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Rechts der Viktoriaspeicher.
© Kitty Kleist-Heinrich

Markthalle IX in Kreuzberg expandiert: Regionale Produkte aus dem Viktoriaspeicher

Die Markthalle IX, Kreuzbergs Speise-, Einkaufs- und Erlebniszentrum, gerät an ihre Grenzen. Nun sollen im nahen Viktoriaspeicher die Lebensmittel hergestellt werden – und Berlin autarker machen.

Die zwei Betreiber der Markthalle IX steuern mit dem Fahrrad den Viktoriaspeicher an, die Staatssekretärin für Verbraucherschutz Sabine Toepfer-Kataw mit dem Elektro-Audi. Das kommt gut an in Kreuzberg, um nicht zu sagen: Es gehört sich so. Das Private war im Kiez immer schon politisch, und der Bezirk ist in grüner Hand. Das erklärt auch den Erfolg der Markthalle IX, einer der ersten landeseigenen Immobilien, die wegen der Geschäftsidee nicht an einen Lebensmittelmulti ging, sondern an Alternative. Deren multiple multikulturelle Speise- und Einkaufshalle hat Erfolg und nährt Berlins Ruf als Kreativhauptstadt. Driessen und Niedermeier wollen deshalb jetzt die zweite Stufe zünden.

Und zwar nicht in Hamburg nahe der Deichtorhallen, wo sie auch die Gelegenheit dazu hätten, sondern an der Köpenicker Straße im Viktoriaspeicher. Das ist eine alte Halle ohne den Charme roter Backsteinarchitektur, die heute nur in Teilen genutzt wird von Getränkelieferanten und einer Handvoll Gewerbetreibender. Hierhin in den Kiez wollen die Kreuzberger Hallenbetreiber die Herstellung von Lebensmitteln zurückholen und „den größten Biomarkt Europas“, wie sie Berlin nennen, zu einer Modellstadt machen für die Wiedervereinigung von regionaler Esskultur und Herstellung von deren Zutaten.

Stärkung des "lokalen Clusters"

„Wir haben viele Anfragen von einem Patissier, auch von Whisky-, Eis- und Käseherstellern“, sagt Driessen. In der Markthalle IX ist dafür kein Platz. Bier wird hier gebraut, Brot gebacken und ein Fleischer zerlegt Schweinehälften. Viel mehr wäre möglich, wenn es Platz gäbe und die Halle nicht mitten im Kiez stünde. Deshalb die Idee, den Viktoriaspeicher als Produktionsort für die in der Halle verkauften Produkte zu nutzen, zumal diese so nah ist.

„836 Rinder sind es, darunter 280 Milchkühe“, löst Verbraucherstaatssekretärin Toepfer-Kataw die Fangfrage nach Berlins Viehbestand. Rinder weiden auf dem Tegeler Fließ – und wenn es ans Schlachten geht, werden sie dort zwar erlegt, dann aber nach Nordrhein-Westfalen zur Großschlachterei gekarrt. Von dort kommen Filets zurück nach Berlin. Ressourcenverschwendung, die nur deshalb niemanden aufregt, weil Treibstoff- und Transportkosten billig sind und keiner die globale Ökobilanz im Auge hat. Die Staatssekretärin schon. Deshalb unterstützt sie den Vorstoß der Markthallen-Betreiber.

Ausziehen, bitte.
Ausziehen, bitte.
© Thilo Rückeis

„Qualitätsförderung“ nennt es der stadtentwicklungspolitische Sprecher der CDU Stefan Evers und sieht den Plan als Stärkung des „lokalen Clusters“. Um gutes Essen im Kiez tobte ein Kulturkampf im links-autonomen Soziotop schon lange, bevor der Politiker und die Markthallen-Macher in die Stadt zogen: Stinkbombenattacken zur Ausgehzeit hatten gehobene Restaurants zu gegenwärtigen. Heute noch diskutiert die linke Basis den Beitrag teurer Gaststätten an der Gentrifizierung des Kiezes. Andererseits zeigen der Klassenfeindschaft unverdächtige Ableger aus der Clubszene wie das Kater Holzig, dass das Politische für Berlins international durchmischte Alternativszene der 2000er Jahre ohne Ess- und Spaßkultur nicht mehr denkbar ist: das Kater-Restaurant war im obersten Geschoss der Altbauruine, der gleichnamige Club zu Füßen des Gebäudes.

Gewerbliche Nutzung ist für Viktoriaspeicher angestrebt

Auch die Kater-Holzig-Leute wollen bei ihrem neuen Projekt in Friedrichshain städtische Landwirtschaft (Mörchenpark) und Lebensmittelverarbeitung zwischen den Wohnhäusern ihrer Genossenschaft ansiedeln. Das Vorhaben ist beseelt vom Gedanken, den Kreislauf der Lebensmittel zu verkürzen und auf eine Art „autonom“ zu sein. Bei der Markthalle ist es insoweit anders, als dort Räume für eine Vielzahl kleiner Lebensmittelbetriebe im Kiez entsteht. „Bei unseren Streetfoodtagen jeweils donnerstags gibt es Essen aus 50 verschiedenen Kulturen“, sagt Niedermeier. Und in der Markthalle arbeiten Nachwuchsköche, die als Nachwuchs für die sternedekorierten Berliner Stars der Branche gelten.

„Nahkampf“ nennt Driessen das auch, der als Volkswirt früher Mikrokredite vermittelt hat: Kleinstunternehmer gibt es auch in der Markthalle, denen die Betreiber schon mal in Steuerfragen auf die Sprünge helfen. Wie es eben so ist, wenn etwas Neues entsteht, das schrittweise zu einer Branche heranwächst, wozu der Viktoriaspeicher ein weiterer Schritt wäre.

Nur, während die Verbraucherschutzstaatssekretärin den (auch touristischen) Wert dieser neuen Ökoökonomie erkannt hat und gemeinsam mit der CDU auf die Durchführung einer „Konzeptvergabe“ für den Viktoriaspeicher drängt, spielt die Bauverwaltung auf Zeit. Die Industriebrache an der Spree hatte die landeseigene Behala schon mal verkauft an einen Investor, der dort 580 Wohnungen bauen wollte, doch der Vertrag platzte. Ein nahe gelegener Galvanisierungsbetrieb müsste wegen Umweltschutzrichtlinien umgesiedelt werden, damit überhaupt Wohnungen gebaut werden dürfen. „Gespräche mit dem Galvanisierungsbetrieb laufen noch, deswegen kann darüber keine Auskunft gegeben werden“, sagt ein Sprecher der Bauverwaltung. Und für den Viktoriaspeicher sei „eine wohnverträgliche gewerbliche Nutzung angestrebt“. Das ist vage und kann noch dauern, denn „wir wollen das gesamte Areal städtebaulich über ein Konzeptverfahren entwickeln, mit einer sozialen und funktionalen Mischung aus Wohnen und Gewerbe“. Irgendwer halt, irgendwann.

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