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Rathauschef in schwierigen Jahren. Horst Gramlich hat in seiner Amtszeit viel Kritik einstecken müssen.
© Andreas Klaer

Interview mit Horst Gramlich: „Wir hatten sagenhafte Ideen“

Potsdams früherer Oberbürgermeister Horst Gramlich über sein heutiges Verhältnis zur Stadt und ihren Bürgern, den nachhaltigen Wert alter Entscheidungen, die Entwicklung der Potsdamer Mitte und das Vermächtnis von Jann Jakobs.

Herr Gramlich, Sie sind vor wenigen Tagen 80 Jahre alt geworden, heute wollen Sie Ihren Geburtstag mit einem Empfang in Caputh feiern, wo Sie seit vielen Jahren leben. Haben Sie einen Geburtstagswunsch an die Stadt Potsdam?

Ich bin ja mit einer unfreundlichen Geste von den Potsdamern aus meinem Amt entfernt worden...

...Sie meinen Ihre Abwahl als Oberbürgermeister per Bürgerentscheid vor 20 Jahren.

Genau. Ich würde mir also von den Potsdamern nichts wünschen, sondern sie stattdessen bitten, einmal genauer hinzusehen, ob die Entscheidungen, die wir in den Nachwendejahren nach intensiven Diskussionen und teils gegen heftigen Widerstand getroffen haben, wirklich so schlecht waren, dass man diesen Schritt, also die Abwahl, wirklich gehen musste. Vielleicht urteilt man heute etwas milder und sagt: Er hat seine Pflicht getan.

Das klingt, als hätten Sie sich noch immer nicht ganz mit Potsdam versöhnt.

Das stimmt nicht. Ich hege keinen Groll gegen die Potsdamer, übrigens auch damals nicht. Ich war nur wütend auf die Typen, die das organisiert hatten.

Sie meinen damit ja nicht zuletzt die Landes-SPD. Selbst Ministerpräsident Manfred Stolpe hatte öffentlich zu Ihrer Abwahl aufgerufen. Ein beispielloser Vorgang.

Es waren ja nur wenige Protagonisten. Der Groll ist irgendwo in der Ferne noch da, aber ich lasse ihn nicht mehr hochkommen. Das lohnt sich nicht.

Sie sind 1998 über die Baufilz-Affäre Ihres Baustadtrats Detlef Kaminski gestürzt. Dieser hatte sechs Jahre zuvor einen Optionsvertrag für eine lukrative Eigentumswohnung mit einer Bank unterschrieben und dieser Bank im Gegenzug bei Baugenehmigungen geholfen. Ihnen wurde vorgeworfen, diese Machenschaften gedeckt zu haben.

Für diese Unregelmäßigkeiten, die es damals gegeben haben soll, sind mir nie richtige Beweise vorgelegt worden.

Sie sind nach Ihrer Abwahl aus der Partei ausgetreten. Haben Sie noch Kontakt zu irgendjemandem aus der damaligen Spitze der SPD?

Nein, ich glaube auch nicht, dass sie das wollen. Natürlich habe ich zu einzelnen ehemaligen Parteifreunden noch Kontakt, zwei habe ich auch zu meiner Geburtstagsfeier heute Abend eingeladen.

Wen denn?

Einen meiner früheren Dezernenten, der die SPD in Potsdam damals mit aufgebaut hat, Reinhard Stark...

...der im Rathaus seinerzeit Hauptamtsleiter und Chef des Rechnungsprüfungsamtes war...

...und Hannelore Knoblich, die langjährige SPD-Stadtverordnete – auch eine Frau der ersten Stunde, die auch den Kontakt zu mir über die Jahre gehalten hat. Ich habe die Verbindungen nach Potsdam im Übrigen nie ganz abreißen lassen.

Sie haben auch Oberbürgermeister Jann Jakobs eingeladen, der ja in Ihrer Amtszeit als Jugendamtsleiter im Rathaus begonnen hat.

Zu Jann Jakobs hatte ich immer ein gutes Verhältnis. Er ist ein Sozialdemokrat, wie ich ihn mir vorstelle: gesprächsbereit, fähig zuzuhören, Anteil nehmend – einfach ein anständiger Mensch.

Welches Verhältnis haben Sie denn heute zu Detlef Kaminski?

Das beste, dass sich denken lässt. Er war stets in der Lage, schwierigste Probleme zu begreifen und einen Ausweg zu finden. In mancher Hinsicht war er sicher auch sehr unbequem, sehr forsch. Er brachte manchmal wenig Feingefühl auf und stieß manche damit auch vor den Kopf. Aber in meiner Amtszeit war er ein unglaublich wichtiger Partner. Wir haben uns mindestens wöchentlich zum Gedankenaustausch getroffen und sehr eng zusammengearbeitet.

Als erster frei gewählter Rathauschef nach der Wende mussten Sie Aufbauarbeit leisten. Viele der damaligen Entscheidungen haben Auswirkungen bis heute. Welches waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten?

Wir haben zum Beispiel die Grundlagen für die heutige Stadtentwicklung gelegt. Mein damaliger Chefstadtplaner, Peter von Feldmann, hat die Stadt so gewissenhaft und ordentlich durchgeplant, dass darauf die Bebauungspläne erarbeitet werden konnten. Das gilt für die Innenstadt, aber auch für den Norden. Dass die Russen abzogen, war für die Stadt das größte Glück.

Wie meinen Sie das?

Die Stadt ist plötzlich von den Garnisonen befreit worden. Dafür bin ich Helmut Kohl bis heute unendlich dankbar. Potsdam hat da ein riesiges Areal bekommen – das war eine einmalige Chance. Wir haben damals den Entwicklungsträger Bornstedter Feld gegründet, der die Entwicklung managen sollte. Damals hatten wir den Plan, einen Stadtteil zu bauen, der sich selbst mit Energie versorgt...

...was die Stadt jetzt auch mit Krampnitz vorhat. Im Bornstedter Feld ist das letztlich aber nicht gelungen.

Trotzdem. Es gab sagenhafte Ideen. Letztlich bewarben wir uns erfolgreich um die Bundesgartenschau 2001, in der das Bornstedter Feld eine zentrale Rolle spielte. So haben wir einen enormen Entwicklungsschub für das Gebiet erreicht.

Auch Potsdams Innenstadt sähe heute anders aus ohne die Weichenstellungen in Ihrer Amtszeit. Man denke nur an den Grundsatzbeschluss zur Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss. Empfinden Sie Stolz, wenn Sie heute durch die Potsdamer Mitte laufen?

Zunächst einmal war die Entscheidung wichtig, den Theaterrohbau auf dem Alten Markt abzureißen, der noch zu DDR-Zeiten begonnen worden war.

Dafür haben Sie auch viel Prügel bezogen.

Es war in der Tat eine äußerst schwierige Entscheidung. Ich bin von vielen Seiten bedrängt worden, auch mit oberflächlichen Argumenten. Manche haben etwa die Meinung vertreten, man könne auf einem stadtgeschichtlich so bedeutenden Platz kein Theater fertigstellen, weil die DDR das Haus später auch für parteipolitische Zwecke nutzen wollte. Wieder andere sagten, das Theater könne unmöglich abgerissen werden, weil wir nie wieder Geld bekommen würden, um ein neues an anderer Stelle zu bauen. Diese Meinung hat auch ein bedeutender westdeutscher Oberbürgermeister vertreten.

Und nicht zuletzt viele Potsdamer Künstler.

Ja, die haben mir vorgeworfen, ich wäre ein unmoralischer Mensch. Ich wurde hin- und hergezerrt. Die Landesregierung hat da übrigens den Mund gehalten. Wo es Ärger gab, hat man nichts aus der Staatskanzlei gehört. Kaminski hat dann ausgehandelt, dass der Rohbau kostenlos abgerissen, der Platz eingeebnet wird und man in Ruhe darüber nachdenken kann, wann und wie der historische Stadtkern wieder aufgebaut wird. Natürlich tat sich damit ein neues Dilemma auf.

Welches meinen Sie?

Das Hans Otto Theater hatte keine Spielstätte mehr. Die alte in der Zimmerstraße musste baupolizeilich gesperrt werden. Die Theaterleute gingen auf die Barrikaden. Ich habe mich in all den Jahren meiner Amtszeit immer nur in Bedrängnis gesehen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, für jedes neue Problem, das sich auftat, eine Lösung zu finden.

Würden Sie irgendetwas heute anders machen?

Nein. Sie werden keine einzige Entscheidung finden, die falsch war.

Potsdam hat sich in den letzten Jahren glänzend entwickelt. Welchen Anteil haben Sie daran?

Die grundlegenden Entscheidungen, die diese Entwicklung ermöglichten, haben wir damals alle getroffen. Das gilt für alle Bereiche der Stadt, soweit ich das beurteilen kann. Ich muss aber zugeben, dass ich nicht alles verfolgt habe, was sich seit meiner Amtszeit in der Stadt getan hat. Darüber hinaus haben wir aber auch eine leistungsfähige Verwaltung aufgebaut, die die nachfolgenden Herausforderungen überhaupt meistern konnte. Ich denke, das sieht man auch.

Kommen wir noch einmal zurück auf die Potsdamer Mitte. Inzwischen hat sich das Gesicht des Alten Marktes völlig verändert. Empfinden Sie Stolz, wenn Sie heute dort spazieren gehen?

Ich gehe gern in Städten spazieren, schon um ein Gefühl zu bekommen, wie die Architektur auf mich, aber auch auf andere Menschen wirkt. In Potsdam ist das anders, vielleicht, weil das alles zu vertraut ist und schmerzhafte Erinnerungen weckt. Ich habe ja viel Prügel bezogen, bis alle diese Grundsatzentscheidungen getroffen worden sind. Und manchmal denke ich, wenn ich mir die Gebäude in der Mitte anschaue: Eigentlich hätte es doch um mehr gehen müssen als das, was da jetzt steht.

Wie meinen Sie das?

Es hätte vielleicht eindrucksvoller sein müssen.

Sie finden das Landtagsschloss und die anderen Neubauten nicht eindrucksvoll?

Es wirkt angenehm, ja. Aber nicht eindrucksvoll. Was man in Dresden geschafft hat, das finde ich beeindruckend.

Und wie gefällt Ihnen das Museum Barberini?

Ich war noch nicht drin.

Sie waren nicht neugierig?

So sehr nicht. Ich war übrigens auch noch nicht im Landtag. Ich war nicht eingeladen. Und einfach so hingehen will ich nicht. Vielleicht irgendwann mal. Mir ist der Anblick von außen wichtiger.

Der ist Mäzenen zu verdanken. Günther Jauch hat das Fortunaportal gespendet, Hasso Plattner die Schlossfassade gesponsert und das Barberini gebaut. War es zu Ihrer Zeit schwerer, Sponsoren zu finden?

Es gab sehr viele Sponsoren, auch zu meiner Zeit. Nicht solche Summen, nein, aber es waren viele. Wir hatten Geldgeber für die Sanierung der Stadttore zum Beispiel und viele andere Dinge. Dass dann Plattner später mit solchen Summen kam, war ein Ausrutscher nach oben, ein positiver natürlich.

Viele Bauvorhaben in der Potsdamer Mitte, die damals bereits diskutiert wurden, werden erst jetzt Realität. Warum hat das so lange gedauert?

Es waren schließlich gewaltige Investitionen erforderlich. Und es musste ja auch erst über die Nutzung entschieden werden, was sehr schwierig war. Schon damals wurde über einen Landtag in der Mitte diskutiert. Was wir als Stadt aber vielleicht sogar interessanter gefunden hätten, wäre eine Nutzung als Universitätsstandort gewesen. Das hätte Leben in die Stadt gebracht, interessante Begegnungen ermöglicht. Wir brauchten aber einen Geldgeber – in beiden Fällen das Land. Das hatte aber kein Geld. Vom Schloss sprach man da ohnehin kaum laut. Die Zeit war einfach noch nicht reif dafür.

Die lange Zeit, die zwischen Entscheidung und Realisierung lag, hat zu einer Spaltung der Stadt geführt, zu einem erbittert geführten Streit um den Erhalt des baulichen Erbes der DDR wie der Fachhochschule oder des Minsk. Wie denken Sie heute darüber?

Zu meiner Amtszeit wurde rathausintern sogar darüber diskutiert, die Fachhochschule zur Friedrich-Ebert-Straße hin mit einem Anbau zu erweitern. Das wurde dann nicht weiter verfolgt. Aber die Fachhochschule ist kein schöner Bau. Wer solches behauptet, den kann man nicht ernst nehmen. Allgemein bin ich aber der Meinung, dass nichts abgerissen werden sollte, nur weil es der DDR zuzuordnen ist. Was ökonomisch sinnvoll erhalten werden kann, sollte erhalten bleiben. Dazu zählt meiner Meinung nach das Minsk.

Ebenfalls bereits zu Ihrer Amtszeit diskutiert wurde der Wiederaufbau der Garnisonkirche. Was halten Sie von dem Konzept eines Versöhnungszentrums?

Wenn der Turm mit Spendengeldern als Versöhnungszentrum aufgebaut werden kann, begrüße ich das. Ein solches Bauwerk kann die Stadtsilhouette nur bereichern.

Potsdams Beliebtheit ist vor allem der Kulturlandschaft und dem Welterbe zu verdanken. Schon zu Ihrer Zeit gab es Konflikte, die Unesco hatte Potsdam wegen der Bebauung des Glienicker Horns und des Bahnhofs sogar mit der Roten Liste gedroht.

Ich glaube nicht, dass jemand den Kopf schütteln muss, wenn er das Glienicker Horn sieht. Das war eine Kunstdiskussion – wir haben sie überlebt. Ich bin damals auf einem Dampfer mit vielen Unesco-Mitarbeitern daran vorbeigefahren. Keiner hat auch nur ein Wort gesagt. Wir haben zahllose Satzungen verabschiedet, um das Welterbe und sein Umfeld zu schützen. Was den Bahnhof angeht: Dass man darüber nicht glücklich ist, weiß ich. Für Städte sind Bahnhöfe aber das Tor zur Welt.

Aber in Potsdam hält ja kaum ein Fernzug.

Sicher sind nicht alle Blütenträume gereift. Aber der Bahnhof hat die positive Entwicklung Potsdams erst ermöglicht. Wie hätte der kleine Bahnhof, diese Baracke, die es zuvor gab, die täglichen Zehntausenden Pendler bewältigen sollen? Für heutige Verhältnisse sind die Dimensionen des Bahnhofs eher bescheiden.

Es gibt inzwischen Stimmen, die meinen, man sollte das Wachstum der Stadt begrenzen, um die Schönheit der Kulturlandschaft nicht zu zerstören. Was meinen Sie?

Schon zu meiner Zeit gab es Prognosen von 200 000 Einwohnern, schon damals suchten Zehntausende in Potsdam eine Wohnung. Daher haben wir seinerzeit etwa das Kirchsteigfeld gebaut. Um das zu bewältigen gab es sogar Überlegungen, alle Kommunen um Potsdam herum bis an die Grenzen des Berliner Rings einzugemeinden. Die Bürgermeister haben das natürlich alle abgelehnt. Sie sehen, manche Pläne waren auch etwas größenwahnsinnig. Aber der Druck auf die Stadt wird – auch wegen der Nähe zu Berlin – nicht aufzuhalten sein. Es wird schmerzhafte Kompromisse geben müssen.

Jann Jakobs hört im Herbst nach 16 Jahren als Rathauschef auf. Wie beurteilen Sie seine Amtszeit?

Ich denke, er liefert eine Stadt ab, die in vielerlei Hinsicht vervollkommnet, abgerundet ist und die weit über die Region hinaus einen guten Ruf genießt. Mehr kann man als Oberbürgermeister nicht erreichen.

Was wünschen Sie Potsdam für die Zukunft?

Es wäre wichtig, die Anforderungen des Wachstums gemessenen Schrittes zu bewältigen. Man muss sich auf die Digitalisierung einstellen und dafür rechtzeitig die richtigen Leute holen. Das wird eine der wichtigsten Aufgaben des neuen Oberbürgermeisters sein.

Das Interview führte Peer Straube

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Zur Person

Horst Gramlich wurde am 31. März 1938 in Antonufka in der heutigen Ukraine geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Ökonomie Berlin, dort promovierte er auch. Gramlich kam in den 1960er-Jahren nach Potsdam, wo er ab 1969 an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Babelsberg arbeitete. Im Herbst 1989 wurde er Mitglied der neu gegründeten SDP, die sich später in SPD umbenannte. Im Mai 1990 wurde Gramlich zum ersten Oberbürgermeister Potsdams nach der Wende gewählt. 1993 behauptete er sein Amt in einer Stichwahl denkbar knapp gegen den PDS-Kandidaten Rolf Kutzmutz. Im Herbst 1998 initiierten die Oppositionsfraktionen im Stadtparlament ein Abwahlbegehren gegen Gramlich, das letztlich auch von der Spitze der Landes-SPD um Ministerpräsident Manfred Stolpe unterstützt wurde. Am 17. Mai 1998 wurde er mit 87,5 Prozent der Stimmen abgewählt.

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