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Die Berliner Johannes van den Bergh (links) und Salomon Kalou ärgern sich, dass Hertha gegen Werder noch eine 3:1-Führung verspielt hatte.
© dpa

Nach dem 3:3 bei Werder Bremen: Hertha BSC ist ein Spitzenteam in Ausbildung

Beim 3:3 gegen Werder Bremen zeigt Hertha BSC, dass der Mannschaft noch die Cleverness fehlt, ein Chaos zu kontrollieren.

Eigentlich ist es ein gutes Zeichen, wenn sich im Spiel einer Mannschaft die Art ihres Trainers widerspiegelt und seine sogenannte Handschrift zweifelsfrei zu entziffern ist. Das trifft auch auf Hertha BSC zu. In Herthas Mannschaft kann man eine Menge von Pal Dardai erkennen. Sie ist widerstandsfähig, geradlinig, kompromisslos – genau wie ihr Trainer. Aber am Samstag, beim 3:3 in Bremen, ist der Ungar seinen Spielern möglicherweise ein schlechtes Vorbild gewesen. 20 Minuten vor dem Ende hat er ein wenig die Contenance verloren. Nach dem 3:1 durch Salomon Kalou sah man Dardai die Seitenlinie entlang flitzen wie noch nie, er sprang dem Vorbereiter Johannes van den Bergh um den Hals und nahm ihn in den Schwitzkasten. „Eigentlich mache ich so einen Riesen-Torjubel nicht“, sagte Dardai später, „aber ich war so glücklich für Jojo.“

In der Folge erlebte Herthas Trainer bei seiner Mannschaft einen bedenklichen und vor allem ungewöhnlichen Kontrollverlust. Nur sechs Minuten nach dem 3:1 stand es nach zwei Toren von Claudio Pizarro 3:3, so dass Dardai am Tag danach eingestehen musste: „Wir haben zwei Punkte verschenkt. Das tut schon weh.“

Zwei Tore Vorsprung gegen den Drittletzten der Fußball-Bundesliga – normalerweise lässt sich Hertha bei einer solchen Konstellation den Sieg nicht mehr aus der Hand nehmen. Dazu ist die Mannschaft inzwischen zu clever, zu effizient, zu gut organisiert. All das war auch in Bremen wieder zu sehen, allerdings nur eine gute Stunde lang. „Wir spielen 50, 60 Minuten genau so, wie wir das wollen“, sagte Dardai. Doch als es in die finale Phase ging, zogen die Bremer Hertha gewissermaßen auf ihr Niveau hinunter.

Die Gäste ließen sich ein wildes Spiel aufzwingen, in dem sie erst die Ordnung einbüßten und letztlich jegliche Kontrolle über das Geschehen. Die Bremer haben es in dieser Disziplin durchaus zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Auf eine ähnliche Weise haben sie sich im Dezember für das Viertelfinale im DFB-Pokal qualifiziert, als sie beim Champions-League-Teilnehmer Borussia Mönchengladbach nach 1:2-Rückstand noch 4:3 gewannen.

„Das in der zweiten Halbzeit ist einfach nicht unser Spiel“, sagte Herthas Innenverteidiger Sebastian Langkamp. „Da müssen wir ein bisschen cooler bleiben.“ Schon nach Bremens Anschlusstreffer zum 1:2 hatte das Spiel eine ganz eigene Dynamik bekommen, die letztlich auch für die Berliner nicht mehr beherrschbar war. Nicht einmal nach ihrem prompten Tor zum 3:1. Oder gerade danach nicht. „Man muss nicht sofort das vierte Tor suchen“, sagte Dardai, „man muss den Ball verstecken und den Gegner müde laufen lassen.“ Stattdessen ließ sich seine Mannschaft von der Euphorie des Moments entflammen. „Das war Naivität“, sagte Herthas Trainer. „Aber ich kann der Mannschaft keinen Vorwurf machen. Sie hat eine solche Situation, in der so viel Chaos herrscht, noch nicht erlebt.“

Große Teams beherrschen das Chaos, Hertha tat es nicht. Weshalb Rechtsverteidiger Mitchell Weiser nicht ganz zu Unrecht zu der Erkenntnis gelangt war, dass Hertha trotz Platz drei noch kein Spitzenteam ist: „Warum, das hat man hier gesehen.“ In den entscheidenden Momenten fehlte den Berlinern die Cleverness. „Wir sind immer noch die netteste Mannschaft“, sagte Dardai. Der Gegner habe den Spielfluss immer wieder mit taktischen Fouls unterbunden, seine Spieler seien blau und lila getreten worden, berichtete er. Hertha aber scheute vor solchen Mitteln zurück. „Eine Top-Mannschaft tut nach einer 3:1-Führung andere Dinge“, sagte Herthas Trainer. „Daraus müssen wir lernen.“

Hertha ist eben noch eine Spitzenmannschaft in Ausbildung. Deshalb wertete Dardai das Spiel in Bremen sogar als Fortschritt im Vergleich zum 0:0 gegen Augsburg, die offensive Aggressivität sei deutlich besser gewesen, nur in der Defensive habe sie noch gefehlt. Trotzdem: Entscheidend ist für Dardai, dass die grobe Richtung stimmt. Und dafür spricht auch, dass sich John Anthony Brooks für einen Verbleib bei Hertha entschieden hat. Der Innenverteidiger, 23 Jahre alt, hochtalentiert und entsprechend begehrt, hat seinen Vertrag bis 2019 verlängert. „In unseren Planungen für die Zukunft spielt John eine tragende Rolle“, sagt Herthas Manager Michael Preetz.

Brooks, von Schalke und Wolfsburg umworben, hätte alle Möglichkeiten gehabt, schon im Sommer für einen fertig ausgebildeten Spitzenverein zu spielen. Dass er in Berlin bleibt, zeigt, dass er in Hertha durchaus Potenzial sieht. Für seinen Trainer Pal Dardai ist Brooks’ Vertragsverlängerung jedenfalls „ein schönes Signal“. Das Signal, dass sie bei Hertha noch längst nicht fertig sind.

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