Unser Blog zum Bundesliga-Wochenende: Hertha BSC und der überraschende Höhenflug
Heute in unserem Blog: Der Derby-Boykott der Schalker, der schwierige Herr Zorniger, die Ausreden des Mats Hummels und der VfL Wolfsburg in der Diesel-Affäre
Dass ich das noch erleben darf! Wer hätte das gedacht, dass wir beim Tagesspiegel mal für zu freundliche Berichterstattung über Hertha BSC gerügt werden würden. Der User Betten-Rutz schreibt zu meinem Spielbericht „3:0 - Ibisevic schießt Hertha auf einen Champions-League-Platz“ Folgendes: „Donnerwetter: Champions-League-Platz, und das im ,häßlichsten Trikot der Bundesliga’, wie der Tagesspiegel noch am 07. August suggerierte. Das nenne ich mal eine ,ausgewogene’ Berichterstattung.“
Zur vermeintlichen Trikot-Affäre gleich noch ein paar Worte, erst aber einmal zum Thema Europapokal. In unserer Printausgabe hieß die Überschrift des Artikels „Über Nacht ein Champion“, was von der Realität am Sonntagabend schon wieder überholt worden ist. Hertha liegt - der Länderspielpause sei Dank - jetzt sogar zwei Wochen auf einem Champions-League-Platz (genau genommen natürlich auf dem Champions-League-Qualifikationsplatz). Das heißt natürlich nicht, dass das bis zum Ende der Saison so bleiben wird. Es wird sehr wahrscheinlich anders kommen, und die Europapokaleuphorie überlassen wir gerne den Kollegen vom Boulevard, obwohl auch die seriösen Vertreter unseres Standes die erstaunliche Entwicklung bei Hertha entsprechend würdigen. Das Taktikportal „Spielverlagerung.de“ schreibt in seiner Analyse zum Spiel gegen den HSV: Hertha „steht auch durchaus gerechtfertigt so weit oben in der Tabelle. Grund dafür ist eine spielerische Entwicklung, wie man sie Pal Dardai vor der Saison nicht unbedingt hatte zutrauen dürfen. Neben der Mittelfeldflexibilität glänzte diesmal – wie schon in der Endphase in Frankfurt angedeutet – auch die Offensivabteilung mit schönen Stafetten. Dass die Defensivsauberkeit nicht mehr ganz so stark daherkommt, wie noch in der letzten Saison, spielt aktuell keine gravierende Rolle, soll aber nicht unerwähnt bleiben.“
Die Fortschritte sind ja in der Tat erkennbar, auch der Unterhaltungswert der Spiele ist ein deutlich anderer als in der vergangenen Saison. „Es ist noch nicht lange her, dass Herthas Spiele beinahe unters Betäubungsmittelgesetz fielen“, schreibt der „Kicker“. „Inzwischen sind sie fast schon bei den Genussmitteln anzusiedeln.“ Das ist alles noch kein Grund, jetzt komplett die Fassung zu verlieren. Zur besseren Einordnung habe mir mal die Mühe gemacht, die Resultate dieser Saison mit denen der vergangenen zu vergleichen, in der Hertha am Ende denkbar knapp den Klassenerhalt geschafft hat. Das hat ein interessantes Ergebnis erbracht: Augsburg auswärts (immer aus Hertha-Sicht): 1:0, Vorjahr: 0:1. Bremen zu Hause: 1:1, Vorjahr: 2:2. Dortmund auswärts 1:3, Vorjahr 0:2. Stuttgart zu Hause 2:1, Vorjahr 3:2. Wolfsburg auswärts 0:2, Vorjahr 1:2. Köln zu Hause 2:0, Vorjahr 0:0. Frankfurt auswärts 1:1, Vorjahr 4:4. HSV zu Hause 3:0, Vorjahr 3:0.
So groß ist - zumindest bei den Ergebnissen - der Unterschied also gar nicht.
Jetzt noch ein Wort zu den immer wieder auftauchenden Vorwürfen, der Tagesspiegel hätte das aktuelle Hertha-Trikot zum hässlichsten der Bundesliga gekürt, wie es auch Betten-Rutz wieder suggeriert. Er bezieht sich auf folgenden Artikel. Nur so viel: Das krumme Ding am Ende der Überschrift heißt Fragezeichen, es handelt sich demnach nicht um eine Aussage, sondern um eine Frage. Auch im Text findet sich keine redaktionellen Wertung über die Ästhetik des Hemdes. Der Autor zitiert aus sozialen Netzwerken, wahrscheinlich waren es sogar Hertha-Fans, die mit dem Aussehen des Trikots unzufrieden waren. Das alles ist - so steht es auch im Text - Geschmacksache.
Ich jedenfalls finde nicht, dass das Hertha-Trikot das hässlichste der Bundesliga ist. Da gibt es andere Kandidaten (welche das sind, verrate ich natürlich nicht). Aber das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung.
Wie hältst du’s mit den Ultras? Beim Eintrag zuvor habe ich kurz überlegt, ob ich nach dem Zitat aus der Schalker Ultra-Erklärung („... nur zu hoffen, dass ein Umdenken in den Köpfen...“) noch eine moralinsaure Erklärung einfüge, von wegen: „... dass auch in den Köpfen der Ultras ...“. Habe mir das erspart, weil ich vermute, dass es im Laufe des Tages noch entsprechende Leserkommentare geben wird, die das für mich übernehmen.
Ultras polarisieren. Für die einen sind sie beim Stadionbesuch das Salz in der Suppe; für die anderen eine Gruppe hart an der Grenze zur kriminellen Vereinigung, verantwortlich für alle Verfehlungen, die von Rainer Wendt (Anm. d. Red.: Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft) gern zum Anlass genommen werden, um harte Maßnahmen zu fordern.
Ich bin kein großer Freund der Ultra-Kultur, ihres monotonen Dauersingsangs, ihrer hierarchischen Ordnung, ihrer manchmal geheimbündlerischen Rituale. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich mit einer anderen Fankultur groß geworden bin, mit einem Support, der noch einen Bezug zum Geschehen auf dem Feld hatte, mit der Idee, dass Fans ein Spiel drehen können, wenn sie die eigene Mannschaft nach vorne schreien und/oder den Schiedsrichter und/oder die gegnerischen Spieler niederbrüllen. Ich habe die Fankurve als Ort kennengelernt, in der jeder eine Stimme hat und sie auch erheben darf - und zwar nicht nur dann, wenn der Vorsänger mir das erlaubt. Aber, gut: Die Zeiten haben sich eben geändert.
Damit nicht der falsche Eindruck entsteht, hier solle jetzt vorsätzliches Ultra-Bashing betrieben werden: In der vergangenen Woche habe ich zwei Fußballspiele im Stadion gesehen, zuerst Borussia Mönchengladbach in der Champions League gegen Manchester City, dann am Samstag Hertha BSC gegen den Hamburger SV. Bei beiden war von den Heimfans eine Choreografie zu sehen, die allen Zuschauern den höchsten Respekt abgenötigt hat. Im Borussia-Park war das komplette Stadion ausstaffiert, in Berlin erinnerte die Ostkurve am Tag der deutschen Einheit an die Teilung der Stadt und ihre Wiedervereinigung vor 25 Jahren.
Auch für solche Momente sind die Ultras verantwortlich (neben vielen sozialen Projekten). Sie investieren dafür nicht nur viel freie Zeit, sondern auch eine Menge Geld. Die Gladbacher Choreo in der vergangenen Woche hat 9728,99 Euro gekostet (8982,12 Euro für Papptafeln und Folie, 532,37 Euro für Flyer und Plakate, 214,50 Euro für sonstiges, Stadionpläne, Krepp- und Panzerband, etc.). Die Ultras haben angekündigt, dass sie beim Spiel der Gladbacher gegen Wolfsburg am vergangenen Wochenende Spenden sammeln würden. Wie viel Geld dabei zusammengekommen ist, haben sie bisher noch nicht bekannt gegeben.
Schalkes Ultras rufen zum Derby-Boykott auf
Trend zum Boykott. Unter den organisierten Fußballfans ist ein neuer Trend zu beobachten. Der Trend zum Boykott. Nachdem die Anhänger von Borussia Mönchengladbach vor zwei Wochen das rheinische Derby gegen den 1. FC Köln boykottiert haben und die Anhänger des Erzrivalen in einem seltenen Akt der Solidarität sich ein Schweigegelübde für dieses Spiel auferlegt haben, folgen die Anhänger des FC Schalke 04 nun ihrem Beispiel. Sie rufen zum Boykott des Revierderbys in vier Wochen bei Borussia Dortmund auf.
Dass ihnen dieser Schritt schwer fällt, sollte jedem klar sein. Auf ihrer Internetseite schreiben die Ultras GE: „Das Derby stellt für jeden Schalker das Spiel des Jahres dar. Die Nachfrage nach Eintrittskarten übertrifft die verfügbare Kapazität um ein Vielfaches und jeder brennt darauf, die Mannschaft zu begleiten und dem Feind aus der Nachbarstadt lautstark zu zeigen wer die Nummer 1 im Pott ist. An dieser Stelle sollte außer Frage stehen, dass unsere Mannschaft die zahlreiche Unterstützung und unseren lautstarken Support gerade im Derby von der ersten bis zur letzten Minute benötigt und in der aktuellen sportlichen Situation auch mehr als verdient hätte.“ Aber diesmal ist alles anders: „Leider drehen sich die Gedanken im Vorfeld der Partie gegen den Erzfeind nicht nur rund um das Spiel und die Unterstützung, sondern auch um neue Sicherheitsauflagen, verringerte Kartenkontingente und strikt vorgeschriebene Anreiserouten.“
Die Beweggründe der Schalker sind so ähnlich, wie es die Beweggründe der Gladbacher waren. Die Polizei will, dass das Kartenkontingent für die Gästefans halbiert wird, zudem sollen alle Schalker verpflichtet sein, mit dem Bus anzureisen. Die Gladbacher haben sich unter anderem darüber erregt, dass die Maßnahmen eine Reaktion auf einen Platzsturm der Kölner Fans war. Auch die Schalker fühlen sich für etwas bestraft, was sie gar nicht getan haben. „Die letzten Derbys in Dortmund verliefen allesamt ohne größere Zwischenfälle, was die Polizei in ihren Pressemitteilungen selbst bestätigte“, schreiben sie.
Für alle Sicherheitsfanatiker ist das natürlich eine wunderbare Entwicklung. Wenn es bei einem Derby keine verfeindeten Gruppen mehr gibt, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auch keine Feindseligkeiten mehr geben. Es gibt dann, wie in Köln zu beobachten war, allerdings auch keine Stimmung auf den Rängen mehr. „So wie jedes Fußballspiel, lebt vor allem das Derby von den Emotionen und der Leidenschaft der Fans“, schreiben die Schalker Ultras. „Durch das Fernbleiben von Gästefans wird dieses Spiel erheblich an Wert und Besonderheit verlieren. Somit bleibt aus unserer Sicht nur zu hoffen, dass ein Umdenken in den Köpfen der Entscheidungsträger stattfindet und in Zukunft das Revierderby wieder vor Fans beider Vereine, ohne irgendwelche Einschränkungen oder Auflagen ausgetragen wird.“
Der impulsive Herr Zorniger. Kurz nach dem Sommermärchen 2006 habe ich für den Tagesspiegel ein Interview mit Jupp Heynckes geführt, der damals gerade als Trainer zu seinem Heimatverein Borussia Mönchengladbach in die Bundesliga zurückgekehrt war. Heynckes war zu jenem Zeitpunkt noch nicht der große Sir Jupp, der Elder Statesman des deutschen Fußballs. Das wurde er erst ein paar Jahre später bei den Bayern – nachdem er in seiner Heimat Mönchengladbach grandios gescheitert war. Von zwölf Auswärtsspielen unter seiner Regie gewannen die Borussen nur eins (in der ersten Runde des DFB-Pokals beim SV Roßbach-Wied), neun gingen verloren, kurz nach Beginn der Rückrunde trat Heynckes zurück.
Das Interview mit ihm zu Saisonbeginn ist mir allerdings in positiver Erinnerung geblieben. Heynckes hat mich damals in der Trainerkabine des Borussia-Parks empfangen, in einem Bereich also, in den mal als Journalist normalerweise nicht reinkommt, er hat sich viel Zeit genommen und - wenn ich das Gespräch jetzt noch einmal nachlese -, auch einige interessante Dinge gesagt. Nie vergessen habe ich jedenfalls das, was der damals auch schon Über-60-Jährige über den Umgang mit seinen Spieler gesagt habe. Anders, als es zu seiner eigenen aktiven Zeit noch üblich gewesen war, dürfe man heutzutage niemanden mehr in der Öffentlichkeit niedermachen, im Gegenteil, man müsse darauf achten, „dass du die Spieler positiv kritisiert, sie in der Öffentlichkeit nicht im Regen stehen lässt und keine Späße auf ihre Kosten machst. Die heutige Generation kann damit nicht gut umgehen.“
Ein Trainer wie sein Team: impulsiv und nicht besonders geschickt
Was das mit dem vergangenen Bundesliga-Wochenende zu tun hat? Eine ganze Menge. Mir sind Heynckes’ Worte wieder eingefallen, als ich am Samstag Alexander Zorniger gehört habe. Der Trainer des VfB Stuttgart hat sich nach dem 2:2 seiner Mannschaft bei der TSG Hoffenheim recht verächtlich über den 19 Jahre alten Timo Werner geäußert, jenen Spieler also, der mit seinem Tor in der 90. Minute überhaupt erst die siebte Niederlage im achten Spiel unter Zorniger verhindert hatte. Stuttgarts Trainer sah das anders. Er machte Werner - wie gesagt: 19 Jahre - wegen seiner vergebenen Chance in der Nachspielzeit dafür verantwortlich, dass der VfB im achten Spiel unter seiner Regie nicht zum zweiten Mal gewonnen hatte. Zorniger warf Kusshände ins Publikum und äffte damit Werner nach, der auf genau diese Weise sein Ausgleichstor gefeiert hatte. Das 3:2, so Zorniger, habe Werner nicht machen können, „da war er noch mit Küsschenverteilen nach dem 2:2 verantwortlich“, ätzte der VfB-Trainer.
Es war nicht der erste bedenkliche Wortbeitrag des Bundesliga-Neulings Zorniger zu seinen eigenen Spielern. „Der 47-jährige Trainer bietet gerade eine ganze Reihe solcher Auftritte, in denen er die eigenen Spieler öffentlich brüskiert“, schreibt die „Stuttgarter Zeitung“. „Manchmal verhöhnt er sie, stellt sie in gewisser Weise bloß oder provoziert sie sogar.“ Martin Harnik hat Zorniger verbal zum „Kaderspieler“ degradiert, und dem Innenverteidiger Georg Niedermeier sprach er indirekt die fußballerische Befähigung für den VfB ab, was dessen Berater Roman Grill zu der Replik veranlasste: „Einen Spieler zu vernichten, der so lange im Verein ist, ist dumm.“
Zorniger ist und spricht eben so, wie der VfB im Moment Fußball spielt (oder umgekehrt): sehr impulsiv, aber nicht immer sonderlich geschickt. Bei der Bewertung des Trainers gehen die Meinungen trotzdem auseinander. Der Verein selbst stärkt Zorniger aus durchaus verständlichen Gründen den Rücken – weil der Trainer eine klare Idee und einen klaren Aufrag hat: der Mannschaft, ja eigentlich sogar dem Verein ein neues Konzept zu verpassen. Es geht jetzt immer feste druff, so wie ... siehe oben. „Einen Tabellenletzten, der so aufregenden Fußball spielt, hat die Liga noch nie gesehen“, schreibt jedenfalls „Die Welt“. „Dieser Trainer hat was.“
Für die „Stuttgarter Zeitung“ hingegen ist dieser Trainer „eine schwäbische Reizfigur“. Und der „Kicker“ ist zu dem Eindruck gelangt, dass Zorniger „mit dem Feuerzeug auf dem Pulverfass spielt“. Weiter schreibt das Blatt: „Innerhalb der Mannschaft rumort es.“ Schön ist in diesem Zusammenhang die Reaktion von Daniel Didavi, den Zorniger wegen seines Knorpelschadens öffentlich vor einem Vereinswechsel gewarnt hatte. Der 25-Jährige hat dazu am Wochenende gesagt: „Ich bin sicher, dass er sich hinterfragt“
Wird Mats Hummels überschätzt? Vor zwei Wochen ist im Tagesspiegel am Sonntag eine große Geschichte über Dortmunds Trainer Thomas Tuchel erschienen. Der BVB hatte gerade im zehnten Pflichtsspiel der Saison den zehnten Sieg eingefahren, am Erscheinungstag gab es dann noch den elften gegen Bayer Leverkusen. Seitdem aber haben die Dortmunder in vier weiteren Versuchen kein einziges Mal mehr gewonnen. Bei der Recherche zu Tuchel habe ich mehrmals zu hören bekommen: Der ist im Moment sehr entspannt, sehr zu- und umgänglich, aber mal abwarten, was mit ihm passiert, wenn es sportlich mal nicht so läuft. Thomas Tuchel steht ja unter einen gewissen Rumpelstilzchen-Verdacht. Um es mal mit dem großen Fußball-Trainer Konrad Adenauer zu sagen: „Die Situation ist da.“
Das 1:5 bei den Bayern war eine üble Klatsche für die Dortmunder, das Ende aller Titelambitionen, die zumindest das neutrale Publikum und vielleicht auch der eine oder andere BVB-Fan gehegt hatten. Tuchel stürzte nach dem Schlusspfiff in Rekordtempo vom Platz; trotzdem wirkte er später vergleichsweise gefasst. Weil die Niederlage nicht auf grundsätzliche Mängel im System zurückzuführen war, sondern auf individuelle Unzulänglichkeiten in der Dortmunder Defensive. „Wir haben wahnsinnige Abwehrfehler begangen“, hat Tuchel selbst gesagt. „Wir haben gegen elementare Verteidigungsregeln verstoßen. Solche Tore darf man nicht bekommen!“
Der Schlüssel zum Erfolg der Bayern waren zwei lange Bälle von Innenverteidiger Jerome Boateng. Sie führten zum 1:0 für die Münchner, mit dem die gute Anfangsphase der Dortmunder abrupt zu Ende ging. Und zum 3:1 wenige Sekunden nach Anpfiff der zweiten Hälfte. In beiden Fällen stellten sich die Dortmunder Innenverteidiger nicht besonders geschickt an - was eigentlich alle Beobachter so gesehen hatten außer Dortmunds Innenverteidiger Mats Hummels. „Unsere Taktik war ganz klar, Boateng und Alaba nicht frei diese Bälle spielen zu lassen“, hat der Nationalspieler nach der Begegnung gesagt. „Ich weiß nicht genau, warum es trotzdem dann funktioniert hat, warum Jerome dann völlig ohne Druck spielen konnte.“ Das entbindet ihn allerdings nicht zwangsweise von der Pflicht, die Fehler anderer zumindest auszubügeln zu versuchen, wenn der ursprüngliche Plan misslingt, und sich selbst ein wenig geschickter anzustellen.
Hummels hat seine Rolle als Kapitän in den vergangenen Wochen vor allem als Mahner und Nervensäge interpretiert. Nach dem Unentschieden in Hoffenheim pfefferte er seine Kapitänsbinde erbost zu Boden und wurde später von den Fernsehkameras bei einem geheimnisvollen Abzähltreim gefilmt. Auch nach dem 2:2 zu Hause gegen Aufsteiger Darmstadt betätigte er sich als Chefkritiker. Was viele in ihrer Ansicht zu Hummels bestätigt haben dürfte: Der Mann überschätzt sich ein wenig.
Der Kollege Oliver Fritsch von „Zeit online“ hat sich vor einigen Monaten den Defiziten in Hummels Hauptaufgabenfeld, dem Verteidigen, gewidmet und ist dabei zu folgendem Schluss gekommen: „Der vermeintlich beste deutsche Verteidiger hat generell große Schwächen.“ Und die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ schrieb nach der Niederlage in München: „Es erstaunte, dass der Kapitän abermals derart explizit mit dem Finger auf andere zeigte und sich selbst von der Kritik ausnahm.“
Wie einst in Leverkusen? Angesichts der öden Dominanz der Bayern in der Bundesliga, an der sich auch in den nächsten Jahren unter den jetzt herrschenden Bedingungen nichts Grundsätzliches ändern wird, ist einem ja schon suggeriert worden, dass man über das Erstarken von Klubs wie dem VfL Wolfsburg und demnächst Rasenballsport Leipzig froh sein müsse. Da entstehe - durch die Finanzkraft von außen - echte Konkurrenz für die Münchner. Als wenn es einen Fan vom VfL Bochum, vom SC Freiburg, dem 1. FC Kaiserslautern, von Carl Zeiss Jena, Hansa Rostock oder dem MSV Duisburg trösten würde, wenn demnächst nach vier Titeln der Bayern auch mal VW oder Red Bull dran sind.
Der deutsche Fußball hält sich ja ein bisschen was darauf zugute, dass es hierzulande die 50+1-Regel gibt, die den Einfluss fremder Geldgeber beschneidet und damit ein fröhliches Investorenhopping wie in England verhindert. Ist es da nicht schizophren, perspektivisch auf jene Klubs zu setzen, für die die 50+1-Regel nicht gilt (Wolfsburg) oder die ihrem Geist bewusst zuwidergehandelt haben (Leipzig)?
Man hat ja bisher immer gedacht, dass der VfL Wolfsburg mit dem Weltkonzern VW im Rücken noch gar nicht weiß, wie groß und mächtig er eigentlich ist oder werden kann. Doch was bisher der große Vorzug des Klubs war, droht ihm jetzt zum Nachteil zu werden: die Abhängigkeit von VW. Denn wenn der Konzern kräftig hustet, könnte sich das bei der Konzerntochter zu einer hartnäckigen Lungenentzündung auswachsen. Es gibt in der Geschichte der Fußball-Bundesliga ja schon so etwas wie eine Blaupause für diese Entwicklung: Bayer Leverkusen.
Die Leverkusener hatten ab Mitte der Neunziger auch eine Phase, in der es scheinbar egal war, was die Welt kostet. Sie waren dank der großzügigen Alimentierung durch den Bayer-Konzern ein ernstzunehmender Konkurrent der Bayern, sie besaßen ein Abo auf die Vizemeisterschaft und schafften es sogar ins Finale der Champions League (2002). Seitdem die Bayer AG aber ihre Zuwendungen deutlich reduziert hat, reicht es für die Fußballer nicht einmal mehr für fast ganz oben. Rund 25 Millionen Euro schießt der Konzern pro Jahr zu. Zu Beginn des Jahrtausends war es noch das Doppelte. Mehr gilt bei der Bayer AG offensichtlich als politisch nicht mehr opportun. Nur zum Vergleich: VW zahlt dem VfL derzeit rund 100 Millionen pro Jahr.
Heute nicht. Nur mal kurz am Rande. Habe mich entschlossen, die Frage, ob die Meisterschaft bereits entschieden ist und in der Bundesliga jetzt die große Langeweile droht, heute einfach mal zu ignorieren. Das ist jetzt mein Blog-Joker für die nächsten 26 Spieltage (Der HSV scheint ja in diesem Jahr auszufallen. Obwohl...)
Allofs sieht keine Auswirkungen für den VfL
Klaus Allofs und seine Krisen-PR. Zwischen den schlechten sportlichen Abgaswerten des VfL Wolfsburg und der Aufdeckung der Diesel-Affare besteht vermutlich kein kausaler Zusammenhang. Die konkreten Gründe für die Krise sind wohl eher im Weggang von Kevin De Bruyne, dem wichtigsten Spieler der Vorsaison, zu sehen. Der „Kicker“ analysiert in seiner heutigen Ausgabe: „In 52 Spielen mit dem in der vergangenen Saison alles überragenden Belgier hatte der VfL im Schnitt 6,85 Chancen pro Spiel, bei einer Chancenverwertung von 30,1 Prozent. Seit er nun weg ist, erarbeitete sich Wolfsburg in fünf Spielen nur 3,8 Chancen, die Chancenverwertung ist auf 21,1 Prozent gesunken.“
Trotzdem: Klaus Allofs, der fürs Sportliche zuständige Geschäftsführer des VfL, muss sich jetzt nicht nur um Transfers kümmern, sondern zunehmend auch Krisen-PR für seinen Arbeitgeber betreiben. Sein Mantra: Für den Fußball-Klub bleibt trotz Dieselgate alles, wie es ist. „Ich bin ziemlich überzeugt, dass es da keine Veränderungen geben wird“, behauptet Allofs. „Bei dem Engagement von VW handelt es sich um eine strategische Ausrichtung. Und dieses Engagement hat einen gewissen Wert, der sich auch nicht so schnell ändert.“ Was soll er auch sonst sagen? Unterstellen wir Allofs einfach mal, dass er die Situation für sich deutlich dramatischer einschätzt, als er nach außen zugibt. Alles andere wäre nämlich ziemlich naiv.
Mit dem Rückzug Martin Winterkorns von der Konzernspitze hat die Fußball-GmbH ihren mächtigsten Fürsprecher verloren, der Konzernsprecher Stephan Grühsem, Mitglied im VfL-Aufsichtsrat und Verfechter eines selbstbewussten Weges der Fußballer, ist ebenfalls schon weg. Welche konkreten Folgen das für den VfL hat, wird man beobachten müssen.
Rund 100 Millionen Euro soll VW pro Jahr an seine Konzerntochter VfL überweisen. Angesichts der im Raum stehenden Strafzahlungen in Milliardenhöhe ist das eine überschaubare Summe. Doch es geht auch darum, was politisch vertretbar ist, wenn es für VW, für die Arbeiter und Angestellten und damit für die Stadt Wolfsburg tatsächlich ans Eingemachte gehen sollte. Kann man sich dann noch einen hochbezahlten Fußballklub leisten, der in der Krise das Volk belustigt? Allofs hat solche Gedanken in einem Interview mit der „Zeit“ als populistisches Gerede abgetan. „Ich glaube sogar, dass der VfL in einer solchen Situation für Volkswagen eine besondere Rolle einnehmen kann.“ Ich glaube das nicht.
Einen anderen Satz aus diesem Interview habe ich trotz intensiven Nachdenkens nicht richtig verstanden: „Die strategische Bedeutung des VfL für Volkswagen ist von Zuwendungen unabhängig.“ Ich hatte bisher immer gedacht, dass es eine strategische Bedeutung von Volkswagen (und seinen Zuwendungen) für den VfL gibt - und nicht umgekehrt.
Düstere Perspektiven? Das war ein lustiges Bild am vergangenen Bundesliga-Wochenende: als Dieter Hecking, der Trainer des VfL Wolfsburg, im Mönchengladbacher Borussia-Park vom gewohnt kleinlichen Vierten Offiziellen Robert Kempter bei Schiedsrichter Felix Zwayer verpetzt wurde und anschließend auf der Tribüne Platz nehmen musste. Da feixten Heckings neue Tribünennachbarn, auch der junge Mann, der ein Gladbach-Trikot aus der vorvorigen Kollektion trug. Auf dem Rücken seines Hemdes stand der Name: Kruse.
Max Kruse, alter Held der Gladbacher Fans, spielt seit diesem Sommer bei Heckings Wolfsburgern, und vor seiner Rückkehr in den Borussia-Park am Samstag hat er dem „Express“ noch einmal die Gründe für seinen Wechsel erklärt. Natürlich war die bessere Bezahlung nicht ausschlaggebend. „Ich sehe Wolfsburg als die nächste Stufe in meiner Karriere“, hat Kruse, der Meister der Ausstiegsklausel und brillante Architekt seiner eigenen Karriere, gesagt. „Dieser Klub bietet hervorragende Perspektiven.“
In der Tabelle stehen die Wolfsburger tatsächlich besser da als die Gladbacher, obwohl sie das direkte Duell am Samstag mit 0:2 verloren haben; allerdings machen beide Klubs gerade eine gegenteilige Entwicklung durch. Und der gewaltige Karriereschub ist bei Nationalspieler Kruse durch den Wechsel auch noch nicht zu erkennen. In den ersten acht Bundesligaspielen kommt er auf einen Assist (am ersten Spieltag) und null Tore. Bei der Borussia waren es zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison fünf Tore, zwei Assists, und im Jahr davor sogar fünf Tore sowie fünf Assists. So schlecht wie in Wolfsburg ist Kruse in seiner Gladbacher Zeit also nie in eine Spielzeit gestartet.
Trotzdem war gegen seine Argumentation, dass der VfL Wolfsburg auf Dauer die bessere Perspektive hat als Borussia Mönchengladbach, nur schwer anzustinken. Im Sommer galten die Wolfsburger als neue zweite Kraft im deutschen Fußball. Sie waren hinter den Bayern Vizemeister geworden, sie hatten den Pokal gewonnen, und selbst hartgesottene Traditionalisten haben angesichts der langweiligen Dominanz der Bayern zumindest theoretisch die Frage erörtert, ob man im Sinne von mehr Wettbewerb eigentlich für die Wolfsburger sein dürfe. Zumal die ja auch noch recht ansehnlich Fußball spielten.
Es sieht gerade so aus, als müsse man sich mit dieser Frage nicht mehr ernsthaft beschäftigen.
In Wolfsburg gibt es im Moment wichtigere Themen als das, ob der VfL über kurz oder lang das Zeug zum europäischen Spitzenklub hat. In Wolfsburg stehen gerade ganz andere Dinge auf dem Spiel. Und es ist naiv zu glauben, dass die Fußball-GmbH von VW die Diesel-Affäre völlig unbeschadet überstehen könnte, während der gesamte Konzern in seinen Grundfesten erschüttert wird. Es ist jedenfalls schon mal ein bezeichnender Zufall, dass die Wolfsburger kein Spiel mehr gewonnen haben, seitdem die Dimension der Affäre bekannt geworden ist. Allein im Heimspiel gegen den Tabellenletzten Hannover 96 haben sie einen Punkt geholt. Die drei anderen Begegnungen (in München, in Manchester und in Mönchengladbach) haben sie allesamt verloren.