Genderstudies und Biologie: „Da treffen zwei Welten aufeinander“
Der Evolutionsbiologe Axel Meyer über die genetischen Unterschiede zwischen Mann und Frau sowie wissenschaftliche Paralleluniversen, die darüber diskutieren.
Professor Meyer, weinen Frauen häufiger als Männer?
Einige Studien scheinen das zu belegen, davon schrieb zumindest ein Kollege.
Und tendieren schlaue Frauen dazu, sich in schlaue Männer zu verlieben, und schlaue Männer in schlaue Frauen?
Ja, auch das ist wohl so. Die Ähnlichkeiten im IQ bei Partnern sind noch größer als die Tendenz, dass, wer selbst groß ist sich auch einen großen, wer klein ist sich einen eher kleinen Partner sucht.
Dann waren zwei der Aussagen, die den Nobelpreisträger Tim Hunt Job und Ansehen gekostet haben, korrekt?
Er hat das ja im Scherz gesagt. Ich kann schon verstehen, dass seine Statements Leute verstört haben. Aber egal ob im Ernst oder im Scherz: Wenn man sagt, dass Frauen anders sind als Männer und das biologisch, genetisch begründet, schlägt einem von Geisteswissenschaftlern und vor allem aus der Gender-Studies-Ecke immer Entrüstung entgegen.
Sie glauben, für diese Wissenschaftler ist die Biologie eine Art Feindbild?
Da treffen zwei Welten aufeinander. Die einen sagen, wir werden gender-neutral, jenseits des Organischen vollkommen gleich geboren. Nur die Gesellschaft presst Menschen mit Vagina oder Penis in ihre Rollen. Und es gibt die anderen, die in Experimenten zeigen, dass Geschlechtsunterschiede in Verhaltens- und Denkaspekten genetisch mitbestimmt sind. Biologen wissen meist nicht, dass sie dieses Feindbild darstellen. Sie arbeiten in ihren Laboren, werden in Talkshows gar nicht erst eingeladen, und haben nie etwas von der Gender-Studies-Päpstin, Judith Butler, gehört.
Sie aber schon?
Ich war lange Zeit genauso ignorant. Mir war, bevor ich ein Jahr am Wissenschaftskolleg in Berlin war und da es eng mit Geisteswissenschaftlern zu tun bekam, weder ihr Name noch ihre Arbeit präsent. Sie hielt einen Vortrag in der Stadt und alle pilgerten hin, als sei es eine Wallfahrt. Ich stand da und fragte: „Judith wer?“
Das klingt nach einer seltsamen Koexistenz zweier wissenschaftlicher Paralleluniversen, die dasselbe Thema bearbeiten.
Das war die Initialzündung für mein Buch. Welchen Einfluss haben die Gene auf das menschliche Leben, und speziell bezüglich der Unterschiede zwischen Mann und Frau? Da geht es um Evidenz, um Studien, um statistisch abgesicherte Daten. Und nicht um Interpretation, um Philosophie oder um Ideologie.
Die biologische Interpretation der Conditio humana gilt selbst als ideologisch, als „biologistisch“, und sie vermittelt einen Determinismus, der mit unserem Freiheitsbegriff und Erfahrung nicht zusammenpasst.
Ich behaupte ja nicht, dass alles genetisch vorbestimmt ist. Manches ist eher oder sogar ganz genetisch vorbestimmt, manches ist sehr umweltabhängig, kulturbedingt. Das meiste speist sich aus beidem. Und Umwelt nimmt Einfluss auf Biologie. Die Epigenetik-Forschung zeigt ja sogar, dass die Umwelt beeinflusst, welche Gene aktiv werden. Forscher werden kritisiert, wenn sie sagen, dass die Verteilung der Intelligenz zu etwas mehr als 50 Prozent erblich ist. Aber das bedeutet auch, dass die anderen knapp 50 Prozent beeinflussbar sind, durch Ernährung und Bildung etwa und dadurch, dass man Menschen ihren genetisch bedingten Neigungen nachgehen lässt. Die je nach Geschlecht unterschiedlich sein können.
Was ist mit der Gleichstellung der Frau?
Ich denke, die ist hierzulande weitgehend erreicht. Es ist wichtig, das zu verteidigen. Aber die Aufsichtsratsquote halte ich für eine neue Geschlechterdiskriminierung. Wenn man konsequent wäre, müsste es dann ja eine Soldatinnen- oder Müllfrauenquote geben. Und wenn die Lebenserwartung von Frauen fünf Jahre höher ist, wird auch nicht gefordert, dass sie länger arbeiten sollten, was nach Gleichheitslogik nur fair wäre.
"Orientiert euch an Daten, an Fakten, an Experimenten, an Statistik."
Meinen Sie, dass Gleichheit und Diversität, zwei der Leitbegriffe der freien Welt, gar nicht zu vereinen sind?
Die Menschheit ist wunderbar divers, so wie die ganze Natur. Und es wird mit ideologischem Impetus übertrieben versucht, alles gleichzumachen.
Martin Luther-King ...
... meinte tatsächliche Konstrukte von Ungleichheit aufgrund der Herkunft oder Hautfarbe. Ihm ging es um gleiche Rechte und Universalität der Menschenwürde. Welcher vernünftige Mensch würde da widersprechen? Aber für mich gehört zu menschenwürdigem Leben das Recht, eigenen biologischen Veranlagungen zu folgen. Doch es ist absurd, auf unhaltbare Konstrukte von Ungleichheit mit genauso unbegründeten Konstrukten von Uniformität zu antworten.
Was ist denn typisch Mann oder Frau?
Jungs spielen lieber mit Baggern, Mädchen eher mit Puppen, das ist sogar bei Menschenaffenbabys so. Männer können sich im Allgemeinen besser räumlich orientieren als Frauen, vielleicht ein Erbe der zehntausende Jahre, in denen sie Jäger waren. Es gibt auch Orientierungsgenies bei Frauen, nur eben seltener. Die Nobelpreisträgerin Dorothy Hodgkin etwa, die die dreidimensionale Struktur von Molekülen erforschte, war vielleicht so eine. Ich beschreibe sie in meinem Buch. Aber eben eher als Ausnahme von der statistischen Regel. Anekdoten sind eingängig, aber sie haben keine wissenschaftliche Aussagekraft. „Typisch weiblich“ trifft immer nur zu einem Teil zu.
Sie sprechen viel von statistischen Wahrscheinlichkeiten, das finden die meisten Leute abschreckend, unkonkret, abstrakt.
Wer das so sieht, sollte sich klarmachen: Sie wären ohne Statistik wahrscheinlich längst tot, oder nie geboren worden. Denn ohne Statistik gäbe es kein einziges modernes und einigermaßen sicheres Medikament. Deren Wirkung wird in Studien statistisch analysiert.
Aber statistische Wahrscheinlichkeiten bedeuten auch Unsicherheit. Zum Beispiel was Krankheitsgene angeht.
Teilweise werden aus Wahrscheinlichkeiten gruselige Tatsachen. Ich selbst habe mein Genom charakterisieren lassen. Da kam ein im Vergleich zum Durchschnitt mehr als dreifach erhöhtes Thromboserisiko heraus. Und raten Sie mal, weswegen ich, während ich an dem Buch schrieb, ins Krankenhaus musste?
Man könnte jetzt über selbst erfüllende Prophezeiungen spekulieren. Aber konkret: Was bringt so ein Test dann?
Solche Gentests sind zwiespältig, bei manchen Krankheitsgenen kann man bislang wenig machen, denen für Alzheimer etwa. Bei Thrombose hat mir der Test vielleicht geholfen, selbst die Verdachtsdiagnose zu stellen und ins Krankenhaus zu fahren. Jetzt nehme ich blutverdünnende Medikamente zur Vorbeugung. Angelina Jolie hat sich wegen ihres Krebsrisikos die Brüste, Eierstöcke und Eileiter entfernen lassen. Ohne dieses Wissen und ihre Konsequenz wäre sie mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit erkrankt.
Sollte es, sofern möglich, erlaubt werden, solche Gene im Embryo abzuschalten?
Da stehen uns tiefgreifende Debatten bevor. Ich habe keine abschließende Antwort. Wir müssen uns bewusst sein, dass es wahrscheinlich gemacht werden wird. Wenn nicht bei uns, dann anderswo.
Zurück zu den Paralleluniversen der Geschlechterforschung und der Lebenswissenschaften. Wie können sie sich annähern?
Wie überall, durch Bildung und Kommunikation. Es wäre gut, wenn Studenten der Geisteswissenschaften Grundkurse in Genetik und Evolutionsbiologie besuchen würden, Naturwissenschaftler umgekehrt Wissenschaftsphilosophie oder Soziologie hören müssten. Als Naturwissenschaftler plädiere ich: Orientiert euch an Daten, an Fakten, an Experimenten, an Statistik. Und nicht an Anekdoten und an denen, die am lautesten brüllen.
Die Fragen stellte Richard Friebe. Axel Meyer kommt am 29. September 2015 an die Urania in Berlin und stellt sein Buch „Adams Apfel und Evas Erbe. Wie die Gene unser Leben bestimmen und warum Frauen anders sind als Männer“ vor (Bertelsmann, München 2015. 19,99 Euro).
Richard Friebe