnhäuser Am Kanal wie früher wieder Eiscafés zu haben und dort tatsächlich an einem Kanal zu sitzen! Ich habe mir das vor ein paar Jahren in Brügge mal angeschaut...
...die mittelalterliche belgische Stadt mit ihren zahlreichen Kanälen...
Das ist ein ganz anderes Lebensgefühl! Nun wird Potsdam sicher nicht in der Lage sein, das Projekt zu bezahlen, es wird viele Jahre dauern und man muss Geduld haben. Aber man muss dafür werben. Den beiden Fördervereinen habe ich daher angeboten, gemeinsam nach Ideen zu suchen, wie wir den Stadtkanal im öffentlichen Bewusstsein verankern können.
Springen wir mal hinüber zum Brauhausberg. Dort läuft ja nicht nur eine Architekturdiskussion, nämlich zum Schicksal des DDR-Terrassenrestaurants Minsk, sondern eine generelle über den künftigen Umgang mit kommunalen Grundstücken. Sie hatten in Ihrem Wahlprogramm angekündigt, stadteigene Flächen nicht mehr zum Höchstgebot zu veräußern, sondern dem zu verkaufen, der das beste Konzept hat.
Zunächst einmal: Ich habe die Bauverwaltung bereits damit beauftragt, ein Regelwerk für solche Konzeptvergaben zu erarbeiten. Mein Ziel ist es, dass wir uns gemeinsam mit den Stadtverordneten auf eine Variante einigen, die dann grundsätzlich bei Vergabeverfahren in Potsdam angewendet wird, damit wir nicht bei jedem Fall wieder von vorne diskutieren müssen. Diese Richtlinie soll möglichst noch vor der Kommunalwahl verabschiedet werden. Der Einwand von Kritikern, man verdiene mit Konzeptvergaben an den Grundstücken nichts mehr, läuft für mich ins Leere. Es geht vor allem darum zu beeinflussen, welche Steuerungsmöglichkeiten wir als Stadt auf Flächen, die wir verkaufen, haben wollen und welche nicht.
Und welche Entwicklung wünschen Sie sich für den Brauhausberg?
Zunächst einmal läuft ja noch ein Werkstattverfahren, das darüber befinden soll, ob die Flächen an den Höchstbietenden verkauft werden. Das Schicksal des Minsk ist damit verknüpft, es würde dann abgerissen.
Aber Sie werden als Oberbürgermeister dazu doch eine eigene Meinung haben?
Ja, die habe ich. Wenn es eine Möglichkeit gibt, das Minsk zu erhalten – sowohl baulich als auch mit einer vernünftigen Nutzung – sollte man diesen Weg gehen.
Dann müsste man das Vergabeverfahren stoppen und neu aufrollen.
Deswegen sage ich auch, wir müssen das Verfahren abwarten, in dessen Verlauf ja auch mit den potenziellen Investoren gesprochen wird. Vielleicht ergeben sich auch da noch neue Möglichkeiten.
Sehen Sie das Minsk als Möglichkeit, ein Zeichen für den Erhalt von DDR-Architektur zu setzen und damit den Streit um die Mitte zu befrieden?
Man konnte in den letzten Monaten etwas sehr Spannendes beobachten. Die Forderung nach einem Erhalt des Minsk einte die Antipoden der Potsdamer Stadtentwicklung, nämlich das Bündnis „Stadtmitte für Alle“ und „Mitteschön“. Und das muss die Stadtpolitik schon nachdenklich machen. Zu sagen, es würde den Streit befrieden, wäre vielleicht etwas überzogen. Aber es könnte ein Projekt sein, bei dem sich die Stadtgesellschaft wieder auf einander zu bewegt.
Geteilt sind die Meinungen bei der Architektur des geplanten Digitalzentrums auf dem früheren RAW-Gelände am Hauptbahnhof. Muss der Investor eine solche Baumassendiskussion aushalten oder muss man jemandem, der 100 Millionen Euro ausgeben und 1000 Arbeitsplätze schaffen will, den roten Teppich ausrollen?
Eine solche Schwarz-Weiß-Diskussion tut uns nicht gut, glaube ich. Einerseits sind wir mutig und entwickeln wir uns mit dem Hasso-Plattner-Institut, dem Digital Hub, dem Gründerzentrum Go:In und vielen anderen Einrichtungen zu einer Stadt, die im IT-Bereich sogar Berlin Konkurrenz macht, andererseits sagen wir bei einem solchen Projekt dann: So modern wollen wir das aber nicht. Ich möchte, dass das RAW-Gelände zu einem Hightech-Standort entwickelt werden kann. Dieses Signal müssen wir setzen, indem wir jetzt mit dem Bebauungsplan starten.
Warum muss das so schnell gehen?
Man kann doch während des B-Plan-Prozederes noch über Anpassungen diskutieren. Aber solche Verfahren dauern in Potsdam ohnehin schon sehr lange. Daher gab es auch kaum Großansiedlungen in den letzten 20 Jahren. Denken Sie nur daran, wie lange die Diskussion um den Lokschuppen in Babelsberg gedauert hat oder daran, wie lange das RAW-Areal leer steht. Wie viele Entwicklungsversuche hat es gegeben und immer hieß es: Das geht da aber nicht. Im Gegensatz zum Wohnen ist Potsdam bei Wirtschaftsansiedlungen kein Selbstläufer.
Potsdam ist aber eben nicht Berlin, Frankfurt oder London. Hier wird bei Bauvorhaben immer über Maßstäblichkeiten diskutiert werden, wenn sie eine gewisse Höhe überschreiten und 33 Meter wie beim RAW sind keine Kleinigkeit.
Das ist richtig und die Diskussion ist auch richtig. Wenn es hilfreich ist, sollten wir dort auch eine Höhensimulation durchführen, damit haben wir in Potsdam ja gute Erfahrungen gemacht. Aber man muss sich auch fragen, wo wir die Höhendiskussion in der Stadt überall führen wollen. In der historischen Altstadt und ihrem Umfeld ist sie ganz sicher richtig. Aber inzwischen wird ja selbst in der Waldstadt noch darüber gestritten, ob neben einem Hochhaus noch ein Hochhaus stehen darf. Man kann nicht einerseits möglichst wenig Flächen versiegeln wollen und andererseits jedweden Bau in die Höhe verweigern. In dieser Debatte haben wir das richtige Maß noch nicht gefunden.
Kommen wir zu einer anderen Baustelle. Bereits Ihr Vorgänger Jann Jakobs hatte vor genau einem Jahr eine Schul- und Kita-Taskforce angekündigt, weil Potsdam bei deren Planung und Bau seit Jahren der Entwicklung hinterherhinkt. Warum kommt die erst jetzt?
Wir mussten erst einmal Ideen entwickeln, ein Konzept, welche Arbeit da geleistet werden muss und wie man das managen kann. Jetzt werden die Stellen besetzt und dann kann es losgehen.
Dennoch müssen die Potsdamer Kinder weiterhin in Containern lernen.
Ich verstehe jeden, der sagt, ich will nicht, dass mein Kind in einem Container lernen muss. Aber damit hat das, was wir mittlerweile errichten, nichts zu tun. Schauen Sie sich die Modulbauten in Fahrland doch einmal an. Oder im Zentrum-Ost. Wir setzen hier auf die Verwendung vorgefertigter Bauteile, um eine Schule schneller in Betrieb nehmen zu können. Das sind Typenbauten – als Ergänzung zu Schulen in normaler Bauweise – die man durchaus 20 Jahre nutzen kann.
Nach den Bürgerumfragen zur Zufriedenheit ist das beherrschende Thema in Potsdam der Verkehr. Bislang bevorzugt die Stadt die umweltfreundlichen Verkehrsmittel wie Tram, Bus und Fahrrad. Es mehren sich aber die Stimmen, die im Kampf gegen den Stau einen dritten Havelübergang fordern. Schließen Sie den aus?
Das kommt mir ein bisschen so vor wie das Ungeheuer von Loch Ness. Immer, wenn es Wahlkämpfe gibt, flammt die Diskussion um den dritten Havelübergang wieder auf. Jeder, den man fragt, will ihn, aber niemand vor seiner Haustür. Wollte man die Havelspange über den Templiner See, müsste man sich ohnehin mit den direkten Nachbargemeinden und dem Landkreis Potsdam-Mittelmark zusammensetzen. Dort will man die aber auch nicht.
Die meisten Bürgerinitiativen gegen die Havelspange kamen damals tatsächlich aus dem Umland.
Eben. Wir tun immer so, als ginge es nur um dieses kleine Stückchen entlang des Bahndamms. Aber die Route, wenn es eine Netzverknüpfung zwischen den Bundesstraßen 1 und 2 werden soll, führt ja weiter durch den Wildpark. Da gibt es enorme Umwelt- und denkmalrechtliche Probleme. Das ist alles -zig Mal diskutiert worden – und immer, wenn es dann konkret wurde, gab es auch in Potsdam Widerstand.
Und damit sind wir beim Thema Bürgerbeteiligung. Die soll viel besser werden, haben Sie beim Amtsantritt versprochen. Was kommt als erstes?
Am 31. Januar werde ich meine erste Bürgersprechstunde abhalten, die erste hier im Rathaus, danach wird das in den Stadtteilen stattfinden. Mir schwebt da so eine Art Stadtteiltag vor.
Wie soll der aussehen?
Mein Vorgänger Jann Jakobs hat ja bereits Stadtteilwanderungen durchgeführt, wo er in bestimmten Quartieren unterwegs war, sich Einrichtungen vor Ort angesehen und über Probleme informiert hat. Das kann man verbinden mit einer Bürgersprechstunde vor Ort und abends findet dann noch eine Stadtteilkonferenz statt, auf der auch die Beigeordneten gemeinsam mit den Akteuren des Stadtteils über dessen Zukunft reden. Am Ende sollen aber auch konkrete Ergebnisse stehen.
Sie gelten als ehrgeizig und als einer, der Veränderungen nur wenig Zeit gibt. Hat man Sie im Rathaus schon zur Entschleunigung gemahnt?
Ich habe bei dem, was wir alles anschieben wollen, eher eine andere Sorge – nämlich, dass der Um- und personelle Aufbau der Verwaltung Zeit kostet. Gleichzeitig werden von mir aber auch schnell Ergebnisse erwartet. Ich habe ganz bewusst den Schwerpunkt zunächst auf die Behebung der personellen Defizite gelegt. Das ist die Basis. Nur mit einer leistungsfähigen Verwaltung kann man auch die schwierigen Probleme anpacken. Wir werden die nächsten Wochen dazu nutzen, um einen Fahrplan für die schrittweise Umsetzung meines Zukunftsprogramms aus dem Wahlkampf zu erarbeiten. Ich bin für acht Jahre gewählt und habe nicht vor, den Job nach zwei Jahren aufzugeben.
In einem halben Jahr ist Kommunalwahl. Dann wird vermutlich eine weitaus stärkere AfD in der Stadtverordnetenversammlung sitzen. Die Machtverhältnisse werden sich verschieben. Wie wollen Sie künftig regieren?
Noch gibt es keine stärkere AfD-Fraktion und ich weigere mich auch, die herbeizureden. Die demokratischen Parteien tun sicher gut daran, dem Wähler klarzumachen, wofür die AfD hinter ihrer Biedermann-Fassade eigentlich steht und zu zeigen, dass man bessere Lösungen für die Probleme hat. Dann wird es auch keine starke AfD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung geben.
Auf Bundes- und Landesebene hat das aber noch nicht so richtig gut geklappt. Warum sollte die AfD bei einer Kommunalwahl schlechtere Karten haben?
Weil es vor allem Personenwahlen sind. Man kann sich bei jedem Kandidaten ganz genau anschauen, wofür er steht. Wer hinter die eloquente Fassade der AfD schaut, das hat die Oberbürgermeisterwahl gezeigt, erkennt die rechte Gesinnung sehr schnell. Natürlich muss man aber auch auf die Politikverdrossenheit reagieren. Mann muss raus zu den Menschen, sich ihre Sorgen anhören, ernst nehmen, ihnen aber auch sagen, was nicht von heute auf morgen geht, sondern erst langfristig gelöst werden kann. Genau das werde ich tun, denn das gehört zur politischen Glaubwürdigkeit.
Und mit wem wollen Sie nach der Wahl regieren?
Ich habe so viele Modelle in meinen 20 Jahren in Stadtpolitik und -verwaltung schon erlebt – von wechselnden Mehrheiten bis zur Rathauskooperation. Mir liegt an stabilen Mehrheiten, aber ich bin gesprächsbereit gegenüber allen demokratischen Parteien. Ich wünsche mir einen Grundkonsens über die wichtigsten Fragen der Stadtentwicklung. Über die Details kann man ja streiten.
Drehen wir die Uhr mal ein Jahr vor. Was soll sich in Potsdam Ende 2019 verbessert haben?
Ich bin kein Freund des Blicks in die Glaskugel. Aber ich hoffe, dass wir bei der Verbesserung der Personalsituation im Rathaus ein Stück vorangekommen sind und die Kollegen damit etwas entlastet werden konnten. Die ersten Stadtteiltage und Sprechstunden werden stattgefunden haben und die Bürger sagen dann hoffentlich: Er hat Wort gehalten, rauszugehen und sich Problemen zu stellen. Und ich hoffe, dass man merkt, dass Themen angegangen werden – keiner wird schließlich erwarten, dass in einem Jahr alle Probleme gelöst werden können.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität