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Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump.
© Jonathan Ernst/REUTERS

Nach Austritt aus Iran-Abkommen: Europa darf den verheerenden Kurs der USA nicht dulden

Um eine weitere Eskalation im Nahen Osten zu verhindern, muss die EU geschlossen agieren. Dabei darf sie auch den Konflikt mit den USA nicht scheuen. Ein Gastkommentar.

Nachdem Präsident Donald Trump den Rückzug der USA aus dem Iran-Abkommen angekündigt hat, ist es an der Europäischen Union, die Gefahr einer neuen Eskalationsspirale um das iranische Atomprogramm einzudämmen. Sowohl die hohe Vertreterin der EU, Federica Mogherini, als auch die Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens haben bereits bekundet, an dem Abkommen festhalten zu wollen. Damit dies gelingen kann, ist es wichtig, dass die EU geschlossen agiert und auch den Konflikt mit den USA nicht scheut.

Trump verkündete ferner, dass die USA auch die auf die nuklearen Aktivitäten des Irans bezogenen US-Sanktionen wieder in Kraft setzen werden, die im Rahmen des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) ausgesetzt worden waren. Es bleibt abzuwarten, wie und wann das konkret geschieht. In der Vergangenheit blieb die Umsetzung mancher angekündigten Maßnahmen hinter der Schärfe der Ankündigung zurück. Da aber auch der US-Außenminister Mike Pompeo und der Nationale Sicherheitsberater John Bolton das Abkommen ablehnen, ist anzunehmen, dass hinsichtlich der Sanktionen tatsächlich der Zustand vor Abschluss des Iran-Abkommens wieder hergestellt wird.

Unternehmen aus anderen Staaten, die mit dem Iran Geschäfte machen, wären ebenfalls von Strafmaßnahmen, den so genannten Sekundärsanktionen, betroffen. Der gerade erst vereidigte US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell – ehemals Mitarbeiter Boltons in der US-Vertretung bei den Vereinten Nationen – forderte deutsche Firmen auf Twitter bereits dazu auf, ihre Geschäfte im Iran zu beenden.

Johannes Thimm.
Johannes Thimm.
© SWP

Sollte der Iran tatsächlich wieder vom internationalen Handel abgeschnitten werden, ist nicht zu erwarten, dass Teheran sich noch an die Vorgaben des Atom-Abkommens gebunden fühlt. Der Austritt der USA stärkt jene Kräfte in der iranischen Führung, die nie von den Vorzügen der Einigung überzeugt waren. Er setzt den iranischen Präsidenten Hassan Rohani zusätzlich unter Druck, gegenüber den USA Stärke zu demonstrieren. Falls Teheran entscheidet, die Inspekteure der Internationalen Atomenergiebehörde des Landes zu verweisen und womöglich wieder mit der Uran-Anreicherung zu beginnen, wären wiederum die USA unter Zugzwang.

Ein Krieg gegen den Iran ist nicht auszuschließen

Trump hat nicht offen gesagt, was er in solch einem Fall vorhat, und es nicht sicher, dass er dafür einen Plan hat. Aber die Gefahr ist real, dass das Weiße Haus zu militärischen Mitteln greift, wenn sich ihnen der Mangel an Alternativen offenbart. Während bei Bolton, der sich in der Vergangenheit offen für den gewaltsamen Regimewechsel im Iran ausgesprochen hat, Präventivschläge gegen den Iran durchaus einkalkuliert scheinen, ist nicht klar, ob Trump selbst tatsächlich Krieg will. Der Umgang des Weißen Hauses mit den zahlreichen Skandalen um krumme Geldgeschäfte und Sex-Affären ist hier aufschlussreich. Die Tatsache, dass Trump sich im Kontext strafrechtlicher Ermittlungen in immer neue Widersprüche verstrickt, zeigt, dass der Präsident eben kein kluger Taktiker ist, sondern vermutlich die Konsequenzen seines Handelns maximal bis zum nächsten Tweet durchdringt. Trotzdem oder gerade deswegen ist nicht auszuschließen, dass die gegenwärtigen Entwicklungen gegenüber dem Iran geradewegs in den nächsten Krieg führen.

Dies ist der Moment der Wahrheit für die EU. Wenn die Europäer Teheran davon überzeugen wollen, nicht auf die Provokation durch Trump einzugehen, müssen sie dem Iran etwas bieten, vor allem wirtschaftlich. Aufgrund der Bedrohung durch die Sekundärsanktionen werden europäische Unternehmen sehr zurückhaltend reagieren. Aus Sicht der Privatwirtschaft ist es das Iran-Geschäft nicht wert, in den USA den Ausschluss vom Markt, hohe Strafzahlungen oder sogar Strafverfolgung zu riskieren. Besonders für Banken, die notwendig für die Finanzierung größerer Geschäfte sind, ist der Zugang zum amerikanischen Finanzmarkt unverzichtbar. Ohne staatliche Garantien wird es nicht ausreichen, die Wirtschaft zu ermutigen, weiter im Iran Geschäfte zu machen.

Ein handfester transatlantischer Konflikt

Die beschriebene Eskalationsdynamik kann nur verhindert werden, indem europäische Regierungen Maßnahmen treffen, um die US-Sanktionen ins Leere laufen zu lassen; beispielsweise, indem sie die Finanzierung von Geschäften übernehmen, vor denen die Banken zurückschrecken. Oder indem sie überlegen, wie sie europäische Unternehmen, die mit Iran handeln, vor Strafmaßnahmen der USA schützen können. Gleichzeitig sollte Europa unmissverständlich klar machen, dass es unter den gegenwärtigen Umständen für eine militärische „Lösung“ nicht zur Verfügung steht.

Ein solch entschiedenes Vorgehen Europas wird höchstwahrscheinlich einen handfesten transatlantischen Konflikt mit ungewissem Ausgang auslösen. Dabei gilt es, Vorsorge zu treffen, dass sich die EU nicht wieder – wie 2003 in der Frage des Irak-Krieges – spalten lässt. Deutschland, Frankreich und Großbritannien sollten deshalb um die Unterstützung aller EU-Mitgliedsstaaten für solch einen Kurs werben.

So wenig wünschenswert weitere Spannungen mit der US-Regierung sind, die Alternativen sind schlechter. Würde die EU aus Scheu vor einem Konflikt den verheerenden Kurs der USA dulden, hätte Trump nicht nur die amerikanische, sondern auch die europäische Glaubwürdigkeit nachhaltig beschädigt. Noch wichtiger: Bleibt Europa in dieser Frage unentschlossen, steigt die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Krieges im Nahen Osten mit all seinen Konsequenzen: einer weiteren humanitären Katastrophe, wachsender Unsicherheit einschließlich neuer terroristischer Bedrohungen und einer erneuten Zunahme der Zahl von Geflüchteten.

Dr. Johannes Thimm forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu aktuellen politischen Entwicklungen in den transatlantischen Beziehungen und zur US-Außenpolitik. Derzeit ist er von der SWP beurlaubt, um einem Lehrauftrag an der Universität Tartu in Estland nachzukommen. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik "Kurz gesagt".

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Johannes Thimm

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