„In Prenzlauer Berg regnet es weniger als in Mitte“: Berliner Wetter-Mythen im Faktencheck
Wo stürmt’s besonders stark, wo regnet es oft, wo sind die Gewitter am heftigsten? Wir haben einige Berliner Wetter-Thesen genauer untersucht.
An diesem Wochenende ist Siebenschläfer – benannt nach den sieben Schläfern von Ephesus, aber bekannt vor allem wegen der uralten Bauernregel. Das Datum, auf das sie sich bezieht, ist wegen der gregorianischen Kalenderreform 1582 vom 27. Juni auf den 7. Juli gewandert. In vielerlei Varianten besagt die Regel beispielsweise: „Scheint am Siebenschläfer Sonne, folgen sieben Wochen Wonne“ oder „Ist der Siebenschläfer nass, regnet’s ohne Unterlass.“
Mit einer Trefferquote von etwa zwei Dritteln gehört diese Bauernregel zu den zuverlässigeren, wobei die Sicherheit von Süd- nach Norddeutschland abnimmt. Sollte sie auch 2019 funktionieren, steht uns also ein eher unspektakulärer Restsommer bevor. Oder eben auch nicht. Wenn es ums lokale Wetter geht, ist (fast) jeder sein eigener Bauer: Die Leute wissen von Wetterscheiden zu berichten, von Gewitterbremsen und Kältepolen, von trockenen Inseln und stürmischen Straßen.
Wir haben solche Mythen in der Redaktion und von den Abonnenten des Checkpoint-Newsletters gesammelt und vom Experten verifizieren lassen: Jörg Riemann, Chefmeteorologe des Dienstes „Wettermanufaktur“ in Tempelhof. Sein Berliner Wetterwissen bezieht er aus gut 25 Jahren Berufserfahrung – und aus dem Fachbuch „Das Klima von Berlin“. Dieses ist 1987 hervorgegangen aus einer bemerkenswerten Kooperation von Humboldt- und Freier Universität zur 750-Jahr-Feier der damals geteilten Stadt. Also, was stimmt, was nicht? Los geht’s mit einer windigen These.
„Rund ums Hallesche Tor zieht es und ist immer windig.“
Da ist was dran. Die Bebauung des Kiezes liefert die idealen Bedingungen für Wind: Nördlich und südlich des Platzes am Landwehrkanal stehen Hochhäuser, zwischen denen der Wind durch muss. Die Engstelle bewirkt einen Düseneffekt, also höhere Windgeschwindigkeiten. Denn die ohnehin vorhandene Strömung muss die gleiche Luftmenge durch weniger Raum schieben, sodass das Tempo steigt.
„Wenn im Frühstücksradio Temperaturen von drei Berliner Orten genannt werden, ist es in Eiskeller immer am kältesten.“
Für die Frühtemperaturen als kälteste Zeit des Tages klingt das plausibel. Die Station am westlichen Stadtrand steht fernab größerer Bebauung, die nachts Wärme abstrahlen und die Temperatur künstlich erhöhen würde. Wiesen kühlen besonders schnell aus. Bei Ostwind dürfte es in Eiskeller aber nicht so kalt werden, weil dann die Wärme aus der City dorthin geweht wird.
„Das Fließtal zwischen Hermsdorf und Waidmannslust ist im Winter die kälteste Stelle der Stadt.“
Das kälteste denkbare Winterwetter bekommt Berlin bei Nordostwind. Dann – und nur dann – sind Kälterekorde am Nordrand der Stadt tatsächlich möglich. Eine Besonderheit zeigt bei solchem Wetter der mit einer Messstelle bestückte Alexanderplatz, der eigentlich in der wärmeren City liegt, aber wegen der breiten Ausfallstraßen (Greifswalder Straße/Karl-Marx-Allee) eisige Luft direkt abbekommt.
„Der Müggelsee ist eine Wetterscheide, ebenso der Wannsee und die Flüsse: Auf einer Seite regnet es, auf der anderen nicht.“
„Wetterscheiden“ können sich bei langsam ziehenden, lokalen Schauern und Gewittern bemerkbar machen: Gewässer – je größer, desto besser – kühlen die untere Luftschicht ab, was Gewitter bremsen kann. Die Kühlung wird stärker als der Wassernachschub durch die über dem See verdunstende Feuchtigkeit. Deshalb entstehen beispielsweise an der Ostseeküste fast nie Hitzegewitter. Ein Kanal oder Fluss ist allerdings zu schmal, um das Wetter zu beeinflussen, und eine durchziehende Front wird von keinem See gestoppt.
„Das Märkische Viertel ist eine Wetterscheide.“
Großsiedlungen beeinflussen das Wetter auf zweierlei Art: Die Versiegelung des Bodens trocknet die Luft, bremst also die Wolkenbildung. Und die hohen Gebäude lenken den Wind um – und schaffen Engstellen, an denen es durch den Düseneffekt besonders windig ist. Die Bauweise des Märkischen Viertels beeinflusst das Wetter vor Ort also tatsächlich.
„In der Danziger Straße herrscht mehr Wind, seit Baulücken geschlossen wurden. Und in der Rudi-Dutschke-Straße kommt man sich oft vor wie im Windkanal.“
Die Schließung von Baulücken kann die „Düse“ in einer Straßenschlucht optimieren, also die Windgeschwindigkeit erhöhen. Das gilt prinzipiell für jede Straße, aber ganz besonders für jene, die in der Hauptwindrichtung liegen. Das trifft für die kompakt bebauten Ost-West-Verbindungen (mit ihrer minimalen Südwest-Nordost-Neigung), die die Friedrichstraße kreuzen, perfekt zu. In der ähnlich strukturierten Friedrichstraße selbst ist der Effekt deutlich geringer, denn Nord- und Südwind kommen in Berlin relativ selten vor.
„Wenn es schwül ist, kommt irgendwann das erlösende Gewitter.“
„Schwül“ fühlt es sich nur an, wenn sowohl Wärme als auch Feuchtigkeit in der Luft liegen – also die Hauptzutaten für Gewitter. „Erlösung gibt es aber nur, wenn die Gewitter mit einer Kaltfront kommen“, sagt Riemann. „Einzelne Gewitter innerhalb derselben Luftmasse bringen dagegen nur eine kurze Erfrischung, bevor es durch die Nässe womöglich noch drückender wird als zuvor.“
„In Prenzlauer Berg regnet es weniger als in Mitte.“
Der Niederschlag nimmt mit zunehmender Entfernung vom Atlantik ab: Während es in Potsdam im langjährigen Mittel etwa 600 Liter pro Quadratmeter und Jahr sind, messen die Wetterstationen im östlichen Umland nur etwa 550 Liter. Meteorologen haben außerdem herausgefunden, dass die Gewittertätigkeit im Südwesten von Berlin am stärksten ist. Da die stärksten Gewitter aus Südwesten kommen, kann ihnen auf dem Weg über die dicht bebaute City der Wassernachschub knapp werden, sodass in Prenzlauer Berg weniger ankommt als in Mitte.
Allerdings gibt es auch ein Argument für den umgekehrten Effekt: Nördlich des Alexanderplatzes steigt das Gelände spürbar an. Für einen „alpinen Regenstau“ sind die 20 bis 30 Meter Höhenunterschied zwischen dem Urstromtal und der Barnim-Hochfläche natürlich viel zu gering, aber völlig zu vernachlässigen ist er dennoch nicht: Der Hang zwingt die Südwestluft zum Aufsteigen, wobei sie minimal abkühlt, also weniger Feuchtigkeit speichern kann. Das begünstigt die Wolkenbildung – und kann durchaus einen kleinen Regenschauer gebären, der dann irgendwo im nordöstlichen Umland niedergeht.
„Die schwersten und plötzlichsten Gewitter kommen aus Richtung Nordwest.“
Von Nordwesten her ziehen die schwersten Herbst- und Winterstürme nach Deutschland, die auch mal kräftige Schauer mitbringen können. Die heftigsten Gewitter in Berlin kommen allerdings in aller Regel aus Südwesten. Ein Spezialfall sind die relativ seltenen Gewitter, die von Osten heranziehen. „Die sind besonders blitzreich“, sagt Riemann. Erklären kann er das allerdings nicht: „Warum, wissen wir nicht.“
„Wenn die startenden Maschinen von Tegel scharf abdrehen, naht von Westen ein Gewitter.“
Tatsächlich umfliegen Piloten die Gewitter. Und die kommen überwiegend aus Südwesten, denn aus dieser Richtung können ihre Hauptzutaten – Wärme und Feuchtigkeit – nach Berlin ziehen, ohne von den Alpen aufgehalten oder vom Atlantik abgekühlt zu werden.
„Die Sommerhitze über dicht bebauten Kiezen erzeugt eine Thermik, die die Wolken an den kühleren Stadtrand verdrängt.“
Die Wolken werden über der City nicht abgedrängt, aber können durch Wärme vom Boden her aufgelöst werden. „Man kann Trockenheit durch Versiegelung produzieren“, sagt Riemann. „Nicht bei durchziehenden Fronten, aber bei Schauern und Gewittern innerhalb einer Luftmasse.“
„In Berlin gibt es keinen Landregen. Wenn es regnet, ist es nach einer halben oder Dreiviertelstunde wieder vorbei.“
Die Tendenz zu stundenlangem gemütlichem Landregen nimmt mit der Entfernung vom Atlantik ab. Insofern ist beispielsweise das grau-vernieselte Hamburg keineswegs nur ein Klischee. Andererseits bleiben in Süddeutschland oft Fronten mit ergiebigem Dauerregen hängen, weil sie sich vor den Alpen stauen. Deshalb regnet es in Teilen von Baden-Württemberg und Bayern im Jahresmittel fast doppelt so viel wie in Berlin und Brandenburg.
„Berlin hat sieben Wetter: In verschiedenen Kiezen sind gleichzeitig strahlender Sonnenschein und Unwetter möglich.“
Tatsächlich werden immer mal wieder in einem Kiez die Straßen überschwemmt, während anderswo in der Stadt kein Tropfen fällt.
„Ein einzelnes Unwetter hat typischerweise fünf bis zehn Kilometer Durchmesser. Also nicht einmal halb so viel wie Berlin“, sagt der Meteorologe. Manchmal reicht auch eine einzige dicke Wolke für einen Regenguss.
Die Untergrenze liegt bei etwa einem Kilometer: Noch kleinere Wolken können kaum genug Feuchtigkeit für einen kräftigen Platzregen speichern.