Hertha BSC: Pal Dardai: Mit Bauch und Kopf
In einem Jahr als Cheftrainer hat Pal Dardai Hertha BSC weit voran gebracht. Und das soll erst der Anfang sein.
Vor kurzem hat sich Pal Dardai eine ungewöhnliche Schludrigkeit erlaubt. Der Trainer von Hertha BSC war im Aktuellen Sportstudio zu Gast, und wie alle Gäste seit Menschengedenken musste auch Dardai am Ende der Sendung, schon nach Anbruch der Geisterstunde, an der Torwand antreten.
Voller Elan ging der Ungar ans Werk und schlenzte den Ball gleich im ersten Versuch auf das Loch oben links. Dass im Sportstudio seit mehr als fünf Jahrzehnten zuerst dreimal auf das Loch rechts unten geschossen wird, wusste Dardai leider nicht. Der überzeugte Früh-zu-Bett-Geher hatte die Sendung noch nie zuvor gesehen. „Vielleicht hätte ich ein bisschen trainieren sollen“, hat Dardai später gesagt – nachdem er ohne jeden Treffer geblieben war.
Es passiert nicht oft, dass man dem 39-Jährigen mangelnde Vorbereitung vorwerfen kann. Eigentlich passiert es nie. Dass seine Mannschaft Dritter der Fußball-Bundesliga ist, mag nach der Vorgeschichte aus der Vorsaison eine Überraschung sein. Ein Produkt des Zufalls aber ist es ganz sicher nicht. „Wir sind fleißig“, sagt Dardai. „Wir haben unsere Richtung. Wir haben uns weiterentwickelt.“
Am Freitag wird es exakt ein Jahr her sein, dass Dardai über Nacht von Herthas U 15 zum Cheftrainer der Profis befördert worden ist. Da hatte die Mannschaft gerade 0:1 gegen Leverkusen verloren und war in der Tabelle auf Platz 17 abgerutscht. Inzwischen hat Dardai 34 Bundesligaspiele hinter sich, eine komplette Saison gewissermaßen, und in dieser Zeit 51 Punkte geholt. In drei von vier der vergangenen Spielzeiten hätte diese Ausbeute für den Europapokal gereicht. Eine solche Entwicklung war vor einem Jahr nicht abzusehen. Oder doch, Pal Dardai? „Ich will nicht hochnäsig sein“, antwortet er. „Aber im Sommer habe ich gesagt: Ich will etwas durchziehen. Und davon bin ich voll überzeugt.“
Pal Dardai ist schon immer ein Kämpfer gewesen
Im Grunde ist die aktuelle Mannschaft nicht mit der zu vergleichen, die sich vor einem Jahr zum Klassenerhalt gebolzt hat. Damals hat allein die Rettung gezählt, der Fußball musste warten. „Pal war richtig gut“, hat Per Skjelbred im Sommer über den Abstiegskampf erzählt. „Er hat gesagt: ,Kein Stress, Jungs!'“ Es war auch die Einsicht in die limitierten Möglichkeiten seiner Mannschaft.
Nur einmal, ganz am Anfang, hat Dardai gedacht, die Spieler wären schon weiter. Nach seinem gelungenen Debüt mit einem Sieg in Mainz beschloss er, seine Spieler zu Hause gegen den SC Freiburg Fußball spielen zu lassen. „Ich habe die Situation unterschätzt“, hat Dardai gerade im Interview mit dem „Kicker“ zugegeben. Die Mannschaft war total verunsichert, das Spiel ging 0:2 verloren. „Da wusste ich: Das geht nicht, wir müssen zuerst kompakt stehen.“
Eine kleine Begebenheit vom Trainingsauftakt im Sommer. Ein paar hundert Fans sind gekommen, einer stellt seinem Nebenmann die Spieler vor, „und der Dicke ist der Trainer“. Dardai hat sich im Urlaub ein kleines Bäuchlein angefuttert, aber in den Tagen danach wird man den Trainer so lange beim Joggen entdecken, bis der Bauch wieder weg ist. Dardai ist schon immer ein Kämpfer gewesen. Auch als Trainer hat man ihn anfangs für einen Bauchmenschen gehalten, der vor allem seiner Intuition folgt und von seinen Erfahrungen zehrt. Aber wahrscheinlich hat man ihn auch da wieder unterschätzt – so wie er auch als Spieler immer ein bisschen unterschätzt wurde, weil er nicht so elegant passen konnte wie andere.
Dardai weiß, wie er mit einer Mannschaft umgehen muss; das hat er schon als Kind von seinem Vater gelernt. Pal senior, so erzählt es Pal junior, war als Trainer einerseits Partner seiner Spieler, hat ihnen aber auch immer klar gezeigt, wo die Grenzen sind. Wie der Vater, so führt jetzt auch der Sohn seine Spieler. Die Leine ist lang – und trotzdem immer unter Spannung. Aber seit dem Sommer hat Herthas Trainer sein Image um eine entscheidende Facette erweitert. Intuition ist das eine, ein klarer Plan das andere. Dardais Mannschaft spielt, wie sie trainiert. Und sie trainiert gut. Stets intensiv, immer mit Zug, dazu möglichst wettkampfnah. Auch deshalb widerspricht Dardai der Idee, dass Herthas Aufschwung etwas mit Glück zu tun habe.
Lässt sich jetzt natürlich leicht behaupten. Lässt sich aber auch belegen mit dem, was Dardai im Sommer vorhergesagt hat. Dass er seiner Mannschaft damals zehn Punkte mehr prophezeit hat als in der Vorsaison, könnte sich, Stand heute, ja sogar als eher defensive Schätzung erweisen. „Wir haben nie gelogen“, sagt Pal Dardai. Bisher ist sein Stufenplan aufgegangen. „Es geht nach einer Reihenfolge: Fitness, Kontrolle, Fußball spielen, Punkte sammeln.“ Und laut Plan soll das erst der Anfang sein.