Potsdams Oberbürgermeister geht in den Ruhestand: "Ich werde ganz sicher nicht Rosen züchten"
Als Oberbürgermeister hat Jann Jakobs (SPD) Potsdam 16 Jahre lang regiert, eine Ära geprägt. Jetzt wird er in den Ruhestand verabschiedet. Im PNN-Interview spricht er offen wie nie über sein Verhältnis zur Macht, die Melancholie, die das Loslassen mit sich bringt - und seinen skurrilen ersten Arbeitstag in Potsdam.
Herr Jakobs, Sie waren 16 Jahre lang Oberbürgermeister von Potsdam. Wir haben mal nachgeschaut, welchen Platz Sie im Ranking der am längsten regierenden Potsdamer Rathauschefs seit 1809 einnehmen. Was glauben Sie?
Keine Ahnung.
Sie liegen auf Platz 6 von 21.
Echt?
Ja. Man kann also für Potsdam getrost von einer Ära Jakobs sprechen. Dabei wurden 1993, als Sie von Spandau als Jugendamtschef nach Potsdam wechselten, im Stadthaus Wetten abgeschlossen, wie lange der „West-Aufbauhelfer“ durchhalten würde.
Stimmt, daran kann ich mich noch unheimlich gut erinnern. Das war nämlich Thorsten Metzner, der das geschrieben hat – in Ihrer Zeitung. Da hab ich gedacht: Na, das ist ja eine Sache, auf die du dich da einlässt. Aber Potsdam galt damals auch unter Jugend- und Sozialamtsfachleuten als ganz schwieriges Pflaster.
Warum?
Die Stadt galt als eigenbrötlerisch. Wenn sich die entsprechenden Fachleute aus Brandenburgs Städten getroffen haben, war Potsdam nie dabei. Das war terra incognita. Aber darin lag für mich dann auch ein gewisser Reiz.
War es dann so schlimm, wie es beschrieben wurde?
Na ja, es hatte schon einen etwas eigenwilligen Charakter. Man musste sich sehr schnell einweben und zudem auch als politischer Akteur begreifen. Das war für mich etwas ganz Neues.
Inwiefern?
In Spandau waren Verwaltung und Politik sehr stark getrennt. Die Kontakte zur Politik liefen also vor allem über die Beigeordneten. In Potsdam habe ich dann die Erfahrung gemacht, dass man die Dinge selbst in die Hand nehmen muss, wenn man etwas erreichen will. Es galt ja schwierige Entscheidungen zu treffen.
Welche waren das?
Zum Beispiel mussten Kitas geschlossen werden. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Arbeitstag. Achtung, jetzt kommt eine Anekdote, die ist klasse ...
Erzählen Sie!
Alles fing schon damit an, dass ich am ersten Tag 300 Unterschriften leisten musste ...
... als Jugendamtsleiter? Warum denn das?
Weil mein Vorgänger entschieden hatte, dass jede Lebensmittellieferung an eine Kita in Potsdam über den Schreibtisch des Jugendamtsleiters gehen und das als „sachlich und rechnerisch richtig“ gezeichnet werden muss. Ich hab diesen Wahnsinn nur zwei Wochen mitgemacht und dann beendet. Um halb sechs war ich jedenfalls damit fertig, hab mich zurückgelehnt und gedacht: Das war also dein erster Arbeitstag.
Aber der war noch nicht zu Ende?
Nein. Das Telefon klingelte und eine leicht aufgeregte Stimme sagte: „Schönen guten Tag, Funke mein Name.“ Ich darauf: „Tut mir leid, aber der Name sagt mir gar nichts.“ Die Stimme: „Na, den sollten Sie sich aber merken, ich bin nämlich der Büroleiter des Oberbürgermeisters.“ Ich entschuldigte mich, dass dies mein erster Tag sei. Er darauf: „Ich ersuche Sie dringend, beruhigend auf eine aufgebrachte Menge vor dem Rathaus einzuwirken!“
An Ihrem ersten Tag?!
Ja. Ich sagte, das sei doch vielleicht eher Sache der Jugendstadträtin...
Das war damals ihre Parteigenossin Hannelore Knoblich.
Genau. Die hatte Christian Funke aber schon den ganzen Tag vergeblich zu erreichen versucht. Ich habe die ganze Zeit gedacht, ein Kumpel will mich reinlegen. Dann gehe ich raus und sehe 150 Leute da stehen, die gegen die Schließung von Kitas protestieren. Sofort wurden Kameras auf mich gerichtet und mir Mikrofone unter die Nase gehalten. Und ich habe erklärt, warum sechs oder sieben Kitas geschlossen werden müssen. Später rief mich dann Frau Knoblich an. Sie hatte einen Außer-Haus-Termin und Handys gab’s damals noch nicht.
Da beantwortet sich die nächste Frage ja fast schon von selbst, nämlich, ob das Regieren damals leichter oder schwerer war als heute.
Es war schon eine unheimlich schwierige Zeit. Die Kitas, die damals ja noch von der Stadt betrieben wurden, mussten wir wegen des starken Geburtenrückgangs nach der Wende schließen. Das hieß aber auch, dass wir Erzieherinnen entlassen, dabei aber einen möglichst sozialverträglichen Stellenabbau hinbekommen mussten. Bei den Jugendeinrichtungen ging das weiter. Das waren alles vollkommen ungeordnete Zustände. Die Menschen hatten Angst um ihren Arbeitsplatz. Das einigermaßen sozial abzufedern, war meine erste große Herausforderung und die war zum Teil ziemlich hart.
War das schon die Reifeprüfung, nach der Sie für sich entschieden haben, dass Sie noch zu Höherem berufen sind?
Das kann man so nicht sagen, denn das alles hat sich ja langsam entwickelt. Ich habe den Job des Jugendamtsleiters gern gemacht, weil dieser Bereich damals sehr viel zu bieten hatte. Für die Horte etwa waren noch die Schulen zuständig. Es musste viel umstrukturiert werden, aber ich hatte das Gefühl, das schaffen zu können.
Gab es noch andere Probleme?
Die Hausbesetzungen waren ein großes Thema. Ich erinnere mich noch gut an den brennenden Dachstuhl in einem Haus in der Gutenbergstraße. In einer sehr aufgeheizten Atmosphäre habe ich dem Oberbürgermeister Horst Gramlich dann einen Vorschlag gemacht.
Welchen?
Zum einen keine neuen Hausbesetzungen mehr zuzulassen, zum anderen aber auch, den Besetzern eine Perspektive zu bieten, neue Trägermodelle zu entwickeln. Damals standen gerade in der Innenstadt ja viele Häuser leer, trotzdem herrschte Wohnungsnot. Solche Dinge haben mir Spaß gemacht und sie haben auch dazu geführt, dass mich die politische Führung in Potsdam zunehmend wertgeschätzt hat. So wurde ich dann schließlich Sozialbeigeordneter.
Dann wurde Horst Gramlich 1998 abgewählt und Matthias Platzeck neuer Oberbürgermeister.
Ja, und der wollte mich dann gleich als Stellvertreter. Und als Matthias Platzeck 2002 Ministerpräsident wurde, sollte ich dann Oberbürgermeister werden. Das war mir nicht in die Wiege gelegt.
Es heißt, Sie hätten damals auch überredet werden müssen.
Na, ich konnte ja ahnen, was da auf mich zukommt. Es war auch familiär nicht so einfach. Für mich war klar, wenn ich Oberbürgermeister werde, müssen wir von Berlin nach Potsdam ziehen. Darauf musste sich die Familie erst einmal einstellen. Letztlich war es aber die richtige Entscheidung.
Das ist ja immerhin positiv.
Wie meinen Sie das?
Nun, nach 16 Jahren könnte man ja auch rückblickend feststellen, dass man etwas gemacht hat, was man eigentlich nie im Leben machen wollte.
Ich bin nicht nach Potsdam gekommen, um Oberbürgermeister zu werden, obwohl mir das viele unterstellt haben. Mir war schon klar, welche Probleme auf mich warten. Es ging um die Finanzierung der Buga-Nachnutzung, auch die Entwicklung der Potsdamer Mitte war nur angerissen. Das waren gewaltige Aufgaben, vor denen ich schon einen gewissen Respekt hatte. Aber ich habe es nicht bereut.
Platzeck wurde dann Ministerpräsident. Bei Ihnen fragt man sich unwillkürlich, warum aus Ihnen nie mehr wurde. Für einen Ministerposten wären Sie ja immer noch im besten Alter.
Ich muss Ihnen sagen, Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt zu sein, ist schon etwas Besonderes. Man ist Chef einer Verwaltung im wahrsten Sinne des Wortes. Man hält zwar für alles den Kopf hin, ist aber auch derjenige, der gestalten kann. Als Minister kann man das in dem Maße nicht. Ich hatte hier zwar nicht alle Freiheiten der Welt, aber doch erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten. Der Job ist vielseitig, ich habe Prominente getroffen, wiederholt auch große Persönlichkeiten erleben dürfen. Diese Möglichkeiten hätte ich anderswo so sicher nicht gehabt. Hinzu kommt, dass es mich politisch auch nie in andere Sphären getrieben hat. Davon abgesehen bin ich aber auch nie gefragt worden – Gott sei Dank.
Gilt das auch für die Zukunft?
Ja, das Thema Politik ist für mich abgeschlossen.
Was machen Sie denn dann künftig? Vielen, die einen Posten der Macht so lange inne hatten, fällt das Loslassen schwer.
Ich habe die Entscheidung ja selbst getroffen, nicht noch einmal anzutreten. Natürlich werde ich mich jetzt anderen Dingen widmen und bin dazu auch schon in Gesprächen. Ich werde also ganz sicher nicht Rosen züchten, den Rasen mähen und meine Frau nerven.
Und was genau wollen Sie tun?
Das verrate ich zu gegebener Zeit.
In Potsdam?
Auch in Potsdam.
Auch wenn Sie das Amt sehr erfüllt hat: Sicher gab es in all den Jahren auch mal einen Punkt, an dem Sie daran gedacht haben, alles hinzuschmeißen, oder?
Es gibt immer mal schwierige Situationen, in denen man sich fragt, warum man sich das angetan hat.
Welche waren das?
Das können Sie sich ja vielleicht sogar denken...
Sie meinen bestimmt die Stadtwerke-Affäre.
Genau. Das hat mir schon zugesetzt. Und das war auch die bedeutsamste Krise.
Es waren ja sogar zwei Stadtwerke-Affären. Die erste fegte 2011 Konzernboss Peter Paffhausen hinweg, weil er den Pro-Potsdam-Chef bespitzeln ließ. Fünf Jahre später mussten seine Nachfolger Wilfried Böhme und Holger Neumann wegen des Vorwurfs der Begünstigung und der Vetternwirtschaft gehen.
In der Tat waren das zwei Phasen. In Bezug auf die Ära Paffhausen ist damals auch von mir verkannt worden, dass man mit den Sachverhalten transparenter hätte umgehen müssen. Das laste ich mir auch an, dass ich damals den Ereignissen eher hinterher gerannt bin. Der zweite Punkt ist, dass ich nicht erkannt habe, dass man danach einen kompletten personellen Neuanfang hätte in die Wege leiten müssen. Hinterher ist man immer schlauer. Aber es ging ja auch um Schadensbegrenzung. Eine solche Affäre löst in einem Unternehmen auch etwas aus. Es ging darum, den Mitarbeitern die Sicherheit zu geben, dass es weitergeht. Und das schienen mir Böhme und Neumann damals durchaus zu verkörpern.
Aber auch da haben Sie sich geirrt.
Ja, das war ein Trugschluss, wie sich herausstellte. Aber letztlich haben wir mit der heutigen Stadtwerke-Führung, glaube ich, eine gute Wahl getroffen. Das gilt sowohl für Sophia Eltrop als auch für Jörn-Michael Westphal, der ein sehr hohes Maß an Ansehen und Glaubwürdigkeit genießt.
Trotzdem ist auch dieses Konstrukt mit Westphal, der ja parallel noch Chef der ebenfalls kommunalen Bauholding Pro Potsdam ist, fragwürdig.
Ich hätte es auch gern anders, nur haben wir im Moment keine personelle Alternative. Dass das nur eine Interimslösung ist, steht aber fest.
Man muss doch den Job einfach nur ausschreiben.
Das werden wir ja auch tun.
Und wann?
Das muss der neue Oberbürgermeister entscheiden.
Die Stadtwerke-Affären sind mahnende Beispiele für den Missbrauch von Macht. Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zur Macht?
Ein Oberbürgermeister ist Projektionsfläche für alles Mögliche. Die Mitarbeiter erwarten Orientierung und ab und an auch klare Entscheidungen. Dasselbe gilt für politische Prozesse. Da hilft es nichts, sich hinter Sachzwängen zu verstecken. Wenn bestimmte Dinge von allen Seiten beleuchtet und ausdiskutiert sind, muss man als Chef auch mal sagen: So machen wir das jetzt. Das erwarten die Menschen auch. Damit erntet man nicht immer nur Beifall, aber das muss man aushalten. Im Großen und Ganzen, glaube ich, habe ich diese Balance ganz gut hinbekommen.
Was sehen Sie persönlich als Ihren größten Erfolg an?
Wissen Sie, als ich 2002 gewählt wurde, hat ein damaliger Kollege von Ihnen, Günter Schenke, zu mir gesagt: „Der Erfolg Ihrer Amtszeit wird in hohem Maße davon abhängen, ob es Ihnen gelingt, die Potsdamer Mitte zu entwickeln.“ Er hatte Recht – und was das angeht, haben wir wirklich ein Aushängeschild für Potsdam geschaffen. Allein das Museum Barberini ist etwas ganz Grandioses. Die neuen Konzepte für das Fachhochschulgelände sind großartig. Und auch die Synagoge kommt, was mich ganz besonders freut. Aber es gibt noch mehr.
Nämlich?
Dass Potsdam eine klare Haltung hat, was Fremdenfeindlichkeit angeht. Das unterscheidet uns von Städten wie Dresden oder Chemnitz. Demokratische Grundwerte werden bei uns hoch gehalten und das ist mir sehr wichtig. Mit verschiedenen Protagonisten haben wir dann das Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ gegründet, Uni-Professor Heinz Kleger hatte die Idee der Neuauflage des Toleranzedikts. Das alles passte irgendwie zusammen. Letztlich hat uns das auch gefeit gegen Anfechtungen von Pogida. So etwas kann man nicht aus dem Boden stampfen, es muss wachsen. Und in Potsdam ist das ein sehr breites gesellschaftliches Bündnis geworden. Und es gibt noch einen dritten Punkt, der mir wichtig ist.
Bitte sehr.
Wir haben die Strukturen geschaffen, um das Wachstum der Stadt zu meistern. Die kommunalen Unternehmen sind gut aufgestellt, wir sind in der Lage, die Infrastruktur zu schaffen, Wohnungen, Schulen und Kitas zu bauen. Auch, wenn wir an der einen oder anderen Stelle gern weiter wären, sind wir doch auf einem guten Weg. Die Wirtschaftsdaten sind gut, wir haben insgesamt eine stimmige dynamische Entwicklung. Und darauf kann man auch stolz sein, finde ich.
Potsdams unbestreitbare Blüte hat auch Schattenseiten. Die Stadt wird reicher, nobler, dekadenter. Haben Sie als ehemaliger Sozialarbeiter noch ein ungebrochenes Verhältnis zur Stadt und dem Weg, den sie nimmt?
Ich sehe die Schattenseiten mit großer Sorge. Dass die Wohnungen immer teurer werden, dass der Wohnraum knapper wird – das sind Entwicklungen, die man nur bedingt steuern kann. Aber auch das habe ich aufgegriffen. Zusammen mit der Pro Potsdam und dem Land konnten wir Belegungs- und Mietpreisbindungen für Wohnungen erhalten, sodass die Mieten im Großen und Ganzen nur moderat steigen. Erschwerend war, dass es viele Jahre lang keine soziale Wohnraumförderung gab. Die gibt es jetzt wieder und keine Stadt in Brandenburg profitiert davon so stark wie Potsdam.
Und dennoch reicht es nicht.
Ja, aber wir tun so viel wir können. In den letzten beiden Jahren wurden insgesamt 3000 Wohnungen fertiggestellt. Bezogen auf die Bevölkerung haben wir damit – und das bescheinigen uns alle – mit die größten Aktivitäten im Wohnungsbau. Da sind wir auch besser als München und Berlin. Dennoch haben Sie letztlich recht: Wir können den Prozess nur dämpfen, nicht anhalten. Und gerade bei den sozial Schwächsten werden wir weiterhin großen Handlungsbedarf haben.
Vielfach ist ja inzwischen in Potsdam auch vom Verlust von Identität, von Heimat die Rede.
Ich glaube aber, dass die Stimmung da noch nicht umgekippt ist. Laut unserer jährlichen Zufriedenheitsumfrage bewerten gut 85 Prozent der Potsdamer die Entwicklung der Stadt grundsätzlich positiv. Das ist ein sensationell hoher Wert. Und es ist auch keineswegs so, dass den Menschen Am Stern oder im Bornstedter Feld die Entwicklung der Potsdamer Mitte egal ist. Die sind durchaus stolz darauf, was da geschaffen wurde und wird. Gehen Sie mal am Sonntag bei schönem Wetter über den Alten Markt. Da finden Sie nicht nur Touristen, sondern auch viele Potsdamer, die sich das angucken.
Welche Baustelle, die Sie hinterlassen, ärgert Sie am meisten?
Sie merken, ich zögere mit einer Antwort. Eigentlich denke ich, sind die wichtigsten Dinge geklärt.
Wie sehr hat das Amt Sie über die Jahre verändert?
Manche Dinge schleifen sich ein, werden zur Gewohnheit. Ich bin froh, dass ich stets in meinem engsten Umfeld Mitarbeiter hatte, die keine Hofschranzen waren, die mich auch mal geerdet haben, wenn es nötig war. Ich erinnere mich noch gut an einen Streit mit Wolfgang Hadlich...
... Ihrem früheren Büroleiter.
Genau. Ich war Spargel essen mit Inge Feltrinelli...
... der kürzlich verstorbenen berühmten Fotografin und Verlegerin ...
...und die war so begeistert, dass sie mich in die Villa Massimo nach Rom eingeladen hat. Und Hadlich sagte, da kannst du nicht nach Rom fahren, da tagt der Hauptausschuss. Ich wollte trotzdem und er sagte, nein, das machst du nicht! Kritische Stimmen um mich gehabt zu haben, das weiß ich sehr zu schätzen.
Im Gegensatz zu manch anderem ehemaligen leitenden Rathausmitarbeiter stehen Sie in dem Ruf, integer zu sein. Hatten Sie auch unmoralische Angebote?
Ja, klar.
Was für welche?
Das sage ich nicht. Natürlich ist man als Oberbürgermeister in einer besonders heiklen Situation – schließlich verfügt man schon qua Amt über viele Informationen, die andere nicht haben und aus denen sich Kapital schlagen ließe. Nicht immer hat das etwas mit Geld zu tun, manchmal geht es auch um Schmeichelei, um Zugänge, die man als Normalbürger nicht bekommen würde. Potsdam birgt da so allerlei Fallstricke, auch aufgrund der Prominenz, die hier lebt.
Wie haben Sie sich gegen solche Verlockungen gewappnet?
Ich glaube, dass ich da einen ganz gesunden inneren Kompass habe. Außerdem holt einen ja auch die Familie immer wieder runter. Am Wochenende sagt dann meine Frau, heute bist du mal nicht Oberbürgermeister, sondern gehst Mineralwasser einkaufen – und rede dich nicht damit raus, dass du von Bürgern angesprochen und aufgehalten wurdest: Um 17 Uhr bist du wieder hier!
Ihr Vorgänger Matthias Platzeck hat einmal sinngemäß gesagt, als Oberbürgermeister mache man einen Job, bei dem das Problem nicht mehr wegdelegiert werden könne, weil es direkt an die Tür klopft. Welches Bürgerproblem ist Ihnen am nachdrücklichsten in Erinnerung geblieben?
Es gab immer wieder einzelne Fälle von Bürgern in Notlagen, bei denen ich gerne geholfen hätte, es aber nicht konnte. Das ging von Rückübertragungsansprüchen über Rentenzahlungen bis hin zu Ehescheidungen. Am meisten hat mir das Verschwinden und die Ermordung des kleinen Elias zugesetzt. Da fehlen einem die Worte, man leidet mit. Bei der Trauerkundgebung am Schlaatz wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Aber es ist wichtig hinzugehen und etwas zu sagen – für andere, die genauso empfinden. Auch dafür muss ein Oberbürgermeister da sein.
Wenn man Sie so reden hört, fällt es schwer sich vorzustellen, wie Sie ab nächster Woche ruhig zu Hause sitzen und Däumchen drehen. Sie bekommen ja trotzdem mit, was in Potsdam passiert.
Wahrscheinlich ziehe ich mir dann einfach meine Turnschuhe an und gehe laufen. Im Ernst: Es wird schwer zu ertragen sein, sich nicht mehr einbringen zu können. Aber das muss man lernen.
Sie haben es ja am Anfang halb im Scherz gesagt: Ich bin jetzt Geschichte. Sie müssen sich neu sortieren.
Natürlich ist nicht alles am Oberbürgermeister-Dasein nur Frust und Last, es gab auch durchaus einiges an Wertschätzung. Ich habe zwar immer gesagt, dass ich so etwas eigentlich nicht brauche, aber ob das wirklich stimmt, werde ich noch sehen. Die fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten aber werde ich als Mangel empfinden, das weiß ich schon jetzt.
Ihr Nachfolger Mike Schubert scharrt schon mit den Hufen, er will endlich loslegen als neuer OB. Welches sind die Top Ten der wichtigsten Aufgaben, die Sie ihm übergeben?
Mike Schubert hat sicher seine eigene Agenda und das respektiere ich auch. Natürlich haben wir die wichtigsten Themen miteinander besprochen. Er wird aber andere Akzente setzen als ich und das ist auch gut so. Schuberts Amtsantritt fällt zusammen mit einem Generationswechsel auch in vielen anderen Einrichtungen. An der Spitze der kommunalen Unternehmen stehen neue, jüngere Leute, ebenso im Hans Otto Theater und bei den Musikfestspielen. Es übernimmt jetzt die Generation der Mittvierziger. So war das bei mir damals auch – und das birgt eine große Chance, die Stadt neu zu definieren.
Haben Sie in Ihrer langen Zeit in der Stadtverwaltung, insgesamt sind es ja 25 Jahre, Freunde im Rathaus und in der Stadtpolitik gewonnen?
Zu meinen Büroleitern habe ich schon ein sehr enges Verhältnis. Ob auf politischer Ebene das eine oder andere bleibt, wird sich herausstellen. Meine Rolle in der Öffentlichkeit ist jetzt eine andere. Darüber hinaus fiele mir noch Horst Müller-Zinsius ein, der ehemalige Pro-Potsdam- und Stadtwerke-Chef, der jetzt auch in den Ruhestand gegangen ist.
Ihr langjährigster Kontrahent, Linke-Fraktions- und Oppositionschef Hans-Jürgen Scharfenberg, soll Ihnen ja sehr ans Herz gewachsen sein.
Tatsächlich ist da über die Jahre hinweg eine persönliche Bindung entstanden, so will ich das mal nennen. Wir wissen beide gegenseitig, was wir voneinander halten können. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man sich bei Verhandlungen auf das Wort des anderen verlassen kann. Das schätze ich an ihm sehr.
Was werden Sie am meisten vermissen?
Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich kann mir das aber nur schwer vorstellen. Jeden Morgen gehe ich hier die Friedrich-Ebert-Straße entlang in mein Büro im Stadthaus. Das ist für mich auch so etwas wie mein Lebensrhythmus geworden.
Das klingt schon nach Abschiedsschmerz.
Ich gebe zu, da ist auch Wehmut dabei, das kann man nicht anders sagen.
Sie haben, das kommt hier sehr deutlich zum Ausdruck, Ihr Amt mit großer Intensität ausgefüllt, es hat Ihr Leben geprägt. Haben Sie das Gefühl, dass das auch genug wertgeschätzt wird?
Was man am allerwenigsten in der Politik erwarten darf, ist Dankbarkeit. Trotzdem habe ich in den letzten Monaten Wertschätzung in einem Ausmaß erfahren, das mich überrascht hat.
Von Bürgern?
Ja, die Menschen sprechen mich an und sagen: Schade, dass du nicht weitermachst. Das hat mich überrascht und das habe ich auch genossen, selbst wenn ich manchmal denke, das hättet ihr auch eher sagen können. Nicht, weil ich es mir dann noch einmal anders überlegt hätte, sondern weil es Phasen gibt, in denen man auch Zuspruch braucht.
Wenn Dankbarkeit selten ist: Woher bekommt man dann die Motivation für ein solches Amt?
In jedem Job, nicht nur in politischen, muss man, glaube ich, für sich Grundsätze entwickeln, damit man auch noch in den Spiegel gucken kann. Man muss auf seine innere Stimme hören. Für mich habe ich den Eindruck, dass dies mit zunehmendem Alter sogar noch wichtiger geworden ist. Ich wäge nach umfassender Diskussion ab und prüfe, ob es mit meinem Bauchgefühl übereinstimmt. Wenn nicht, muss man das nochmal hinterfragen. Eine gesunde Portion Gottvertrauen oder Grundoptimismus, dass es immer irgendwie weitergeht, gehört auch zu diesem Job.
Es war bei den Interviews mit unserer Zeitung stets eine schöne Tradition, dass Sie zum Schluss eine Anekdote zum Besten geben. Erfreuen Sie uns bitte zum letzten Mal und erzählen uns die schönste aus 16 Jahren!
Lassen Sie mich überlegen. Die Geschichte von 2002 mit Gerhard Schröder und der Currywurst?
Die kennen wir noch nicht. Legen Sie los!
Es gab eine Riesenwahlkampfveranstaltung auf dem Alten Markt, es herrschte sengende Hitze. Schröder kommt auf die Bühne, zieht erstmal die Jacke aus – ich gucke auf seinen Ärmel: alles rot. Da sage ich zu ihm, Gerhard, du musst unbedingt deine Ärmel hochkrempeln. Matthias Platzeck erzählte mir dann, dass Schröder vorher unbedingt noch zwei Currywürste essen musste – und dann hat er sich den Mund mit dem Hemdsärmel abgewischt!