Die Chronik einer Blamage: 1.000 Tage seit der Nichteröffnung des BER
Ein Drama in vielen Akten. In der Hauptrolle: Manager. Einer poltert, einer tönt, einer ist korrupt … und so geht das nun schon seit 3. Juni 2012, jenem Tag, an dem BER hätte eröffnet werden sollen. Die Chronik der Baustelle Schönefeld.
Nur Fliegen ist schöner. In der Bikerszene sind sie längst ein Geheimtipp, weil man hier die Maschinen mal so richtig ausfahren kann auf den nagelneuen, einsamen Highways, die in Schönefeld von der A 113 rüber zum neuen Flughafen „Willy Brandt“ führen, der immer noch ein Geisterflughafen ist. Wo keine Flugzeuge starten und landen, wo keine Passagiere abgefertigt werden, wo lediglich die Wochen, Monate, Jahre verfliegen. 1.000 Tage ist es her, seitdem am 3. Juni 2012 „Europas modernster Flughafen“ (Eigenwerbung) nicht eröffnet wurde.
Wowereit und Platzeck rechneten mit wenigen Monaten Verspätung
Wieder einmal nicht. Die BER-Party fiel aus, zu der 40.000 Gäste geladen waren. Abgesagt, 26 Tage vorher. Erst das Landratsamt Dahme-Spreewald hatte den Wahnsinn von Management und Aufsichtsrat gestoppt, Deutschlands Hauptstadtflughafenbaustelle mit hunderten Studenten als Türöffner in Betrieb zu nehmen. „Breaking News“ bei CNN, Hohn und Spott weltweit. 1.000 Tage ist es her, dass der damalige Flughafenchef Rainer Schwarz die Pleite allein damit begründete, dass es da noch ein paar Probleme mit der Entrauchungsanlage gebe. Zwei Männer, Klaus Wowereit und Matthias Platzeck, damals noch Regierungschefs in Berlin und Brandenburg, rechneten damals mit einigen Monaten Verspätung.
Was ist seitdem passiert? Wie steht es heute, Anno 2015, um den Fluchhafen, kurz vor dem Anflug des neuen Managers Karsten Mühlenfeld, der den BER 2017 eröffnen will? Die Chronik eines gescheiterten Krisenmanagements.
1. August 2012
Er war der erste, der es richten sollte: Horst Amann, damals 59, mit dem Ruf eines Schwergewichtes, gut dotierter Vertrag, Laufzeit bis August 2017, inzwischen wieder zu Hause in Hessen, nicht der einzige gut bezahlte BER-Spaziergänger. Er wurde vom Frankfurter Flughafen Fraport nach Berlin gelockt, nachdem Ex-Baugeschäftsführer Manfred Körtgen – ja der, der nebenbei seine Doktorarbeit geschrieben hatte – und die Generalplaner um den Stararchitekten Gerkan gefeuert wurden. Mit dem Rausschmiss der Planer, einem Kardinalfehler, wie später alle außer Wowereit und Platzeck eingestehen werden, war es endgültig aus.
Spätestens da muss der Überblick auf der Baustelle, falls es den vorher gegeben haben sollte, völlig verlorengegangen sein.
Nicht allein das "Monster" Entrauchungsanlage war außer Kontrolle geraten
Eröffnungstermine gab es trotzdem schnell wieder: erst den 17. März 2013, dann den 27. Oktober 2013, den Amann nannte, für den er sich verbürgte. Er galt als Macher, hatte Hochgeschwindigkeitsstrecken und die neue Startbahn in Frankfurt am Main gebaut. Doch in Berlin sollte Amann scheitern. Später, im Rückblick, wird man auf dem Flughafen sagen, dass er eigentlich nie richtig bei dem Projekt angekommen war. Aber die Zustände konnte er beklagen wie kaum einer sonst. Mal nannte er sie „grauenhaft“. Mal ätzte er, dass das Licht im Terminal nicht auszuschalten sei – was nicht einmal stimmte. Ganz so, als wäre nicht er der Verantwortliche. Erfolgreich war Amann trotzdem: in der Spurensuche, der Statistik, der Pfuschdiagnose. Er ließ penibel alle Mängel erfassen bis zum kleinsten Sprung in der Fliese. 10.000, 20.000, die Zahlen wurden immer größer. In diesen Wochen wurde bekannt, dass nicht allein die nicht funktionierend Entrauchungsanlage, das „Monster“, außer Kontrolle geraten war: Im Terminal war überall geschlampt worden. Symptomatisch sind Bilder von Schächten, in denen Starkstromkabel und Computerleitungen miteinander verknotet waren. Die Bauarbeiten ruhen und ruhen und ruhen.
6. Januar 2013
Der nächste Eröffnungstermin, 27. Oktober 2013, wird absagt. Nun auf unbestimmte Zeit. In einem Brief, mit dem Amann kurz vor Weihnachten Berlin, Brandenburg und den Bund darüber informierte, begründete er das mit schweren Baumängeln überall. Es sei abweichend von der Baugenehmigung gebaut worden – ein Schwarzbau also. Nötig sei nun die „Öffnung aller bereits verschlossenen Decken, Schächte, Böden und Wände“, ein Rückbau auf den genehmigten Plan. Seine Absage löst eine Kettenreaktion aus: In der Folge wird Rainer Schwarz, der langjährige Flughafenchef, doch noch gefeuert. Die Kündigung kommt nur leider zu spät. Ein Gericht wird später urteilen, dass Schwarz, heute Chef des Flughafens Rostock, das BER-Managergehalt noch bis 2016 zusteht, 1,2 Millionen Euro. In der Urteilsbegründung kommt heraus, dass Wowereit und der Aufsichtsrat Monate vorher informiert waren, wie gefährdet die BER-Eröffnung damals 2012 war. Ja, auch Klaus Wowereit geht nun, aber nur ein bisschen. Der Regierende tauscht den Aufsichtsratsvorsitz mit Matthias Platzeck, dem Nachbarn. Der verspricht in der Sendung von Günther Jauch über die „Flughafenversager“: „Entweder das Ding fliegt oder ich fliege.“ Im Sommer des Jahres 2013 tritt Platzeck nach einem Schlaganfall zurück.
11. März 2013
Der nächste Retter. Jetzt kommt Hartmut Mehdorn, 70, vorher Chef von Air Berlin und Deutscher Bahn, und zwar im „Sprint“. So nennt er jedenfalls sein Turbo-Programm, dem die Puste ausgehen wird. Erschütterungen löst Mehdorn aus, regelmäßig, schon am ersten Tag mit einem Satz: „Muss man Tegel wirklich schließen?“ Er treibt an und kündigt an. Aber fast kein Termin, den er nennt, wird gehalten. Stufenweise Eröffnung im Nordpier ab 2014 – absagt. Sanierung der alten Nordbahn 2014 – verschoben. Dafür fliegen die Fetzen im Management, zwischen Mehdorn und Amann, der im Oktober 2013 gehen muss. Der Frust im Aufsichtsrat wächst, wie ein Ausbruch des Brandenburger Finanzministers Helmuth Markov (Linke) zeigte: „Es ist vollkommen egal, ob der eine Geschäftsführer den Lichtschalter nicht findet und der andere eine Sprinttruppe bildet, bei der es mir so vorkommt, als würde sie einen Ultramarathon für Olympia 2016 vorbereiten.“ Fortschritte gibt es, kleine, langsame. Mehdorn holt Heike Fölster, womit der BER eine solide Finanzgeschäftsführerin bekommt. Es wird ein Konzept entwickelt, um das Entrauchungsmonster zu bändigen. Im November 2013 bilanziert Mehdorns „Sprint“-Bericht, dass drei Prozent bei der Sanierung des Terminals geschafft sind.
30.Juni 2014 bis heute
30. Juni 2014
Der Flughafen-Aufsichtsrat tagt mal wieder. Seit dem Jahreswechsel ist Klaus Wowereit wieder Vorsitzender. Es geht ums Geld. Der unvollendete Airport wird teurer und teurer, jeder Monat kostet 17 Millionen Euro. Das Gremium bewilligt Mehdorn also die nächste Milliarde, genauer: 1,049 Milliarden Euro, die allerdings noch nicht von den Länderparlamenten und dem Bundestag bestätigt sind. Die Kosten steigen damit auf 5,4 Milliarden Euro. Nach der geplatzten Eröffnung waren bereits 1,2 Milliarden Euro für den BER bewilligt worden, dessen Kosten bis Mai 2012 offiziell mit 2,5 Milliarden Euro angegeben worden waren. Ausgegeben hatte man insgeheim auch da schon über drei Milliarden Euro. Einen Eröffnungstermin gibt es, zwei Jahre danach, nicht. Mit einer nächsten Forderung blitzt Mehdorn ab: Man benötige weitere 779 Millionen Euro, um die Kapazität des nicht fertigen, aber schon zu kleinen Hauptstadtflughafens zu erweitern. Das wird vertagt. Laut Mehdorn können im BER-Terminal nicht wie geplant 27 Millionen, sondern nur 21 Millionen Passagiere abgefertigt werden. Die Alt-Flughäfen Tegel und Schönefeld melden derweil 2014 einen neuen Rekord – mit 28 Millionen Passagieren. 2016, im Jahr, in dem Mehdorn den BER starten will, werden 31 Millionen Passagiere erwartet.
1. August 2014
Er ist Ingenieur mit Leib und Seele und gilt als Glückgriff: Mehdorn holt den Siemens-Regionalmanager Jörg Marks als Nachfolger für Technikchef Jochen Großmann, der wegen Korruption gefeuert und zu einer Bewährungsstrafe und 200.000 Euro Geldbuße verurteilt wurde. Die erste BER-Diagnose von Marks ist schonungslos, auch für Mehdorn. Der Weg zum BER-Start sei „nicht hundertprozentig erkennbar“, es gehe um „Sanierung im Bestand“, um Organisationsdefizite, heißt es im Brief. „Es gibt keine gemeinsamen Begehungen. Und nur unzureichende Baubesprechungen. Die Zuständigkeiten wechseln häufig.“ Während Mehdorn schon mal den Umzug des Flughafens Tegel zum BER ausschreiben lässt, 1.500 Lastwagenfahrten, 30.000 bis 50.000 Lunchpakete, bringt Marks System auf die Baustelle. Er schickt Teams durchs Terminal, die Meter für Meter Deckenhohlräume und Kabeltrassen sanieren, Minenentschärfer im Dauereinsatz. Vor allem sein Konzept ist so überzeugend, dass der Aufsichtsrat am 12.Dezember – am Vortag trat Wowereit als Regierender zurück – doch den Ziel-Eröffnungstermin Mehdorns absegnet: Der BER soll im zweiten Halbjahr 2017 starten. Kurz danach kündigt Mehdorn den Rückzug an, wegen des zerrütteten Vertrauensverhältnis zum Aufsichtsrat.
20. Februar 2015
Nun er. Jetzt will Karsten Mühlenfeld, viele Jahre Manager beim Turbinenhersteller Rolls Royce in Dahlewitz, aktuell bei Bombardier, den BER eröffnen – woran alle Vorgänger auf dem Chefsessel der Flughafengesellschaft scheiterten. Schon bei seiner Wahl gab es Zoff, intervenierte der Bund, stellte sich Berlins Vize-Regierender Frank Henkel (CDU) quer. Wenn Mühlenfeld zur nächsten Aufsichtsratssitzung am 13.März loslegt, wird er mit allen Schwierigkeiten, Risiken und Ungewissheiten konfrontiert sein. Auf der Baustelle wird erst im Mai klar sein, ob der Fahrplan realistisch ist. Erst dann sollen die Pläne für den Umbau der Entrauchungsanlage da sein. In den Kassen wird das Geld knapp. Für die letzte vom Aufsichtsrat bewilligte Milliarde gibt es weder grünes Licht von Berlin, Brandenburg und dem Bund, noch von der EU, wo vorsorglich gleich die Genehmigung für Beihilfen von 2,2 Milliarden Euro beantragt wurden. Womit der BER die 6,5 Milliarden ins Visier nimmt. Die Kapazitätsengpässe und drohendes Eröffnungschaos? Aktenzeichen ungelöst. Der Einbau der Schallschutzfenster bei den Anrainern? Es geht nur stockend voran. Nach 1.000 Tagen. 2017, mehr als als zwei Jahrzehnte nach dem Startschuss der Politik, soll der Flughafen starten. Hoffentlich. In 1.001 Nacht.