Das Putin-Erdogan Abkommen: Hat die Waffenruhe für Idlib Bestand?
Die Türkei und Russland vereinbaren eine Feuerpause für Idlib. Doch Experten sind sich sicher: Eine Konfrontation wird sich so nicht vermeiden lassen.
Die neue Waffenruhe für die umkämpfte syrische Provinz Idlib war noch keine 24 Stunden alt, da gab es bereits wieder Tote. Neun turkmenische Rebellen und sechs syrische Regierungssoldaten kamen bei neuen Gefechten ums Leben, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Freitag meldete.
Viele Beobachter bezweifeln, dass der Deal des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan für Idlib, der am Donnerstag nach sechsstündigen Verhandlungen in Moskau verkündet wurde, Bestand haben wird.
Putin stutzte in Moskau vielmehr die türkischen Pläne für Idlib zurück – und machte deutlich, dass Russland bei seinem Ziel bleibt, dem syrischen Präsidenten Baschar al Assad die Herrschaft über ganz Idlib zu sichern und den Krieg in Syrien mit einem militärischen Erfolg für den Schützling in Damaskus zu beenden.
Idlib wird geteilt
Aus Sicht von Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München, hat das Moskauer Treffen klar und deutlich gezeigt, dass die Türkei in ihren Beziehungen zu Russland der Juniorpartner ist. „Erdogan musste akzeptieren, dass er der Schwächere ist“, sagt Masala im Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Zwar konnte der türkische Präsident in Moskau durchsetzen, dass Russlands Führung Ankaras Militärpräsenz in Idlib anerkennt. Der türkische Präsident hatte Anfang Februar Tausende Soldaten in die syrische Provinz geschickt, um den Vormarsch von Assads Truppen zu stoppen und eine Massenflucht von bis zu einer Million Menschen aus Idlib zu verhindern.
Doch die Türkei erhält weder die geforderte Flugverbotszone über Idlib, noch konnte sie ihr Ziel erreichen, Assads Truppen aus Idlib zu vertreiben. Stattdessen läuft Erdogans Übereinkunft mit Putin auf eine Teilung von Idlib hinaus. Ein Sektor südlich der strategisch wichtigen Fernstraße M4, die Idlib in Ost-West-Richtung durchquert, wird dem syrischen Machthaber zugeschlagen.
Türkische und russische Soldaten sollen die M4 selbst und ihre Umgebung mit gemeinsamen Patrouillen sichern. Der Teil von Idlib nördlich der M4 bleibt – vorerst – unter der Kontrolle der AssadGegner und der türkischen Armee. Dort halten sich auch fast eine Million Flüchtlinge auf.
Putins Pläne
Dass diese Konstruktion lange hält, erwartet niemand. „Die Kämpfe werden wohl bald weitergehen“, sagt Mohannad Othman von der Hilfsorganisation Al Scham. Masala ist wie andere Beobachter der Meinung, dass Putin an seinen langfristigen Plänen für Syrien festhält.
„Grundsätzlich hat sich nichts geändert: Russland will, dass Assads Macht in ganz Syrien wiederhergestellt wird.“ Dies dürfte den Druck auf Erdogan verstärken, direkten oder indirekten Gesprächen mit dem Regime in Damaskus zuzustimmen. „Das könnte der nächste Schritt sein“, vermutet Masala. Russland wolle den Krieg in Syrien möglichst bald beenden – und Assad an der Macht halten.
Das Leid der Flüchtlinge
Die Menschen in Idlib werden sich wohl nicht allzu viel Hoffnung machen, dass die ohnehin schon brüchige Waffenruhe von Dauer sein wird. Feuerpausen wurden schon mehrfach vereinbart – und in der Regel gleich wieder gebrochen. Die Konfliktparteien nutzten die kurzzeitigen Pausen zumeist nur, um sich auf die nächste Offensive vorzubereiten.
Dabei wäre ein zumindest vorläufiges Ende der Gewalt für die Schutzlosen überlebenswichtig. Hunderttausende sind dringend auf Hilfe angewiesen. Ihnen mangelt es nicht nur an allem, sondern sie sitzen zwischen den Fronten fest: vor ihnen die abgeriegelte türkische Grenze, hinter ihnen Assads heranrückende Kämpfer. An dieser Gefangenschaft ändert auch das Abkommen von Moskau nichts.
Eine Schutzzone für die Schutzbedürftigen?
Bei der Frage nach der Durchsetzbarkeit spielen pro-iranische Kämpfer auf der Seite Assads eine wichtige Rolle, wie Michael Tanchum vom Austria-Institut für Europa- und Sicherheitspolitik in Wien betont. Teheran müsse in die Überlegungen über die weiteren Schritte einbezogen werden, sagt Tanchum. Andernfalls könnten Iran-treue Kämpfer etwa der libanesischen Hisbollah die Lage an der Front wieder eskalieren lassen.
Die EU begrüßte die Feuerpause von Idlib. Beim Außenministertreffen in Zagreb wurde aber auch die Forderung an Russland laut, Korridore für die Versorgung der notleidenden Zivilisten in Idlib zu akzeptieren. Ob Putin dies zulässt, ist fraglich. Bisher hat er derartige Schritte abgelehnt.
Selbst bei der Einrichtung einer Schutzzone im türkisch kontrollierten Teil Idlibs brauche Ankara grünes Licht aus Moskau, sagt Masala. „Im Moment sehe ich keinen Anreiz für Russland, dem zuzustimmen.“ Eine militärische Beteiligung des Westens an der Sicherung einer solchen Zone hält Masala für unwahrscheinlich.
„Wir werden als EU und als Nato nichts in der Nähe russischer Truppen unternehmen.“ Zudem müsste eine westliche Truppe mit einem Mandat ausgestattet werden, das im Extremfall zu Kriegshandlungen berechtige. Dafür gebe es in Europa jedoch keine Mehrheiten.