Homeoffice ohne Ende: Studierende fordern Perspektive für Rückkehr an die Unis
Bald startet das dritte Digitalsemester in Folge, ohne Aussicht auf Präsenz. Viele Studierende fühlen sich von der Politik verlassen – und organisieren eine Kampagne.
Plötzlich ist Stille, die Verbindung abgebrochen: Das Internet ist kurz weg. Es folgt ein zweiter Anruf via WhatsApp bei Erik Klüssendorf-Medinger, der an der Humboldt-Universität im Bachelor Philosophie und Deutsche Literatur studiert.
„Da sieht man eins der großen Probleme im Digitalsemester: Nicht jede Person hat eine gute Internetverbindung“, sagt Klüssendorf-Medinger, als das Gespräch weitergehen kann. Und er kommt gleich noch auf ein anderes Problem zu sprechen, das für ihn noch schwerer wiegt: Das Gefühl einer Perspektivlosigkeit, des politischen Vergessenwerdens.
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Als Reaktion auf dieses Gefühl, das in Teilen der Studierendenschaft vorherrscht, hat Klüssendorf-Medinger gemeinsam mit Kommiliton*innen kurz vor dem Start des Sommersemesters die Initiative #NichtNurOnline gegründet. In ihr organisieren sich Studierende verschiedener Berliner Hochschulen und fordern Perspektiven für eine Rückkehr der Universitäten zum Präsenzbetrieb.
Die Perspektive sei ihnen wichtig, betont Erik Klüssendorf-Medinger: Es gehe der Initiative nicht um eine sofortige Rückkehr zur Lehre vor Ort – diese Forderung halte auch sie in Anbetracht der aktuellen Infektionszahlen für vollkommen unverantwortlich.
Tatsächlich scheint ein Präsenzbetrieb an den Hochschulen im Angesicht der dritten Welle und sich rasch verbreitenden Mutanten wieder in weite Ferne zu rücken. Und so wird im April schon das dritte Online-Semester in Folge in der Pandemie beginnen, die Hochschulen und der Berliner Senat haben das vor längerem so beschlossen.
Hochschulen blieben bei bundesweitem Stufenplan unberücksichtigt
Manche Studierende haben praktisch noch nie ihre Hochschule von innen gesehen, geschweige denn ihre Dozent*innen und Mitstudierenden in Person kennengelernt. Anders als das Thema Schule, wo Öffnungen und Schließungen hitzig debattiert werden, kommen die Hochschulen und die Schicksale der Studierenden in der öffentlichen Debatte kaum vor.
Die fast drei Millionen Studierenden bundesweit dürften aber bei politischen Entscheidungen nicht einfach vergessen werden, fordert die Initiative. Klüssendorf-Medinger sieht die vergangenen Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) als Symbol: Der Stufenplan, den Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsident*innen der Länder nach den Verhandlungen am 8. März der Öffentlichkeit präsentierten, enthielt zwar fünf Öffnungsschritte.
Hochschulen wurden jedoch – im Unterschied zu Flugschulen – in keinem der Schritte erwähnt. Auch die MPK am 22. März erwähnte die Hochschulen in ihrem Beschluss nicht ein einziges Mal. „Das ist, als würde eine Stadt in der Größe von Hamburg politisch einfach nicht berücksichtigt“, sagt Klüssendorf-Medinger.
Dozent*innen gingen von Präsenzprüfungen aus
Auch Paul Klär, Vorstandsmitglied des Vereins freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V., fehlen die politischen Perspektiven für Hochschulen. In den MPKs seien diese, im Unterschied zu anderen Schulen, bisher „nie ein Thema“ gewesen. Politisch sei die Richtlinie für Hochschulen, dass diese aktuell geschlossen sind, „und wenn die Pandemie vorbei ist, machen sie eben wieder auf“.
Klär kritisiert vor allem, dass Hochschulen nicht frühzeitig Konzepte für den Fall entwickeln, dass die Coronavirus-Situation keinen Präsenzbetrieb zulässt. Als Beispiel nennt er die Prüfungsphase im Wintersemester 2020/21: Noch im Januar seien viele Dozent*innen davon ausgegangen, dass die Prüfungen im Februar vor Ort stattfinden könnten. Als das für einige Prüfungen aufgrund steigender Zahlen im Februar dann eben doch nicht möglich war, mussten kurzfristig digitale Lösungen gefunden werden.
Gerade diese Kurzfristigkeit führe immer wieder dazu, dass Prüfungsformate nicht digital optimiert werden. Stattdessen versuchten Unis, mit datenschutzrechtlich fragwürdigen Überwachungslösungen möglichst exakt die Präsenzsituation im eigenen WG-Zimmer zu simulieren, damit Lösungen nicht aus dem Internet oder den eigenen Unterlagen abgeschrieben werden.
Perspektive für die Rückkehr an die Unis gefordert
Trotz dieser Kritik fordert Klär keineswegs, sofort den Präsenzbetrieb wieder aufzunehmen. Als Orte der Wissenschaft könnten Universitäten nicht einfach die Empfehlungen der Wissenschaft ignorieren. Stattdessen fordert der fzs ähnlich wie #NichtNurOnline, dass Hochschulen politisch nicht mehr übergangen werden und Perspektiven zu einer Rückkehr zum Präsenzbetrieb an Universitäten erarbeitet werden.
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Spielen Studierende im politischen Pandemiediskurs tatsächlich keine Rolle? Dem Eindruck widerspricht die Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung. Seit Beginn der Pandemie arbeite man mit den Berliner Hochschulen an Möglichkeiten, um einen gewissen Präsenzbetrieb zu ermöglichen, bekräftigt ein Sprecher.
Im September wurde ein Stufenplan für den Corona-Betrieb der Berliner Hochschulen verabschiedet. Für angestrebte Öffnungen sei es jedoch wichtig, verschiedene Situationen und Perspektiven von Studierenden und Lehrenden zu berücksichtigen. Die Öffnung von Hochschulen dürfe nicht zum Nachteil bestimmter Gruppen erfolgen.
Hochschulen sollen Hygienekonzepte erarbeiten
Aufgrund ihrer privaten oder auch gesundheitlichen Situation könne es gut sein, dass selbst bei einer Teil-Öffnung einige Menschen nicht an den Präsenzveranstaltungen teilnehmen können oder wollen. Diese Interessen müssten berücksichtigt werden.
Gegenüber dem Tagesspiegel betont denn auch Wissenschaftsstaatsekretär Steffen Krach (SPD), dass die Anliegen der Studierenden und Lehrenden der Berliner Hochschulen von der Senatsverwaltung gehört und geteilt werden. Krach fordert, dass die Hochschulen für die Zukunft „Szenarien entwickeln, wie man im Verlauf des Semesters Präsenz- und Hybridkonzepte mit dem Einsatz von Tests flankieren kann, um bei wieder niedrigeren Infektionszahlen mehr Präsenz auf dem Campus zu ermöglichen“.
Mögliche Präsenzveranstaltungen im Laufe des Sommersemesters sollen vorrangig Studienanfänger*innen zugänglich gemacht werden, „die ihre Hochschule vielleicht noch nie in echt erlebt haben“. Bedenken gegen baldige Präsenz- oder Hybridformate gibt es auch innerhalb jener Studierendenschaft.
Der Fachschaftsrat Lehramt (FSR) der Humboldt-Universität etwa hat eine Antwort auf den offenen Brief von #NichtNurOnline verfasst, in der die geforderte Rückkehr zum Präsenzbetrieb kritisiert wird. Ein starker Grund dagegen ist für Tobias Hotzkow, Mitglied des FSR Lehramt, nicht nur der erneute Anstieg der Coronavirus-Infektionen.
Seine Erfahrungen mit dem Online-Semester widersprechen auch denen, die Klüssendorf-Medinger schildert. Für Hotzkow war das Online-Semester ein Zugewinn an Flexibilität. Er empfand die beiden digitalen Semester als deutlich produktiver als die Semester zuvor, unter anderem weil Anfahrtswege an die Uni wegfielen.
Infektionsschutz an Hochschulen weiter umstritten
Große Probleme sieht er vor allem in einer Umsetzung von möglichen Hybrid-Semestern, bei denen einige Veranstaltungen in Präsenz und andere Veranstaltungen digital stattfinden. Bereits jetzt gebe es in digitalen Veranstaltungen technische Probleme, durch die Kombination aus physisch anwesenden und digital zugeschalteten Studierenden würden diese Probleme sich wahrscheinlich noch verstärken.
Ungeklärt sei, wie Studierenden der infektionssichere Weg an die Hochschule ermöglicht werde – und wie Zeit für das Pendeln zwischen der eigenen Wohnung und dem Hörsaal geschaffen wird, wenn Präsenz und Home-Uni kompatibel sein sollen.
Die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Studierendenschaft bestätigt eine aktuelle Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). Die Studie basiert auf mehreren Umfragen unter Studierenden und Lehrenden von verschiedenen Hochschulen in Deutschland.
Rund 70 Prozent der befragten Studierenden bewerten den Umgang ihrer Hochschule mit der Pandemie als gut oder sehr gut. Die Bewertung fiel in verschiedenen Fächern jedoch sehr unterschiedlich aus. Gerade Student*innen praxisnaher Fächer, beispielsweise in den Naturwissenschaften, bewerteten das Online-Semester kritischer als ihre Kommiliton*innen aus anderen Fächern.
Impfungen als Bedingung für Öffnungen
Zum Problem für die Hochschulen gerade in Berlin könnte ihre schiere Größe werden. „Natürlich ist es etwas anderes, ob man vor einem Theater für hundert Leute ein Testzelt aufbaut, oder ob das vor der HU mit tausenden Studierenden passiert“, betont der Sprecher der Senatskanzlei. Durch die neue Situation mit Schnelltests ergäben sich für die Hochschulen neue Möglichkeiten, aber auch neue Herausforderungen.
Hans-Ulrich Heiß, Vizepräsident für Lehre der TU Berlin, sagt, an Konzepten für eine Rückkehr zu Präsenzveranstaltungen werde bereits gearbeitet: Die Hochschulen „werden alle Möglichkeiten prüfen, im Verlauf des Sommersemesters kleinere Schritte in Richtung Präsenzlehre zu unternehmen“.
Heiß schränkt das aber stark ein: „Solange keine flächendeckende Impfung stattgefunden hat, sehen wir keine Möglichkeit der Rückkehr zum Normalbetrieb.“ Ein noch unkonkretes Versprechen machte der Regierende Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) in seiner jüngsten Regierungserklärung.
Man müsse „vielleicht jetzt darüber diskutieren, ob man als nächstes die Studierenden oder die Auszubildenden oder andere Jüngere“ in die Impfstrategie hereinnehme und „entsprechend schneller“ impfen. Dennoch bleibt bei vielen Studierenden der Eindruck: Mit jeder Hoffnung, beispielsweise der flächendeckenden Verfügbarkeit von Schnelltests, kommen neue Rückschläge in Form von Mutanten.
Und die größte Herausforderung ist sowieso ungelöst: Wie kann der Hybrid- oder Präsenzbetrieb an den Hochschulen so stattfinden, dass er den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensumständen der Studierenden gerecht wird – und die erhofften Öffnungen für eine Gruppe nicht zu einem massiven Nachteil oder gar einer gesundheitlichen Gefahr für andere Gruppen werden?
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