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Rund um die Welt eröffnen Restaurants mit dem verheißungsvollen Namen "Umami", wie dieser Burger-Laden in Costa Mesa, Kalifornien.
© imago/Zuma Press

Geschmack: Was ist eigentlich umami?

Süß, sauer, salzig, bitter und umami, japanisch für köstlich: Plötzlich reden alle von diesem fünften Geschmack. Doch kaum einer weiß, was es ist.

Als Napoleon am 14. Juni 1800 die österreichischen Truppen bei Marengo besiegte, waren alle in seinem Gefolge froh. Bis auf einen Mann namens Dunant: Der Koch Napoleons hatte während der Schlacht sämtliche Nahrungsreserven verloren. Nun kehrte der Feldherr zufrieden und hungrig ins Lager zurück. Hastig entsandte Dunant Leute, Lebensmittel herbeizuschaffen. Sie kamen mit einem Huhn, ein paar Flusskrebsen, Pilzen, Tomaten und Eiern zurück. Dunant machte daraus ein Schmorgericht und servierte es Napoleon. Dem schmeckte das improvisierte Essen so gut, dass er es von da an ständig verlangte.

So entstand der Legende nach ein Gericht, das die Franzosen Poulet Marengo nennen. Egal ob die Geschichte stimmt oder nicht: Das Huhn Marengo hatte alle Zutaten, die es braucht, um umami zu sein. Umami – japanisch für köstlich – ist neben süß, sauer, salzig und bitter die fünfte Geschmacksrichtung. Als umami gelten proteinhaltige Speisen, wie sie in Dunants Schmortopf zu finden waren: Fleisch, Tomaten und Pilze. Aber auch Anchovis und Sardellen, Parmesan und Gruyère-Käse, Algen und Sojasauce sind umami, kurz: alles, was deftig-herzhaft und ein bisschen nach Brühwürfel schmeckt.

„Mhh, das ist aber schön umami“, wird Napoleon sicherlich nicht gesagt haben, als er sein Huhn aß. Er wird gar nicht so genau gewusst haben, warum es ihm so gut schmeckte. Denn während die anderen vier Geschmacksrichtungen schon in der Antike bekannt waren, blieb Umami lange unentdeckt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es erste Berichte über eine fünfte Geschmacksrichtung, der endgültige wissenschaftliche Beweis wurde erst vor einigen Jahren erbracht.

1908 gewann der Japaner Kikunae Ikeda Glutamat aus der Kombu-Alge

Seitdem geht in der kulinarischen Welt nichts mehr ohne Umami. Die Bloggerin Laura Santtini widmete der Geschmacksrichtung ein ganzes Kochbuch, im Kopenhagener „Noma“, mehrmals zum besten Restaurant der Welt gekürt, vergoren sie Grashüpfer, um Umami zu erzeugen, und bei der US-Imbisskette „Umami Burger“ legt man nicht einfach frische Tomatenscheiben aufs Fleisch, sondern röstet sie über Nacht in Sojasoße.

Doch bevor das passieren konnte, musste Umami erst einmal wahrgenommen werden. Und das ist einer Suppe zu verdanken. Im Jahr 1907 aß Kikunae Ikeda, Chemiker und Professor an der Universität von Tokio, ein Dashi, eine Brühe, die aus Kombu, einer Sorte Braunalgen, gemacht ist. Zwei Jahre lang hatte Ikeda in Leipzig gelebt, beim Nobelpreisträger Friedrich Wilhelm Ostwald geforscht und viele seltsame Speisen gegessen. Tomaten zum Beispiel. Oder Spargel. Nun löffelte Ikeda sein Dashi und dachte nach. Es schmeckte weder süß noch salzig noch sauer noch bitter. Trotzdem hatte es einen Geschmack. Und komischerweise erinnerte ihn dieser an die Tomaten und den Spargel aus Leipzig. Ikeda ging mit den Zutaten seiner Suppe ins Labor und begann zu experimentieren.

Die Kombu-Algen sind besonders reich an Glutamat.
Die Kombu-Algen sind besonders reich an Glutamat.
© imago/imagebroker

Ein Jahr später war es so weit. Ikeda war es gelungen, aus der Kombu-Alge Glutamat zu isolieren. Glutamat ist das Salz der Glutaminsäure, die zu den Aminosäuren zählt und damit Baustein aller Proteine ist. Glutamat, folgerte Ikeda, müsse für den unvergleichlichen Dashi-Geschmack verantwortlich sein. Auch, dass die japanische Brühe ihn an die Leipziger Tomaten erinnert hatte, ergab nun Sinn. Tomaten enthalten nämlich ebenfalls viel Glutamat. „Es gibt“, schrieb der Wissenschaftler, „einen Geschmack, der Spargel, Tomaten, Käse und Fleisch gemein ist, der sich aber von den vier allgemein bekannten Grundrichtungen süß, sauer, bitter und salzig unterscheidet.“ Ikeda nannte ihn Umami: Einfach köstlich.

Eine Offenbarung oder nur billige Würze?

Ajinomoto ist weltweit größter Hersteller von Mononatriumglutamat und verkauft jährlich 1,5 Millionen Tonnen des weißen Pulvers.
Ajinomoto ist weltweit größter Hersteller von Mononatriumglutamat und verkauft jährlich 1,5 Millionen Tonnen des weißen Pulvers.
© imago/imagebroker

Und was machte die westliche Welt? Ignorierte diese Erkenntnisse 100 Jahre lang. Wie es dazu kam, erklärt der amerikanische Geschmacksforscher Paul Breslin im Gespräch: „Umami ist viel subtiler als die anderen Geschmacksrichtungen.“

Ein anderer Grund: Umami fehlt die eindeutige Entsprechung in der Natur. „Der typische Umami-Geschmack entfaltet sich erst durch Kochen, Trocknen und Gärenlassen“, sagt Breslin. Damit eine Brühe so richtig umami wird, muss das Fleisch darin erst garen, Käse muss reifen und Tomaten müssen in der Sonne trocknen. Erst durch diese Prozesse zerfallen die in der Nahrung enthaltenen Proteine. Und das ist die Voraussetzung dafür, dass Glutamate freigesetzt werden können.

Das Glutamat, das Ikeda 1908 aus seinem Dashi gewonnen hatte, wurde an der Universität Tokio lange Zeit in einer Flasche von Professorengeneration zu Professorengeneration weitergegeben. Die Flasche repräsentierte auch den Schlüssel zu großem wirtschaftlichen Erfolg. Noch im selben Jahr ließ sich Ikeda die industrielle Herstellung von Glutamat patentieren und verkaufte das Rezept an ein Unternehmen namens Ajinomoto, zu Deutsch: Essenz des Geschmacks. Das japanische Patentamt würdigte Ikeda als einen der zehn größten Erfinder des Landes, und schon bald begann Ajinomoto mit der industriellen Herstellung von MSG, besser bekannt als Mononatriumglutamat. Heute verkauft das Unternehmen jährlich 1,5 Millionen Tonnen des weißen Pulvers.

Mit der kommerziellen Vermarktung erwies Ikeda seiner Entdeckung allerdings keinen guten Dienst. Je mehr MSG verkauft wurde, desto weniger zog man in der westlichen Welt die Möglichkeit eines natürlichen fünften Geschmacks in Betracht. Stattdessen wurde Umami als Beigeschmack von Fake-Meals gesehen: Mahlzeiten, die so tun, als seien sie liebevoll zubereitet, aber in Wirklichkeit Mikrowellenfutter sind. MSG hielt man für einen teuflischen Geschmacksverstärker, der Menschen dazu verführt, mehr zu essen als nötig und sie bisweilen richtig krank macht. Berichte vom China-Restaurant-Syndrom, das angeblich von Glutamat ausgelöst werde, machten die Runde. Die Symptome: Taubheitsgefühl und Herzklopfen. Sogar für die Entwicklung von Parkinson, Alzheimer und Multiple Sklerose sollte Glutamat verantwortlich sein.

Eindeutig wissenschaftlich belegt werden konnte keiner dieser Vorwürfe. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nehmen Europäer täglich acht bis zwölf Gramm Glutamat zu sich. Negative Effekte sind dabei nicht festzustellen. Im Übrigen enthält die wohl natürlichste Nahrungsquelle der Welt besonders viel Glutamat: Während Kuhmilch nur zwei Milligramm pro 100 Milliliter enthält, sind es in der menschlichen Muttermilch mehr als zehn Mal so viel.

Es gibt Umami-Rezeptore auf der Zunge und im Hirn

Dass das Vorhandensein von Glutamat nicht gleichbedeutend mit industriellem Fertigessen ist, zeigt auch der Blick in die Geschichte. Im römischen Kochbuch „De re coquinaria“ aus dem 3. Jahrhundert ist immer wieder die Rede von Liquamen – einer Soße aus fermentierten Fischen, die man zum Würzen verwendete. Und Jahrhunderte später sollte sich einer der berühmtesten Köche aller Zeiten den Umami-Geschmack ebenfalls zunutze machen: Auguste Escoffier, 1846 geboren, Erfinder von Birne Helene, flambiertem Hummer und – Kalbsfond. „Der Fond ist alles beim Kochen“, schrieb Escoffier. „Ist er gut, ist der Rest der Arbeit einfach, wenn er nicht gut oder nur mittelmäßig ist, ist es ziemlich hoffnungslos.“ Für seinen Fond ließ er Fleisch und Knochen stundenlang kochen. „Genau das ist Umami“, sagt Paul Breslin.

Auch Tomaten enthalten viel Glutamat, der typische Umami-Geschmack entfaltet sich allerdings erst durch das Trocknen.
Auch Tomaten enthalten viel Glutamat, der typische Umami-Geschmack entfaltet sich allerdings erst durch das Trocknen.
© imago/Zuma Press

Breslin war einer der ersten US-Wissenschaftler, die sich nach der Jahrtausendwende der Erforschung von Umami widmeten. Im Jahr 2000 hatten Forscher von der Miami School of Medicine herausgefunden, dass Menschen über Umami-Rezeptoren auf der Zunge und im Hirn verfügen. Breslin stellte in weiteren Studien genetische Unterschiede fest, was die Geschmacksfähigkeit angeht. Manche empfinden Umami stärker, andere schwächer.

Köche tragen diesen Erkenntnissen nun Rechnung. Daniel Achilles zum Beispiel, der Umami als kleiner Junge in Form von getrockneten Waldpilzen und dem Parmesan auf seinen Miracoli-Spaghetti kennenlernte, experimentiert in seinem Zwei-Sterne-Restaurant „Reinstoff“ mit dem Geschmack. Das Ergebnis: Sojasauceneis, in Lakritz eingekochte Kombualgen und Misohuhn. Achilles empfindet die Entdeckung als große Bereicherung, gerade bei vegetarischen Gerichten. „Es macht den Eigengeschmack würziger, fleischiger – voller.“

Während nun rund um die Welt Restaurants mit dem verheißungsvollen Namen Umami eröffnen, ist die Forschung schon einen Schritt weiter. Derzeit untersuchen Wissenschaftler, ob es nicht einen sechsten Geschmackssinn gibt. Den von Fett.

Zum Weiterlesen: Laura Santtini, Umami – das Kochbuch. Fackelträger, 176 Seiten, 25 Euro.

Verena Friederike Hasel

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