Backen in Berlin: Auf der Suche nach dem perfekten Laib
Was macht ein Brot zu einem richtig guten Brot? Und kann man ein lange haltbares und richtig gutes Brot selbst backen? Ein Besuch bei Florian Domberger und seiner Bäckerei in Moabit
Wir haben uns mit Florian Domberger in seiner gläsernen Backstube getroffen, um zusammen mit ihm Brot zu backen und in den Pausen dazwischen - frei nach der Bäckerweisheit: "Brotbacken braucht Zeit, aber zumeist nicht die eigene" - über all diese Fragen zu sprechen. Domberger ist Quereinsteiger, der seiner Leidenschaft für gutes Brot folgte, eine Karriere in der Pharmaindustrie an den Nagel hängte und heute eine Schaubäckerei in Moabit betreibt. In seinem „Brot-Werk“ backt er „ursprünglich“, mit nur drei Zutaten: Wasser, Mehl und Salz. Statt Hefen zuzusetzen, verwendet er ausschließlich Sauerteig. Professionelle Hilfe erfährt er von zwei gelernten Bäckermeistern, Björn Wiese von der Bäckerei Wiese in Eberswalde sowie Ralf Tschentscher, einem „Queraussteiger“, der den Sprung von Industrie- zu Biobrot wagte.
Domberger hält seine Bäckerei bewusst offen und nimmt sich die Zeit, die Fragen seiner Kunden zu beantworten. „Bis keine Fragen mehr offen sind - das kann schon mal eine halbe Stunde dauern“, sagt der Bäcker aus Leidenschaft. Vertrauensbildung ist ihm wichtig: „Handwerk muss transparent sein: Wir müssen offensiv rausgehen, und zeigen, was wir Gutes tun, wir dürfen uns nicht im Kämmerlein verstecken.“ Das „Rausgehen“ nimmt er wörtlich: Mit dem ausgemusterten Militäranhänger einer ehemaligen Schweizer Feldbäckerei, dem „Brotwüstenexpeditionsfahrzeug“, bringt er handwerklich gefertigtes Brot in Regionen, in denen ansonsten Discounter und Backshops die einzigen Brotquellen sind.
In der Zeit, die wir in seiner Backstube verbringen, den Sauerteig „füttern“, einen wollüstig aufgeblähten Grundteig falten und Brot in den Ofen schieben dürfen, testen wir immer wieder ofenwarmes Gebäck, das noch in der Probierphase steckt: Croissants - „geschmacklich super, aber noch zu kompakt für den Verkauf“. Oder einen wagenradgroßen Laib Roggenbrot - „tolle Krume, aber noch zu ungleichmäßige Porung“. Und wir sind dabei, wenn das Personalessen gegen Mittag aufgetischt wird: extradick geschnittenes Beutebrot mit viel Butter und Käse. Aber beim Probieren, beim Spekulieren, bei den Gesprächen über die vielen steuerbaren und zufälligen Faktoren und Prozesse, die beim Brotbacken zusammenkommen, wird doch eines sehr deutlich: Ein Rezept, auch wenn es so ausführlich ist, wie die beiden von Florian Domberger bereitgestellten Rezepte, enthält niemals die ganze Wahrheit.
„Auch wir haben Schwierigkeiten, über das Jahr hinweg ein immer gleiches Ergebnis zu erzielen. Temperaturen und Luftfeuchtigkeit schwanken, die Mehle verändern sich leicht, und dann gibt es Faktoren, die wir noch gar nicht richtig erfasst haben.“ Vieles ist auch Neuland für Bäckermeister Björn Wiese: „Ich lerne selbst noch dazu, weil wir hier das Handwerk, so wie ich es gelernt hatte, hinterfragen“. Er findet es interessant, zurückzugehen in eine Zeit, als es noch keine Hilfsmittel wie Backhefe und Stabilisatoren gab, sondern die Arbeit dem Sauerteig überlassen wurde. „Unsere Aufgabe ist dabei, den Prozess, so gut es geht, zu steuern.“ Gutes Brot zu backen ist eben weniger eine Wissenschaft als eine handwerkliche Kunst.
Was ist Brot?
Brot ist auf der ganzen Welt verbreitet, und praktisch überall wird es aus Mehl gebacken, das in aller Regel aus Getreide wie Weizen, Roggen oder Mais gewonnen wird. Getreide wiederum ist nichts anderes als durch Züchtung optimiertes Gras. Wir sind also Grasfresser. Wie Kühe. Nur haben wir nicht sechs Mägen und auch nicht die Zeit, Unmengen Grünzeug eine hochkomplizierte Wanderschaft durch unser Verdauungssystem antreten zu lassen. Deshalb essen wir nicht die ganze Pflanze, sondern nur den energiereichsten Teil davon, das Korn. Das wird gemahlen - und aus dem Mehl backen wir Brot. Jede Kultur backt ein bisschen anders, aber der Trick bleibt überall derselbe: Wir überlassen dem Müller und dem Bäcker die Arbeit, die bei Kühen in den fünf Extra-Mägen geleistet wird.
Was ist gutes Brot?
In der EU sind 199 Zusatzstoffverordnungen und sogenannte „Verarbeitungshilfsstoffe“ beim Backen zugelassen. Sie dienen in erster Linie dazu, den Gär- und Backprozess zu beschleunigen, die technische Handhabung zu erleichtern und die Folgen dieses Schnellbackverfahrens auszugleichen. Die größte Leistung dieser Hilfsmittel ist nicht, das Brot besser zu machen, sondern seine Herstellung zu optimieren. Das Weizenkorn, das in der Regel zum Brotbacken verwendet wird, ist so gezüchtet worden, dass es besonders hart ist, damit es sich leichter von der Kleie trennen lässt. Die Kleie, eigentlich ein hervorragender Ballaststoff, wird komplett aussortiert. Auch der Keim, wegen der darin enthaltenen Vitamine, Mineralstoffe, Enzyme und gesunden Öle der wertvollste Bestandteil des Korns, wird bei der Raffinade entfernt, weil das Mehl dadurch weißer, leichter zu verarbeiten und länger haltbar ist. Negativer Effekt: Das, was am Ende übrig bleibt, ist so nah an reiner Stärke, dass der Körper das Brot im Nu zu Glukose verstoffwechselt: Nährwert gleich null, Arbeit für den Darm gleich null, dafür schnellt der Blutzuckerspiegel ungebremst nach oben. Gutes Brot dagegen benötigt nur drei Zutaten: Mehl, Wasser, Salz. „Und viel Zeit“, sagt Domberger: „Wenn man ohne Hefezusatz bäckt, braucht das Mehl mehr Zeit zum Quellen, dadurch wird aber auch mehr Wasser im Teig gebunden.“ Auch werden bei der längeren Vergärung die Glutenproteine verdaulicher, und die Stärkeaufnahme verlangsamt sich. Dazu bildet das Brot eine bessere Krume, es bleibt länger frisch und durch die Vielzahl unterschiedlicher Hefepilze und Bakterien, die an der langsamen Vergärung beteiligt sind, entsteht auch ein Mehr an Nährstoffen und vor allem: Aroma. Man muss dem Brot aber auch Zeit geben, betont Domberger, dieses Aroma zu entwickeln, nach ein bis zwei Tagen entfaltet Sauerteigbrot erst seinen vollen Geschmack.
Wie viel Zeit braucht gutes Brot?
„Unser Brot wird bis zu 36 oder 38 Stunden geführt“, sagt Florian Domberger. „Einen Teig zu führen, das heißt im Arbeitsprozess vom Rohmaterial bis zum Backen verschiedene Parameter zu setzen: Zeit, Temperatur, Material, Wassergehalt, mechanische Energie, Teigbearbeitung. Die Führung endet mit dem Einschieben in den Ofen.“ Aber Zeit ist Geld: „Unsere Semmeln zum Beispiel werden am Tag zuvor bereitet und dann über Nacht in der Kühlung stehen gelassen, da sie durch den geringen Sauerteiganteil ein längere Standzeit benötigen, um eine fluffige Porung zu entwickeln. Sie backen auch nicht gleichmäßig, sondern entwickeln unterschiedliche Bräunungsgrade in der Krume und dadurch auch unterschiedliche Geschmäcker. Durch die bessere Einbindung von Wasser und die kräftige Krume halten sie sehr viel länger, kosten allerdings auch 80 Cent statt 15 Cent im Discounter.
Welches Mehl ist das beste?
„Wir verwenden andere Mehle als die Industrie, nicht optimierte, nicht überzüchtete“, sagt Florian Domberger, „bei Roggen zum Beispiel Bio-Vollkorn mit Keim und Kleie“. Darin sind mehr Nähr- und Ballaststoffe enthalten, aber das Mehl muss auch schneller verarbeitet werden. Problem der Kleie: Durch ihre scharfen Kanten beeinträchtigt sie die Dehnfähigkeit des Teiges, wodurch es schwieriger, aber nicht unmöglich ist, eine schöne Porung zu erzeugen. Auch nutzt Domberger Dinkel-Vollkorn und Bio-Weizenmehl Typ 550 (Auszugsmehl) und gelegentlich Probemehle wie Emmer. „Wir haben verschiedene Mehle immer fünf bis sechs Wochen lang ausprobiert, das sollte man auch zu Hause machen: In jeder Räumlichkeit ist Backen anders, der Sauerteig unterschiedlich aktiv, die Öfen sind unterschiedlich beim Backen, wie auch die Raumtemperatur nicht immer gleich ist,“ sagt er. Für ihn liegt darin das Spannende: „Bei jedem Bäcker ist das Brot eine Nuance anders. Diese Vielfalt geht durch die ganze Prozessoptimierung verloren.“
Auch wenn viele Kunden danach fragen, will er nicht ausschließlich mit Dinkel arbeiten: „Die Kunden glauben, es sei gesünder als Weizen. Ich will da aber nicht mitmachen, will dem Weizen die Würde zurückgeben, ihn wieder bekömmlich machen,“ sagt Domberger.
Sauerteig oder Hefe?
Die in der Backhefe enthaltenen Hefekulturen sind selektiert und arbeiten schnell und sicher, sie dienen aber weniger dem Geschmack als der Prozessoptimierung: Der Teig soll möglichst schnell aufgehen. Die Sauerteigführung dagegen ist anspruchsvoller. Im Sauerteigansatz müssen sich erst die „richtigen“ Hefen und Bakterien durchsetzen und sich eine Umgebung schaffen, in der andere Mikroorganismen sich nicht mehr ausbreiten können. Er ist eher ein dynamisches Gebilde, in dem Hefe- und Bakterienkulturen um die Vorherrschaft kämpfen. Der Bäcker ist der Heerführer, der für die optimale Umgebung seiner Kulturen sorgt. Am Geruch kann er erkennen, wer gerade die Oberhand hat: Ein Sauerteig sollte nicht apfelsäurig, sondern hefig und leicht süß duften. Es ist übrigens ein Mythos, dass 100-jährige Sauerteigkulturen eine auffallend andere Zusammensetzung haben als junge, ausgereifte Kulturen.
Der Vorteil des Backens mit Sauerteig liegt darin, dass Wasser zwar langsamer aufgenommen wird, wodurch die Verquellung des Mehls länger dauert. Es wird aber insgesamt mehr Wasser im Teig gebunden. Zudem ist Sauerteig ein natürlicher Schimmelschutz. Er säuert nicht nur den Teig, er gibt ihm auch Aromen, und durch die längere Standzeit werden Giftstoffe abgebaut. Und die Kruste, die durch den längeren Backvorgang kräftiger wird, wirkt wie ein Frischetresor. Sauerteig ist für Domberger die Seele und der Motor des Backens, er sorgt für den Backtrieb, die Porung und das Aroma. Er erfüllt den Brotteig mit Leben und verleiht ihm Geschmack.
Sind Sauerteigbrote bekömmlicher?
„Zeit ist der Schlüssel zur Bekömmlichkeit“, findet Domberger. Industrielle Backwaren werden durch die Prozessoptimierung sehr schnell fertiggestellt; die Führung eines Sauerteigbrotes braucht ein Vielfaches an Zeit. Lebensmittelanalytiker der Universität Hohenheim haben herausgefunden, dass die für Unverträglichkeiten verantwortlichen Gärzucker wie Lactose und Fructose bei längeren Gehzeiten abgebaut werden, selbst bei Weizen sank nach viereinhalb Stunden der Gehalt dieser fermentierbaren Zucker auf ein Zehntel ihrer Anfangskonzentration. Dies könnte erklären, warum Betroffene gleiche Brotsorten nicht gleich vertragen - der wichtigste Faktor bei Unverträglichkeiten scheint nicht das Mehl sondern die aufgewendete Zeit zu sein. Aber es gibt auch Grenzen: „Zöliakie, also die Glutenunverträglichkeit, ist außen vor, da können wir nichts machen“, sagt Florian Domberger. „Aber davon ist nur ein ganz kleiner Teil der Verbraucher wirklich betroffen. Für alle anderen, die behaupten, Weizen nicht zu vertragen, oder die nur glutenfreies Backwerk wollen, nehme ich mir die Zeit, sie zu konvertieren.“ Das geschieht, indem er versucht, vier Faustregeln zu vermitteln: „Weizen ist nicht böse! Sauerteig ist die weiße Seite der Macht! Gluten ist nicht böse - außer man hat Zöliakie. Und Dinkel ist nicht automatisch nur gut. Wer Probleme hat, sollte einfach mal ein lang geführtes Sauerteig-Weizenbrot probieren und dann sehen, ob er es verträgt.“
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