Umstrittene Wissenschaft: Chinesische Forscher verändern Erbgut menschlicher Embryonen
Chinesische Wissenschaftler haben erstmals in das Erbgut menschlicher befruchteter Eizellen eingegriffen – mit fraglichem Erfolg. Kritiker sehen sich bestätigt.
Bisher waren es nur Gerüchte. Aber nun sind aus ihnen Tatsachen geworden. Weltweit vermutlich zum ersten Mal haben chinesische Wissenschaftler das Erbgut menschlicher Embryonen gezielt verändert. Die Forscher versuchten, das Gen für Thalassämie (Mittelmeeranämie), eine Blutkrankheit, zu korrigieren. Dabei waren sie weitgehend erfolglos, wie das Team um Junjiu Huang von der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou im Fachmagazin „Protein & Cell“ berichtet.
Experimente wie diese sind in Deutschland und vielen anderen Ländern verboten und auch unter Wissenschaftlern umstritten. Denn sie betreffen sämtliche Zellen eines Organismus und werden an die Nachkommen vererbt (mit unvorhersehbaren Folgen), weshalb man von Eingriffen in die Keimbahn spricht. Auch ist es nicht möglich, vorher die Einwilligung des Betroffenen einzuholen – anders als bei der Gentherapie, bei der nur Körperzellen verändert werden.
Die "Crispr"-Methode ermöglicht präzise genetische Eingriffe
Die chinesischen Forscher benutzten eine neue Technik namens „Crispr“ (sprich: „Krisper“). Sie ermöglicht es auf einfache und gezielte Weise, Erbanlagen zu verändern oder auszutauschen. Die Grundlage für das Verfahren wurde erst vor wenigen Jahren in Bakterien entdeckt. Diese Mikroorganismen benutzen es, um die Erbinformation von Viren abzuwehren.
„Crispr“ hat innerhalb kurzer Zeit einen Siegeszug durch die Labors angetreten und wird heute in der medizinischen Grundlagenforschung, der Pflanzenzüchtung und in der Gentherapie eingesetzt. Und natürlich hat die Methode die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern aus der Reproduktionsmedizin geweckt. Die wollen mit seiner Hilfe vererbbare Krankheiten heilen, indem sie schon im Embryo schadhafte Abschnitte der Erbinformation DNS durch intakte austauschen.
Wie sich nun zeigt, ist das weit schwieriger als gedacht. Für den Stammzellforscher George Daley von der Harvard Medical School in Boston sind die jetzt bekannt gewordenen Ergebnisse sogar ein „abschreckendes Beispiel“, wie er dem Fachblatt „Nature“ sagte.
Die verwendeten Embryonen waren nicht entwicklungsfähig
Die chinesischen Forscher griffen bei ihren Experimenten auf 86 Embryonen aus Kliniken für künstliche Befruchtung zurück. Diese waren über ein frühes Stadium hinaus nicht entwicklungsfähig, weil jede Eizelle von zwei Spermien befruchtet worden war. Jeder Embryo enthielt drei statt zwei Erbgut-Sätze. Die Möglichkeit, den Embryo auszutragen, war von vornherein ausgeschlossen.
Huang und seine Mitarbeiter injizierten die „Crispr“-Moleküle zusammen mit der Austausch-DNS in die befruchteten Eizellen und gaben der Methode 48 Stunden Zeit, um die embryonale Erbinformation zu „verbessern“. Dann zogen sie eine ernüchternde Bilanz: Von den 86 Embryonen hatten 71 überlebt. 54 von ihnen wurden genetisch getestet. Dabei stellte sich heraus, dass bei 28 Embryonen die DNS durch „Crispr“ verändert worden war. Aber nur bei vier Eizellen war es zur erwünschten Gen-Reparatur gekommen, bei sieben weiteren gab es zumindest einen Teilerfolg. „Wenn Sie das bei normalen Embryonen machen wollen, müssen Sie annähernd 100-prozentigen Erfolg haben“, sagte Huang dem Magazin „Nature“. „Das ist der Grund, weshalb wir aufgehört haben. Wir denken, die Zeit ist noch nicht reif.“
Manipulationen und Mutationen - das Risiko ist größer als gedacht
Besonders auffällig war, dass die Wissenschaftler ungezielte genetische Veränderungen (Mutationen) in den Embryonen entdeckten, die vermutlich auf „Crispr“ zurückzuführen waren. Die Mutationen hatten „gestreut“. Ganz so präzise wie gedacht arbeitet das Verfahren an menschlichen Embryonen also nicht. Huang plant nun, an menschlichen Zellkulturen und im Tierversuch an der Zielgenauigkeit zu arbeiten.
Mutationen als potenziell gefährliche Kollateralschäden des neuen Verfahrens gehören zu jenen Problemen, die Wissenschaftler Ende März zu einem Aufruf in „Nature“ veranlassten. Darin plädierten Edward Lanphier, Chef der Allianz für Regenerative Medizin in Washington, und vier weitere Kollegen für ein Moratorium – genetische Veränderungen an Embryonen sollten wegen ernsthafter Risiken unterbleiben. „Diese Forschung könnte für Veränderungen benutzt werden, die nicht therapeutisch sind“, schrieben die Wissenschaftler. „Wir befürchten, dass der öffentliche Aufschrei über einen solchen ethischen Dammbruch vielversprechende medizinische Entwicklungen behindern könnte.“ Der Versuch, „Designerbabys“ zu erzeugen, träfe womöglich all jene, die sich um einen verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Technik, etwa in der Gentherapie, bemühen.
"Wir müssen eine Pause einlegen", sagen Skeptiker
Der Mahner Lanphier sieht sich durch Ergebnisse von Huang nun bestätigt. „Es unterstreicht, was wir zuvor gesagt haben: Wir müssen mit dieser Forschung eine Pause einlegen und sicherstellen, dass wir eine breit angelegte Diskussion darüber führen, in welche Richtung wir gehen wollen“, sagte Lanphier.
Huang zufolge war seine Studie von den führenden Wissenschaftsjournalen „Nature“ und „Science“ zum Teil aus ethischen Motiven für die Veröffentlichung abgelehnt worden, ehe sie von „Protein & Cell“ angenommen wurde. Der Genforscher verteidigt die Publikation dennoch, weil sie Klarheit über den von ihm verfolgten Forschungsansatz bringe.
Ob der Aufruf zum Moratorium beachtet wird, muss auch nach dem öffentlichen Zurückrudern von Huangs Wissenschaftlerteam bezweifelt werden. Natürlich ist das Bedürfnis in Familien mit vererbten Krankheiten groß, die Leiden mit Hilfe eines genetischen Eingriffs aus der Welt zu schaffen. Laut „Nature“ experimentieren allein in China mindestens vier Forschergruppen an Embryonen mit dem Ziel, ihr Erbgut zu verändern.
Hartmut Wewetzer