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Glutenunverträglichkeit: Gehen statt blähen

Alte Brotbacktechniken können Bauchschmerzen von Reizdarmpatienten vermindern.

Eine neue Abkürzung macht die Runde. „Fodmap“ bezeichnet verschiedene vergärbare Zucker. Es steht für Fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und (and) Polyole. Zu ihnen zählt Milchzucker (Laktose), Fruchtzucker (Fructose) und das in „zuckerfreien“ Kaugummis enthaltene Sorbit. Alle diese kurzkettigen Kohlenhydrate und Zuckeralkohole können Bauchschmerzen und Blähungen verursachen, bei empfindlichen Menschen schon in kleineren Mengen. Wenn sie im Dünndarm nicht ausreichend verarbeitet werden können, gelangen sie unverdaut in den Dickdarm, wo die Bakterien der Darmflora sich ihrer annehmen, und machen dort schnell Beschwerden.

Menschen, die unter einem Reizdarmsyndrom leiden, haben besonders heftig unter Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, aber auch Verstopfung oder einem Wechsel von beidem zu leiden. Seit rund zehn Jahren wird ihnen deshalb aufgrund einer Anregung australischer Forscher eine Ernährungsweise empfohlen, die arm an Fodmaps ist. Päpstlicher als der Papst muss man dabei nicht sein, ganz auf die fraglichen Zucker zu verzichten braucht man nicht. Jeder kann ausprobieren, was und wie viel er verträgt.

Ganz anders ist das bei Menschen mit einer Zöliakie, die das Klebereiweiß Gluten und damit Getreide wie Weizen und Roggen von ihrem Speiseplan streichen müssen, um ihren Dünndarm vor krankhaften Veränderungen zu schützen.

Überschneidungen zwischen der glutenfreien und der Fodmap-armen Diät gibt es dabei durchaus. Denn Roggen und Weizen, die Gluten enthalten, sind auch reich an Fodmaps. Ist das schon kompliziert genug, so wird es weiter verkompliziert durch die Tatsache, dass viele Reizdarmpatienten feststellen: Weizenbrot ist nicht gleich Weizenbrot, das eine vertrage ich, das andere nicht.

Nun hat eine Arbeitsgruppe um den Lebensmittelwissenschaftler Reinhold Carle von der Uni Hohenheim eine Ursache für diese Unterschiede gefunden. Sie könnte, wie die Forscher im Fachblatt „Journal of Functional Foods“ berichten, im Prozess des Backens liegen.

Zunächst analysierten die Wissenschaftler in einem aufwendigen Verfahren die Urgetreide Dinkel, Einkorn, Emmer und Durum – die vielen Reizdarm-Geplagten recht gut bekommen – und handelsüblichen, zum Brotbacken verwendeten Vollkornweizen, auf ihren Fodmaps-Gehalt. Zu ihrer Überraschung stellten sie dabei fest, dass die alten Getreide kaum weniger dieser Zucker enthalten als Weizen. Einkorn enthält sogar mehr davon.

Liegt es also gar nicht an den Fodmaps, wenn Brot bei besonders empfindlichen Personen für Bauchweh und Blähungen sorgt? Bilden Reizdarm-Geplagte sich womöglich nur ein, dass der alte, „natürliche“ Dinkel aus dem Bioladen ihnen besser bekommt als der ohnehin derzeit als ungesunder Dickmacher („Weizenwampe“) verteufelte moderne Weizen?

Auf der Suche nach handfesteren Erklärungen nahmen die Lebensmittel-Analytiker im Anschluss an ihre Analyse der Getreide die Verarbeitungsschritte beim Backen genauer unter die Lupe. Sie interessierten sich für den Fodmap-Gehalt, den die verschiedenen Teigsorten nach einer, zwei, vier und viereinhalb Stunden Gehzeit hatten. Am höchsten war er bei allen Getreidesorten nach einer Stunde. Nach viereinhalb Stunden aber enthielt selbst der Weizenteig im Vergleich zum Ausgangswert nur noch ein Zehntel der vergärbaren Zucker.

„Die Fodmaps werden während der Teigreifung durch Hefen abgebaut“, erläutert Carle. Während der ungebackene Teig geht, nimmt er also nicht nur an Volumen zu, es wird in dieser Zeit auch schon ein großer Teil der Arbeit getan, die die Bakterien im Dickdarm des Menschen sonst später vollziehen müssten, manchmal zum Leidwesen des Brot-Konsumenten mit dem empfindlichen Darm.

Mit der langen Phase vor dem Backvorgang lässt sich auch die meist bessere Bekömmlichkeit von Sauerteigbrot erklären. „Dass eine lange Stehzeit vorteilhaft ist, wurde schon länger vermutet“, sagt der Magen-Darm-Spezialist Martin Storr vom Zentrum für Endoskopie in Starnberg. Auch dass mit „Urgetreide“ Gebackenes nicht grundsätzlich besser vertragen wird, sei nicht wirklich neu. Doch der Ernährungsspezialist fügt gleich hinzu: „Die Studie der Universität Hohenheim war trotzdem höchst erwünscht. Endlich wurde wissenschaftlich belegt, welche Rolle die Abläufe bei der Verarbeitung spielen.“ Für seine Arbeit als Arzt sei das wichtig: „Wenn man Menschen zu ihrer täglichen Ernährung berät, muss das hieb- und stichfest sein.“

Storr wünscht sich, dass die Nahrungsmitteltechnologen sich mit Veränderungen befassen, die sich erst nach dem Backen einstellen – um den Ratschlag zu untermauern, dass man als Reizdarm-Geplagter Brot nicht gleich essen sollte, wenn es noch warm ist.

Wenn immer mehr Menschen über die typischen Symptome des Reizdarmsyndroms klagen, so hat das sicher auch mit größerer gesundheitlicher Sensibilität zu tun. Ein weiterer Grund sind aber wohl akute Magen-Darm-Infekte, die viele Menschen bei Fernreisen erwischen. Denn auf ihrem Boden entwickelt sich die chronische Störung besonders häufig. Eine Forschergruppe unter Leitung des Psychosomatikers Bernd Löwe vom Uniklinikum Hamburg verfolgte das Geschick von 2000 Fernreisenden.

Die Ergebnisse, die kürzlich im Fachblatt „American Journal of Gastroenterology“ erschienen sind, legen nahe, dass psychologische Faktoren wie Ängste und Stress das Risiko erhöhen, dass aus einem solchen Infekt ein Reizdarmsyndrom entsteht. Dazu kommt, dass Lebensmittel heute besonders viele Fodmaps enthalten. „Viele Produkte enthalten große Mengen Fruchtzucker, der sich industriell besonders gut verarbeiten lässt, die meisten Fertigprodukte mit Getreiden, insbesondere Backwaren, werden zu schnell zubereitet“, kritisiert Storr.

Extreme Ratschläge wie der, ein Leben lang auf Roggen- und Weizenbrot zu verzichten, lassen sich daraus nicht ableiten. Patienten, die erfahren haben, dass sie mit Beschwerden reagieren, rät Storr, ihr Brot selbst zu backen und den Teig zuvor vier Stunden gehen zu lassen.

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