Mikroplastik, Medikamentenreste und Fäkalien: Wenn's regnet, hat Berlin ein Abwasserproblem
Bei starkem Niederschlag läuft die Kanalisation über. Unterirdische Speicher sollen helfen. Ein Ingenieur will Abwasserkanäle mit einem Weg am Spreeufer.
Der nächste Regen ist nicht in Sicht, aber er wird kommen – und wahrscheinlich wieder so heftig werden, dass die Kanalisation ihn nicht aufnehmen kann, sondern vermischt mit Abwässern von Häusern und Straßen in Spree und Landwehrkanal schwemmt. Der Klimawandel entwickelt sich in dieser Hinsicht bereits relativ deutlich erkennbar.
Jede Dreckflut drängt einmal mehr die Frage auf, ob das für alle Zeiten so bleiben muss. Sie wird verschärft durch den immer dramatischeren Wassermangel bei Park- und Straßenbäumen, denen ein Platzregen alle paar Wochen kaum hilft.
Die Erkenntnis, dass der Regen zu kostbar ist, um ihn als verdünnte Dreckbrühe in die Gewässer zu leiten, mündete vor zwei Jahren in die Gründung der bei den Berliner Wasserbetrieben angesiedelten „Regenwasseragentur“. Sie soll forcieren, dass Regen dezentral bewirtschaftet wird.
Was auch bedeutet: Sie soll bei der Einhaltung bereits geltender Vorschriften helfen. So sind seit 2018 bei Neubauvorhaben keine zusätzlichen Regeneinleitungen in die Kanalisation mehr erlaubt, und bei größeren Straßenumbauten sind Entlastungspotentiale zu prüfen.
„Solche Potentiale finden wir bisher bei jeder Baumaßnahme“, sagt Darla Nickel, die die vierköpfige Agentur leitet. Entsiegelung von Boden ist in der zunehmend verdichteten Stadt oft schwierig, aber beispielsweise können Geh- und Radwege bei Sanierungen so geneigt werden, dass das Wasser von dort zu den Baumscheiben fließt statt in die Gullys.
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Die wiederum sollen das Wasser von den Fahrbahnen aufnehmen, das in Hauptverkehrsstraßen massiv durch Reifenabrieb verunreinigt wird. Das gilt auch in den Außenbezirken, wo Regen- und Abwasserkanäle getrennt sind, aber in der City mit ihrer Mischkanalisation ist der Handlungsdruck am größten.
Wasser von Hausdächern ist meist sauberer und wäre ideal, um in Grünanlagen oder Baumscheiben zu versickern. Eine Arbeitsgruppe klärt laut Nickel zurzeit, wie sich die damit verbundenen Fragen – etwa zum Niederschlagsentgelt – regeln lassen.
Außerdem wurde eine Potentialanalyse beauftragt, um zu eruieren, was möglich und realistisch ist. Klar ist: Sich auf Neubauten und ohnehin fällige Bestandssanierungen zu konzentrieren, reicht angesichts jährlicher Sanierungsraten von ein bis drei Prozent nicht aus.
Die Wasserbetriebe bauen unterirdische Stauräume
Auch Gründächer als Alternative zur lokalen Versickerung und Verbesserung des Mikroklimas kommen jenseits von Neubaugebieten oder Gebäuden mit stabilen Flachdächern nur begrenzt infrage.
Nickel berichtet von jährlichen Gesprächen mit allen Bezirken, deren Erfolg auch von den beteiligten Personen abhänge. Aber insgesamt werde das Thema immer ernster genommen – auch wenn in den Ämtern oft nicht jeder der durchaus vorhandenen Fördertöpfe bekannt sei.
Während die Agentur kleinteilig arbeitet und berät, läuft seit Jahren ein mehr als 150 Millionen Euro schweres Programm, mit dem die Wasserbetriebe unterirdische Stauräume, Wehre und Drosseln errichten, um die Mischwasserflut bei Regengüssen von den Flüssen fernzuhalten, bis die Klärwerke sie aufnehmen können.
Nach dem Prinzip „Kurve abflachen“ entstehen bis 2024 rund 300.000 Kubikmeter Stauraum; fast 90 Prozent sind nach Auskunft der Umweltverwaltung fertig. Je nach Wetter sei künftig durchschnittlich zehn Mal im Jahr mit Überläufen zu rechnen. Zuvor seien es 20 bis 30 gewesen.
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Wäre es nicht konsequent, die große Lösung anzupacken und die Überläufe in die Gewässer komplett zu verhindern? Laut Umweltverwaltung schätzen Fachleute, dass weitere 600.000 Kubikmeter Stauraum – die mindestens 2,4 Milliarden Euro kosten würden – geschaffen werden müssten, um die Tage mit Überläufen auf durchschnittlich einen pro Jahr zu verringern.
Null Überläufe wären noch zwei- bis dreimal so teuer – und würden auch an fehlendem Platz im Untergrund scheitern. Deshalb sei die Abkopplung versiegelter Flächen von der Kanalisation zu bevorzugen. 20 bis 30 Prozent Potential dürften realistisch sein; Genaueres soll die Analyse erweisen.
Ein Abwasserkanal mit Radweg von der Elsenbrücke bis zur Mühlendammschleuse
Der auf Wassermanagement spezialisierte Ingenieur Ralf Steeg, der vor Jahren ein Speichersystem aus Pontons – das die Wasserbetriebe abgesehen von einem im Osthafen ankernden Prototypen verschmäht haben – entwickelt hat, hält die Berliner Aktivitäten für völlig unzureichend: „Mikroplastik, Arzneimittelreste, Nährstoffe, Fäkalien und Krankheitserreger gehören nicht in öffentliche Gewässer“, sagt er. Das Stauraumprogramm der Wasserbetriebe sei zu wenig - auch im Vergleich zu dem, was andere Städte täten.
Gründachpuffer und Versickerung seien nur so langfristig möglich, dass das Mischwasser noch Jahrzehnte die Spree verdrecken werde. Deshalb laufe es auf mehr Speicher hinaus, etwa mit groß dimensionierten neuen Abwasserkanälen unter Magistralen wie der Stralauer und der Holzmarktstraße oder unter dem Grünstreifen an der East Side Gallery.
„Ich habe mal die Strecke von der Elsenbrücke bis zur Mühlendammschleuse untersucht“, sagt Steeg. „Damit die Kanalisation dort nur noch einmal alle ein, zwei Jahre überläuft, bräuchte man etwa 40.000 Kubikmeter Speichervolumen. Die unterirdischen Speicher könnten durch weitere im Gewässer ergänzt werden, die zugleich einen reizvollen Geh- und Radweg tragen könnten, der in diesem Bereich bisher völlig fehlt.
Platz sei allemal vorhanden, „die Spree ist dort 80 Meter breit“. Steeg hält knapp 2000 Euro pro Kubikmeter Speicher für realistisch. „Dann wären wir bei 80 bis 100 Millionen Euro für diese Strecke. Man könnte die Kosten kombinieren und hätte dann eine klare Win-Win-Situation.“
Steegs Idee käme auch einem Vorhaben zugute, dessen Kosten er auf 200 Millionen Euro taxiert und für „Greenwashing“ hält: dem Flussbad im Spreekanal, dessen großer Feind Dreck nach Regengüssen ist. „Warum soll man mit enormen Summen Abwasser aus dem Fluss holen, wenn es wesentlich preiswerter ist, die Einleitung zu verhindern?“, fragt Steeg. Die Antwort hat ihm noch niemand gegeben.
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