Streit bei Tennis Borussia: Verwerfungen in Lila-Weiß
Ein erbitterter Streit zwischen Teilen der Fans und der Vereinsführung entzweit den Traditionsverein. Am Mittwoch gibt es eine Mitgliederversammlung.
Markus Schatte hebt unmerklich den Kopf, seine Pupillen wandern nach links, und die Mundwinkel weisen leicht nach unten. Sonst lässt er sich nichts anmerken. Schatte ist Trainer von Hertha 03 Zehlendorf, seine Mannschaft hat gerade das Spitzenspiel in der Fußball-Oberliga Nordost bei Tennis Borussia 1:4 verloren, und jetzt sitzt er in der Pressekonferenz. Gibt es noch Fragen? Aus dem Off ertönt eine durchdringende Stimme. „Lila …!“, ruft jemand. „Weiße!“, tönt es zurück. Schatte stützt sich mit dem Ellbogen auf den Tisch. Für einen Moment sieht es so aus, als würde er am liebsten aufstehen und einfach verschwinden. „Willkommen im Mommsenstadion!“, erschallt aus dem Hintergrund.
Man kann sich die Szene aus dem Herbst bei Youtube anschauen. Der Rufer ist nicht zu sehen, aber zweifelsfrei identifiziert. Es handelt sich um Jens Redlich, den Vorstandsvorsitzenden des früheren Bundesligisten Tennis Borussia. Er wirkt wie ein euphorisierter Fan des Vereins und nicht wie ein der Etikette verpflichteter Offizieller. „So bin ich“, sagt Redlich. „Es ist ja nicht negativ gemeint.“
Redlich, 38 Jahre alt und geschäftsführender Gesellschafter des Hauptsponsors Crunch Fit, ist eine richtige Kante. Über einsneunzig groß, breites Kreuz, dicker Bizeps und durchdringende Stimme. Genau wie sein Führungsstil bei TeBe, sagen Redlichs Kritiker: breitbeinig, polternd, kraftmeiernd. Wenn ihm etwas gegen den Strich geht, lässt er die Diplomatie schon mal Diplomatie sein. Berüchtigt sind zum Beispiel Redlichs Beiträge im Fan-Forum des Lila Kanals, wenn er seine Kritiker fragt: „Glaubt ihr wirklich diejenigen zu sein, die den Verein substanziell besser bestellen können?“ Oder: „Der Verein wird durch euch in die Position des Scheiterns gebracht. Der Verein braucht euch nicht.“
Die Fans haben die Mitgliederversammlung erzwungen
Redlich spricht von „einer gewissen Fanszene“ mit gerade mal 25 bis 30 Leuten, die intensiv gegen ihn arbeiteten und 40, 50, 60 andere angesteckt hätten. Ob er die Mehrheitsverhältnisse bei TeBe damit tatsächlich richtig einschätzt, wird sich an diesem Mittwoch bei der Mitgliederversammlung des Klubs in Charlottenburg herausstellen. „Da werden wir die Wahrheit sehen“, sagt Redlich. „Der Verein steht an einer Gabelung. Es muss eine Positionierung stattfinden.“ Was er erwarte? „Dass die Vernunft siegt.“
Genau das hofft die Gegenseite auch.
Formal handelt es sich bei der Mitgliederversammlung, die auf Wunsch des Vorstands ohne Öffentlichkeit stattfinden soll, um die ordentliche Mitgliederversammlung des Jahres 2018, die eigentlich für März 2019 geplant war. De facto ist es eine außerordentliche Mitgliederversammlung, die auf Initiative der Abteilung Aktive Fans (TBAF) per Unterschriftensammlung erzwungen wurde.
Formal ging es TBAF um eine Satzungslücke bei der Bestellung neuer Aufsichtsratsmitglieder. De facto aber geht es um den Vorstand mit Redlich an der Spitze, dem ein autokratischer Führungsstil vorgeworfen wird – und in letzter Instanz um die Frage: Wem gehört eigentlich TeBe? Dem Geldgeber? Oder den Fans, die eine Übernahme durch Redlich fürchten? „Der Verein wird nicht übernommen“, sagt er. „Der Verein hat eine Exekutive, und das ist der Vorstand.“
Zuerst gab es Streit um eine Regenbogenfahne
Im Kern haben die kritischen Fans das Gefühl, dass Redlich ihren Klub nicht versteht. Erstmals waren die Verwerfungen vor knapp zwei Jahren zu erkennen, unmittelbar nach seinem Amtsantritt. Es ging um eine Regenbogenfahne, die auf Geheiß des Vorstands nicht im Mommsenstadion gehisst werden durfte. Redlich lenkte schließlich ein und gestand sogar seinen Fehler ein, was in der Fanszene positiv registriert wurde. „Wir waren optimistisch, haben uns um Dialog bemüht und gehofft, dass man sich aneinander gewöhnen könne“, sagt Dennis Wingerter, der stellvertretende Abteilungsleiter der Aktiven Fans. „Am Stil des Umgangs hat sich jedoch leider nichts geändert.“
Eine Kommunikation findet nicht statt, sagen die einen. Die reden nicht mit uns, sagen die anderen. Und wenn man getrennt voneinander mit beiden Seiten spricht, wird einem schnell deutlich, dass eine Verständigung wohl auch nicht mehr möglich ist. Was die einen für einen Skandal halten, klingt in den Erzählungen der anderen wie eine Lappalie.
Redlich ist im April 2016 mit seiner Fitnessstudio-Kette als Hauptsponsor bei Tennis Borussia eingestiegen. Als der Klub ein Dreivierteljahr später in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte und nach Redlichs Aussage sogar die Insolvenz drohte, erklärte er sich bereit, die Finanzlücke zu schließen – verbunden mit der Forderung, „auch ein bisschen Kontrolle über dieses Geld“ zu haben, wie er sagt. Redlich wurde Vorstandsvorsitzender, zwei Mitglieder des Gremiums räumten ihren Posten.
Am Ende dieser Saison wird Redlich nach eigenen Angaben 2,5 Millionen Euro in Tennis Borussia gesteckt haben. Die Größenordnung ist durchaus realistisch. Der Klub habe keine Schulden mehr, erklärt er. Ohne Redlich, das bestreiten auch seine Widersacher nicht, stünde der Klub nicht da, wo er aktuell steht.
TeBe war schon zwei Mal insolvent
„Leider ist die Wahrnehmung weit verbreitet, dass uns bei TBAF der sportliche Erfolg egal sei. Das ist sicherlich bei niemandem der Fall“, sagt Wingerter. „Aber mir ging es in der Hinrunde zum ersten Mal so, dass ich mich über Punkte und Tore nicht mehr richtig freuen konnte.“ Die Stimmung bei den Heimspielen, das bestätigen auch neutrale Beobachter, ist längst nicht mehr so, wie sie mal war, weil sich die Anhänger auf den Stehplätzen zumeist in stillem Protest üben.
Die Fans reklamieren durchaus Rechte am Eigentum, seitdem sie mit ihrem Engagement für „We save TeBe“ vor einem knappen Jahrzehnt erheblich dazu beigetragen haben, dass es den Klub überhaupt noch gibt. Seitdem reagieren sie mit großer Sensibilität darauf, wenn sich Tennis Borussia in die Abhängigkeit von einem einzigen Geldgeber begibt. Denn genau das hat den Verein schon zweimal in die Insolvenz geführt. Trotzdem sagt Wingerter: „Beim Einstieg von Jens Redlich als Sponsor waren wir guter Dinge und sehr froh, dass wieder jemand Geld in den Verein investiert.“
Redlich wiederum sagt, Engagement der Fans allein reiche eben nicht, um substanziell und nachhaltig erfolgreich zu sein. Selbst die Berlin-Liga werde auf diese Weise schwer zu halten sei. „Irgendeinen Idioten muss es geben, der das Geld gibt“, sagt er. „Und das bin eben ich.“ Redlich will mit TeBe am Ende der Saison in die Regionalliga aufsteigen, damit der Verein sich medial besser positionieren könne. „Man muss wissen, wo man hin will“, sagt er. „Da gibt es generell unterschiedliche Auffassungen.“
Der Verein lebt vom Engagement der Fans
Der Verein hat zuletzt auch vom Engagement der Fans gelebt. Die Kanäle in den sozialen Medien zum Beispiel wurden von Ehrenamtlichen befüllt, bei den Spielen gab es auf diese Weise einen improvisierten Live-Ticker. Mittlerweile ist den Fans der Zugang zu den Accounts gesperrt worden, und seitdem ist der Output deutlich zurückgegangen. Der letzte Tweet datiert vom 15. Dezember. Es ist die Ankündigung des Pokalspiels gegen SV Empor am selben Tag. Wie es endete, erfährt man leider nicht.
Der Streit hat viele Ebenen, auch persönliche und politische. Den verbliebenen Honoratioren des honorigen West- Berliner Vereins gelten die Fans aus Neukölln oder Friedrichshain als linke Chaoten, die nur meckern, aber keine Idee haben, wie es denn besser laufen sollte. Und Kontakte schon mal gar nicht. Redlich hingegen garantiert in ihren Augen einen sportlichen Erfolg, wie es ihn lange nicht gegeben hat. Die Mannschaft trifft an diesem Donnerstag im Viertelfinale des Berliner Pokals auf den Landesligisten Fortuna Biesdorf und liegt in der Liga als Zweiter nur einen Punkt hinter Spitzenreiter Lichtenberg 47.
„Ich will auch nicht, dass TeBe in der Landesliga spielt“, sagt Franziska Hoffmann, die Vorsitzende des Aufsichtsrats. Sie hat Redlich als jemanden kennengelernt, der zu seinem Wort steht. Inzwischen aber ist zu viel vorgefallen, als dass sich eine friedliche Koexistenz noch vorstellen ließe, auch wenn Hoffmann die Hoffnung nicht aufgegeben hat. Die 32-Jährige ist im Hauptberuf Sozialarbeiterin an einer Brennpunktschule: „Verantwortung übernehmen und deeskalieren – das ist meine Profession.“
Vier Aufsichtsräte sind zurückgetreten
Seit Dezember ist der Aufsichtsrat nicht mehr beschlussfähig, weil von einst sechs Mitgliedern nur Hoffmann und Christian Gaebler, der Leiter der Senatskanzlei, übriggeblieben sind. Als Erster hatte Kevin Kühnert im Mai 2017, nach dem Streit um die Regenbogenfahne, seinen Rücktritt aus dem Aufsichtsrat und den Austritt aus dem Verein erklärt. „Ich habe leider nicht die Kraft, mich gegen den nunmehr vierten hoffnungslos narzisstischen Sponsor innerhalb weniger Jahre zu wehren“, schrieb er.
Seitdem hat den Klub eine Rücktritts- und Entlassungswelle erfasst. Vier Aufsichtsräte, drei Vorstände, ein Ältestenrat, der Geschäftsstellenleiter, der Jugendleiter, die Fanbetreuer – alle weg. Der Fall des früheren Geschäftsstellenleiters Steffen Friede landete sogar vor Gericht, nachdem Redlich ihm öffentlich vorgeworfen hatte, er habe Geld ausgegeben, dass er nicht hätte ausgeben dürfen. Es kam zu einem Vergleich. Der Vorstand musste den Vorwurf zurücknehmen und auf der Vereinshomepage sogar ausdrücklich bedauern.
Die Abteilung der Aktiven Fans, der knapp 160 der 900 Vereinsmitglieder angehören, hat Redlich vorgeworfen, er habe „kritische Aufsichtsratsmitglieder mehrmals zum Rücktritt gedrängt“. Auch Franziska Hoffmann erzählt, Redlich habe sie zum Rücktritt aufgefordert; sie habe dankend abgelehnt. Redlich kann sich nicht daran erinnern. Möglicherweise habe er sie gefragt, ob sie glaube, dass es noch Sinn mache, ihr Amt auszuüben. „Aber ich werde sie offen zum Rücktritt auffordern, und zwar auf der Mitgliederversammlung. Franziska Hoffmann ist leider untragbar für den Verein.“
Der Vertrag als Hauptsponsor läuft bis Ende Juni
An diesem Mittwoch wird der Aufsichtsrat neu gewählt. Insgesamt kandidieren zwölf Kandidaten für vier Plätze. Der Opposition sind fünf Bewerber zuzurechnen, die zum Teil schon in anderen Funktionen für TeBe tätig waren: der frühere Vorstand Michael Scholich zum Beispiel oder Chantal Hoppe, die bei Tennis Borussia die Mädchenfußballabteilung aufgebaut hat. Außerdem werden die Fans, die angeblich nur meckern, den Mitgliedern eine Art Kompetenzteam mit Experten aus Marketing und Wirtschaft präsentieren, die sich bereit erklärt haben, Tennis Borussia zu helfen.
Die Aktiven Fans haben im Forum zu einer fairen Debatte bei der Mitgliederversammlung aufgerufen, weil sie das Gefühl haben, dass gezielt unzutreffende Gerüchte über ihre Intention verbreitet würden. Bei der Mitgliederversammlung werde es wohl hoch hergehen, glaubt TBAF-Mitglied Wingerter. Darauf lassen auch die Aussagen von Jens Redlich schließen. Sollte die Opposition ihre Kandidaten durchbringen, glaube er nicht, dass eine Mitarbeit mit ihm noch gewollt sei; er sehe dazu dann auch keine Möglichkeit mehr. Chantal Hoppe? „Da komm’ ich vor Lachen nicht in den Schlaf.“ Und Michael Scholich? „Das wird mit mir nicht zu machen sein.“
Sein Vertrag als Hauptsponsor von Tennis Borussia läuft noch bis zum 30. Juni. „Der wird erfüllt“, sagt Jens Redlich. Egal, was am Mittwoch passiert. „Wir sind ein ganz seriöses Unternehmen.“
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