Champions League: Raffael und die große Wende in Mönchengladbach
Der Brasilianer Raffael ist maßgeblich am Aufschwung bei Borussia Mönchengladbach beteiligt. Am Mittwochabend geht es gegen Manchester City.
Seit mehr als siebeneinhalb Jahren netto spielt Raffael inzwischen in der Fußball-Bundesliga, aber so wie am Wochenende hat man ihn vermutlich noch nie erlebt. Nicht bei Hertha BSC, nicht bei Schalke 04 und auch nicht bei seinem aktuellen Arbeitgeber Borussia Mönchengladbach.
Nach seinem Tor zum 3:1-Endstand gegen den VfB Stuttgart in der Schlussminute übersprang der Brasilianer gleich zwei Werbebanden, er reckte seinen rechten Arm in die Höhe, jede Zelle seines Körpers schien zum Bersten gespannt, und selbst die Bierdusche aus dem Stuttgarter Block konnte ihn bei seinen privaten Feierlichkeiten vor den Fans der Borussia nicht stoppen. Raffael, der seine Mimik so sparsam einsetzt, als müsste er jede Regung extra bezahlen, ist also auch zu offensiver Ekstase fähig.
„Raffael wird zur Emotionsmaschine“, schrieb die „Rheinische Post“ nach dem langen Jubellauf, der ein eindeutiges Indiz dafür war, wie sehr den Brasilianer sein erster Saisontreffer befreit haben muss. „Wir alle sind erleichtert“, sagte er nach dem Auswärtssieg. „Die vergangenen Wochen waren schlimm.“ Für ihn gilt das vielleicht sogar noch ein bisschen mehr als für den Rest der Mannschaft. Nachdem Max Kruse, so etwas wie sein bester Freund auf dem Platz, im Sommer nach Wolfsburg weitergezogen war, wirkte der 30-Jährige noch ein bisschen zweifelnder als ohnehin schon. Ohne seinen kongenialen Kombinationspartner war die Leichtigkeit des Seins komplett verloren gegangen.
Doch so wie Raffael zuletzt das Sinnbild für die bleierne Endzeit unter Trainer Lucien Favre mit sechs Niederlagen hintereinander war, so ist er auf einmal zur Symbolfigur der Wende geworden. Seitdem Interimstrainer André Schubert im Amt ist, hat die Mannschaft in der Bundesliga zweimal gespielt, zweimal gewonnen und dabei sieben Tore erzielt. An sechs davon war Raffael beteiligt. „Er ist ein Spieler, der Spiele entscheiden kann“, sagt Borussias Mittelfeldspieler Granit Xhaka, der seine beiden Saisontreffer jeweils nach Freistößen des Brasilianers erzielt hat.
Nun sehen sie dem Duell mit Manchester City mit Optimismus entgegen
Vor allem dank Raffael scheint sich Borussias Herbst-Blues schon wieder verflüchtigt zu haben. „Die beiden Siege haben uns wieder Motivation und Vertrauen gegeben“, sagt Xhaka. Auch für die Champions League. Vor zwei Wochen, nach dem deprimierenden 0:3 beim FC Sevilla, schien der Europapokal den Gladbachern eher Belastung zu sein als Grund zu echter Freude. Inzwischen sehen sie dem Heimdebüt gegen Manchester City (heute, 20.45 Uhr, live bei Sky) mit frischem Optimismus entgegen. „Wir trauen uns sehr viel zu“, sagt Schubert. „Für mich ist Manchester City kein übermächtiger Gegner.“
Natürlich gründen die Hoffnungen auch auf dem neuen alten Raffael. Im ersten Spiel unter Schubert, beim 4:2 gegen Augsburg, wies die Statistik für ihn in den Kategorien Zweikämpfe, Ballkontakte, Sprints und Torschüsse die jeweils besten Saisonwerte aus. Sieben Mal suchte Raffael den Abschluss – öfter als in allen fünf vorherigen Bundesligaspielen zusammen. „Er ist unheimlich kreativ und wählt instinktiv die richtigen Laufwege“, sagt Schubert. Einen solchen Spieler dürfe man gar nicht in ein Konzept pressen, man müsse ihm, im Gegenteil, viele Freiheiten auf dem Platz lassen.
Ein bisschen paradox ist es allerdings schon, dass Raffaels Qualität seit dem Trainerwechsel wieder richtig zur Geltung kommt. Der Brasilianer gilt wahlweise als Lieblingsschüler Favres oder als dessen Ziehsohn. „Er spielt richtig“, hat der Schweizer einmal über den Offensivspieler gesagt, der für ihn stets der ideale Grenzgänger zwischen Mittelfeld und Sturm war. Favre hat ihn zum FC Zürich geholt, später zu Hertha und vor zwei Jahren auch nach Mönchengladbach.
Für den Trainer, der ein funktionierendes Team immer mit einem Kuchen verglichen hat, bei dem jede Zutat stimmen müsse, war Raffael gewissermaßen das Backpulver. Im ersten Jahr bei Borussia erzielte der Brasilianer vierzehn Tore, in der vorigen Saison waren es zwölf – und beide Male stand am Ende die Qualifikation für den Europapokal. So lecker hat der Kuchen in Gladbach seit Mitte der Neunziger nicht mehr geschmeckt.