Nach Tötung eines Dschihadistenführers: Israel erlebt Raketenangriffe wie schon lange nicht mehr
In Tel Aviv sind erstmals seit dem Gaza-Krieg 2014 wegen Angriffen Schulen und Betriebe geschlossen. Viele Menschen suchen in Bunkern Zuflucht.
Um acht Uhr heulten die Sirenen dann auch in Tel Aviv, der zweitgrößten Stadt Israels. Es folgten ein lauter Knall, Dunststreifen am Himmel, die der Raketenabfangschirm Iron Dome hinterließ, und die Gewissheit, dass der Dienstag ein unruhiger Tag in Zentrum und im Süden Israels werden dürfte.
Nach Armeeangaben handelt es sich um einen "erheblichen" Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen. Die israelischen Streitkräfte stellten sich auf mehrtägige Auseinandersetzungen ein, sagte Armeesprecher Jonathan Cornicus. Bei einem israelischen Militäreinsatz im Gazastreifen war zuvor ein Anführer der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad getötet worden. Raketen schlugen demnach im Süden Israels ein.
Solch schwere Angriffe wie an diesem Morgen, die bis in die Metropolregion um Tel Aviv reichten, hat Israel schon lange nicht mehr erlebt. Zahlreiche Israelis begannen den Tag in Bunkern und Schutzräumen und werden vorerst zuhause bleiben müssen.
Schulen und auch einige Betriebe bleiben am Dienstag im Zentrum und im Süden geschlossen – zum ersten Mal seit dem Gaza-Krieg im Jahr 2014. Versammlungen mit mehr als 300, in manchen Gegenden sogar mit mehr als 100 Teilnehmern dürften aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden.
Wenige Stunden vor dem Beschuss hatten Israels Sicherheitskräfte in einer gezielten Aktion einen Anführer des Islamischen Dschihad im Gazastreifen getötet. Die Armee informierte über die Operation unter Beteiligung des Inlandsgeheimdienst Schin Bet in der Nacht zu Dienstag.
Die militante Palästinenserorganisation bestätigte den Tod von Baha Abu Al Ata und seiner Frau. „Israel hat alle roten Linien überschritten“, hieß es in einer Stellungnahme. Laut Gesundheitsministerium in Gaza wurden zwei weitere Personen verletzt.
Sirenen heulen in Tel Aviv
Das israelische Abwehrsystem Iron Dome (Eisenkuppel) fing mehrere Raketen ab, die vom Gazastreifen auf Israel abgefeuert wurden. Auch in Tel Aviv heulten am Morgen die Sirenen.
Abu Al Ata habe in den vergangenen Tagen Vorbereitungen für „unmittelbar bevorstehende“ Terroranschläge auf israelische Zivilisten und Soldaten vorangetrieben, teilte die Armee mit. Er habe unter anderem „Terrorsquads“ für das Eindringen nach Israel trainiert. Abu al Ata war der Anführer der Al-Kuds-Brigaden, des bewaffneten Arms des Islamischen Dschihad im Gazastreifen.
Die Operation habe dazu gedient, „eine drohende Gefahr“ abzuwenden, hieß es weiter von der Armee. Sie sei von Ministerpräsident und Verteidigungsminister Benjamin Netanjahu genehmigt worden. Die Regierung hatte am Sonntag der Ernennung von Naftali Bennett von der Neuen Rechten zum neuen Verteidigungsminister zugestimmt.
„Abu al Ata war verantwortlich für die meisten Aktivitäten des palästinensischen Islamischen Dschihad im Gazastreifen und war eine tickende Zeitbombe“, teilte die Armee mit. „Er hat Terrorattacken angeführt und sich persönlich an ihnen beteiligt sowie an Versuchen, israelischen Zivilisten und Soldaten Leid zuzufügen durch Raketenbeschuss, Scharfschützenfeuer, das Senden von Drohnen und mehr.“
Abu al Ata soll für mehrere Raketenangriffe verantwortlich sein
Abu al Ata sei verantwortlich gewesen unter anderem für den intensiven Beschuss Anfang Mai, den Raketenbeschuss am 1. November, bei dem ein Haus in der israelischen Stadt Sderot getroffen wurde, sowie Raketenbeschuss auf ein Musikfestival in Sderot Ende August, teilte die Armee mit.
Die Armee hat nach eigenen Angaben verstärkt Truppen ins Grenzgebiet verlegt. Nach Medienberichten wurde wegen der Sorge vor Angriffen des Islamischen Dschihad auf israelische Grenzorte am Dienstag teilweise der Zugverkehr eingestellt. Schulen blieben geschlossen. Nach Angaben der Armee heulten am Morgen Sirenen unter anderem in Aschkelon.
Israel hatte während des Sechstagekrieges 1967 unter anderem das Westjordanland und den Gazastreifen erobert. Es hat vor zwölf Jahren eine Blockade des Gazastreifens verschärft, die von Ägypten mitgetragen wird. Beide Länder begründen dies mit Sicherheitsinteressen. Die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas wird von der Europäischen Union, Israel und den USA als Terrororganisation eingestuft. Sie hat sich die Zerstörung Israels auf die Fahnen geschrieben. (mit AFP, dpa)