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Die Mutter aller Brote. Leicht säuerlich duftet der Starterbrei, der kleine Luftblasen wirft. Er lässt sich einfrieren und später wieder zum Leben erwecken.
© Selkus/Getty Images/Stockphoto

Brot selber machen: Da geht was: Mit Sauerteig im Bett

Mehl und Wasser. Das ist alles, was man für Sauerteig braucht. Klingt einfach? Dachte unser Autor auch.

Der größte Unterschied zwischen Nutztieren und Haustieren ist wohl der, dass Erstgenannte keine Namen bekommen. Während die Milchkuh anonym im Stall rumsteht, wird hierzulande jede Katze auf ein „Flecki“ oder „Karlo“ getauft.

Interessant, mögen Sie jetzt denken, aber was das mit Brot zu tun hat? Sollte es hier nicht um Sauerteig gehen? Doch. Aber um sein Wesen zu verstehen, muss man wissen, dass es sich auch bei dem mit natürlichen Hefebakterien gezüchteten Sauerteig, der seinen Erschaffer über Wochen, Monate oder gar Jahre begleitet, weniger um ein Lebensmittel, als um ein Haustier – wenn nicht gar um einen Mitbewohner handelt. Da wundert es nicht, wenn mancher Hobbybäcker seinen Sauerteig, der ihm unvergleichlich knuspriges und duftendes Brot schenkt, mit der Zeit liebgewinnt und ihm einen Namen gibt.

Tim Hayward zum Beispiel. In seinem Buch „Hausgemacht“ (Dorling Kinderlsey), in dem der Engländer erklärt, wie man zu Hause räuchert, pökelt, einlegt oder eben backt, gesteht er, er habe seiner Sauerteigmutter irgendwann den Spitznamen „Lt. Ripley“ verpasst. So heißt die von Sigourney Weaver in „Alien“ gespielte Astronautin, die wie Haywards Sauerteig die Zeit zwischen den Einsätzen im Kryotank vulgo Tiefkühlfach liegt. Bereit, „sie jederzeit wiederzubeleben, wenn sie gebraucht wird“.

Und gebraucht wird Sauerteig momentan überall. Während die halbe Welt über echte oder eingebildete Zöliakie klagt, steigt das Interesse an handwerklich gefertigtem Backwerk. Bäckereien wie das Domberger Brot-Werk in Moabit haben sich der Methode verschrieben, im Sternerestaurant Nobelhart und Schmutzig wird Sauerteigbrot als eigener Gang serviert, und die Markthalle Neun in Kreuzberg widmet dem Teig am 30. April gleich einen ganzen Tag mit Workshops, Verkostung und einer Tauschbörse.

Einer Legende zufolge geriet im alten Ägypten einmal Bier in den Teig

Gute Gründe für Sauerteig gibt es reichlich. Vor allem natürlich den Geschmack. Wer mal wirkliches Brot mit herber Kruste gegessen hat, will nachher keinen blassen wabbeligen Aufbackrohling mehr anfassen. Außerdem hält Sauerteigbrot länger. In ein Tuch eingeschlagen und in einer Brotkiste verwahrt, ist es auch Tage nach dem Backen noch frisch. Darüber hinaus belegen Studien, dass Sauerteigbrot verträglicher ist, weil durch die langen Gehzeiten das Gluten verdaulicher wird als beim mit Turbohefen auf möglichst schnelle Fertigungszeiten getunten Supermarktbrot. Natürlicher ist es ohnehin: Die EU erlaubt beim Backen sage und schreibe 199 Zusatzstoffe, bei Biobrot immerhin noch 36. In reinem Sauerteigbrot ist nichts außer Mehl, Salz und Wasser.

Das habe ich zu Hause. Warum also nicht selber machen?

Tim Hayward gibt einem da allerdings gleich eine Warnung mit auf den Weg: „Sauerteig ist möglicherweise das älteste und natürlichste Backtriebmittel, aber einfach ist nichts daran.“

Leider hat er recht. Versuche, mich auf eigene Faust in die Tiefen der organischen Chemie einzulesen, breche ich umgehend ab und besuche stattdessen einen Workshop bei Kathe Kaczmarzyk. Die 24-jährige Amerikanerin, die sich mit ihrem Projekt Levain der Fermentation von Kimchi bis Butter verschrieben hat, leitete kürzlich im Contemporary Food Lab in Mitte einen Kurs namens „The Sweet Side of Sourdough“. Bei selbst gebackenen Schnittchen und selbst gemachter Butter erzählte Kaczmarzyk erst mal von der Geschichte. Das mit dem „ältesten Backtriebmittel“ dürfte stimmen. „Die Technik war schon 4000 vor Christus bekannt“, weiß die Expertin. Einer Legende zufolge geriet im alten Ägypten einmal Bier in den Teig, das Brot ging auf. Ob das stimmt, weiß natürlich keiner. Ist aber eine gute Geschichte, und Brot, soviel weiß man doch, war bis dahin tatsächlich oft eine recht flache Angelegenheit.

Manche Autoren raten dazu, das Wasser abzuwiegen - unnötig

Trotzdem musste ich auch in dem Kurs feststellen: Sauerteig ist hartes Brot, wenn man ihn wirklich verstehen will. Gott sei Dank ist das aber nicht nötig. Man kann schließlich auch Auto fahren, ohne einen Motor zerlegen zu können, und deshalb versuche ich hier jetzt gar nicht, so zu tun, als wüsste ich, was anaerobe Fermentation ist, oder wie genau die Zersetzung von Zucker in Kohlendioxid vonstatten geht...

Für den Hausgebrauch reicht es erst einmal zu wissen, dass Sauerteig nichts anderes ist als Mehl, das mit Wasser vermischt und dann stehengelassen wird, bis es mit natürlich in der Umgebung vorhandenen Hefebakterien reagiert. Das Ergebnis ist ein leicht säuerlich riechender und schmeckender Brei, der kleine Luftblasen wirft.

Rezepte gibt es zahlreiche. Wobei manches es einem unnötig kompliziert macht. In dem ansonsten sehr empfehlenswerten Buch „Schwarz Brot Gold“ (Umschau Verlag) beispielsweise brauchen die Autoren für die komplette Übersicht sieben Seiten und raten unter anderem dazu, das benötigte Wasser exakt abzuwiegen. Kann man machen, muss man aber nicht, wie die inzwischen viermonatige Feldforschung in der heimischen Küche ergab.

Sauerteigmachen ist alles, aber keine exakte Wissenschaft

Die Mutter aller Brote. Leicht säuerlich duftet der Starterbrei, der kleine Luftblasen wirft. Er lässt sich einfrieren und später wieder zum Leben erwecken.
Die Mutter aller Brote. Leicht säuerlich duftet der Starterbrei, der kleine Luftblasen wirft. Er lässt sich einfrieren und später wieder zum Leben erwecken.
© Selkus/Getty Images/Stockphoto

Eigentlich genügt es, in einer Schüssel 100 bis 200 Gramm Mehl mit etwa der gleichen Menge lauwarmem Wasser zu einem zähen Brei zu verrühren und diesen abgedeckt, aber nicht luftdicht verschlossen an einem warmen Ort gehen zu lassen. 26 bis 28 Grad gelten als perfekt. Ich hab nie nachgemessen, aber unter der Bettdecke funktioniert es prima. Wer mag, kann alle 24 Stunden Wasser und Mehl zu gleichen Teilen nachfüttern.

Am besten gelingt das mit Vollkornmehl, weil in den Schalen des Korns mehr Hefebakterien sitzen. Vollkornmehl bindet aber auch mehr Flüssigkeit und benötigt deshalb eventuell einen Schluck Wasser extra, um die richtige Konsistenz zu erreichen.

Ob man Roggen- oder Weizenmehl nimmt, ist eine Geschmacksfrage, sagt Kaczmarzyk. Ein Unterschied bestehe aber darin, dass Weizenmehl wesentlich mehr Gluten enthalte, was die Luftblasenbildung im Teig befördert. Sie erinnern sich ... Zucker ... Kohlendioxid ... Wer also besonders große Poren in seinem Brot produzieren möchte, sollte Weizenvollkornmehl nehmen.

Wobei selbst Vollkornmehl nicht gleich Vollkornmehl ist. Auch bei Bioqualität wird häufig der Keimling des Korns ausgesiebt. Das wird gemacht, weil das enthaltene Öl das Mehl schneller ranzig werden lässt. Ohne Keimling fehlen allerdings auch zahlreiche Nährstoffe. Wer sichergehen will, kauft steingemahlenes Mehl. In Berlin gibt es das zum Beispiel beim Mehlstübchen in Schöneberg. Es sollte dann aber auch schnellstmöglich verbraucht werden.

In einem Schraubglas im Kühlschrank ist er unsterblich

Für was auch immer man sich entscheidet, nach drei bis vier Tagen müssten sich im Teig deutliche Luftbläschen zeigen. Dann ist der Sauerteig fertig. Bei meinem Roggensauerteig dauerte es fünf Tage, aber da jede Wohnung ein anderes Klima hat, sind solche Abweichungen normal, beruhigt Kaczmarzyk. Sauerteigmachen ist alles, aber keine exakte Wissenschaft, mit stets reproduzierbaren Ergebnissen. Das muss man akzeptieren. Deshalb kann natürlich auch mal was schiefgehen. Ein Teig soll nicht wild blubbern oder schimmeln. Aber Sorgen um die Gesundheit müsse man sich eigentlich nicht machen. Im Zweifelsfall hilft der gesunde Menschenverstand, sagt Kaczmarzyk. „Wenn etwas so riecht und aussieht, dass man es nicht mehr essen will, sollte man das auch nicht mehr tun.“

Ein paar Esslöffel des Sauerteigs kann man dann als Mutter – oder Neudeutsch: Starter – für den nächsten Ansatz in einem Schraubglas im Kühlschrank deponieren. Dort ist er potenziell unsterblich. Um ihn am Leben zu halten, ist es nur notwendig, ihn alle paar Tage mit einem Löffel Mehl und Wasser aufzufrischen. Fährt man in Urlaub, kann man die Mutter auch einfrieren und nach dem Auftauen reaktivieren. Ich habe das mal für eine Woche gemacht. Ging problemlos. Kaczmarzyk sagt, sie habe einen Starter auch schon nach sieben Monaten im Kälteschlaf wieder zum Leben erweckt.

Wie Sie das jetzt in Brot verwandeln, lesen Sie hier. Oder Sie probieren die zwei Sauerteigbrot-Rezepte von Florian Domberger, etwas aufwendig, aber ungemein köstlich. Zu den Rezepten kommen Sie hier. Merken sollten Sie sich jedoch, immer etwas mehr Teig anzusetzen, als Sie brauchen, damit wieder etwas für später und den Kühlschrank übrig bleibt. Ein endloser Kreislauf.

Ein gutes Dutzend Brote habe ich jetzt seit Anfang des Jahres gebacken, und mein Sauerteig zeigt keine Abnutzungserscheinungen. Im Gegenteil. Je älter er wird, desto mehr geht mein Brot auf. Es sieht also so aus, als würde er noch eine Weile bei mir wohnen.

Vielleicht sollte ich ihm auch einen Namen geben, habe ich kürzlich überlegt. Perry zum Beispiel. Nach Perry Rhodan, dem potenziell unsterblichen Weltraumfahrer ...

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