Ziel für das Wintersemester 2021/22: „30 Prozent Campus-Präsenz ab Herbst“
HRK-Präsident Peter-André Alt protestiert gegen die pauschale Corona-Notbremse und will Studierende bald wieder an die Unis holen. Er steht vor der Wiederwahl.
„Wenigstens 30 Prozent der Veranstaltungen wieder auf dem Campus!“ Dieses Szenario sieht Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), für das kommende Wintersemester als realistisches Minimalziel in der anhaltenden Pandemie. Und das wäre nur mit einem durchgeplanten und finanzierten Testkonzept denkbar, mit dem alle, die die Uni betreten, täglich getestet werden können.
„Wünschenswert ist natürlich eine Situation, in der die Inzidenzen weit unten und auch Studierende bereits geimpft sind“, sagt Alt. „Nur so kommen wir wirklich wieder in den Normalbetrieb.“ Das sei aber leider wenig wahrscheinlich.
Doch aktuell droht weitaus Schlimmeres. Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz soll auch an den Unis die Bundes-Notbremse ab einer Inzidenz von 165 wirksam werden. „Ein Schlag ins Gesicht der Unis, völlig sachwidrig und unseriös“, sagt Alt. Trete das Gesetz so in Kraft, müssten die Hochschulen in ihrem dritten Digitalsemester auch das bisschen Präsenz aufgeben, das sie derzeit in Laboren, Werkstätten, in der Medizin und bei der Öffnung von Bibliotheken bieten.
Bundes-Notbremse "nur unter schärfstem Protest"
So dürften Bund und Länder nicht mit den Hochschulen umgehen. Sie seien „anders als Schulen keine Infektionsherde“, erklärt Alt. Das habe er auch an Bundestagsabgeordnete und an die Ministerpräsident:innen geschrieben, um den Hochschulen die Notbremse zu ersparen. Das Ergebnis am Donnerstag nimmt Alt „nur unter schärfstem Protest“ zur Kenntnis.
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Woher die ungewohnte Vehemenz des 60-jährigen Literaturwissenschaftlers, der bisher in der Öffentlichkeit eher zurückhaltend agierte? Streng genommen ist der frühere Präsident der Freien Universität Berlin im Wahlkampf. Allerdings hat er keinen Gegenkandidaten, wenn es bei der HRK-Mitgliederversammlung am Dienstag um seine zweite Amtszeit geht.
Doch allmählich reicht es ihm offensichtlich mit den Kollateralschäden der Coronakrise. Zumal wenn er dafür mit in Haftung genommen wird, etwa durch die studentische Initiative #NichtNurOnline, aber auch durch Professoren wie Paul Nolte. Der FU-Historiker hatte Unileitungen und der HRK, die stolz auf den hohen Grad an Digitalisierung verweisen, „eine stille Gewöhnung an eine Normalität, die keine sein darf“ vorgeworfen.
"Das studentische Leben muss wieder beginnen"
Dies weist Alt entschieden zurück: „Wir müssen die Studierenden an ihre Studienorte bringen, das studentische Leben muss wieder beginnen.“ Aber erst dann, wenn das keine unvertretbaren Risiken mehr bedeutet – und mit einer nachhaltigen Digitalisierung etwa bei den Vorlesungen und Prüfungen.
Nach dem ersten Digitalsemester hat der HRK-Präsident eine eingängige Formel geprägt: „So viel Präsenzlehre wie möglich, so viel Online-Lehre wie nötig.“ Mit diesem „Bekenntnis zur Präsenzuniversität auch für die Zeit nach Corona“ habe es Alt auf den Punkt gebracht, sagt Birgitt Riegraf, Präsidentin in Paderborn und Vorsitzende der Allianz 11+ (UA11+) der mittelgroßen Forschungsuniversitäten.
Alt habe in der schwierigen Situation der Coronakrise, in der die Hochschulen zudem unter den unterschiedlichsten Bedingungen und Vorgaben seitens der Länder arbeiteten, „eine sehr integrative Funktion nach innen übernommen und nach außen sehr gut unsere Interessen vertreten“.
Neuer Anlauf für einen Hochschuldigitalpakt
Für Softwarelizenzen, Lernplattformen, die Digitalisierung der Verwaltung und eine Qualifizierungsoffensive aber gibt es keine zusätzlichen Mittel vom Bund. Dem HRK-Präsidenten könnte man vorwerfen, dies nicht laut genug gefordert zu haben. Aber auch die Wissenschaftsminister:innen der Länder waren zu leise – und wurden wie die HRK nicht von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gehört. Die gönnte den Unis nur einen kleinen Anteil am KI-Programm des Bundes.
Jetzt, zum Ende seiner ersten Amtszeit, plant Alt eine Offensive. Das Präsidium arbeite an einer Strategie für digitale Lehrinfrastrukturen. Die flächendeckend an den Hochschulen zu finanzieren, sei eine „gesamtstaatliche Aufgabe“. Ein zweites großes Thema – ebenfalls als „HRK-Prüfstein für den Bundestagswahlkampf“ – sei der Hochschulbau.
Aus dem hat sich der Bund vor zehn Jahren verabschiedet. Jetzt müsse er zurückkommen und helfen, marode Campi zu sanieren.
Bei der HRK drehten sich seit gut einem Jahr „70 Prozent der Aktivitäten um die Pandemie und die digitale Lehre“, sagt Alt. Zu den Themen, die derzeit eher hinten runterfallen, gehört die ungelöste Frage der Befristungen von wissenschaftlichen Mitarbeitenden.
Hier gibt es einen echten Dissens von Verfechtern verlässlicher Karrierewege und sehr viel mehr Dauerstellen und vielen Unileitungen, die davor warnen, so würden Karrierewege für den Nachwuchs verstopft. Alt will moderieren, spricht sich für das Berliner Modell mit einer Quote von 30 Prozent Dauerstellen im Mittelbau aus.
Mittelgroße Unis wollen faire Chance in der Exzellenzstrategie
Eine andere Dauerbaustelle sind die unterschiedlichen Interessen der Hochschultypen in der HRK. Sie manifestieren sich in den „Klubs“ wie dem der U15 für die großen Forschungsunis, in der TU9 der technischen Unis oder der UA11+. Die Fachhochschulen vertreten ihre Interessen als UAS7, in dem die „Universities of Applied Sciences“ etwa für ein eigenes Promotionsrecht werben.
In beiden Feldern grummelt es. So fordern die mittelgroßen Unis einen Korridor, um mit ihren „Pockets of Excellence“ (Nischen der Exzellenz) in der Exzellenzstrategie eine Chance zu bekommen. „Das treibt uns um“, sagt die UA11+-Vorsitzende Birgitt Riegraf. In der nächsten Wettbewerbsrunde um die Förderung der Spitzenforschung müssten alle Neulinge eine faire Chance erhalten.
Auch hier bescheinigt Riegraf dem aktuellen und zweifellos auch künftigen HRK-Chef eine glückliche Hand: „Er redet mit allen und bringt uns an einen Tisch.“
FH-Promotionsrecht? "Der Zug ist längst ins Rollen gekommen"
Und die Fachhochschulen? Andreas Zaby, Präsident der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin und UAS7-Sprecher, ist realistisch: „Die HRK bleibt auch unter Alt von den großen Unis dominiert.“ Doch auf jeden Fall befürworte dieser die Stärkung der Promotion an den FHs – auf zwei von drei möglichen Wegen, den kooperativen Promotionen mit Unis und den kooperativen Promotionskollegs.
Dass Alt nicht auch das eigenständige Promotionsrecht vertrete, sei nachvollziehbar, sagt Zaby. Die Unis würden in absehbarer Zeit aber ohnehin ihr „Monopol“ verlieren – „der Zug ist schon längst ins Rollen gekommen“. Das bleibt dann also eine der Moderationsaufgaben des HRK-Präsidenten.