Der Rauswurf von Tim Hunt: Sexismus lohnt sich nicht, my Darling
Der Nobelpreisträger Tim Hunt spottet über „girls“ – und verliert seinen Job an der Uni. Richtig so: Beleidigungen und Herabsetzungen haben an staatlichen Einrichtungen nichts zu suchen. Ein Kommentar.
Der alte Chauvinismus hat sich noch mal laut zu Wort gemeldet, aber – zack – hat er einen auf die Rübe bekommen, so dass nun wieder eine Weile Ruhe sein dürfte. Recht so.
Der alte Chauvinismus ist in diesem Fall der 72-jährige Nobelpreisträger Tim Hunt. Er hat auf einer Tagung in Seoul eine Bemerkung gemacht, die er, wie er nachgeschoben hat, für witzig hielt. Seither kann er sich in seinem hübschen Garten in der Grafschaft Hertfordshire nördlich von London um seine Quitten kümmern.
Tim Hunt und seine Probleme mit "girls"
Es war eine Tagung von Wissenschaftsjournalistinnen, auf der die Bemerkung fiel, und zwar im Zusammenhang mit Hunts Idee, geschlechtergetrennte Labore einzuführen. Er begründete das mit seinen Problemen mit den „girls“ und sagte: „Drei Dinge passieren, wenn sie im Labor sind: Du verliebst dich in sie, sie verlieben sich in dich, und wenn du sie kritisierst, fangen sie an zu heulen.“
Noch bevor Hunt per Flugzeug zurück in London war, hatte dieser Dreiklang weltweit Aufsehen erregt und am Zielort donnernden Widerhall erzeugt: Hunt wurde kurz nach Landung vor die Wahl gestellt, seine Honorarprofessur beim University College London (UCL) entweder freiwillig aufzugeben oder alternativ gekündigt zu werden. Hunt fügte sich, beklagte aber bitterlich, weil das UCL nicht zuerst nach seiner Sicht der Dinge gefragt habe.
Er degradiert junge Wissenschaftlerinnen
Hätte es das tun sollen?
Die Bemerkung war beleidigend und herabsetzend, sie degradiert die jungen Wissenschaftlerinnen – die „girls“ – zur Staffage für irgendwelches Liebeleigeplänkel, nimmt ihnen jedes Gewicht, und dann heulen sie auch noch. Typisch! Wenn Mario Barth so redet, ist das betrüblich genug, aber nicht zu ändern, und offenbar findet das ja auch ein Publikum. Aber jenseits der Comedy-Schiene, da, wo auch entschieden wird über Laufbahnen und Karrieren, da geht es nicht. Und es ist ja auch nicht so, dass das Tim Hunt nicht klar wäre. Das legt jedenfalls seine prompte Entschuldigung nahe.
Hätte man es dabei nicht belassen können? Sich mal locker machen? Ein alter Mann, dem Haare aus der Nase wachsen, ein blöder Witz, vielleicht war er nervös, vielleicht müde, warum nicht gnädiger mit ihm sein?
Hunts Frau beweint seine Entlassung
So stellt es seine Frau dar, selbst eine Wissenschaftlerin, die mit ihm gemeinsam auf dem Sofa sitzend (so meldet es der britische „Guardian“) die abrupte Entlassung beweint und zur Kenntnis gibt, dass ihr Mann viel besser koche als sie. Im Grunde die nächste anprangerbare sexistische Dämlichkeit, aber egal.
Inzwischen melden sich allerdings die ersten Frauen, die mitzuteilen haben, dass Hunt mit seiner Seouler Bemerkung nicht zum ersten Mal diskriminierend auffalle. Andere weisen darauf hin, dass die Vorarbeit für seine 2001 mit dem Nobelpreis gekrönte Forschung auch von Frauen maßgeblich vorangetrieben worden sei.
Aber vielleicht ist es gar nicht nötig, derart ins Detail zu gehen. Vielleicht wird man in diesem Fall besser prinzipiell.
Natürlich dürfen Menschen gestrig sein, sie dürfen beispielsweise gegen Frauenwahlrecht sein, gegen die Gleichberechtigung der Rassen oder gegen Homosexuelle, sie sollen das sagen oder auch hinausschreien dürfen, wenn sie wollen – aber eben nicht von überall aus. Wer in staatlichen Einrichtungen tätig ist und sich von dort aus in verunglimpfender Weise über bestimmte Bevölkerungsgruppen äußert, verliert seinen Posten. Das ist richtig und angemessen, denn staatliche Einrichtungen sind von allen und für alle.
Man stelle sich die Sätze mit an anderen diskriminierten Gruppen vor
Man stelle sich Hunts Sätze in ähnlicher Weise mit einer anderen, bis vor nicht allzu langer Zeit noch von Staats wegen diskriminierten Bevölkerungsgruppe vor. Mit Schwarzen beispielsweise. Oder Muslimen. Juden?
Man stelle sich vor, es sei nicht von Laboren die Rede, in denen vielleicht die wenigsten Menschen selbst schon gearbeitet haben, sondern von Büros im allgemeinen, von Fabriken, von Banken oder Redaktionen, vom Einzelhandel, von Kliniken.
Man stelle sich vor, man sei betroffen von der Aussage. Wie drollig ist die dann noch?
Über die Männerdominiertheit der Wissenschaft wird hierzulande viel geklagt. Auf 35 000 Professoren kommen 9500 Professorinnen. Und das sicher nicht, weil Frauen heulen, wenn sie kritisiert werden, sondern weil sie es mit betonharten Strukturen zu tun haben. Männer dominieren die Welt und haben oft kein Gefühl dafür, wie es denen geht, die hinter ihnen stehen müssen. Aber da stehen viele, deren Benachteiligung auch fürs große Ganze von Nachteil ist. Dass viele Gesellschaften das erkannt haben und gegensteuern, ist eine glückliche Entwicklung. Ihr Mann sei „kein Dinosaurier“, hat Frau Hunt gesagt. Ist er doch. Gut, dass man ihm eins übergebraten hat.
Ariane Bemmer
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