zum Hauptinhalt
Ein Dozent an der Universität Mannheim, demonstriert in einem Hörsaal der Universität die Aufzeichnung einer digitalen Wirtschaftsvorlesung.
© Uwe Anspach/dpa

KI versus Digitalisierungs-Hilfen für die Unis: Empörung über das Aus für den Hochschuldigitalpakt

Dramatische Appelle: Dass der Digitalpakt für die Hochschulen mit Bundesmitteln nicht stattfinden soll, wollen Minister und Unileitungen nicht hinnehmen.

Ein größtenteils vom Bund finanzierter Digitalpakt für die Hochschulen soll zu den Akten gelegt werden, weil sich Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) stattdessen eine Bund-Länder-Vereinbarung zum Thema Künstliche Intelligenz stark gemacht hat. Das zumindest lässt sich aus der bevorstehenden Einigung dazu in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) schließen.

Geht es allerdings nach ersten Ländern, die sich zu Wort melden, nach den Hochschulen und nach der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), ist der Traum vom Digitalpakt keineswegs gestorben. Der Wissenschaftsminister von Rheinland-Pfalz, Konrad Wolf (SPD), erhält die im Mai von allen 16 Länderkollegen und -kolleginnen erhobene Forderung nach einem Digitalpakt für die Hochschulen aufrecht.

„Die Forderungen der Länder nach einem ,Hochschul-Digitalpakt‘ sind nicht vom Bund berücksichtigt worden“, bestätigt Wolfs Sprecher auf Anfrage. Und mit der in der GWK angestrebten Vereinbarung könne immerhin auch das Themenfeld der Künstlichen Intelligenz in der Hochschullehre vorangetrieben werden.

Doch das sei bei weitem nicht ausreichend. „Das überwiegend wieder digital stattfindende Wintersemester macht deutlich, dass auch in der nächsten Zeit die Anforderungen an digitales Lehren, Studieren und Prüfen steigen werden.“ Die Digitalisierung der Hochschulen erfordere „eine nationale Kraftanstrengung, da dies nicht allein durch die Länder geleistet werden kann“, heißt es aus Mainz.

Wie dramatisch die Hochschulen selber die Lage einschätzen, zeigt ein emotionaler Appell von Christian Thomsen, dem Präsidenten der Technischen Universität Berlin: „Wir müssen gemeinsam alles tun, damit wir unsere Student*innen nicht verlieren.“

[Lesen Sie hier unseren Bericht zum KI-Programm von Bund und Ländern: Streit um Förderung der Online-Lehre]

Wegen der erneuten Verschärfung der Covid-19-Pandemie und des Teil-Lockdowns im November sind die Universitäten am 2. November bundesweit in ein erneutes Digitalsemester mit weit weniger Präsenzangeboten als zunächst geplant. Nun werden das Wintersemester „und vielleicht auch das Sommersemester durch die Digitalität sehr anstrengend“ – für Studierende und Lehrende, wie Thomsen erklärt.

In dieser Situation gute Arbeitsbedingungen zu bieten und die universitäre Lehre weiterzuentwickeln, sei eine „nationale und sogar europäische Aufgabe“, schreibt auch der TU-Präsident. Und fordert einen Digitalpakt, den der Bund mit 500 Millionen Euro finanzieren solle.

Handschlag zwischen einer Roboterhand und einem Menschen.
Handschlag? Nicht allen Minister*innen reicht das KI-Programm als Ersatz für den geforderten Hochschul-Digitalpakt.
© Hauke-Christian Dittrich/picture alliance/dpa

Damit erneuert Thomsen eine Forderung, die er im Sommer gemeinsam mit seinen Kollegen vom Verbund der Technischen Universitäten TU9 erhoben hatte. Bereits im März hatte Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach im Tagesspiegel „ein entschiedenes Handeln des Bundes“ gefordert, „um eine flächendeckende Digitalisierung der Hochschulen zügig voranzubringen“.

Dazu brauche es ein Bund-Länder-Programm im Umfang von zunächst 350 Millionen Euro für die Jahre 2020/2021. Wie bei der Exzellenzstrategie für die Forschung solle der Bund davon 75 Prozent und die Länder 25 Prozent tragen.

[Was tut die Uni für Studierende und Lehrende im zweiten Coronasemester? Der Vizepräsident der TU-Berlin im Interview]

Im Mai hatten dann die Wissenschaftsminister*innen der Länder ein 500-Millionen-Digitalisierungsprogramm für die Hochschulen gefordert - für die technische Ausstattung und für die Weiterbildung der Lehrenden. Dieses Programm sollte Teil des 60-Milliarden-Euro-Anteils des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) am Konjunkturprogramms des Bundes in der Corona-Krise werden. Doch die Hochschulen gingen leer aus, ein zusätzliches Digitalisierungsprogramm gab es nur für die Schulen. Dafür wurde die KI-Offensive beschlossen – mit sehr viel weniger Geld für die Hochschulen.

"Das können wir nicht aus der Portokasse zahlen"

Schon bei früheren Vorstößen hatte sich das Bundesbildungsministerium auf den Standpunkt gestellt, die Digitalisierung der Lehre sei Ländersache. TU-Präsident Thomsen ist enttäuscht, dass es auch von Anja Karliczek auf die Digitalpaktforderung der TU9 bis heute keine Reaktion gebe. Die Hochschulen könnten den digitalen Wandel „nicht aus der Portokasse bezahlen“. Der Bund müsse jetzt „strategisch handeln“, um den Unis bei der Digitalisierung zu helfen.

Empört äußert sich Peter-André Alt, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), auf Anfrage des Tagesspiegels: „Die Hochschulen mussten und müssen zur kurzfristigen Sicherung von digitalen Lehrangeboten etc. an die Grenze des Möglichen und darüber hinaus gehen.“ Der Bund könne doch nicht einfach erklären: „Wenn das System nicht kollabiert, gibt es keinen Handlungsbedarf.“

Ein Porträtbild von Peter-André Alt.
HRK-Präsident Peter-André Alt.
© David Ausserhofer/HRK

An das Bundesbildungsministerium richtet der HRK-Chef deshalb eine konkrete Forderung: „Ein vernünftiger Schritt des Bundes im Sinne eines Anschubs in den kommenden zwei Jahren“ wäre „eine Digitalisierungspauschale von 92 Euro pro Studierendem und Jahr“. Diese hatte die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) 2019 in ihrem Jahresgutachten vorgeschlagen.

„Das wären bei 2.891.049 Studierenden (WS 2019/2020) im Jahr 270 Millionen Euro“, rechnet Alt vor. Die Hochschulen bräuchten dieses Geld schnellstmöglich „für eine nachhaltige digitale Infrastruktur“.

Dass die Länderminister, Unis und die HRK beim BMBF noch Gehör finden, ist eher unwahrscheinlich. Dort ist der KI-Schwerpunkt gesetzt. „Bund und Länder verhandeln aktuell mit Hochdruck über eine Förderinitiative ‚Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung‘“, teilte ein Sprecher am Donnerstag mit.

Das BMBF bleibt dabei: Hochschulen sind Ländersache

Den Unterstützungsbedarf der Hochschulen bei der fortschreitenden Digitalisierung sehe das BMBF zwar, teil ein Sprecher mit. Zuständig für den erforderlichen „weiteren Digitalisierungsschub“ seien aber die Länder. Der Bund unterstütze sie seit langem dabei, etwa mit dem Hochschulforum Digitalisierung und dem Qualitätspakt Lehre.

Ganz aus der „Portokasse“ müssen die Hochschulen die neuen Konferenzsysteme und sonstigen Tools und Softwarepakete für die Online-Lehre unter Coronabedingungen aber auch ohne den Bund nicht finanzieren. Das Land Berlin gehört zu den Ländern, die umfangreiche eigene Programme aufgelegt haben: Im März wurde das Sofortprogramm „Virtual Campus Berlin“ mit zunächst zehn Millionen Euro ausgestattet. Im Wintersemester wird der Topf mit zusätzlich 12,6 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

Auch in Rheinland-Pfalz hatte die Landesregierung im Frühjahr 5,5 Millionen Euro in die Unterstützung der digitalen Lehre investiert. Dieses Programm werde jetzt mit dem Nachtragshaushalt auf 50 Millionen Euro aufgestockt, heißt es.

Berlins Staatssekretär will beides: KI-Förderung und Digitalpakt

Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU), der von den 16 Ländern im Mai gemeinsam mit Konrad Wolf (SPD) zum Verhandlungsführer für den Digitalpakt bestimmt worden war, will sich offenbar mit dem Bund arrangieren.

Sibler stehe derzeit mit Länderkolleginnen und -kollegen "in intensiven Gesprächen zum Thema Stärkung des Wissens und der Instrumente zur Künstlichen Intelligenz an allen Hochschulen", heißt es auf Anfrage aus München. "Den Beteiligten ist daran gelegen, dass die im Konjunkturpakt des Bundes dafür vorgesehenen Fördermittel rasch bei den Hochschulen ankommen und dort Wirkung entfalten", betont ein Sprecher.

Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) sieht es so: „Wenn Hightech-Deutschland auf die Überholspur wechseln will, ist beides zwingend notwendig: Eine konsequente Förderung der KI-Kompetenz in Forschung und Lehre und der Turbogang für die Digitalisierung der Hochschulen in allen Regionen bundesweit.“

Bayern und Berlin gehören zu den Ländern, deren KI-Zentren mit Bundesmitteln gefördert werden, und die besonders vom neuen Programm für Künstliche Intelligenz profitieren werden.

Am Donnerstagnachmittag wurde dann aber doch noch ein Bundesprogramm für die Digitalisierung der Hochschulen bekannt: Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) kündigte an, aus BMBF-Mitteln "kurzfristig die Digitalisierung international ausgerichteter Masterstudiengänge" zu fördern. 19 ausgewählte Projekte an deutschen Hochschulen sollten bis Ende 2022 rund acht Millionen Euro erhalten - darunter auch auch die TU und die HTW Berlin.

Zur Startseite