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Fast eine Million vertriebene Rohingya leben inzwischen in Bangladesch unter schwierigen Bedingungen. Nach Myanmar zurückkehren möchte dennoch niemand.
© Ed Jones/AFP

Rückkehr nach Myanmar: „Viele Rohingya haben Angst“

Chris Melzer vom UN-Flüchtlingshilfswerk über die muslimische Minderheit der Rohingya, ihre Rückführung nach Myanmar und erstaunliche Hilfsbereitschaft.

Herr Melzer, die nach Bangladesch geflohenen Rohingya weigern sich, in ihre Heimat Myanmar zurückzukehren. Die für 3500 Menschen bereitgestellten Busse blieben jetzt leer. Warum?

Die Flüchtlinge trauen den Zusagen aus Myanmar einfach nicht. Es gab Ende November schon einen ähnlichen Versuch, auch damals fuhren die Busse leer wieder ab. Mir haben Schutzsuchende immer wieder gesagt: Schickt uns nicht zurück! Sie töten uns! Viele haben Angst. Tatsächlich gibt es auch wenige Signale aus dem Heimatland der Vertriebenen, die darauf schließen lassen, dass die Regierung ihnen gleiche Rechte gewährt. Die Rohingya bekommen ja nicht einmal die Staatsbürgerschaft ihres Heimatlandes.

Ist die Furcht der muslimischen Minderheit berechtigt?

Zumindest haben Hunderttausende, die vor zwei Jahren kamen, von Vergewaltigungen, Erschießungen und niedergebrannten Dörfern berichtet. Myanmars Regierung beteuert, dass nun keine Gefahr mehr drohe. Nur: Wir vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) können das leider nicht überprüfen. Wir wurden zwar mehrfach in die betroffene Region eingeladen, konnten aber kaum mit Menschen sprechen oder auch nur unsere Fahrzeuge verlassen. Deshalb können wir keine Rückkehr empfehlen, weil wir einfach nicht die Sicherheit der Flüchtlinge garantieren könnten.

Dabei ist die Lage in Bangladeschs gigantischen und völlig überfüllten Flüchtlingslagern mehr als angespannt. Unter welchen Bedingungen leben die Menschen dort?

Man kann es sich kaum vorstellen. Kutupalong ist das größte Flüchtlingscamp der Erde mit etwa 640.000 Einwohnern – mehr als Stuttgart oder Düsseldorf! Allerdings auf der Größe von Tempelhof. Es gibt nur Bambushütten ohne Strom, Wasser oder Fenster. Die Möbel bestehen aus ein paar Schlafmatten, die wir den Menschen geben konnten. Immerhin: Niemand hungert, wenn auch die Nahrung einfach und eintönig ist. Und wir können den Menschen zumindest ein Mindestmaß an medizinischer Versorgung und Grundschulbildung geben. Deshalb ist die Stimmung bei den Kindern gut, auch wenn ich bei ihnen in all den Monaten kaum ein Spielzeug gesehen habe. Die Erwachsenen zweifeln jedoch mehr und mehr, ob sie eine Zukunft haben werden.

Bambushütte an Bambushütte. Die Rohingya versuchen, ihren Alltag zu meistern.
Bambushütte an Bambushütte. Die Rohingya versuchen, ihren Alltag zu meistern.
© Munir Uz Zaman/AFP

Wie ist es um Bangladeschs Hilfsbereitschaft bestellt?

Die ist phänomenal. Bangladesch gehört immer noch zu den ärmsten Ländern Asiens, trotzdem teilen die Einwohner mit den Menschen in Not. Vereinzelt kommt allerdings auch in Bangladesch die Frage auf, ob das Land das bewältigen kann und wo andere Staaten bleiben. Wir bei UNHCR versuchen, auch der einheimischen Bevölkerung zu helfen, weil es denen rein materiell manchmal kaum besser als den Flüchtlingen geht. Wenn wir eine Straße bauen, nutzt das natürlich ebenfalls den Einheimischen. Die Ärmeren können zum Beispiel an unserer medizinischen Versorgung teilhaben.

Wird eine der größten Flüchtlingskrisen der Welt zum Dauerzustand?

Wir werden alles dafür tun, dass das nicht so ist. Auch wenn der Großteil der Menschen erst vor zwei Jahren kam; es gibt schon seit 30 Jahren Rohingya in Bangladesch. Selbst jene, die in der Fremde geboren sind, haben mir immer wieder gesagt, dass sie nach Hause gehen wollen. Ich bin sicher, dass der allergrößte Teil sich sofort auf den Weg macht, wenn die Gründe für ihre Flucht nicht mehr bestehen. Das beobachten wir bei Flüchtlingssituationen weltweit. Und wir werden uns mit aller Kraft dafür einsetzen, dass sie es können.

Chris Melzer ist Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks in Deutschland. Er hat von Oktober bis April 2019 im größten RohingyaLager in Bangladesch für die Vereinten Nationen gearbeitet.
Chris Melzer ist Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks in Deutschland. Er hat von Oktober bis April 2019 im größten RohingyaLager in Bangladesch für die Vereinten Nationen gearbeitet.
© Privat

Was muss passieren, damit die Rohingya wieder hoffen und womöglich in ihre Heimat zurückkehren können?
Die Menschen müssen eben sicher sein, dass sie nicht verfolgt werden und nicht als Menschen zweiter oder dritter Klasse behandelt werden. Wenn ihnen das Land, in dem sie geboren sind, das ihre Heimat ist, die Staatsbürgerschaft geben würde, würde das viel Vertrauen aufbauen. Für die Flüchtlinge ist aber auch wichtig, dass sie nicht vergessen werden. Jedes Zeichen der Solidarität und Hilfe ist deshalb wichtig.

Christian Böhme

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