Bilanz nach Unwetter: Berlin unter Wasser
Mehr als 1000 Feuerwehrleute waren am Mittwoch im Einsatz. Nach dem schweren Unwetter ist der Gleimtunnel möglicherweise einsturzgefährdet. Das Problem ist: Niemand fühlt sich für den Bau zuständig.
Stephan Natz, Pressesprecher der Berliner Wasserbetriebe, sagt: "46 Liter Wasser pro Quadratmeter in weniger als zwei Stunden - das war eine Heftigkeit, die ich nicht kannte." Alle Systeme hätten zwar funktioniert am Mittwochabend, "aber das war einfach zu viel". Zwei Faktoren seien dafür ausschlaggebend, wie der Wasserabfluss geplant wird: Die historische Niederschlagsmenge und der Grad der Versiegelung. In Berlin könnten die Abflüsse auch einen Regen bewältigen, wie er nur alle zehn Jahre vorkommt, "aber das war viel mehr".
Da gerade in Prenzlauer Berg die Versiegelung extrem hoch ist, kam es dort auch zu wesentlich größeren Überschwemmungen als etwa in Rudow oder Johannisthal, wo ähnlich viel Wasser niederging. Hinzu kam: Weil die Stadt in den vergangenen Tagen so trocken war, konnte der Boden aufgrund der hohen Oberflächenspannung gar nicht sofort so viel Wasser aufnehmen. Weil durch die Trockenheit auch viele Bäume ihre Blätter abgeworfen hatten, "waren die Gullis sofort dicht", sagt Natz.
Die Folge: Eine Unwetterfront hat am Mittwoch in Berlin viele Straßen und Keller überflutet und in Brandenburg Millionenschaden verursacht. Von 16.02 Uhr bis 22 Uhr rief die Berliner Feuerwehr den Ausnahmezustand aus. Bis 21.30 Uhr wurden nach Auskunft des Lagedienstes 367 wetterbedingte Einsätze gezählt, am Donnerstag wurde die Zahl auf 357 korrigiert.
Mehr als tausend Kräfte waren im Einsatz. Fast in allen Fällen musste Wasser von Straßen, aus Unterführungen und Kellern gepumpt werden. Verletzt wurde nach der vorläufigen Bilanz niemand.
Probleme gab es vor allem im Straßenverkehr: In der Innenstadt standen ganze Straßenzüge unter Wasser, Hauptverkehrsachsen wie Sachsendamm und Yorckstraße waren zeitweise nicht passierbar. Besonders schwer traf es den Gleimtunnel - eine Unterführung zwischen den Stadtteilen Wedding und Prenzlauer Berg. Dort standen geparkte Autos bis zum Dach in den Fluten und wurden weggeschwemmt.
Egle Oddo und ihre Rollkoffer
„Wie das in einer modernen Stadt passieren kann weiß ich nicht“, sagt Egle Oddo. Neben ihr stehen zwei verschlammte Rollkoffer, auf einem liegt ein Packen nasser Bücher, deren Seiten sich Wellen. Die Fotografin ist mit ihrer Familie von Italien nach Finnland mit dem Auto unterwegs. Donnerstagmorgen wollten sie abreisen, aber ihr Wagen steckt zwischen aufgekanteten Autos im Gleimtunnel. Ein kleiner Windstoß trägt modrige Luft aus dem Tunnel. Das Wasser stand mehr als einen Meter hoch in ihrem Saab. Egle weiß nicht, wie es jetzt weiter geht.
Stephan Natz weiß ganz genau, wie das passieren kann. „Der Gleimtunnel ist einfach der tiefste Punkt dieser Gegend. Die Korsörer Straße fällt ab, die Gleimstraße selber auch und auch der Mauerpark“, erklärt er. Zudem sei die Bebauung sowohl im Weddinger als auch in Prenzlauer Berg sehr dicht, so dass das Wasser nicht im Boden versickern kann.
Frau Oddo telefoniert hektisch mit ihrer Versicherung und fragt die Polizisten, die den Tunnel absperren, nach einem Kontakt zur Berliner Verwaltung. „Das ist ihre Stadt, sie sind auch verantwortlich“, sagt sie und hofft, dass sie Geld zurückbekommt.
Tunnel vielleicht Einsturzgefährdet
Der Tunnel ist für Autos und Fußgänger gesperrt. Wie zu hören war, wird derzeit geprüft, ob er einsturzgefährdet ist.
Das Problem am Gleimtunnel ist, dass wie berichtet völlig unklar ist, wem er eigentlich gehört - so wird es nun wohl auch schwierig jemanden zu finden, der ihn saniert. Während man beim Bezirk davon ausgeht, dass die Bahn sich darum kümmert, erklärte sich die Bahn auf Anfrage für nicht zuständig: Das Grundstück sei nicht mehr in ihrem Besitz. Nach Mauerbau und Einigungsvertrag war nur klar, dass die Brücke auf östlicher Seite dem Land gehört, auf westlicher Seite ist es unklar. Die Groth-Gruppe, die das Grundstück nördlich des Tunnels bebaut, erklärte, der Tunnel gehöre nicht zum Grundstück.
Der Flächeneigentümer ist laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Firma CA Immobilien Anlagen.
Zudem war auf Videos zu sehen, wie der Starkregen anscheinend eine Überschwemmung in der Flüchtlingsunterkunft in den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof verursachte. Wegen des Unwetters war der Betrieb auf der U-Bahn-Linie 2 in Berlin-Mitte für einige Zeit eingestellt, wie die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) via Twitter mitteilte. Viele Busse mussten gestoppt oder umgeleitet werden.
So viel Regen wie sonst in einem ganzen Monat
Die Unwetterfront war von Südwesten her über die Stadt gezogen – relativ langsam, sodass lokal sehr viel Regen zusammenkam. Vereinzelt hagelte es auch. Der Schwerpunkt des Regens zog sich in einem Streifen diagonal über der Stadt – etwa von Lichterfelde über Schöneberg bis nach Pankow. In Ahrensfelde am nordöstlichen Stadtrand prasselten nach Auskunft des Wetterdienstes Meteogroup binnen einer Stunde 34 Liter pro Quadratmeter vom Himmel. Über zwei Stunden seien 40 bis 50 Liter zusammengekommen, sagte der Meteorologe Frank Brennecke. Diese Menge fällt sonst in einem ganzen Monat.
Die Kanalisation in der Innenstadt war von dem Guss kurzzeitig so überfordert, dass Wassermassen durch die Häuser strömten. In Reinickendorf trat nach einem Augenzeugenbericht die Panke an einem kaputten Wehr über die Ufer. Bei der S-Bahn musste die S 2 zwischen Buch und Bernau durch Busse ersetzt werden, nachdem ein Blitzschlag das Stellwerk in Zepernick lahmgelegt hatte. In Rangsdorf stürzte ein Baum auf eine Oberleitung, davon war die Bahnstrecke nach Dresden betroffen.
Bereits am Vormittag hatte es den Nordwesten Brandenburgs getroffen. In Wittenberge geriet auf dem Gelände der Dämmstofffirma Austrotherm ein Styroporlager in Brand, nachdem ein Blitz eingeschlagen hatte. Die fünf Meter hohen Stapel lagen auf einer Fläche von 150 mal 150 Meter unter freiem Himmel, damit nach der Produktion schädliche Gase abziehen. Eine benachbarte Halle des Betriebs wurde evakuiert, Anwohner sollten Türen und Fenster geschlossen halten. Allerdings zog die Wolke vom Stadtkern weg. Das Landesumweltamt stellte bei Messungen keine Auffälligkeiten fest. Firmenchef Gerald Prinzhorn schätzte den Schaden auf zwei Millionen Euro.
Wie heftig das Unwetter in der Prignitz war, zeigt die Niederschlagssumme von 91 Litern, die an der Messstation Meyenburg schon am Vormittag zusammengekommen war. In den nächsten Tagen seien keine weiteren Unwetter zu erwarten, sondern angenehm warme Sommertage ohne Schwüle.
Mit dpa