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Glänzende Perspektive. Viele Berliner Klubs haben goldene Träume.
© Getty Images/iStock

Von der Landesliga in die Champions League?: Der Goldrausch im Berliner Fußball

Um nach oben zu kommen, lassen sich Berliner Amateurvereine mit Investoren ein. Das viele Geld ist verführerisch – doch statt des Aufstiegs droht der Absturz.

Die Fußballer von Berlin United haben an den vergangenen Wochenenden wichtige Erfolg auf dem Weg in die europäische Spitze gefeiert. Vor einer Woche haben sie 2:1 gewonnen, nach 0:1-Rückstand. Drei Minuten vor Schluss fiel der Siegtreffer für den Tabellenführer gegen den Tabellenletzten SV Blau-Weiß Hohen Neuendorf – vor 187 zahlenden Zuschauern in der Landesliga, 2. Abteilung. Zuletzt lief es sogar noch besser, Concordia Wittenau hatte beim 3:0-Sieg von United keine Chance.

Siebte Liga, das ist derzeit die Realität bei Berlin United. Aber das soll sich bald ändern. „Auch wir können träumen …“, steht auf der Homepage des Vereins. Träumen von Europas modernster Fußballarena, in der United irgendwann spielen wird. Nicht gegen Hohen Neuendorf, sondern in der Champions League gegen den FC Liverpool. Schon in diesem Jahr sollen erste Architekturentwürfe präsentiert werden. Dazu plant der Klub ein Nachwuchsleistungszentrum mit mehreren Rasen- und Kunstrasenplätzen, einer Fußballhalle, einem Hotel und einer Arena mit 5000 Plätzen. United sucht dafür ein Grundstück in Berlin. „Wir freuen uns über jedes Angebot.“

Am Boom des Fußballs wollen viele teilhaben

Anfang des Monats hat die Deutsche Fußball-Liga (DFL), die Vertretung der 36 Erst- und Zweitligisten, ihren neuen Wirtschaftsreport vorgelegt. Der Report enthält naturgemäß viele Zahlen – und vor allem eine Botschaft. Der deutsche Fußball kennt nur eine Richtung: nach oben. Zumindest was die Finanzen angeht. 4,42 Milliarden Euro haben die Bundesligisten 2017/18 erlöst und damit den 14. Umsatzrekord hintereinander verbucht. Die Steigerung im Vergleich zum Vorjahr betrug 13 Prozent. „In den vergangenen zehn Jahren ist die Bundesliga deutlich stärker gewachsen als die deutsche Volkswirtschaft“, schreibt die DFL.

Am Boom des Fußballs wollen viele teilhaben. Auch in Berlin. Oder gerade hier. Berlin kennt schließlich auch nur eine Richtung. Nur nicht im Fußball. Aber das kann man ja ändern.

Kann man das?

„Berlin ist schon eine Stadt mit riesigem Entwicklungspotenzial“, sagt Bernd Schultz, der Präsident des Berliner Fußballverbands (BFV). „Aber noch ist es selbst für Profivereine wie Hertha BSC und den 1. FC Union schwierig, lokale Sponsoren zu finden.“ Was sollen erst Klubs aus der vierten oder fünften Liga sagen, die vor ein paar Hundert Zuschauern und damit quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit spielen? Trotzdem träumen alle davon, zur dritten Kraft hinter Hertha und Union aufzusteigen. Einen kleinen Klub groß rauszubringen und am Ende fett abzusahnen. Entweder Geld. Oder Ruhm. Oder beides.

Ein Friedhof gescheiterter Träume

Dabei ist der Berliner Fußball ein Friedhof gescheiterter Träume. Blau-Weiß 90 war vor 30 Jahren sogar die erste Kraft in West-Berlin, schaffte es 1986 dank der Unterstützung eines windigen Investors bis in die Bundesliga – und landete ein paar Jahre später in der Insolvenz. Tennis Borussia sollte um die Jahrtausendwende vom Finanzinvestor Göttinger Gruppe ganz nach oben gebracht werden – und landete kurz darauf in der Insolvenz. Beim Regionalligisten Viktoria 89 stieg im vergangenen Jahr ein Geldgeber aus China ein, der dem Viertligisten aus Lichterfelde in einem Crashkurs professionelle Strukturen verpassen und irgendwann sogar Hertha BSC Konkurrenz machen wollte – inzwischen läuft das Insolvenzverfahren.

Das hält andere Klubs nicht davon ab, groß zu träumen. „Grundsätzlich stehe ich solchen Engagements erst einmal positiv gegenüber“, sagt Bernd Schultz, 61, der seit 1973 im Berliner Vereinsfußball tätig ist, seit 1985 im Verband und ihm seit fast 15 Jahren als Präsident vorsteht. Viktorias Pläne klangen für ihn durchaus vernünftig, der Investor sei schließlich nicht irgendeine Einzelperson gewesen, „die meint, ihren Lottogewinn investieren zu müssen“. Der Chef einer großen chinesischen Hotelkette war vor allem am Standort Berlin mit seinem internationalen Renommee interessiert und verfügte auch über Erfahrung im Profifußball. „Skeptisch bin ich bei dem Aspekt geworden, dass man gleich ein zweitligataugliches Stadion bauen wollte“, sagt Schultz. Vor Kurzem hat Viktoria 1:0 gegen Hertha BSC gewonnen. Gegen die zweite Mannschaft. Vor 812 Zuschauern.

Braucht Berlin überhaupt eine dritte Kraft im Fußball? Als Vergleichsgröße wird gerne London herangezogen. Auch eine Weltstadt, in wirtschaftlicher, touristischer, aber eben auch fußballerischer Hinsicht. Allein in der Premier League spielen sechs Londoner Klubs. Nur sind beide Städte schwer miteinander zu vergleichen. Fulham, Tottenham oder Arsenal sind fest in ihren Stadtteilen verwurzelt, haben in der Regel eigene Stadien an traditionellen Standorten. All das trifft für Berlin nicht zu.

"Wo kriegen wir weitere Sportflächen hin?"

In der Dreieinhalbmillionenstadt gibt es nur zwei Stadien, die überhaupt drittligatauglich sind: das Olympiastadion und die Alte Försterei des 1. FC Union. „Im gehobenen Amateurbereich hat Berlin großen Nachholbedarf“, sagt Bernd Schultz. Das Poststadion in Moabit, das mal 60 000 Zuschauer gefasst hat, muss bis zum Sommer 2020 mit einer Flutlichtanlage ausgestattet werden, sonst darf der Berliner AK dort nicht einmal mehr seine Regionalligaspiele austragen. „Das ist die große Infrastrukturfrage: Wo kriegen wir weitere Sportflächen hin, die wir dringend benötigen, um den Bedarf für Kinder und Jugendliche abzudecken?“, sagt Schultz. „Für Stadien ist das Problem noch um ein Vielfaches größer.“ Man könnte auch sagen: In der Stadt, in der um jeden Quadratmeter gekämpft wird, gibt es eigentlich keinen Platz für die großen Träume des Berliner Fußballs.

Doch selbst von solchen Schwierigkeiten lassen sich viele nicht irritieren. Erst mal groß denken. Leute mit ambitionierten Plänen finden sich immer wieder. Kaum ist der eine Chinese bei Viktoria weg, kommt das Gerücht auf, dass bei Berlin United schon der nächste bereitsteht.

„Von Gönnern, Förderern oder Investoren kann der Fußball nie genug haben“, findet BFV-Präsident Schultz. Aber was passiert, wenn der Investor seine Lust verliert? Oder sein Geld? So wie bei Tennis Borussia um die Jahrtausendwende, nachdem der Klub in die Zweite Liga aufgestiegen war. „Ich werde nie vergessen, wie die Offiziellen am Abend des Aufstiegs verkündet haben, dass sie eigentlich in die Champions League gehören. Da hatte ich das Gefühl: Na ja“, erzählt Schultz. Die Göttinger Gruppe ging pleite – und in der Folge auch TeBe.

Aussicht auf zweifelhaften Ruhm

Ein paar Jahre später und ein paar Ligen tiefer wiederholte sich die Geschichte mit einem anderen Investor. Seitdem ist es für die verbliebenen TeBe-Fans eine Art Urangst, dass ihr Klub erneut in gefährliche Abhängigkeit von einem einzelnen Geldgeber geraten könnte. Auch deswegen ist der Konflikt mit der Vereinsführung um Jens Redlich Anfang des Jahres eskaliert, obwohl der Verein sportlich so gut dasteht wie lange nicht.

„Bei allen Diskussionen um Jens Redlich: Er hat Tennis Borussia wiederbelebt“, sagt BFV-Präsident Schultz. Redlich, Hauptsponsor und Vorsitzender in Personalunion, faselt nicht von Bundesliga oder mehr, er will mit TeBe von der Ober- in die Regionalliga und hofft, dort weitere Sponsoren zu finden. Aber selbst das ist ambitioniert. In der Regionalliga muss man eher mehr investieren als weniger. Redlich wird am Ende dieser Saison nach eigenen Angaben 2,5 Millionen Euro in den Verein gesteckt haben. Er sei kein Investor, spekuliere nicht darauf, irgendwann mit Tennis Borussia Geld zu verdienen, sagt er. Aber wenn ihn die Aussicht auf Ruhm antreibt, ist es inzwischen ein eher zweifelhafter. Die vereinsinternen Kritiker werfen Redlich vor, dass er kein Gespür habe für die Fans und die Geschichte des Vereins, dass er den Klub autokratisch führe und alle Andersdenkenden nach und nach weggeekelt habe.

Als BFV-Präsident will Bernd Schultz die Geschehnisse bei TeBe nicht kommentieren. Er nehme die Entwicklung aber mit Bedauern zur Kenntnis. „Da geht ein Stück Fankultur verloren, die wir im Berliner Amateurfußball auch nicht an jeder Ecke haben.“

Tennis Borussia: Machtkampf beim Traditionsverein

Makkabi statt TeBe. Die Fans von Tennis Borussia gehen fremd.
Makkabi statt TeBe. Die Fans von Tennis Borussia gehen fremd.
© Thilo Rückeis

So nah wie an diesem Sonntag Ende Februar wird Carsten Bangel seiner großen Liebe erst mal nicht mehr kommen. 700 Meter sind es von derJulius-Hirsch-Anlage bis zum Mommsenstadion, nur links die Straße runter. Den Flutlichtmast kann man schon sehen. Rechts geht es nach Hause. Bangel biegt nach links ab. Am Mommsenstadion hält er an, er steigt vom Fahrrad und überlegt, ob er sich für einen Moment auf die leere Tribüne setzen soll. Keine gute Idee, findet er.

Gut drei Stunden vorher. Um kurz nach elf ist Bangel zum Treffpunkt der TeBe-Fans am S-Bahnhof Grunewald gekommen, um zwölf spielen Makkabi und Tasmania in der Berlin-Liga gegeneinander. Gleich zwei Vereine, mit denen sich die Anhänger von Tennis Borussia identifizieren können. Anders als mit ihrem eigenen Verein. „Es tut gut, sich willkommen zu fühlen“, sagt Bangel. Dieses Gefühl hatten sie bei TeBe schön länger nicht mehr. Da waren sie die linken Querulanten, die die Politik ins Stadion getragen haben.

Die entscheidende Frage: Wem gehört TeBe?

Bei der Mitgliederversammlung vor vier Wochen ist der Streit eskaliert. De jure ging es um Neuwahlen für den Aufsichtsrat, de facto um die Frage: Wem gehört Tennis Borussia? Jens Redlich, dem Vorsitzenden und Chef des Hauptsponsors Crunch Fit, der in drei Jahren insgesamt 2,5 Millionen Euro investiert hat? Oder den aktiven Fans, die vor einem knappen Jahrzehnt den Klub nach der zweiten Insolvenz mit ihrem Engagement vor dem Aus gerettet haben?

Seit der Mitgliederversammlung befindet sich ein Teil der Fans in der inneren Emigration – weil sie finden, dass Redlich mit unredlichen Mitteln seine Kandidaten für den Aufsichtsrat durchgebracht hat. Redlich bestreitet das. Vier Arbeitsgruppen beschäftigen sich seitdem damit, TeBe ein zweites Mal zu retten. Eine ist die AG Exil, die Anfang Februar in der „Fußballwoche“ eine Chiffre-Anzeige geschaltet hat: „Kleine engagierte Fan-Szene mit dreistelligem Mobilisierungspotenzial sucht vorübergehend Verein.“ Die Resonanz war überwältigend. Die gesamte Rückrunde ist verplant, mit Besuchen auf Berliner Kreisligaplätzen, bei den Wasserfreunden Spandau, in Wien, Leipzig, Wiesbaden – nur nicht bei Tennis Borussia.

Heute also Makkabi gegen Tasmania. Die TeBe-Fans haben überlegt, ob sie beide Mannschaften anfeuern sollen, alle fünf Minuten das Lager wechseln oder immer den unterstützen, der gerade angreift. Am Ende hielten sie es für das Beste, sich aufzuteilen. Die einen werden Tasmania anfeuern, die anderen Makkabi. Die einen treffen sich am S-Bahnhof Messe-Süd und ziehen von dort zur Julius-Hirsch-Anlage, die anderen vom S-Bahnhof Grunewald.

Was passiert ist, geht über seine Schmerzgrenze

Carsten Bangel, 50 Jahre alt, trägt ein lila Hemd unter der Jacke und einen TeBe-Rucksack auf dem Rücken. Schon zu Bundesligazeiten, Mitte der Siebziger, ist er zu Tennis Borussia gegangen, vor fast 20 Jahren ist er Stadionsprecher im Mommsenstadion geworden, und sofern es die Umstände zuließen, hat er die Mannschaft auch zu Auswärtsspielen begleitet. Bei TeBe ist er bekannt wie ein lila-weißer Hund. Eine Familie steigt am Grunewald aus der Bahn, der Vater grüßt freundlich und fragt: „Makkabi ist hier, oder?“

Auf dem S-Bahnsteig wird blaues und weißes Konfetti verteilt, 25 Fans ziehen zu Fuß durch den Grunewald zu Makkabi. „Es gibt jede Menge Analogien zu gescheiterten Beziehungen“, sagt Bangel. „Das hat was von Revenge-Sex: Einerseits ist es befreiend, andererseits weißt du: Eigentlich gehörst du nicht hierhin.“ Wenn bei Makkabi die zweite Hälfte beginnt, wird in Staaken das erste Rückrundenspiel von TeBe in der Oberliga angepfiffen. Der Weg führt an der Anlage des Tennisvereins Tennis Borussia vorbei. Über dem Ausgang steht: „Auf Wiedersehen bei TeBe“.

Am Abend zuvor hat Bangel dem Verein mitgeteilt, dass er fortan nicht mehr als Stadionsprecher zur Verfügung stehe. „Leicht ist es mir nicht gefallen“, sagt er. Aber das, was in den vergangenen Wochen passiert ist, „geht über meine Schmerzgrenze“.

Stattdessen sechste Liga, eine Bezirkssportanlage zwischen Kleingärten und Tennisplätzen. Makkabis Spiel zuvor wollten 25 Zuschauer sehen. Heute sollen es mehr als 200 sein, bestimmt 170 kommen von TeBe. Die Lila-Weißen verteilen sich paritätisch links und rechts der Mittellinie. Sie hängen TeBe-Banner an das rostige Geländer, und beim Anpfiff flattert Konfetti durch die Luft. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint. „In Staaken ist das Wetter nicht so schön“, sagt jemand.

Ein kleiner Sieg für die aktiven TeBe-Fans

Es ist wie eine Versuchsanordnung unter Laborbedingungen. Eine Gruppe Fans feuert einen Verein an, zu dem es keine emotionale Bindung gibt. Und doch ahnt man, was Fankultur ausmacht: wenn ein Einzelner einen Liedtext ausprobiert, andere, noch zaghaft, einstimmen und am Ende alle mitsingen. „Du kannst zu Crunch Fit geh’n!“, rufen sie, wenn ein Spieler den Ball ins Aus bolzt. Oder: „Scheißegal, was passiert, welcher Sponsor uns regiert, Lila-Weiß wird niemals untergeh’n.“

Einige schauen auf ihr Handy, um zu erfahren, was in Staaken passiert. 15 TeBe-Fans sollen beim Spiel sein. Später ist von 50 die Rede, am Ende sind es doch 100. „Kaum Sprechchöre, nur ein Transparent, das kennt man bei TeBe eigentlich nicht“, schreibt die „Fußballwoche“ am Tag danach.

Es ist ein kleiner Sieg für die TeBe-Fans, die bei Makkabi ein eher schauriges Spiel sehen. Tasmania gewinnt am Ende 2:1, und trotzdem feiert der Makkabi-Block, in dem auch Carsten Bangel steht und in dem ausschließlich Lila-Weiß getragen wird: „Tus Makkabi! Tus Makkabi! Te! U! Es!“ Zwei Spieler nähern sich, fast schüchtern; sie klatschen zärtlich und bleiben vor der Aschenbahn stehen, als wäre sie ein tiefer Graben. Der Rest der Mannschaft gesellt sich hinzu. „Tus Makkabi! Tus Makkabi! Te! U! Es!“ Die Spieler lachen. In ihren Gesichtern regt sich etwas. Man könnte es Glück nennen.

FC Viktoria 89: Der Kater nach dem Rausch

Auf dem Trockenen. Im Dezember bekam auch Rocco Teichmann plötzlich kein Gehalt mehr.
Auf dem Trockenen. Im Dezember bekam auch Rocco Teichmann plötzlich kein Gehalt mehr.
© Mike Wolff

Von seinem Schreibtisch aus blickt Rocco Teichmann auf ein weißes Wandbord, kleine Magnettafeln stellen darauf das taktische Schema einer Fußballmannschaft dar. Jedes Täfelchen ist mit einem Namen und einer Rückennummer versehen und steht für einen Spieler im Kader der ersten Männermannschaft des FC Viktoria 89. Im vergangenen Jahr hat Teichmann, Sportdirektor des Regionalligisten, die Tafel des Öfteren umstrukturiert, er hat Spieler verpflichtet und sie wieder gehen sehen. „Aber die da jetzt hängen“, sagt der 32-Jährige, „die sind alle noch da.“

Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn der Klub steckt mitten in einem Insolvenzverfahren. Im Dezember blieben die Zahlungen des chinesischen Investors aus, der Viktoria aus der vierthöchsten deutschen Spielklasse in den Profifußball führen wollte. Der Verein hatte aber fest mit dem Geld geplant, unter anderem um Spieler zu bezahlen, auch Teichmann bekam plötzlich kein Gehalt mehr überwiesen. „Vorher hatte ich den Eindruck: Es funktioniert“, sagt Teichmann über die kurze, aber heftige Liaison zwischen Viktoria und dem milliardenschweren Hotelunternehmer Alex Zheng.

Es ist zuletzt viel über Viktoria gespottet worden

Im vergangenen März hatte Zheng Viktoria kontaktiert, im Mai besuchte der Investor ein Spiel des Vereins, man einigte sich auf eine Zusammenarbeit, die Mitgliederversammlung beschloss mit großer Mehrheit, die erste Mannschaft als Profi-Abteilung in eine Kapitalgesellschaft auszugliedern. Aus China begann Geld zu fließen, mit dem Teichmann das unerfahrene Team mit gestandenen Profis mit Bundesliga-Erfahrung verstärkte, unter anderem verpflichtete er einen ehemaligen albanischen Nationalspieler.

Und plötzlich, als die Zahlungen ohne die Angabe von Gründen ausblieben, musste sich der Sportdirektor nicht mehr mit möglichen Umbauarbeiten am Stadion Lichterfelde und dem angestrebten Aufstieg in die Dritte Liga beschäftigen, sondern sich im Internet ein Basiswissen über Insolvenzrecht anlesen.

Es ist zuletzt viel gespottet worden über den traditionsreichen Klub, der unter seinem alten Namen BFC Viktoria 1889 immerhin zwei Mal Deutscher Meister war, 1908 und 1911. Der Spott ärgert Teichmann, der früher selbst als Innenverteidiger in der Regionalliga spielte und auch beim Konkurrenten Berliner AK schon Sportdirektor war. Nach der Meinung vieler Fußballfans hat sich Viktoria dem Investor aus China leichtfertig anvertraut, die Seele des Vereins verkauft. „Da heißt es dann: Das sind alles Osterhasen bei Viktoria, die wirtschaften schlecht, die können nicht eins plus eins rechnen“, sagt Teichmann. „Aber was hier passiert ist, ist nicht so, wie viele Leute draußen sich das denken.“

"Ich will immer gewinnen – und da kommen wir zu dem Problem"

Er berichtet von Viktorias professioneller Geschäftsstelle, den ehrenamtlichen Helfern, der Jugendarbeit, der Identifikation mit dem Verein und der Philosophie, Spielerkarrieren zu entwickeln, „von geboren bis Senioren“. Von der oft schwierigen Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt, das nur wenig Verständnis für die Bedürfnisse des Vereins hat. Er sagt aber auch: „Ich will immer gewinnen – und da kommen wir zu dem Problem.“ Um in die Dritte Liga aufzusteigen und die Regionen des Amateurfußballs hinter sich zu lassen, brauche ein Berliner Regionalligist ein Budget von einer Million Euro, Minimum. „Und jetzt erzählen Sie mir mal, wie ein Berliner Regionalligist durch externe Sponsoreneinnahmen auf die Million kommen soll.“

Zuletzt war Viktoria an dieser Hürde gescheitert, wollte sich von den großen Ambitionen verabschieden. Das unverhoffte Geld aus China schien eine Tür öffnen zu können, die verschlossen schien. Für wenige Monate träumte Viktoria einen Traum, zu schön, um wahr zu sein. Rückblickend erinnern sich Vereinsmitarbeiter daran, der erste Kontakt aus China habe gewirkt wie eine jener Mails, in denen ein angeblicher afrikanischer Prinz schreibt, er habe zehn Millionen auf einem Konto und brauche mal schnell 300 000, um an das Geld zu kommen.

Das Erwachen war umso härter. Ein Insolvenzverwalter hat jetzt das Sagen bei Viktoria, in der Tabelle sind den Lichterfeldern nach den Regeln des Deutschen Fußball-Bunds neun Punkte abgezogen worden. Für mehrere Klubs hat diese Strafe in der Vergangenheit den Abstieg bedeutet, Viktoria ist erst einmal nur ins Mittelfeld abgerutscht. Und der Spielbetrieb ist fürs Erste gesichert, der ehemalige albanische Nationalspieler steht aber jetzt in Cottbus unter Vertrag.

Die Ausgliederung der ersten Mannschaft soll trotz des Fiaskos durchgezogen werden, nach Angaben des Vereins will eine „inländische Investorengruppe“ bei Viktoria einsteigen. Teichmann hat nicht vor, sich von seinen Zielen zu verabschieden, spricht von einer weiteren Professionalisierung des Klubs. Er sagt: „Die Perspektive muss sein, den Weg weiterzugehen.“

Berlin United: Optimismus ohne Grenzen

Icke und er. Vereinspräsident Stefan Teichmann (links) setzt auf Trainer Thomas Häßler, um „das Produkt Berlin United zu pushen“.
Icke und er. Vereinspräsident Stefan Teichmann (links) setzt auf Trainer Thomas Häßler, um „das Produkt Berlin United zu pushen“.
© Mike Wolff

Bevor Stefan Teichmann Präsident von Berlin United wurde, hat er erst einmal den Markt analysiert. Er hat festgestellt, dass die Fußballvereine der Stadt in ihren Kiezen verankert sind. Für Teichmann, der hauptberuflich als Projektentwickler für Immobilien arbeitet, ist diese Verankerung kein Qualitätsmerkmal, sondern eine „Sackgasse“. Ihm schwebt für seinen Klub etwas ganz anderes vor: eine international bekannt Marke mit Fans in London und Madrid, ein rasanter Aufstieg von der siebten Liga in die Champions League in 20 Jahren. „Das schaffe ich aber nicht, wenn ich sage: Ich trete für Wilmersdorf oder Charlottenburg an, für West-Berlin oder Ost-Berlin“, sagt er. „Das ist mir alles zu örtlich.“

Teichmann sagt von sich gerne, er denke nicht wie ein Fußballer. Was die Berliner Konkurrenten gerade machen, interessiert ihn nicht wirklich. Tennis Borussia? Allein mit dem Wort „Tennis“ im Namen, sagt er, werde es der Verein sehr schwer haben, in den Profifußball zu gelangen.

United will wachsen. Extrem wachsen

Als Treffpunkt für ein Gespräch hat er ein nobles Hotel am Ku’damm vorgeschlagen. Mitgebracht hat er Thomas Häßler – Weltmeister von 1990 und Europameister von 1996 –, der Uniteds erste Mannschaft als Trainer gerade zum Aufstieg in die sechste Liga führen soll. „Wir haben sechs Punkte Vorsprung. Ich werde die Jungs schon so bearbeiten, dass wir den halten“, sagt Häßler. „Das ist meine Aufgabe.“ Teichmann und Häßler machen allerdings auch kein Geheimnis daraus, dass die Bekanntheit des ehemaligen Nationalspielers auch ein Grund war, ihn zu engagieren. United wolle nun einmal extrem wachsen. „Um das Produkt Berlin United zu pushen, braucht man auch ein Gesicht“, sagt Teichmann. „Das ist zu 50 Prozent auch sein Job.“ UniteDem Klubchef schwebt vor, den Verein schnell deutschlandweit bekannt zu machen, dann möglichst schnell weltweit.

Keine halben Sachen. Ohne Mehmet Ali Han läuft beim BAK seit 2001 nichts.
Keine halben Sachen. Ohne Mehmet Ali Han läuft beim BAK seit 2001 nichts.
© Imago/Björn Draws

In der vergangenen Saison hieß Berlin United noch Club Italia, unter neuem Namen und mit neuem Logo, in dem auch die Wappen Berlins und Brandenburgs zu sehen sind, soll es jetzt steil nach oben gehen. Teichmann sucht derzeit Jugendtrainer, Nachwuchsspieler, einen Eventmanager für die Heimspiele der ersten Mannschaft. Und Social-Media-Berater, vorzugsweise mit Kenntnissen in Englisch, Russisch, Chinesisch, Koreanisch oder Japanisch. Warum? Er verweist auf das Sprachengewirr in der Stadt: „Der Markt ist doch da – und ich muss mich diesem Markt öffnen. Man braucht junges Blut, man braucht dynamisches Blut.“

"Bus ist mir zu langsam, ich brauche Gleise"

Bis jetzt fehlt United außer einer Vision noch alles, um ein erfolgreicher Fußballverein zu sein. Gerüchte, hinter dem Projekt stehe ein möglicherweise im Ausland ansässiger Investor, weist Teichmann zurück: „Einen Leuchtturmpartner hat Berlin United nicht. Wir sind nicht aus der Industrie oder von irgendwelchen Firmen initiiert.“ Aber er fange jetzt an, Partner ins Boot zu holen, „große Partner“.

Die wird United brauchen. Auch wenn der Verein bislang nur wenige Jugendmannschaften hat, plant er ein Nachwuchsleistungszentrum, auf 60 000 Quadratmetern, in City-Nähe und mit guter Verkehrsanbindung. „Ich will einen U-Bahn- oder S-Bahn-Anschluss“, sagt Teichmann. „Bus ist mir zu langsam, ich brauche Gleise.“

Im Gespräch lächelt Stefan Teichmann viel, er hat sichtlich Freude daran, sich als Querdenker und Provokateur zu präsentieren. Er komme nun mal aus der Baubranche und denke in Baustellen und Bauphasen, erklärt er. Für das Nachwuchszentrum sucht er im Moment nach Baugrund, der im Flächennutzungsplan für Freizeit und Sport vorgesehen ist, finanzieren und umsetzen will er den Bau mit einem Konsortium von Partnern. Der Verein soll das Gelände dann pachten, nach diesem Muster würden auch große Klubs wie RB Leipzig verfahren. „Wenn ich das outsource, dann funktioniert das“, sagt er. „Diesen Weg muss ich gehen. Neue Wege, andere Wege, professionellere Wege.“

Im Januar, erzählt Teichmann, hat Berlin United im Nordosten Mallorcas den Grundstein für ein Nachwuchszentrum legen lassen. Eine größere Finca mit Fußballplatz, die Teichmann schon vor seinem Engagement für den Verein in Planung hatte, bezugsfertig soll das Gelände im Sommer 2020 sein. „Dann kannst du da die Saisonvorbereitung auf die Oberliga machen“, sagt Teichmann und klopft Thomas Häßler lachend auf den Oberschenkel.

Berliner AK: Der frustrierte Mäzen

Mehmet Ali Han trägt einen Schal um den Hals, und wenn er nicht gerade eine Zigarette in den Fingern hält, vergräbt er seine Hände in den Manteltaschen. Es ist ein grauer Februartag und arg frisch auf der verglasten Veranda, trotz Heizstrahlern. Han hat ein bisschen was zu essen bestellt, Rührei, Tomaten, Gurken, Oliven, zwei Schälchen mit Käse. Eine Kellnerin kommt auf die Veranda. „Guten Morgen, Chef“, sagt sie.

Der Chef, das ist Mehmet Ali Han, 53 Jahre alt, geboren in der Türkei, seit fast 40 Jahren in Deutschland. 2013 ist er mit seiner Rohrleitungsbau-Firma auf ein Gelände direkt am Teltowkanal gezogen. Rundherum andere Firmen und der Tempelhofer Parkfriedhof, auf dem schon seit 20 Jahren niemand mehr beerdigt wird. Wenn sie bei Han mittags etwas essen wollten, mussten sie irgendwo etwas bestellen. Eine kleine Kantine wäre doch schön, hat der Chef gedacht. Am Ende ist daraus ein richtiges Restaurant geworden, mit verglaster Veranda für Raucher wie ihn. „Halbe Sachen mach ich nicht“, sagt Han.

Schon vor zwei Jahren hat er von Müdigkeit und Resignation gesprochen

So ist das auch beim Berliner Athletikklub 07 gewesen, den Han 2001 übernommen hat. Da war der BAK Letzter in der Oberliga und stand kurz vor der Insolvenz. Im Moment ist der Klub hinter Hertha BSC und dem 1. FC Union die dritte Kraft im Berliner Fußball, Tabellenzweiter in der Regionalliga Nordost, wenn auch ohne realistische Chance auf den Aufstieg. Ob Han Präsident ist, wie im Moment, oder auch nicht, wie vor einem Jahr, das spielt eigentlich keine Rolle. Ohne ihn läuft beim BAK nichts. „Vor jemandem wie Mehmet Ali Han habe ich absolute Hochachtung“, sagt Bernd Schultz, der Präsident des Berliner Fußball-Verbands. „Er führt und prägt den Verein über Jahre mit seinen Ideen und seinen Möglichkeiten, ohne groß Tamtam zu machen.“

Die Frage ist, wie lange er das noch tun wird. Schon vor zwei Jahren hat Han von Müdigkeit und Resignation gesprochen, weil es mit dem BAK nicht richtig vorangeht, weil nur selten mal mehr als 500 Zuschauer ins Poststadion kommen, meistens sogar deutlich weniger. „Das ist ein riesengroßes Problem“, sagt Han. „Wir kämpfen seit Jahren, investieren viel und kriegen nichts zurück. Irgendwas müssen wir falsch machen.“ Nachdem eine prominent bestückte und hoch bezahlte Mannschaft den Aufstieg in die Dritte Liga 2016 um ein einziges Tor verpasst hatte, hat Han seine finanziellen Zuwendungen deutlich reduziert. „Geld ist immer knapp“, sagt er. Aber in dieser Saison fällt der Etat sogar „sehr knapp“ aus, ist „gerade so ausreichend“.

Von Russen und Schweizern ist die Rede, von einem Klinikbetreiber

Seit Wochen geistert das Gerücht durch den Berliner Fußball, dass Han den Verein an einen Investor abtreten wird. Die Gerüchte klingen schon sehr konkret, inklusive möglicher Geldzahlungen und personeller Veränderungen. Von Russen und Schweizern ist die Rede, die hinter der Investorengruppe stehen, von einem Klinikbetreiber – und dass auch Souleymane Sané, der Vater des Nationalspielers Leroy Sané, involviert sei. „Ich habe einmal mit ihm gesprochen“, sagt Han. „Ich glaube nicht, dass er dabei ist.“

Ende Dezember hat der BAK für den 8. Januar zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung eingeladen, bei der die Pläne des Investors vorgestellt werden sollten. Am 7. Januar wurde die Versammlung abgesagt – ohne weitere Erklärung. Die Meldung ist bis heute die erste, die auf der Homepage des Vereins erscheint. „Wir hatten gehofft, wir könnten das in 30 Tagen abwickeln“, sagt Han. Doch das stellte sich als illusorisch heraus. „Wir reden noch. Aber im Fußball kann alles noch platzen, von heute auf morgen.“ Han will nicht, dass es dem BAK ergeht, wie es Viktoria ergangen ist; dass ein Investor große Versprechungen macht, die sich nicht halten lassen, und der Klub am Ende die Trümmer der schönen Träumereien beseitigen muss.

Er hat viel investiert: Kraft, Arbeit und Geld natürlich

Han, der spricht, wie andere Menschen brüllen, erzählt gern von seinem Engagement beim BAK, von den schwierigen sozialen Verhältnissen in Moabit, von Integration und Multikulti, von Kindern und Jugendlichen, die er von der Straße hole und die in einem der insgesamt 26 Nachwuchsteams des Klubs spielen. Wenn es aber um den möglichen Investor geht, wird er erstaunlich einsilbig. Die Gespräche waren noch nicht …? „Nein!“ Und es gibt noch keinen …? „Nein!“

Warum gerade der BAK? Ein Klub, der in der Regionalliga vor durchschnittlich 474 Zuschauern spielt und damit Platz 14 der Zuschauertabelle belegt; der keine gewachsene Fanbasis hat und an seinem Standort Moabit mit dem denkmalgeschützten Poststadion auch nicht nennenswert wachsen kann. „Die Pläne des Investors kenne ich nicht“, sagt Mehmet Ali Han.

Er hat viel investiert in den Verein: Kraft, Arbeit und Geld natürlich. Über fast zwei Jahrzehnte seit 2001 dürfte ein zweistelliger Millionenbetrag zusammengekommen sein. Wie viel genau, das will er lieber gar nicht wissen. Ob er es weiß? Han lächelt. „Ich bin der Meinung: Ich habe mein Geld nicht verbrannt.“

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