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Mehr als königlich: den Kaiserschmarrn gibt es auch neumodisch mit Vanilleeis und Apfelmus.
© Andras Jokuti

Kaiserschmarrn: Monarchie und Mehl

Österreich ist eine zerrissene Nation – jetzt ist Stichwahl fürs höchste Amt des Landes. Was alle eint: die Liebe zum Kaiserschmarrn. Auf den Spuren eines zuckersüßen Mythos.

Hoch über den Dächern Wiens schlägt David Martini Eiweiß auf. „Sie wissen schon, warum man den da Kaiserschmarrn nennt?“, fragt der Koch und deutet mit dem Kinn auf den da, die weiße Masse, die sich in seiner Schüssel zu einer Miniatur-Gletscherlandschaft mit sanften Hängen und kleinen Spitzen formt.

Die Legende, fährt Martini in der Küche des Luxushotels „Grand Ferdinand“ fort, besagt, dass der ehrwürdige Kaiser Franz Joseph und seine Gattin Sisi am Esstisch saßen, irgendwann zwischen Mittag und Abendbrot in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sisi galt als eine durch und durch moderne Frau mit durch und durch modernen Macken. Sie war bis zur Besessenheit sportlich, trank literweise Rinderblut, um dem Alterungsprozess vorzubeugen, und hielt ständig Diät, als müsste sie bei „Habsburger’s Next Topmodel“ gewinnen.

Nun erdachte der Koch am Hofe eine Speise für die Kaiserin und rührte Mehl, Eier, Zucker und Milch zusammen. Sisi mäkelte ein „Ah, gehen Sie fort damit“. Der Kaiser, ein gleichsam starrsinniger (immer dieses Aufstehen um 4 Uhr im Morgengrauen), aber beherzter Herrscher, ließ sich den Teller reichen mit den Worten: „Gib’s her den Schmarrn.“ Daraus wurde dann der Kaiserschmarrn, so die Legende.

Stimmt die Mär, oder ist das ein Schmarrn, ein ausgemachter Blödsinn? Der Koch im Wiener Edelhotel zuckt mit den Schultern. Er ist für die Hardware zuständig, den richtigen Teig, die richtige Konsistenz, ob die mitgelieferte Software stimmt (der Mythos obendrauf), das ist nicht sein Metier.

Was stimmt: Der Kaiserschmarrn gehört zur Wiener Küche wie das Riesenrad zum Prater. Der Liedermacher Georg Danzer hat die Süßspeise verewigt, der Schlagersänger Andreas Gabalier auch. Wer sie gegessen hat, vergisst sie nicht. Mit ihren Kalorienwerten ist sie herrlich antizyklisch, trotzdem oder gerade deswegen so populär. Auch in Berlin, wo es einige gute österreichische Schmarrnbotschafter gibt: die Lokale „Austria“, „Jolesch“, „Einstein“.

Bis zu 30 Minuten braucht man für die Zubereitung. Man muss den Schmarrn à la minute anrichten, das ist in manchen Küchen nicht machbar. Auch in der von Herrn Martini noch nicht, aber er denkt gerade darüber nach, ihn auf die Karte zu setzen. Deshalb steht der Koch an der Induktionsherdplatte, den Stephansdom im Rücken, und übt. Für zwei Personen hat er 160 Gramm Mehl, zwei Eigelb, 160 Milliliter Milch und 25 Gramm Zucker „glattgerührt“, gibt eine Handvoll Rosinen dazu – und am Ende zwei geschlagene Eiklar.

„Eine Prise Salz natürlich, wie bei jeder Süßspeise“, sagt er und versenkt anschließend einen Esslöffel im Butterfass. Zwei gelbe Klumpen landen, flatsch!, in der heißen Pfanne. „Butter ist durch nichts zu ersetzen“, sagt der Koch. Man merkt schon, Sisi und er, das wäre keine Arbeitsbeziehung made in heaven gewesen.

Es brutzelt, der Teig fließt in die Pfanne, dehnt sich zu den Rändern aus – und jetzt heißt es ein paar Minuten warten. David Martini holt den Zwetschgenröster hervor, das Pflaumenkompott, selbst hergestellt mit Pflaumenhälften, Sternanis, Gewürznelken, einer Zimtstange, Zucker und einem Schuss Rotwein. „Keinen Fusel“, sagt er, „am besten einen, den Sie auch trinken würden.“

Er hebt den Rand des Fladens an, hmm, goldgelb, jetzt wird es Zeit, den Teig zu vierteln, vorsichtig umzuschichten, wieder warten, noch einmal Butter hinzufügen, mit Vanilleschoten aromatisierten Zucker nach Gusto darüberstreuen, die Viertel mit dem Pfannenheber willkürlich teilen, „zerreißen“, wie der Fachmann sagt, und nun ist das Gericht fertig.

Über das Ergebnis kommt noch einmal Zucker, diesmal pudriger. Auf dem Teller liegen nun fluffige Fetzen, die zwischen goldgelb und karamellbraun changieren. Sündhaft gut schmecken sie, an manchen Stellen knusprig, buttrig und verboten süß. Kleine Notiz im Kopf: Schon mal den nächsten Zahnarzttermin buchen.

Spinnen die Wiener ...?

Puderzucker gehört dazu - und warum nicht Apfelmus?
Puderzucker gehört dazu - und warum nicht Apfelmus?
© dpa-tmn

Es gibt Menschen, die behaupten, die Wiener spinnen. In Bad Ischl sei der Kaiserschmarrn erfunden worden! Also auf ins Salzkammergut, 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt und auf sanften 400 Höhenmetern gelegen. Bad Ischl war die Sommerresidenz der Habsburger, hier lernten sich Sisi und ihr Franzl kennen, verlobten sich, und hier baute der Monarch seiner Gattin eine Villa in Form eines E – an den Geburtsnamen der Kaiserin angelehnt: Elisabeth.

Die Villa steht noch, ein Teil ist in Privatbesitz der Nachkommen, ein anderer der Öffentlichkeit als Museum zugänglich. Gleich beim Hinaufgehen des Hügels fällt auf, dass die Küche in ein anderes Gebäude ausgelagert ist. Angeblich weil Sisi die Gerüche störten. Im Esszimmer hat Franz Joseph jedenfalls gern seinen Schmarrn verzehrt. Wenn er ihn ganz bestimmt nicht erfunden hat, so hat er in seinen 60 Sommern in Ischl der Kalorienbombe zum Durchbruch verholfen.

Am Ufer der Ischler Traun, an der Esplanade, serviert Josef Zauner Kaiserschmarrn. Er ist der Kronprinz der örtlichen Gastronomie, betreibt ein jahrhundertealtes Café mit Konditorei in der Innenstadt und großzügigem Restaurant am Wasser. „Kennen Sie die Legende?“, fragt der gelernte Konditor, schick gekleidet in Hemd und waldgrünem Trachtenjanker. Er sieht ein bisschen wie Christopher Plummer als Baron von Trapp in „The Sound of Music“ aus.

Zauner erzählt. Der Kaiser war ein leidenschaftlicher Jäger (einige Geweihwände in der Ischler Villa bezeugen das), auf einem seiner Ausflüge in die Berge sei die Jagdgesellschaft von einem Unwetter überrascht worden und suchte Unterschlupf bei einer Sennerin. Diese versemmelte vor Schreck über den hohen Besuch das Omelett gründlich. Also tat sie Rosinen und Zucker dazu, schnippelte alles klein, fertig war das Gericht. Dem Kaiser habe das so gut geschmeckt, dass er sich diese Speise fortan gewünscht habe. Natürlich muss Herr Zauner nun seinen Schmarrn vorführen, besser gesagt, seine Chefpatissiere erledigt das. Der grundlegende Unterschied: Hier werden 400 Gramm Eiweiß und 100 Gramm Zucker zuerst zusammengerührt, dann kommen 350 Gramm Mehl und ein halber Liter Milch dazu. Das Verhältnis von Eiklar und Eidotter ist ungleich, 13 zu 10 für das Eiweiß. Das reicht für eine vierköpfige Portion, also eine richtige Familienschlemmerei.

... oder spinnen die Ischler?

Fluffig in der Pfanne, so muss er sein, der Kaiserschmarrn.
Fluffig in der Pfanne, so muss er sein, der Kaiserschmarrn.
© Ars Ulrikusch - Fotolia

Wieder zurück in Wien, Ingrid Haslinger sitzt auf roten Polstern im Traditionscafé „Bellaria“ und stößt einen Weltschmerzseufzer aus. „Das ist keine Ischler Sache“, sagt die Historikerin vom Verein „Kulinarisches Erbe Österreich“. Seit knapp 30 Jahren forscht die 60-Jährige über die Essgewohnheiten des Landes, wahrscheinlich genauso lange leidet sie schon an der Legendenbildung.

Mehlspeisen gehörten zu einer „uralten alpinen Küche“, erklärt sie, schon die Bauern haben ihre Schmarrn im frühen 18. Jahrhundert gegessen. Als Hauptmahlzeit auf der Alm, gesalzen, nicht gezuckert, denn bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Zucker teuer. Sie habe persönlich den Begriff Kaiserschmarrn in einem Kochbuch von 1835 gefunden, und damals war Franz Joseph gerade einmal fünf Jahre alt und hatte vermutlich Schaukelpferde und noch nicht seine Sisi im Kopf.

Warum es diese Mythen gibt? „Schauen’s, in Österreich gibt es Geschichtenerfinder in großer Zahl“, antwortet Ingrid Haslinger, und man könnte das als Kompliment verstehen. Die Historikerin glaubt, die Menschen wollten sich auf diese Weise an Franz Joseph erinnern, den letzten österreichischen Kaiser, der gefühlte 100 und echte 68 Jahre regierte – und dessen Tod den Untergang des Habsburgerreichs einläutete. Haslinger vermutet, in den 1930er Jahren, als es dem Land an Selbstbewusstsein fehlte, dachte man nostalgisch an diesen gottgleichen Herrscher zurück, an die „gute alte Zeit“, und vergaß, dass früher sich nur gehobenes Bürgertum und Adel den Schmarrn leisten konnten.

Die nannten ihn kaiserlich, wie man alles, was besonders gut war, mit diesem Prädikat versah. „Die Kaisersemmel ist ja auch nicht von Franz Joseph erfunden worden“, merkt Haslinger an. Mehlschmarrn gab es bereits im 18. Jahrhundert, und irgendwann wurde daraus der kaiserliche. Natürlich mit Rosinen, darauf lässt Haslinger nichts kommen.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts liebte ganz Wien das Gericht. „Nicht als Dessert“, sagt Haslinger, „als Teil der Mahlzeit“. Vier Gänge gab es damals, einer davon gehörte dem Pfannengericht, als Nachspeise servierte man kandierte Früchte, Gefrorenes oder, herrliches österreichisches Wort, Punschkrapfen.

Überhaupt, schön und gut, dass nun Wiener Küche überall auf der Welt beliebt sind. Aber müssen sie deshalb übersetzt werden ins Hochdeutsche? Aus der Stelze wurde eine Haxe, aus dem Germ Hefe, „es wird kriminell bundesgedeutscht“, findet Frau Haslinger.

Ihr größter Albtraum: Wenn aus dem Kaiserschmarrn eines Tages zerrissener Eierkuchen wird. Oh Graus!

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