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In Idlibs Flüchtlingslagern werden die Unterkünfte desinfiziert.
© Omar Haj Kadour/AFP

Coronakrise: Wie gefährlich ist die Pandemie für Flüchtlinge?

Die große Furcht der Schutzlosen: Wie sich Flüchtlingsregionen auf eine mögliche Coronakrise vorbereiten – von Jemen über Idlib bis Bangladesch.

Das Virus kennt keine Grenzen. Es macht schon gar nicht Halt vor ohnehin hilf- und schutzlosen Flüchtlingen. Gaza, Jemen, Idlib, Bangladesch – überall fürchten Helfer eine Katastrophe, sollte sich die Pandemie in diesen Regionen ausbreiten.

Denn dort mangelt es an allem: medizinischer Versorgung, Toiletten, Lebensmitteln, Trinkwasser, staatlichen Hilfen und nicht zuletzt Informationen. Ganz davon abgesehen, dass Millionen Menschen durch Hunger und Krankheiten völlig entkräftet sind, also Covid-19 nichts entgegenzusetzen haben.

Die Hilfsorganisationen schlagen deshalb Alarm, sprechen von einem Wettlauf gegen die Zeit – und versuchen sich so gut es geht unter diesen dramatischen Bedingungen, auf den Ernstfall vorzubereiten.

Jemen – von Krankheiten und Hunger geschwächt

Im Armenhaus der arabischen Welt wäre die Bevölkerung besonders anfällig für Corona. Vor fünf Jahren, am 26. März 2015, griff eine von Saudi-Arabien geführte Militärallianz in den Bürgerkrieg ein und bekämpft seitdem die aufständischen Huthi-Rebellen – mit verheerenden Folgen.

80 Prozent der Jemeniten sind täglich auf humanitäre Hilfe angewiesen. Allein das Welternährungsprogramm unterstützt eigenen Angaben zufolge zwölf Millionen Menschen. Ein Drittel aller Familien hat demnach nicht genügend zu essen.

Der Anteil mangelernährter Kinder ist im Jemen besonders hoch, zwei Millionen benötigen dringend Hilfe, damit sie überleben können. Die Preise für Lebensmittel sind in unerschwingliche Höhen geschnellt, Jobs kaum noch zu bekommen, Gehälter werden nicht gezahlt, die Währung nichts mehr wert.

Bei einer Corona-Epidemie droht im Jemen der komplette Zusammenbruch des ohnehin maroden Gesundheitssystems.
Bei einer Corona-Epidemie droht im Jemen der komplette Zusammenbruch des ohnehin maroden Gesundheitssystems.
© Hammer Forum/Jemen/Aktion Deutschland Hilft e.V./obs

Hinzu kommt die Gewalt. Bombardements, Artilleriebeschuss: Laut der Entwicklungsorganisation Oxfam kam in den vergangenen fünf Jahren alle dreieinhalb Stunden ein Zivilist durch Kampfhandlungen ums Leben. Millionen haben ihre Heimat verloren.

Kein Wunder, dass Hilfsorganisationen vor den Folgen einer Corona-Epidemie warnen. Flüge ins und aus dem Land wurden gestoppt, was die Arbeit der Helfer erschwert. Nur die Hälfte der Gesundheitszentren sind noch funktionsfähig. Und in denen fehlen Medikamente, Ausrüstung und Personal.

Rund 17 Millionen Jemeniten haben nicht einmal Zugang zu sauberem Wasser. Diese Notlage hat schon bewirkt, dass sich die Cholera wieder massiv ausbreitet. Oxfam zufolge wurden allein in den ersten sieben Wochen dieses Jahres 56.000 Verdachtsfälle gezählt. Wer derart von der Durchfallerkrankung geschwächt ist, für den dürfte Corona tödlich enden.

Idlib – die nächste Tragödie

Zerstörte Krankenhäuser, zerbombte Wohnviertel, Flüchtlinge in Zelten und Notunterkünften: In der umkämpften syrischen Provinz Idlib könnte sich das Coronavirus rasend schnell verbreiten. Bisher ist zwar noch kein Fall der Lungenkrankheit in der Region registriert worden; die Weltgesundheitsorganisation wollte erst am Mittwoch mit Coronatests in Idlib beginnen.

Doch derzeit stehen lediglich 300 Test-Kits zur Verfügung. Ein Corona-Ausbruch in Idlib könnte zu einer weiteren Katastrophe für die leidgeprüften drei Millionen Zivilisten werden, warnt die Ärzteorganisation Sams. Besonders hoch sei das Risiko für Flüchtlinge in überfüllten Lagern mit schlechten hygienischen Zuständen – das trifft in Idlib auf Hunderttausende zu.

Nach offiziellen Angaben der Regierung in Damaskus gibt es in Syrien erst einen einzigen Coronafall. Die meisten Beobachter gehen jedoch davon aus, dass die tatsächliche Zahl wesentlich höher liegt. Nach neun Jahren Krieg hat das Land kaum Möglichkeiten, sich gegen eine Krankheitswelle zu wehren.

Nimm' es ernst: In Idlib warnen Künstler und Kinder vor der Epidemie.
Nimm' es ernst: In Idlib warnen Künstler und Kinder vor der Epidemie.
© Muhammad Haj Kadour/AFP

Besonders prekär ist die Lage in Idlib, der letzten Rebellenhochburg in Syrien, die seit dem vergangenen Jahr von Regierungstruppen angegriffen wird. Im derzeitigen Waffenstillstand, der von der Türkei und Russland ausgehandelt wurde, tun Hilfsorganisationen, was sie können, um die Bewohner über die Gefahren aufzuklären.

Helfer der Gruppe „Violet Organization“ führen Theaterspiele über das Virus für Kinder auf, desinfizieren Parkbänke und andere Versammlungsorte. Andere Helfer errichten Quarantänezelte für erwartete Coronapatienten. Doch von einer systematischen Virenabwehr kann angesichts der schlimmen Zustände in den Flüchtlingslagern keine Rede sein.

Es fehlt an sauberem Wasser, Toiletten, Desinfektionsmitteln und anderen Grundvoraussetzungen. Nicht einmal regelmäßiges Händewaschen sei für viele Menschen möglich, sagte Fadi Mesaher von der Hilfsorganisation Maram der „New York Times“. „Manche Leute können tagelang ihre Kinder nicht waschen.“

Gaza – schon seit Jahren unter Quarantäne

Noch vor ein paar Wochen zeigten die Menschen in Gaza eine gehörige Portion Galgenhumor. Seht her, wir sind seit 13 Jahren von der Außenwelt weitgehend abgeriegelt. Das hat jetzt aber auch etwas Gutes – die Ausbreitung des Coronavirus betrifft uns nicht. Überhaupt leben wir ja schon lange unter Quarantäne. Jetzt spürt die Welt, wie das ist.

Doch diese subtile Kritik gehört seit einigen Tagen der Vergangenheit an. So schildert es Matthias Schmale, Direktor Gaza beim UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge (UNRWA). Es gebe Panik, die im Küstenstreifen herrschende Hamas habe strikte Auflagen für den Alltag erlassen.

Der Grund: Es gibt den Behörden zufolge zwei bestätigte Coronafälle, die Infizierten seien isoliert worden. Nun lautet die bange Frage: Reicht das? Oder wird sich die Seuche ausbreiten? Bloß keine italienischen Zustände!

Auch in Gaza bereitet man sich auf den Ernstfall vor, indem Feldhospitäler errichtet werden.
Auch in Gaza bereitet man sich auf den Ernstfall vor, indem Feldhospitäler errichtet werden.
© Said Khatib/AFP

Die Furcht ist berechtigt. Es gibt weltweit kaum eine Region, die so dicht besiedelt ist wie der Gazastreifen. Auf einer Fläche von gut 360 Quadratkilometern leben mehr als 1,8 Millionen Menschen. So zusammengedrängt hätte Corona leichtes Spiel.

Zudem ist es um das Gesundheitssystem schlecht bestellt. Die Kriege der Hamas mit Israel sowie die Blockade durch den jüdischen Staat und Ägypten haben dazu geführt, dass die wenigen Kliniken schlecht ausgestattet sind, Ärzte fehlen ebenso wie Medikamente, Schutzkleidung oder Desinfektionsmittel.

UNRWA hat schon vor einigen Wochen auf eine drohende Epidemie reagiert. „Für uns galt das Motto: Wir müssen uns so verhalten, als ob das Virus schon da ist“, berichtet Schmale. Deshalb seien beispielsweise die 276 von den Vereinten Nationen betriebenen Schulen geschlossen, die Mitarbeiter der Gesundheitseinrichtungen für Covid-19-Symptome sensibilisiert worden. Schon bald wird sich zeigen, ob diese Vorsichtsmaßnahmen greifen.

Bangladesch – Hoffnung der Vertriebenen

Es ist das größte Flüchtlingslager der Welt – Kutupalong, im südöstlichen Bangladesch an der Grenze zu Myanmar gelegen. Dort leben schätzungsweise knapp 640.000 Rohingya auf engstem Raum. In der ganzen Region sind es sogar wohl fast eine Million Menschen.

Die muslimische Minderheit floh vor fast drei Jahren dorthin. Sie wollte sich vor ethnischen Säuberungen des Militärs in ihrer Heimat Myanmar in Sicherheit bringen. Nun ist ein gigantisches Lager aus Bambushütten ihr neues Zuhause.

Und noch gibt es eine vorsichtige Zuversicht, dass Kutupalong vom Coronavirus verschont wird. Zumindest bislang sei kein Fall gemeldet, sagt Chris Melzer vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Doch sollte es erste Coronafälle geben, werde es schwierig, eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.

Ohne Schutzmaske. Rohingya-Flüchtlinge in Kutupalong warten bei einer Essensausgabe.
Ohne Schutzmaske. Rohingya-Flüchtlinge in Kutupalong warten bei einer Essensausgabe.
© Suzauddin Rubel/AFP

„Die Leute leben dicht an dicht, wie soll man da Infizierte isolieren und auf den nötigen Abstand voneinander achten? Und: In den Unterkünften gibt es kein Wasser. Eben mal die Hände waschen, das geht nicht.“ Dennoch hofft Melzer, dass sich das Virus im Fall der Fälle halbwegs eindämmen lässt.

„Das Camp verfügt immerhin über eine funktionierende Abwasserversorgung, Duschen und Toiletten, die hygienischen Bedingungen sind recht gut.“ Auch habe das UN-Flüchtlingshilfswerk einige Schutzmaßnahmen ergriffen. „Wir haben vor einigen Wochen in den Camps im Süden Bangladeschs 180 Trainer ausgebildet, wie man sich am besten gegen die Epidemie schützt“, sagt Melzer. Die sollen wiederum 1400 Menschen ausbilden und diese dann die nächsten.

Ziel sei es, alle Familien zu informieren. Zudem gebe es Plakate und Handzettel, Radiospots und Videos, in denen erklärt werde: Was ist das Virus, wie wird es übertragen. Und wie kann man sich schützen. Auch Quarantäneräume habe man eingerichtet. Nur: Keiner weiß, ob all das zur Abwehr von Corona reichen wird.

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