Unicef-Bericht: "Hölle auf Erden": Wie Kinder im Jemen leiden
Bomben, Hunger, Seuchen: Die Kinder trifft es im Jemen-Krieg besonders hart. Ein neuer Unicef-Bericht beschreibt die verheerende Lage eindrücklich.
Die Bilder sind kaum zu ertragen. Ausgemergelte Kinder, die apathisch in den Armen ihrer Mütter hängen. Schreiende Kinder, denen mit großen Spritzen Spezialnahrung verabreicht wird. Schluchzende Kinder, die zum Aufstehen viel zu schwach sind. Vom Tod gezeichnete Kinder, die offenkundig kaum Überlebenschancen haben.
Es sind verstörende Fotos. Fotos, die allenfalls ansatzweise erahnen lassen, welche Dramen sich im Jemen abspielen. Denn die Leidtragenden des Konflikts, der längst auch ein Stellvertreterkrieg der regionalen Großmächte Iran und Saudi-Arabien ist, sind vor allem die Schwächsten und Schutzbedürftigsten.
Doch deren Elend, deren Hunger, deren Sterben kümmert die Konfliktparteien und die Weltgemeinschaft wenig. Dabei ist die Not der Kinder so unermesslich wie unfassbar. Das zeigt ein neuer Situationsbericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen.
Eine schlimme Wirtschaftskrise
Er macht deutlich, dass insbesondere Mädchen und Jungen im Jemen die „Hölle auf Erden“ erleben, wie es Geert Cappelaere im Vorwort formuliert. Und der Unicef-Regionaldirektor für den Nahen Osten und Nordafrika weiß, wovon er spricht. Er ist erst vor Kurzem von einem Besuch des Armenhauses der arabischen Welt zurückgekehrt. Dort sei die Situation verzweifelt – und werde immer noch schlimmer.
Der Krieg ist sicherlich ein Grund, aber nicht der einzige. Denn mittlerweile herrscht im Land auch eine schwere Wirtschaftskrise. Die Währung hat dramatisch an Wert verloren, die Männer finden keine Jobs mehr. Die meisten Jemeniten können sich deshalb lebenswichtige Dinge nicht mehr leisten. Sogar Trinkwasser ist für viele der ohnehin verarmten Familien längst unerschwinglich.
Das hat dramatische Folgen, vor allem für Kinder. Schätzungen von Unicef zufolge haben sieben Millionen der Kleinsten nicht genug zu essen und befinden sich damit am Rande einer Hungersnot. Fast zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren sind akut mangelernährt.
Zerstörte Kliniken und Schulen
Durchschnittlich stirbt alle zehn Minuten ein Kind an vermeidbaren Krankheiten oder durch fehlendes Essen. Jeden Tag kommen jemenitische Mädchen und Jungen durch Bomben und Beschuss ums Leben. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen geht davon aus, dass 80 Prozent der Kinder – also elf Millionen – auf Unterstützung angewiesen sind. Aber die gibt es viel zu selten.
Das liegt nicht zuletzt am mangelnden Zugang und einer von Saudi-Arabien verhängten Blockade. Die Helfer beklagen immer wieder, dass sie die vielen Bedürftigen schlecht oder gar nicht erreichen - wegen der Bürokratie, der Kontrollpunkte und wegen der Kriegshandlungen. Unicef schafft es dennoch, viele Notleidende beispielsweise mit Trinkwasser zu versorgen oder Impfungen zu organisieren.
Das ist auch bitter nötig. Denn die Infrastruktur ist in weiten Teilen des Landes zusammengebrochen. Das wirkt sich vor allem verheerend auf die Gesundheitsversorgung aus. Nur die Hälfte der Einrichtungen funktioniert noch. Viele Kliniken sind durch Bombardements zerstört worden.
Kein Wunder, dass sich vergangenes Jahr eine Cholera-Epidemie rasend schnell ausbreiten konnte. Seit Beginn des Ausbruchs der Seuche im April 2017 bis September 2018 wurden 1,2 Millionen Verdachtsfälle gemeldet. 2500 Menschen starben an der Durchfallerkrankung, darunter viele geschwächte Kinder.
Aber der Krieg wirkt sich auch in anderen Bereichen fatal aus. So gehen zwei Millionen Kinder nicht zur Schule. Oft findet kein Unterricht statt, weil Lehrer fehlen oder die Gebäude für militärische Zwecke oder als Notunterkünfte genutzt werden. Ganz abgesehen davon, dass der Weg zur Schule oft lebensgefährlich ist.
Kinderheiraten und Kindersoldaten
Die durch Gewalt erzwungene Bildungsferne ist denn auch ein Grund dafür, dass Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet werden. Im Jemen passiert das immer häufiger. Gleiches gilt für die Rekrutierung von Kindersoldaten. Bisher wurden Unicef zufolge wenigstens 2700 Jungen zwangsweise in den Krieg geschickt.
Nun hoffen die geschundenen Jemeniten auf die Gespräche in Stockholm. In der schwedischen Hauptstadt sollen die Konfliktparteien unter Vermittlung der UN über eine langfristige Waffenruhe und ein friedliches Ende des Kriegs verhandeln. Ob die Gespräche erfolgreich sein werden, weiß heute niemand zu sagen. Doch klar ist allen: Der Jemen hat keine Zeit mehr.
Sehnsucht nach Normalität
Vielleicht sollten sich deshalb die Verhandlungsführer einfach Ala’as Worte zu Herzen nehmen. Das jemenitische Mädchen sehnt sich einfach nur nach Normalität.
„Frieden bedeutet, dass ich die Menschen nicht mehr über Krieg reden höre. Es bedeutet, dass ich im Fernsehen Zeichentrickfilme gucken kann, statt Menschen sterben zu sehen. Und dass ich keine Angst habe, entführt zu werden, wenn ich alleine das Haus verlasse.“