Bosnien und Herzegowina: Biertrinken in Sarajevo
Das Bier aus der Brauerei in Bistrik hat eine stolze Tradition. Dennoch trinken Bosnier heute lieber Importware. Auch Craft Beer findet Anhänger.
Fuad und Fikret haben vorgesorgt: Obwohl ihre gläsernen Halbliterkrüge noch nicht leer sind, kommt schon eine neue Bier-Lieferung. Der junge Kellner wird mit überschwänglichen Dankesworten empfangen. Lachend stellt er die Krüge ab und verschwindet im Getümmel.
„Živeli!“ – Prost! Fuad und Fikret haben gute Laune, es ich Freitagabend in Sarajevo, die Bierhalle der Brauerei im Stadtteil Bistrik ist voll. Eine fünfköpfige Band spielt Lieder aus der Region und Fikret singt ab und zu eine Zeile mit.
Die beiden Mittfünfziger gefällt es gut in diesem geräumigen, rustikalen Lokal, auf dessen Empore an diesem Abend alle Tische besetzt sind. Die beiden Freunde sitzen auf Barhockern an einem der Stehtische unweit der Bühne.
Vorhin haben sie immer mal zu den Damen am Nachbartisch rübergeschaut, aber jetzt erklären sie dem Gast aus Deutschland – der natürlich sofort eingeladen wird – erstmal von ihren Trinkgewohnheiten: „Am liebsten mögen wir Raki“, sagt Fuad und zählt von Pflaume über Kirsche bis hin zu Birne alle Sorten auf, die ihm einfallen. Aber das Bier hier sei auch ganz gut. Sie trinken das Dunkle „Sarajevsko“. Bekannter ist die helle Version, die schon für einen Euro (0,2 Liter) zu haben ist. „Das wird gleich hier gebraut,“ erklärt Fuad. „Sie haben ihre eigene Quelle. Die Wasserqualität ist entscheidend beim Bier.“
Während der serbischen Belagerung holten die Bewohner hier Wasser
Die Brauerei von Sarajevo, die nur ein paar Schritte neben der Pivnica HS genannten Bierhalle liegt, ist in der Tat eine der wenigen Brauereien in Europa, die über eine eigene Wasserquelle verfügt. Aus 300 Metern Tiefe wird das Wasser emporgeholt. Es kommt vom Berg Trebević, wo bei den Olympischen Winterspielen 1984 die Bob- und Schlittenwettbwerbe stattfanden. Während der Belagerung Sarajevos in den Neunzigern schoss die serbische Artillerie von hier in die Stadt.
Die Quelle der Brauerei war damals eine Lebensader für die eingeschlossenen Bewohnerinnen und Bewohner. Im kleinen Museum der Brauerei hängt ein wandfüllendes Schwarz-Weiß-Foto, auf dem zu sehen ist, wie die Menschen mit ihren Plastikkanistern um Wasser anstehen.
Die Bierproduktion war zu dieser Zeit auf ein Minimum zurückgefahren, dabei war die Brauerei von Sarajevo seit ihrer Gründung im Jahr 1864 durchgängig in Betrieb gewesen. Sie gilt als älteste Industrieanlage des Landes, das damals noch Teil des Osmanischen Reiches war.
Während der über dreijährigen Einkesselung Sarajevos wurde sie schwer beschädigt. Doch heute gehört der prachtvolle, dunkelrot gestrichene Gebäudekomplex mit dem geschwungenen Torbogen wieder zu den schönsten der bosnischen Hauptstadt. Hinein darf man aus Hygenieschutzgründen nicht. Dafür gibt es das Museum, in dem man alte Fässer, Flaschen, Fotos und Zeitungsartikel sehen kann. Die Ausstellung ist klein, da viele historische Stücke den serbischen Granaten zum Opfer fielen. Dennoch vermittelt sie ein Gefühl für die stolze Tradition des Betriebs, in dem 350 Menschen arbeiten.
Über Generationen war „Sarajevsko pivo“ in Bosnien das Synonym für Bier. Ob Feierabend oder Familienfest – das Bier kam von der Brauerei in Bistrik. Diese fast konkurrenzlose Dominanz endete einige Jahre nach der Jahrtausendwende, als multinationale Konzerne den Balkan entdeckten. Mit großer Marketingpower brachten sie ihre Biersorten auf die Märkte Ex-Jugoslawiens und kauften die meisten Brauereien auf.
In Bosnien wird heute größtenteils Importbier getrunken
Die Sarajevska Pivara blieb unabhängig, musste aber hohe Umsatzeinbußen hinnehmen. Ihre Biere wurden zudem aus vielen Bars und Kneipen verdrängt. Mit den Verträgen, die Konzerne wie Heineken oder Carlsberg den Wirten anboten, konnte sie nicht konkurrieren. Mittlerweile sind etwa 80 Prozent des in Bosnien getrunkenen Bieres importiert.
Bei einem Streifzug durch die Innenstadt wird dies deutlich. Etwa zehn Minuten Fußweg sind es von der Brauerei hinunter ins Herz von Sarajevo. Über den Fluss Miljacka kommt man geradewegs in die Baščaršija, die traditionelle Altstadt mit ihren Gässchen und kleinen Läden. An deren südlichem Rand verläuft die Straße Zelenih beretki, wo sich Cafés und Bars aneinander reihen. Auf ihren Leuchttafeln und Markisen stehen die Namen großer internationaler Biermarken. Der „Sarajevsko“-Schriftzug ist nirgends zu sehen.
Etwa in der Mitte der Straße parkt ein roter Doppeldeckerbus wie man ihn aus London kennt. Er ist übersäht mit Logos der umliegenden Läden, die alle von Denis Stojnić betrieben werden. Der muskulöse 37-Jährige, der einen Teil seiner Jugend in Frankfurt am Main verbrachte und auch als Mixed Martial Arts-Kämpfer bekannt ist, sitzt vor dem Cheers Pub in der angrenzenden Seitenstraße Muvekita. Dies war 2008 sein erster Laden.
Ein Pils gebraut nach deutschem Vorbild
Direkt gegenüber liegt sein kleiner Irish Pub Murphys, der an die neueste Gründung, den Tesla Pub, grenzt. Dort ist am Nachmittag schon viel Betrieb, oben sitzen die jungen Leute, unten die älteren. „Zu uns kommen Einheimische genauso wie Touristen“, sagt Stojnić, der von seinem jüngeren Bruder Dado unterstützt wird.
Der steht gerade vor der City Lounge, ihrer 2011 gegründeten Bar auf der Zelenih beretki-Straße. Für alle ihre Läden haben sie Verträge mit ausländischen Brauereien abgeschlossen, deren Namen auf den Markisen prangen. Wenn man auf den Getränkekarten ein bisschen sucht, findet man aber auch ein „Sarajevsko“. Denis Stojnić sagt: „Wenn jemand aus Deutschland oder Amerika zu Besuch kommt, soll er das Bier aus unserem Land trinken können. Natürlich präsentieren wir unser Staatsbier. Wir sind Patrioten.“ Er habe extra auf Geld in verzichtet, damit er das anbieten könne. Mehr gibt es, wenn man nur die Marken des Konzerns anbietet.
Denis Stojnić, der selbst keinen Alkohol trinkt, kann sich das leisten. Seine Cafés haben Toplage und sind gut besucht. Er beschäftigt im Sommer 60 bis 70 Mitarbeiter, sonst 30 bis 40. Sein nächster Plan: Einen Club aufmachen. „Das fehlt in Sarajevo. Ich würde ihn ,The Great Gatsby’ nennen“. Eine Location hat er schon, ebenfalls in direkter Nähe des Cheers. Stojnić Erfolg hat auch Neider auf den Plan gerufen. Immer wieder hat er Ärger. Im Sommer wurde er unweit des Cheers von drei Männern bedroht, einer zog eine Pistole. Zum Glück kam zufällig eine Polizei-Streife vorbei. Als der Angreifer seine Waffe auf einen der Beamten richtete, streckte dieser ihn mit Schüssen in Bauch und Bein nieder.
Pils, IPA, Weißbier - die Mikrobrauer sind experimentierfreudig
Solche Aufmerksamkeit wird der Brew Pub wohl niemals auf sich ziehen. Die erste Mikrobrauerei-Kneipe Bosnien und Herzegowinas liegt ein wenig abseits des Zentrums in der Nähe des Abdulah-Nakas-Krankenhauses. Von außen mit schwarzen Brettern verkleidet, innen freundlich und hell. Über der Bar sind riesige Metallbottiche montiert, in denen die Sorten des Hauses lagern. Gerade gären dort etwa ein Indian Pale Ale, ein leichtes Weißbier und eine nach belgischem Vorbild gebraute Sorte.
Direkt unter der Anlage steht Barkeeper Zlatan Smailbegović, der zum Probieren einen Tester mit vier 0,25 Liter-Gläsern vorschlägt. Als erstes kommt das „Sefte“-Pils dran, das es sogar in einigen Supermärkten der Stadt gibt. Es schmeckt vertraut. „Ja, das ist nach deutschem Stil gebraut“, sagt Smailbegović lächelnd. Der 25-Jährige ist BWL-Student und „Bier-Enthusiast“. Entsprechend begeistert spricht er über die Mission der 2014 gegründeten Craft-Beer-Brauerei: „Bosnier kennen eigentlich kaum anderes Bier als Pils. Deshalb müssen wir hier viel erklären, die Leute ein bisschen fortbilden.“ Dafür haben sie sogar laminierte Infoblätter ausgelegt, die den Brau-Prozess genau erklären und auf den Tischen ausliegen. Die Zutaten importiert das fünfköpfige The-Brew-Team aus den USA, Slowenien und Deutschland, weshalb die Preise hier etwas über dem in Sarajevo üblichen Niveau liegen. Was die Leute offenbar nicht abschreckt, der Laden ist meist gut besucht.
Die Traditionsbrauerei besinnt sich auf ihr altes Rezept
Die Mikrobrauer von Sarajevo, die im ganzen Land immer mehr Nachahmer finden, setzen auf Bio, gutes Handwerk und Nähe zu ihren Kunden. Mit einem ähnlichen Ansatz versucht auch die Brauerei in Bistrik, Boden gutzumachen: Sie besinnt sich auf ihre Tradition. Vor knapp zwei Jahren ist man zur alten Rezeptur zurückgekehrt. Sogar der alte Braumeister wurde aus der Pension geholt, um den Geschmack möglichst genau zu rekonstruieren.
Auch optisch setzt das Unternehmen auf Retro: die Flaschen mit den beigen Etiketten und dem roten „Sarajevsko“-Schriftzug erinnern an die goldene Zeit der Brauerei. Mit Erfolg: Die Verkaufszahlen bessern sich wieder. Die Präsenz der Marke in der Stadt wächst ebenfalls.
In der Bierhalle der Brauerei kann man überdies ein ungefiltertes Fassbier trinken, das es nur hier gibt. Es ist quasi das „Sarajevsko“-Craft Beer. Ob das auch etwas für Fuad und Fikret wäre? Das zu diskutieren, schaffen wir nicht mehr. Aber ein Glas Dunkelbier geht schon noch, oder? Klar!
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