Politische Aktivisten und Schießstandaffäre: Diese Probleme muss Innensenator Geisel in Berlin lösen
Berlins Innensenator Andreas Geisel sieht sich gerne als Macher. Doch nicht nur linke und rechte Extremisten machen dem SPD-Politiker zu schaffen.
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) bleibt nicht mehr viel Zeit. In nicht einmal zwei Jahren wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt, die SPD rutscht in den Umfragen immer weiter ab – hinter die Grünen, Linke, ja selbst hinter die CDU. Er versucht sich als Macher zu präsentieren.
So ist es beim Kampf gegen die Clan-Kriminalität. Geisel hat ein koordiniertes Vorgehen von Polizei, Staatsanwaltschaft, Finanzbehörden, Gewerbeaufsicht und Ordnungsämter organisiert. Doch inzwischen mehren sich Zweifel in der Polizei, ob die ständigen Razzien in den Shisha-Bars und die Kontrollen von teuren Autos viel mehr einbringen als Überstunden und Dauereinsätze für die Ermittler.
Auch der Görlitzer Park bringt Geisel Ärger: Er hatte verfügt, dass dort nun zwei mobile Polizeiwachen stehen sollen, um endlich Gewalt und Drogenkriminalität in den Griff zu bekommen. In der Polizei wurde diese Weisung „von oben“ als Eingriff in ihre Arbeit kritisiert und erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahme geäußert.
„Es geht allein um Außenwirkung und nicht um effektive Prävention und Kriminalitätsbekämpfung“, sagte Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei.
Einen weiteren Brennpunkt, die Rigaer Straße, wo es am Wochenende wieder zu Ausschreitungen der linksextremen Szene kam, bekommt Geisel wie seine Vorgänger nicht in den Griff. Und bei der rechten Anschlagsserie in Neukölln wächst das Misstrauen gegenüber den Behörden. Auch die Schießstandaffäre, die Geisel mit einem Entschädigungsfonds abräumen wollte, ist längst nicht erledigt. Ein Überblick über die unerledigten Fälle des Innensenators.
Rechtsextreme in Neukölln
Am Montag wurde den Fraktionen des Abgeordnetenhauses eine Petition übergeben. 25000 Unterzeichner fordern einen Untersuchungsausschuss zu der rechtsextremistischen Anschlagsserie von Neukölln – und zu angeblich rechten Strukturen in den Berliner Sicherheitsbehörden. Der Tag der Übergabe der Petition ist mit Bedacht gewählt: Es ist der achte Jahrestag der Selbstenttarnung der Neonazi-Terrorgruppe NSU.
Die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus zählte in den vergangenen Jahren 55 Anschläge in Neukölln, 14 davon waren Brandanschläge auf Autos. Betroffen sind Menschen, die sich gegen Rechts engagieren. Sie erhalten Morddrohungen. Die erste Welle der Anschläge reicht zurück an den Anfang des Jahrzehntes.
Obwohl die Behörden zwei Tatverdächtige im Visier haben, reichte es bisher nicht für eine Anklage. Hinzu kommen Pannen und der Verdacht der Betroffenen, Polizisten mit rechtsextremer Gesinnung könnten das Verfahren torpediert haben. Handfeste Belege für diesen Verdacht gibt es aber nicht.
Vertrauensverlust der Betroffenen in den Rechtsstaat
Die Sprengkraft der Vorwürfe ist Geisel bewusst, ebenso der massive Vertrauensverlust der Betroffenen in den Rechtsstaat angesichts fehlender Ermittlungserfolge. Mehrfach bat er die Bundesanwaltschaft, das Verfahren zu übernehmen – doch aus Karlsruhe kam stets eine Absage: Es handle sich nicht um Rechtsterrorismus.
Um Entschlossenheit zu signalisieren, ließ Geisel nach Kommunikationspannen zwischen Polizei und Verfassungsschutz im Frühjahr das gemeinsame Informations- und Bewertungszentrum „Rechtsextremismus“ (GIBZ) einrichten. Und im Mai wurde auf sein Geheiß beim Landeskriminalamt die Soko „Fokus“ gebildet. Diese soll alle Fälle nochmals prüfen, mögliche Verbindungen herstellen.
Zum Jahresende soll die Einheit einen Bericht vorlegen. 30 „unabhängige Ermittler“ sollen laut Geisel in der Soko tätig sein. Tatsächlich sind es nur 15 Mitarbeiter, die Soko kann aber „anlassbezogen bis auf 30 Mitarbeitende“ anwachsen, wenn dies erforderlich werde, erklärte die Innenverwaltung im September.
In Koalition bislang nur Linke für Untersuchungsausschuss
Auch die bislang zuständige, 2017 gegründete Ermittlungsgruppe Resin (Rechtsextremismus in Neukölln) ging in der Soko auf. In jener Soko also, die die bisherige Arbeit der Ermittlungsgruppe Resin überprüfen soll. Neben Beamten der Staatsschutzabteilung und der LKA-Abteilung 1 für „Delikte am Menschen“ sind auch Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit Teil der Soko.
In der rot-rot-grünen Koalition sind bislang nur die Linken für einen Untersuchungsausschuss. Die SPD ist dagegen. Fraktionschef Raed Saleh hat aber den Vorschlag der Grünen aufgegriffen, einen Sondermittler zu berufen – als „zeitgemäße Antwort auf rechte Umtriebe und die Bedrohungslage“, wie Saleh sagte.
Auch Innensenator Geisel zeigte sich vor drei Wochen offen für einen Sonderermittler. Sein Sprecher sagte: „Wir werden das in Betracht ziehen, wenn uns die Ergebnisse der besonderen Einheit Fokus vorliegen.“
Linksextreme in der Rigaer Straße
Die Rigaer Straße in Friedrichshain ist der Hotspot linker Gewalt in Berlin. In der einstigen Hochburg der Hausbesetzerszene werden regelmäßig Polizisten attackiert und Anwohner drangsaliert. Die Linksextremen deklarieren das Gebiet zu ihrer Freiraum-Zone, in der der Staat nichts zu suchen hat. Seit Jahresbeginn gab es mehr als 200 Polizeieinsätze, die Zahl der Gewalttaten ist massiv gestiegen.
Am vergangenen Sonnabend warfen vermutlich Linksextremisten am Café Sybille in der Karl-Marx-Allee die Scheiben ein – weil sich CDU-Fraktionschef Burkard Dregger dort mit Bürgern über die Lage im Kiez unterhalten wollte. Am selben Abend kam es am Ende der Demonstrationen linker Gruppen in der Rigaer Straße zu Ausschreitungen.
Privatautos von Anwohnern wurde schwer beschädigt, Wachleute einer Baustelle angegriffen, Möbel und Straßenschilder wurden auf Beamte geworfen, Polizisten mit Farbe aus einem Feuerlöscher besprüht, Müllcontainer in Brand gesetzt. 16 Polizisten wurden verletzt.
In Mitte wurden am selben Abend Steine und Farbbeutel auf das Gebäude der Bußgeldstelle geworfen, ein hinterlassener Schriftzug verweist auf das Geschehen in Friedrichshain. Bilanz des Abends: Acht Strafermittlungsverfahren und drei Festnahmen.
Abkaufen der Rigaer Straße 94 bislang gescheitert
Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) erklärte noch vor einer Woche: „Wir legen die Hände nicht in den Schoß. Die Strafverfolgung ist gewährleistet.“ Der Nordkiez werde rund um die Uhr von der Polizei betreut. Die Bemühungen, dass eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft dem Eigentümer das Gebäude mit dem „linksautonomen Wohnprojekt“ in der Rigaer Straße 94 abkauft, um die Lage zu befrieden, scheiterten bislang.
Der vermeintliche Eigentümer kann Geisel bislang nicht nachweisen, dass ihm das Gebäude über eine Briefkastenfirma in England tatsächlich gehört.
Viele Polizisten haben Vertrauen in Politik längst verloren
Polizisten sind zunehmend frustriert über die fortwährenden Angriffe und die Unfähigkeit der Politik und ihres obersten Dienstherren, die Lage in den Griff zu bekommen. Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagt: „Viele Kollegen haben das Vertrauen in die Politik, hier wirklich etwas ändern zu wollen, längst verloren. Sie glauben nicht, dass die verantwortlichen Politiker das Problem irgendwie lösen möchten oder überhaupt erkennen.“
Geisel sind in der rot-rot-grünen Koalition politisch die Hände gebunden: Grüne und Linke sind gegen ein härteres Vorgehen. Nach der erneuten Gewalt am Wochenende hatte der Innensenator wenig Neues zu sagen. Er verurteilte die Angriffe auf Polizisten „aufs Schärfste“, und befand, Gewalt habe in der politischen Auseinandersetzung nichts zu suchen, erklärte Geisel.
Die Schießstandaffäre hat Andreas Geisel geerbt
Über Jahrzehnte verrichteten Polizeibeamte in Schießständen Dienst und wurden giftigen Dämpfen ausgesetzt. Geisel hat das Problem geerbt – und reagierte auch. Neue Trainingszentren werden gebaut. Doch wie mit den betroffenen Beamten umgehen? Einige sind schwer erkrankt, andere bereits verstorben. Ein Zusammenhang mit der Arbeit in den Schießständen ist nicht erwiesen, aber wahrscheinlich.
Die Innenpolitiker der Koalition und Geisel tüftelten einen Fürsorgefonds aus, betroffene Beamte konnten eine Entschädigung beantragen, eine von Geisel einberufene Bewertungskommission entschied. 3,27 Millionen Euro wurden ausgezahlt, von 786 Anträgen 297 abgelehnt. Am häufigsten gab es eine Entschädigung von 3000 Euro, die höchste Einzelsumme belief sich auf 80.000 Euro.
Befriedet wurde die Lage nicht. Dem Senat droht eine Klagewelle gegen die Entscheidungen der Kommission. Vielschießer, die ein besonders hohes Risiko trugen, gingen in vielen Fällen leer aus. Eine umstrittene Studie der Charité im Auftrag der Innenverwaltung war so angelegt, dass sie keinen Zusammenhang zwischen den Schießständen und schweren Erkrankungen herstellen konnte.
Ex-Beamter klagt vor Verwaltungsgericht
In einer Woche behandelt das Verwaltungsgericht die Klage eines 54-jährigen Ex-Beamten. Der Schießtrainer wurde in den Ruhestand versetzt und fordert, seine Schwermetallvergiftung durch die Arbeit auf den Schießständen müsse als Berufskrankheit anerkannt werden. Die Polizei bestreitet, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Schadstoffbelastung und Erkrankung besteht.
Vor Gericht geht es auch um die Frage, ob der Mann überhaupt Ansprüche hat, da er seit 2003 erkrankt und dienstunfähig geworden war, aber erst 2016 die Krankheit angezeigt hat. Kaum verwunderlich: Die innerhalb der Behörde jahrelang bekannte und geduldete Gesundheitsgefahr ist erst Ende 2015 publik geworden.
Was Geisel mit dem Fürsorgefonds vermeiden wollte, tritt nun ein: Das Thema wird noch jahrelang akut bleiben. Mehr als 100 betroffene Beamte wollen Widerspruch gegen die Bescheide der Kommission einlegen, Klagen sind in Vorbereitung. Das Misstrauen der Betroffenen ist so groß, dass sie der Innenverwaltung in einem Brief an das Abgeordnetenhaus vorwerfen, das Parlament getäuscht und falsch informiert zu haben.
Inzwischen prüfen die Innenpolitiker der Koalition, ob ein neuer Fonds aufgelegt werden kann, um die Lage zu befrieden.