Kinderbetreuung: Streit um Kitabeiträge in Potsdam: Eltern erfolgreich vor Gericht
Am Amtsgericht Berlin-Schöneberg hat jetzt ein Potsdamer Paar gegen einen in Potsdam tätigen Berliner Sozialträger geklagt – und Recht bekommen. Der Sozialträger muss Beiträge zurückzahlen.
Potsdam - In der Debatte um die Rückzahlung falsch berechneter Kitabeiträge erhöht ein Richterspruch den Druck auf das Rathaus und die Stadtpolitik, tausende Eltern gerecht zu entschädigen: Am Amtsgericht Berlin-Schöneberg hat jetzt ein Potsdamer Paar gegen den in Potsdam mit acht Kitas tätigen Berliner Sozialträger Evangelisches Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) geklagt – und recht bekommen. Laut dem Urteil, das den PNN vorliegt, muss der EJF 3945 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent zahlen und auch die Kosten des Rechtsstreits übernehmen.
Die Eltern hatten ihr Kind von 2013 bis Mitte 2018 in einer EJF-Kita in der Innenstadt angemeldet, erst in der Krippe, dann im Kindergarten. Dafür zahlten die Eltern, auch weil sie ihr Einkommen gegenüber dem Träger nicht offenlegten, jeweils den Höchstsatz der sozial gestaffelten Gebühren. Je nach Betreuungsform- und -dauer waren das laut Urteil monatlich zwischen 158 und 206 Euro. Diese Beträge hatte das Rathaus festgelegt – mit der sogenannten Kita-Beitragsordnung, die die Stadtverordneten genehmigt hatten und die ab 2016 noch einmal höhere Sätze für Besserverdienende vorsah.
Beiträge für Kita-Plätze zu hoch
Die seit Ende 2017 klagenden Eltern machten sich die seit mehr als einem Jahr bekannte Kritik des Kita-Elternbeirats zu eigen: Die in den Beitragstabellen vorgesehenen Beiträge würden nicht die tatsächlichen Kosten für die Erbringung der Betreuungsleistungen widerspiegeln. Die Kitaplätze hätten maximal pro Monat 135 beziehungsweise 117 Euro kosten dürfen, so die Eltern. Die Unterschiede zu den tatsächlich gezahlten Beiträgen summieren sich dann über jeweils zwölf Monate pro Jahr auf 3945 Euro.
Das Schöneberger Gericht – in der Nähe hat der EJF seinen Hauptsitz – hält die Argumente der Eltern für begründet. Die zwischen den Parteien vereinbarten Elternbeitragsregelungen seien schlicht „unwirksam“, so das Gericht. Die Richter gehen von einer „unangemessenen Benachteiligung“ aus. So sei die an die Kitaträger gezahlte institutionelle Förderung bei der von der Stadt vorgenommenen Bemessung der Elternbeiträge nicht in Abzug gebracht worden – zu Lasten der Eltern, wie das Gericht feststellt. Gemeint sind die Personalzuschüsse des Landes. Dass die Personalkosten dennoch mit der städtischen Beitragsordnung auf die Eltern umgelegt werden, hatte der Potsdamer Kita-Elternbeirat im Herbst 2017 aufgedeckt – und kämpft seitdem für die Rückzahlung der Beiträge.
Dem folgt das Gericht: Der Träger habe den Klägern „die ohne Rechtsgrund erlangten Beiträge zu erstatten“ – denn schließlich habe man sich „bereichert“. Der EJF hatte dagegen argumentiert, von den hohen Beiträgen habe die Stadt Potsdam profitiert. Denn die Träger nehmen zwar die Elternbeiträge ein. Sie decken aber nicht die tatsächlichen Kosten für einen Betreuungsplatz – den Rest übernimmt die Stadt. Weil die Elternbeiträge zu hoch waren, sparte die Stadt jedoch nicht erst seit 2016 pro Jahr erhebliche Millionenbeträge. Das beurteilt das Gericht aber ausdrücklich nicht: „Ob mittelbar die Stadt Potsdam ebenfalls von den erhöhten Elternbeiträgen profitiert hat, hat für die Frage der Bereicherung im Verhältnis zwischen den beiden Parteien dieses Rechtsstreits keine Relevanz.“
Weiteres Vorgehen wird geprüft
Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Beim EJF prüft man nun, wie man damit umgeht, sagte eine Sprecherin auf PNN-Anfrage. Denkbar wäre der Gang in die zweite Instanz – oder die Anerkennung des Urteils und das Einfordern des Geldes bei der Stadt Potsdam. Der Kita-Elternbeirat wiederum teilte bei Facebook mit: „Wir hoffen, dass noch viel mehr Eltern den Mut fassen und für ihr Recht vor Gericht ziehen. Es lohnt sich!“
Vor einer Welle solcher Klagen hatte Potsdams neuer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) schon mehrfach gewarnt. Wie berichtet setzt er sich dafür ein, dass die Stadt freiwillig insgesamt 21 Millionen Euro an tausende Eltern zahlt – für die Zeit von 2016 bis Mitte 2018. Auf diesen Betrag hatten sich im Herbst Jugendhilfeausschuss, Träger, Kita-Elternbeirat und Rathaus verständigt. Mit dieser Lösung sollen tausende Rechtsstreitigkeiten, bei denen Familien gegen Träger vor Gericht ziehen, vermieden werden – die Beitragsordnung kam schließlich von der Stadt.
Massenhafte Klagen könnten vor allem kleinere Kitaträger überfordern, hatte zuletzt schon der Chef des Sozialträgers Treffpunkt Fahrland e.V., Thomas Liebe, gewarnt. Allein die anfallenden Gerichts- und Anwaltskosten könnten für diese zum Problem werden. Zudem müssten die Träger bei solchen Rückzahlungen für die Stadt gewissermaßen in Vorkasse gehen und zahlen, ehe sie sich das Geld vom Rathaus zurückholen könnten. Damit würden Kapazitäten von Trägern gebunden, auch zum Aufbau von dringend benötigten neuen Kitaplätzen, hatte Liebe gewarnt. Manche Träger könnten bei einer Klagewelle sogar in die Pleite getrieben werden, befürchten Experten.
Allerdings gibt es in Teilen der Stadtpolitik noch erhebliche Vorbehalte gegen eine freiwillige Rückzahlung in Millionenhöhe, wie zuletzt im Finanzausschuss deutlich wurde. Aus Sicht des Kita-Elternbeirats sollte man nun – mit dem Berliner Urteil und der Aussicht auf ein Klagechaos – zu einer schnellen Entscheidung kommen. „Wir hoffen, dass die Stadtverordneten spätestens im Januar entscheiden“, sagte Beiratsvorstand Robert Witzsche den PNN. Auch für das Jahr 2015 müsse noch eine Lösung gefunden werden. Die Ansprüche für das Jahr 2014 sind verjährt – die siegreiche Familie hatte gerade noch rechtzeitig geklagt.
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