Unser Blog zum Bundesliga-Wochenende: Fans des 1. FC Köln: Demonstrieren statt randalieren
Außerdem: Hertha BSC rutscht ab. Joel Matip wechselt von Schalke nach Liverpool. Gladbachs Defensivprobleme. Hamburgs Widerstandskämpfer Artjoms Rudnevs. Arjen Robbens Flugkünste.
16.30 Uhr - Demo statt Derby. Am kommenden Samstag findet in Mönchengladbach das sogenannte rheinische Derby zwischen der Gladbacher Borussia und dem 1. FC Köln statt. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass es beim letzten Spiel im Borussia-Park zu einem Platzstürmchen von einigen wenigen vermummten Kölner Ultras kam, der zwar nicht allzu viel Schaden angerichtet hat, der aber bis heute nachwirkt. Im Hinspiel in dieser Saison in Köln blieb der Gladbacher Block weitgehend leer, weil die aktive Fanszene zum Boykott des Derbys aufgerufen hatte. Die Gladbacher fühlten sich zu Unrecht für das Fehlverhalten der Kölner bestraft. Ihr Kartenkontingent war um die Hälfte reduziert worden, zudem sollten nur personalisierte Tickets ausgegeben werden. Die gleichen Maßnahmen gelten nun im Rückspiel auch für die Kölner Anhänger, die auf den Besuch des Spiels in großen Teilen ebenfalls verzichten wollen und stattdessen zu einer Demonstration für den Erhalt der Fankultur aufgerufen haben – und zwar in Mönchengladbach.
Die Veranstaltung im Stadtteil Rheydt wurde ordnungsgemäß angemeldet. Die Polizei rechnet aktuell mit rund tausend Teilnehmern – und ist angesichts der ohnehin zu erwartenenden Arbeit am Derby-Tag alles andere als erfreut. Seitdem die Nachricht auf dem Markt ist, sieht sich die Mönchengladbacher Polizei daher auch mit der Frage konfrontiert, ob sie die Demonstration denn überhaupt genehmigen werde (Ich gebe zu: auch von mir.) „Wenn wir sie genehmigen müssten, würden wir das nicht tun“, heißt es bei der Polizei, da aber die Versammlungsfreiheit ein Grundrecht ist, gibt es keine Handhabe, die Demonstration zu verhindern. In einer Pressemitteilung heißt es, es seien alle möglichen Auflagen ausgesprochen worden, zudem hätte der Anmelder einem deutlich verkürzten Demonstrationszug zugestimmt, es lägen aber weder Tatsachen noch belastbare Hinweise vor, die ein Versammlungsverbot rechtfertigen könnten.
Bei Derbys (egal ob Gladbach/Köln, Schalke/Dortmund, HSV/Bremen, Hannover/Braunschweig) ist es inzwischen üblich, die rivalisierenden Fangruppen möglichst sauber voneinander zu trennen, um Zusammenstöße zu vermeiden. Theoretisch aber könnten sich die schwarz-weiß-grünen Gladbacher am Samstag mit Verweis auf ihre grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit natürlich an dem rot-weißen Demonstrationszug beteiligen. Schließlich ist der Erhalt der Fankultur ja eine vereinsübergreifende Sache. Schließlich betrifft es - wechselseitig - beide Seiten, wenn die Kartenkontingente der Gästefans reduziert werden, wenn eine individuelle Anreise zu Derbys inzwischen beinahe unmöglich ist.
Die Vorstellung - Kölner und Gladbacher marschieren friedlich Seit' an Seit' - hat einen gewissen Charme, vor allem wenn man in den vergangenen Jahren miterlebt hat, wie aus einer halbwegs gesunden Rivalität zwischen Kölnern und Gladbachern eine ziemlich eklige Feindschaft geworden ist. Nach der manchmal etwas kruden Ultralogik könnte ich mir allerdings vorstellen, dass eine Demonstration der Kölner auf Gladbacher Boden von den Gladbacher Ultras als Zumutung empfunden wird und entsprechend zu meiden ist. Ich lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen.
Klopp schwächt Schalke
14.40 Uhr - Der Ex-Dortmunder Klopp holt einen Schalker. Bereits seit dem frühen Morgen wird im Internet verkündet, dass in Kürze verkündet wird, dass der Schalker Joel Matip zum FC Liverpool wechseln wird. Jetzt ist es tatsächlich so weit. Schalkes Manager Horst Heldt hat den Weggang des Verteidigers bestätigt. „Wir haben seit Mai vergangenen Jahres viele intensive Gespräche geführt, sowohl mit Joel als auch seinem Berater", wird Heldt auf Schalkes Homepage zitiert. "Dabei war schnell klar, dass für Joels Entscheidung Faktoren den Ausschlag geben würden, die wir letztlich nicht beeinflussen konnten.“ Eine Ablöse bekommen die Schalker nicht, da Matips Vertrag nach dieser Saison ausläuft.
14.30 Uhr – Was sonst noch wichtig ist. So wie Raider jetzt Twix, so ist die Schubert-Tabelle jetzt die Kramny-Tabelle. Der VfB Stuttgart ist unter dem einstigen Interims- und jetzigen Cheftrainer Jürgen Kramny jetzt die Mannschaft der Stunde – wie das im Herbst noch Borussia Mönchengladbach unter Andre Schubert war. Das 2:0 des VfB gegen Hertha BSC war der fünfte Sieg hintereinander. Die Stuttgarter sind die einzige Mannschaft, die in diesem Jahr alle Spiele gewonnen haben (okay, das Pokalspiel gegen Borussia Dortmund mal ausgenommen) und dementsprechend die Rückrundentabelle anführen.
Das aktuelle Gegenstück zu den Stuttgartern ist Hannover 96. Die Mannschaft kommt jetzt auf sieben Niederlagen am Stück, und bei Twitter findet man in 96-Tweets jetzt immer häufiger den Hashtag #abschiedstour. Auch in Frankfurt wächst die Sorge. Nach dem 1:3 in Köln ist der Abstand zum Relegationsrang auf vier Punkte geschrumpft. Die „FAZ“ hat die Situation der Eintracht in der ihr eigenen prägnanten Art so beschrieben: „Ein abermaliger Abstieg, es wäre der fünfte in der Klub-Historie, würde die Eintracht, die gerade auch noch auf der Suche nach einem neuen Hauptsponsor ist, ins Mark treffen – und wirtschaftlich ebenfalls derart unkalkulierbare Folgen mit sich bringen, dass damit alle Ambitionen, auf absehbarer Zeit im Branchenranking ein wenig dichter ans obere Mittelfeld heranzurücken, ad absurdum geführt wären.“
Die Sorge ist auch deshalb begründet, weil man jetzt vielleicht doch wieder mit der TSG Hoffenheim rechnen muss. Das Debüt des Bubi-Trainers Julian Nagelsmann geht zumindest als halbwegs gelungen durch, auch wegen der interessanten taktischen Herangehensweise, die der 28-Jährige für das wichtige Spiel beim SV Werder Bremen gewählt hatte. Ich habe mich bei seiner Antritts-Pressekonferenz am Freitag ein wenig an Markus Gisdol und dessen Rettungsmission im Kraichgau erinnert gefühlt und das hier aufgeschrieben.
Einer der Aufreger des Wochenendes war natürlich auch die rein zufällige Häufung an Gelben Karten beim SV Darmstadt 98 in den Schlussminuten des Spiels gegen Bayer Leverkusen. Zufälligerweise fallen nun am kommenden Wochenende im Auswärtsspiel gegen Bayern München gleich fünf Darmstädter aus, die dann zufälligerweise eine Woche später im existenziell wichtigen Abstiegsduell gegen Werder Bremen alle wieder mitspielen dürfen.
Noch ein Nachtrag zum Hamburger SV: Der Klub hat im vergangenen Jahr fast 66 Millionen Euro für Gehälter (Spieler plus Mitarbeiter ausgegeben). Nicht schlecht für Platz 16. Aber wie hat Hamburgs Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer vor zwei Wochen beim Sportbusiness-Kongress Spobis gesagt: „Wir haben kein Ertragsproblem.“
13.45 Uhr - Breaking News. Der VfL Wolfsburg hat bekannt gegeben, dass ab sofort Karten für das Auswärtsspiel des VfL bei der TSG Hoffenheim erhältlich sind. Wahrscheinlich ist die Homepage der Wolfsburger jetzt über Stunden lahmgelegt.
13.40 Uhr – Ungewohnte Belastung. Bei Hertha BSC haben sie als Erklärung für die Niederlage in Stuttgart unter anderem auf die hohe Belastung der vergangenen Woche, sowohl körperlich als auch geistig, ausgemacht. Völlig von der Hand zu weisen ist diese Erklärung nicht. Die Berliner, die nach ihrem Pokalspiel einen Tag weniger Pause hatten als der VfB, wirkten in Stuttgart weit weniger frisch. Vor allem nach dem 0:1 schienen sie nicht mehr nachlegen zu können. Aber dieses Problem war für Hertha nicht neu. In dieser Saison ist die Mannschaft sechs Mal in Rückstand geraten. Nur einen einzigen Punkt (beim 1:1 gegen Frankfurt) hat sie anschließend noch geholt, die restlichen fünf Spiele gingen verloren.
Das ist insofern bedenklich, als Trainer Dardai in der Fitness der Mannschaft einen wichtigen Grund für den Aufschwung gesehen hat. Geht es bei den Berlinern jetzt also an die Substanz? Man wird das in den nächsten Wochen ein bisschen intensiver beobachten müssen. Kein besonders gutes Zeichen ist, dass gegen Stuttgart gleich zwei Spieler - Salomon Kalou und Mitchell Weiser - wegen Muskelverletzungen ausgefallen sind. Auch wenn es sich nur um leichtere Blessuren gehandelt hat und beide am Samstag gegen Wolfsburg womöglich schon wieder spielen können, fällt das schon deswegen auf, weil bei Hertha in dieser Saison zuvor noch überhaupt keine Muskelverletzungen aufgetreten sind, was für eine gute Trainingssteuerung spricht.
Dass Hertha schon nach einer englischen Woche mit drei Spielen vor körperlicher Belastung ächzt, hat in den diversen Internet-Foren zu Verwunderung bis Spott geführt und zu der Folgerung, dass die Berliner sich doch dann lieber nicht für den Europapokal qualifizieren sollten. Gemach. Gemach. Ja, die Belastung würde im Fall der Fälle eine andere sein. Aber erstens weiß heute niemand, mit welchem Kader Hertha in die Saison ginge, wenn man von vornherein weiß, dass man eine Doppel- oder Dreifachbelastung zu bewältigen hat. Und zweitens kann man der aktuellen Mannschaft nur schwer vorwerfen, dass sie Schwierigkeiten hat mit einer Situation, die sie bisher gar nicht kennt.
Auffällig ist allerdings, dass die Berliner über ähnliche Probleme auch schon im Herbst geklagt haben, als sie ebenfalls drei Spiele in einer Woche bestreiten mussten: in Ingolstadt und gegen Gladbach in der Liga, dazwischen im Pokal beim Zweitligisten FSV Frankfurt. Das lässt erst einmal nichts Gutes befürchten für die vermeintliche Festwoche im Berliner Olympiastadion Ende April. Erst kommt Borussia Dortmund zum Pokal-Halbfinale und am Wochenende drauf der FC Bayern München. Die Münchner kennen sich nicht nur besser mit der Doppelbelastung aus, sie werden aller Voraussicht nach auch einen Tag mehr Pause gehabt haben als Hertha, da ihr Halbfinale gegen Werder Bremen am Dienstag ausgetragen werden wird.
12.45 Uhr - Die Konkurrenz rückt näher. Nutznießer der Gladbacher Niederlage in Hamburg war unter anderem Hertha BSC. Die Berliner wären bei einem Sieg der Borussia in der Tabelle der Fußball-Bundesliga auf Platz fünf gefallen. So sind die Berliner nach der ersten Pflichtspielniederlage seit Ende November immerhin noch Vierter. Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Für eine Mannschaft, die vor neun Monaten mit Ach und Krach den Verbleib in der Fußball-Bundesliga geschafft hat, ist das nichts, wofür man sich entschuldigen muss.
Und trotzdem durchzieht die Berichterstattung der Berliner Medien zur 0:2-Niederlage in Stuttgart ein kritischer Unterton. So schreibt die „Berliner Morgenpost“: „Die Leistungskurve bei Hertha BSC zeigt seit dem Rückrundenstart nach unten.“ Und weiter: „Nach furiosen Monaten besteht das Problem (...) in einer rückläufigen Tendenz der eigenen Leistungsfähigkeit seit Beginn der Rückrunde.“ Hertha 2016 sei noch nicht wieder wie Hertha 2015.
In der „Berliner Zeitung“ heißt es: „Der Elan der Hinserie ist abgeflaut. Gegen Augsburg hatten die Berliner sich kaum Chancen erspielt, in Bremen nicht abgezockt genug verteidigt und gegen Dortmund die Möglichkeiten nicht genutzt.“
Bis zum Spiel in Stuttgart war die Bilanz Herthas im Jahr 2016 im Wortsinne unentschieden. Drei Spiele, drei Unentschieden. Es war fast klar, dass die nächste Begegnung die Grundierung für die nächsten Wochen vorgeben würde: Ein Sieg – weiter ungeschlagen: Alles top. Eine Niederlage - uiuiui, seit vier Spielen ohne Sieg: Gefährliche Tendenz.
Dass die Berliner nicht so locker-flockig weiterspielen würden wie vor der Winterpause, kommt nicht ganz überraschend. Trainer Pal Dardai hat ja selbst gesagt: „Wir sind da oben, weil die großen Mannschaften Fehler gemacht haben.“ Hertha hingegen hat eher am Limit gespielt. Die Gegner haben sich zudem besser auf das Spiel der Berliner eingestellt, hinzu kommt bei den Spielern möglicherweise das Gefühl, dass sie jetzt was zu verlieren haben.
Nach dem letzten Hinrunden-Spieltag habe ich kurz mit Herthas ehemaligem Kapitän Peter Niemeyer gesprochen. Er hatte gerade mit Darmstadt in Mönchengladbach verloren, Hertha hingegen unmittelbar zuvor mit dem Sieg gegen Mainz einen erfolgreichen Abschluss der Hinrunde gefeiert. „Wahnsinn“, sagte Niemeyer, „die spielen nächstes Jahr Champions League.“
Damals hatte Hertha drei Punkte Abstand auf den Vierten Borussia Mönchengladbach. Dieser Abstand ist gleich geblieben, allerdings sind die Gladbacher inzwischen nur noch Siebter. Leverkusen (nach der Hinrunde fünf Punkte zurück) ist dank der besseren Tordifferenz an Hertha vorbeigezogen. Schalke (im Winter fünf Punkte zurück) und Mainz (acht Punkte) sind bis auf zwei Punkte herangerückt. Und selbst die Wolfsburger, die am Samstag im Olympiastadion antreten werden und in der Rückrunde nicht gerade durch sportliche Glanzleistungen aufgefallen sind, haben den Abstand auf die Berliner von sechs auf fünf Punkten verkürzt. Mit anderen Worten: Wenn es für Hertha am Wochenende ganz doof läuft, könnte die Mannschaft erstmals seit dem sechsten Spieltag aus den Europapokalrängen fallen.
Defensive wird überschätzt: Borussia Mönchengladbach hat ein ernstes Problem
11.30 Uhr – Toreschießen leicht gemacht. Kommen wir zum Gegner der Hamburger vom Sonntag. Borussia Mönchengladbach hat im Volkspark eine große Chance versäumt, sich dort festzusetzen, wo der Klub von der Qualität seines Kaders eigentlich hingehört: in den Europapokalrängen. In Hamburg kassierten die Gladbacher im vierten Rückrundenspiel die dritte Niederlage - mit der Folge, dass sie zum ersten Mal seit Oktober nicht mehr im oberen Drittel der Tabelle und damit den Europapokalrängen auftauchen. Borussias Sportdirektor Max Eberl war nach der dritten Auswärtsniederlage hintereinander auch entsprechend angefasst: „Wir haben das Spiel hergegeben nach dem Motto: Das werden wir eh gewinnen. Aber man gewinnt eben in der Bundesliga nicht irgendwie.“
Eberl hat hinterher trotzdem versucht, dem Eindruck entgegenzutreten, dass sich bei seiner Mannschaft ein gefährlicher Trend verfestigt. Leugnen lässt sich allerdings nicht, dass die Schwäche der Defensive mehr ist als ein punktuell auftretendes Problem. Die Gladbacher machen dem Gegner das Toreschießen weiterhin viel zu leicht - und das schon seit Saisonbeginn und unabhängig vom Trainer. Die Treffer der Hamburger waren die Gegentore 36 bis 38 in dieser Spielzeit. Das erste und das dritte Tor der Hamburger fielen nach einer Ecke, das zwischenzeitliche 2:1 nach einem simplen Abschlag des Hamburger Torhüters René Adler. Insgesamt haben die Gladbacher in dieser Saison bereits 18 Gegentore nach Standards kassiert - in der gesamten vorigen Saison waren es sieben.
(In diesem Zusammenhang eine Frage an alle Hobbytrainer und Taktikfreaks. Beim 3:1 der Hamburger verlängert Spahic den Eckball an den Fünfmeterraum zu Ivo Iicevic, der völlig frei steht und problemlos einköpfen kann. Ist das nicht ein systemimanentes Problem? Die Gladbacher verteidigen - wie die meisten Mannschaften - bei Standards im Raum, postieren ihre Abwehrkette etwa an der Torraumlinie. Zugleich aber bewacht ein Spieler (in diesem Fall Ibrahima Traoré den langen Pfosten). Wie verhindert man es also, dass ein gegnerischer Spieler sich ungehindert in diesem Raum aufhalten kann - zumal er wegen des Spielers am Pfosten nicht im Abseits steht?)
Damit zurück zu den Gladbachern. „RP online“ hat nachgerechnet: „In 16 Spielen unter André Schubert hat die Borussia jetzt so viele Tore zugelassen wie in der gesamten Vorsaison unter Lucien Favre.“ Dass Schubert einen anderen Ansatz verfolgt als sein Vorgänger, ist vor drei Wochen auch schon an dieser Stelle erörtert worden. Inzwischen aber wachsen in Mönchengladbach die Zweifel, ob diese Art von Fußball – Egal, wie viele Tore der Gegner schießt, wir schießen einfach eins mehr – am Ende den erhofften Erfolg bringen wird. Das Online-Portal "Torfabrik.de" kommentiert die Situation der Gladbacher so: "Das zu Beginn der ,Schubert-Zeit’ abgefeierte Offensivpressing sieht man allenfalls noch in Ansätzen. Durch die insgesamt höhere Positionierung gibt es zwar einige Ballgewinne, aber eben auch die brutale Anfälligkeit für Anspiele zwischen die Linien oder in den Rücken der Abwehr. (...) Es ist für jede Mannschaft nach wie vor viel zu einfach, gegen Gladbach zu Torchancen zu kommen. Die defensive Kompaktheit, die Grundlage für den erfolgreichen Fußball in den letzten Jahren, ist abhandengekommen. Es wäre fahrlässig, die Gegentorflut weiter zu ignorieren. Drei Niederlagen in vier Spielen verbieten ein einfaches ,weiter so’“.
Der Blog "Halbangst.de" rechnet nach dem Spiel in Hamburg mit Trainer Schubert ab ("Schubikalypse"): "Wieder einmal gab es Kirmesfußball. Spätestens nach der 2:3-Niederlage sollte bei den meisten angekommen sein: Mit diesem Defensivverhalten endet die Saison im Ödland des Mittelfelds." Der „Kicker“ hat die Borussen nach dem Auftritt in Hamburg „weit weg von dem Niveau einer Spitzenmannschaft“ verortet und sich erschrocken gezeigt über „das teilweise chaotische und orientierungslose Defensivverhalten“. Die Boulevardzeitung „Express“ schrieb: „Es war der Tag des offenen Fohlenstalls!“ Das Problem ist: Aus einem Tag des offenen Fohlenstalls sind bei der Borussia inzwischen Wochen und Monate geworden.
Artjoms Rudnevs: Symbolfigur des Hamburger Widerstands
10.30 Uhr – Releeeegaaaaatioooon! Gestern am frühen Nachmittag in der S 21 vom Hamburger Hauptbahnhof nach Stellingen, auf dem Weg ins Volksparkstadion. Ein HSV-Fan fängt an zu singen: „Wir werden Sechzehnter! Schießen den Betze ab! Re-le-ga-tion, wir freu’n uns schon.“ Großes Gelächter.
Anfang der Saison habe ich an dieser Stelle feierlich verkündet, nichts mehr zum Hamburger SV zu schreiben, der in der vergangenen Spielzeit ja so etwas wie der rennende schlechte Witz in dieser Rubrik war. Am Sonntagnachmittag sah es kurz so aus, als könnte ich mein Versprechen nicht länger aufrecht erhalten. Da schien der HSV auf dem besten Weg, das Relegations-Triple perfekt zu machen. Sechs Spiele ohne Sieg und nun gegen den Champions-League-Anwärter Borussia Mönchengladbach im eigenen Stadion 0:1 zurück. Das weckte Erinnerungen an die vergangene Saison.
Was danach kam, war ein recht beeindruckender Beleg dafür, dass die Hamburger Spieler - anders als der Fan aus der S-Bahn - offensichtlich keinen Bock auf die Relegation haben. Auch wenn Gladbachs Sportdirektor Max Eberl später sagte: „Der HSV hat heute nicht gewonnen, wir haben verloren.“ Die Hamburger verbissen sich regelrecht in dieses Spiel, angeführt von Artjoms Rudnevs, der nicht nur das wegweisende 2:1 kurz vor der Pause erzielt hatte, sondern die Gladbacher nie zur Ruhe kommen ließ. Am Ende wurden für den in der 79. Minute ausgewechselten Stürmer 39 Sprints notiert - so viele wie bei keinem anderem Spieler auf dem Feld.
Vielleicht liegt es daran, dass Borussia Mönchengladbach so etwas wie der zertifizierte Lieblingsgegner des Letten ist. Gegen den Klub schoss er 2012 sein erstes Bundesligator überhaupt, und am Sonntag feierte er gegen die Gladbacher eine Art sportlicher Wiederauferstehung. Zum ersten Mal seit einem Jahr stand er wieder in der Startelf, anstelle des zuletzt enttäuschenden Pierre-Michel Lasogga. In der Vorrunde hatte es Rudnevs kein einziges Mal in den Kader geschafft, auffällig wurde er nur durch private Eskapaden.
Am Sonntag, beim 3:2-Sieg des HSV gegen Gladbach, stieg Rudnevs zur Symbolfigur des Hamburger Widerstands auf. Nach dem Spiel musste er zum Abfeiern auf den Zaun vor der Fankurve. Das Schlimmste scheint der HSV erst einmal abgewendet zu haben. Der Abstand auf den Relegationsrang beträgt nun wieder sechs Punkte.
In der Pressekonferenz nach dem Spiel wurde es kurz dunkel. „Ah“, sagte Gladbachs Trainer Andre Schubert, „in Hamburg gehen die Lichter aus.“ Darauf Jörn Wolf, der Pressesprecher des HSV: „Die Zeiten sind vorbei.“
9.30 Uhr – Mach mir den Norbert Meier! Ein kurzer Nachtrag noch zum Thema Fairplay. Diesmal ein erfreulicher. Im Spiel zwischen dem 1. FC Köln und Eintracht Frankfurt kam es am Samstagabend zu einem Tête-à-tête zwischen Anthony Modeste und Marc Stendera. Man kennt das ja: Da stehen sich zwei junge Männer Gesicht an Gesicht gegenüber, und weil der eine kurz mit dem Augenlid zuckt, sackt der andere plötzlich zu Boden, als hätte ihm einer der Klitschkos einen rechten Haken an die Schläfe verpasst. Der andere war in diesem Fall der Kölner Modeste. Seinem Sportdirektor Jörg Schmadtke wurde die Szene später von Sky vorgespielt, und anstatt den Franzosen nun mit irgendwelchen wachsweichen Ausflüchten – machen doch alle o.ä. – zu verteidigen, geißelte er Modestes plumpen Täuschungsversuch auf das Heftigste. „Ich hab’ da keinen Bock drauf“, sagte Schmadtke. Er möge solche Schauspieleinlagen nicht bei anderen, und er möge das auch nicht bei seinen eigenen Spielern. „Der kriegt eine Ansage.“ Danke dafür!
Von Robben lernen heißt fliegen lernen
9.00 Uhr - Fairplay lohnt sich nicht. In der vergangenen Woche hat es mal wieder einige Aufregung um Arjen Robben gegeben und um seine Angewohnheit, dem Schiedsrichter bei Elfmeterentscheidungen eine gewisse Entscheidungshilfe an die Hand zu geben. Völlig zu Unrecht, wie man nach den Ereignissen des vergangenen Bundesliga-Wochenendes sagen muss. Oder ganz konkret nach dem, was sich am Samstag Mitte der ersten Halbzeit im Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und Hertha BSC im Berliner Strafraum zugetragen hat. Der Stuttgarter Stürmer Timo Werner kurvte mit dem Ball leichtfüßig durch das unwirtliche Gelände, so leichtfüßig, dass Herthas Verteidiger John Anthony Brooks das Gleichgewicht verlor, stürzte und Werner unglücklich am Fuß erwischte. Der Stuttgarter taumelte nun ebenfalls, doch anstatt die Einladung anzunehmen und den Robben zu machen - Arme nach oben, Oberkörper durchstrecken und dann im Tiefflug durch den gegnerischen Sechzehner -, versuchte Werner mit letzter Kraft auf den Beinen zu bleiben. Er krabbelte auf allen Vieren über den Rasen, rappelte sich wieder auf und spielte weiter. Die schöne Chance aber war leider dahin.
Tja, selbst schuld. Von Arjen Robben heißt fliegen und siegen lernen. Der Stürmer des FC Bayern München hatte am Mittwoch im Pokalspiel gegen den VfL Bochum in einer ähnlichen Situation (leichte Berührung seines Fußes) das volle Flugprogramm gestartet und seiner Mannschaft auf dieser Weise einen Elfmeter verschafft und dem Bochumer Jan Simunek eine Rote Karte eingebrockt.
Man kann jetzt über Robben herziehen, aber wenn der Schiedsrichter dieses Schauspiel nun einmal braucht. Warum hat Christian Dingert nach der unscheinbaren, aber wirkungsvollen Berührung von Brooks, die eine gute Chance des VfB vereitelt hat, nicht auch auf Elfmeter für die Stuttgarter entschieden? Weil Werner nicht spektakulär geflogen ist, sondern sich sittlich einwandfrei verhalten hat? Oder anders gefragt: Ob Timo Werner wohl beim nächsten Mal in einer vergleichbaren Situation ähnlich handeln wird? Oder ob er nicht doch ein bisschen nachhilft und den Robben macht? Wir verlangen Ehrlichkeit von den Spielern. Das Problem ist, dass Ehrlichkeit bestraft wird, zumindest war das bei Timo Werner so.