Didi Hamann vor dem Spiel gegen Bayern München: „Der FC Liverpool stottert ein bisschen“
Dietmar Hamann spricht im Interview über die Chancen des FC Bayern in der Champions League, seinen Disput mit Hasan Salihamidzic und das legendäre Finale 2005.
Herr Hamann, beim FC Bayern stehen vor dem Duell mit Liverpool offenbar nicht Mohamed Salah und Jürgen Klopp im Fokus, sondern Sie.
Ich glaube, das legt sich bis zum Spiel wieder. Dann werden wir wieder über Salah, Klopp und die anderen Protagonisten sprechen.
Hat es Sie getroffen, dass Bayerns Sportdirektor Hasan Salihamidzic Ihnen eine Kampagne gegen Robert Lewandowski vorgeworfen hat, weil Sie den Stürmer kritisiert hatten?
Nein. Ich weiß nicht, was die Bayern dazu bewegt, das so zu sagen und so auszulegen.
Ist das vielleicht nur ein Ablenkungsmanöver, weil es sportlich beim Rekordmeister nicht so läuft, wie das die Verantwortlichen erwartet haben?
Ach, da müssen Sie die Bayern fragen. Dazu habe ich keine Meinung. Ich würde es mir auch nicht anmaßen, darüber zu urteilen.
Beim Vergleich der Bayern und Liverpool kann dagegen kaum jemand so gut urteilen wie Sie. Sie haben lange für beide Klubs gespielt. Wie würden Sie die Vereine von ihren Stilen miteinander vergleichen?
Liverpool ist eine Arbeiterstadt. Da ist eine andere Klientel im Stadion als bei den Bayern. Ansonsten sind beide Vereine natürlich europäische Schwergewichte. In den siebziger und achtziger Jahren haben diese beiden Klubs den europäischen Fußball dominiert: Der FC Bayern gewann damals dreimal den Europapokal der Landesmeister und Liverpool viermal. Beide Vereine haben einfach eine riesige Tradition mit absoluten Weltklassespielern. Das macht das Duell auch dieses Mal so besonders.
Und welcher Verein ist Ihnen näher: Ihr Jugendverein Bayern – trotz all der Querelen – oder Ihr Herzensklub Liverpool?
Da bin ich gespalten. Ich hatte die längste und erfolgreichste Zeit meiner Karriere in Liverpool. Auf der anderen Seite wäre ich ohne die Bayern nie in Liverpool gelandet. Deshalb bin ich Hermann Gerland und Franz Beckenbauer, der mich zum ersten Mal für die Bayern hat spielen lassen, zu großem Dank verpflichtet. Auch wenn es abgedroschen klingen mag: Ich hoffe, dass der Bessere nach zwei Spielen weiterkommt. Aber ich habe keine Präferenz.
Haben Sie eine Tendenz?
Das ist unheimlich schwer. Ich glaube, die Bayern haben eine bessere Chance, als viele ihnen zutrauen.
Warum?
Mit Virgil van Dijk fällt Liverpools wichtigster Verteidiger aus. Er hält in der Defensive alles zusammen. Seitdem er bei Liverpool spielt, hat sich die Mannschaft in diesem Bereich unheimlich stabilisiert. Mit ihm fehlt der Kopf der Mannschaft. Liverpool ist in der Offensive sehr gut aufgestellt, aber die Abwehr ist ohne van Dijk eben die Achillesferse. Ohne ihn haben die Bayern eigentlich bessere Chancen, das eine oder andere Tor zu erzielen. Überhaupt finde ich, dass sich die Münchner etwas gefestigt haben und Liverpool ein bisschen stottert. Zudem ist der Respekt vor deutschen Mannschaften, speziell den Bayern, in Liverpool groß.
Aber auch die Münchner tun sich derzeit besonders in der Defensive schwer. Und nun fällt auch noch Jerome Boateng wegen eines Magen-Darm-Infekts aus.
In der Abwehr müssen sie sich auf jeden Fall besser verkaufen als in den zurückliegenden Spielen. Denn auch in Partien, in denen sie teilweise sehr überlegen waren, haben sie immer wieder Tore kassiert. Das darf ihnen gegen Liverpool natürlich nicht passieren. Das ist eine sehr schnelle, konterstarke Mannschaft. Da müssen die Bayern schon vorsichtig sein.
Liverpool ist ein schwieriges Pflaster für deutsche Vereine. Im Europapokal gab es bisher bei 18 Versuchen noch keinen einzigen Sieg eines deutschen Klubs. Warum ist es dort so schwierig?
Zunächst einmal hatte Liverpool in den vergangenen 30, 40 Jahren immer hervorragende Mannschaften. Es ist nicht einfach, dort zu bestehen. Und dann ist in Anfield natürlich immer eine tolle Atmosphäre. Schon die Hymne spielt dabei eine große Rolle. Wenn „You'll never walk alone“ vor dem Spiel gesungen wird, bekommt man nicht nur auf der Tribüne eine Gänsehaut, sondern auch im Spielertunnel. Und man erinnert sich an die vielen großen Spiele, die es dort schon gab. Anfield ist eines der ältesten Stadien – es wurde zwar aufgestockt, aber sonst hat man vieles so wie früher belassen. Es ist das ehrwürdigste Stadion, das es im europäischen oder sogar im Welt-Fußball gibt. Und es hat nichts von dieser speziellen Aura eingebüßt.
Kann das auf dem Feld dann auch ablenken?
Nein, es ist immer eine unheimliche Motivation, wenn man für die Heimmannschaft spielt. Wenn man dann die Anfeuerungen hört, macht es dich nur größer. Und den Gegner schüchtert diese Atmosphäre natürlich ein. Für mich als Spieler war es immer das Schönste, alle zwei Wochen vor den Fans in Anfield zu spielen.
Gibt es etwas Verbindendes, das universell für den Liverpooler Fußball steht?
Liverpool stand immer für einen technisch guten Fußball. Das wollen die Leute immer noch sehen, die Fans sind sehr anspruchsvoll und haben ein sehr gutes Verständnis dafür, was ihnen auf dem Platz geboten wird. Man kann den Leuten da nichts vormachen. Die Liverpool-Mannschaften haben immer das Passspiel bevorzugt, und das ist auch heute noch so.
Wie hat Klopp das weiterentwickelt?
Er hat der Mannschaft natürlich sehr viel Tempo vermittelt, aber das Fußballspielen vergisst sie auch unter ihm nicht.
Überträgt sich die Aura des Klubs auch auf die heutige Weltauswahl in Liverpool?
Absolut. Auch zu meiner Zeit zwischen 1999 und 2006 waren ja viele ausländische Spieler im Kader. Du brauchst aber nicht lange, um zu merken, wie die Leute dort ticken und wie viel ihnen der Fußball bedeutet. Dann tust du alles, um die Fans glücklich zu machen. Dieser Virus Liverpool steckt alle an, die da mal gespielt haben. Ich bin wirklich stolz darauf, diese Chance damals bekommen zu haben.
Haben Sie sich dann auch mehr mit der Geschichte des Vereins beschäftigt?
Natürlich, das kommt mit den Jahren. Ich habe die Stadt und den Klub lieben gelernt und wollte immer mehr wissen. Die Leute erzählten mir viele Geschichten und ich habe viel gelesen. Das gehört selbstverständlich dazu. Wenn man sich heimisch fühlen will, befasst man sich immer mehr mit der Geschichte des Klubs und der Stadt. Ich hatte auch damals viel Kontakt mit ehemaligen Spielern.
Gibt es für Sie eine typische Liverpool-Anekdote, mit der Sie die Faszination Liverpool beschreiben könnten?
Da kann ich gar nicht eine besondere Begebenheit hervorheben. Das ist einfach schwer in Worte zu fassen. Die Stadt, der Verein, das Stadion – das fügt sich zu einem Mythos zusammen. Das muss man gesehen und erlebt haben.
Sie haben selbst zu besonderen Liverpool-Momenten beigetragen, wie dem legendären Champions-League-Finalsieg 2005 gegen Mailand in Istanbul.
Natürlich sprechen mich die Leute immer darauf an. Das ist eine schöne Sache, weil es der Höhepunkt meiner Karriere und auch einer der Höhepunkte des Vereins. Ich bin niemand, der in der Vergangenheit lebt und sich jeden Morgen die schönsten Finalszenen im Internet anschaut. Aber es ist natürlich ein wichtiger Teil der glorreichen Klubhistorie.
Sie haben in Istanbul trotz eines Ermüdungsbruchs in der Verlängerung noch bis zum Ende durchgehalten und dann noch den ersten Elfmeter verwandelt.
Zu dem Zeitpunkt, als ich mir den Ermüdungsbruch zugezogen hatte, wusste ich ja nicht um die Schwere der Verletzung. Das war fünf oder sechs Minuten vor Ende der Verlängerung und da war ich so voller Adrenalin, dass ich gar nicht daran gedacht hatte, vom Platz zu gehen – zumal wir auch schon dreimal gewechselt hatten. Als der Trainer mich dann gefragt hat, ob ich einen Elfmeter schießen will, gab es für mich auch gar keine Zweifel. Ich war einer der ältesten Spieler der Mannschaft, und deswegen war es meine Verpflichtung, den auch zu schießen.
Beim Sieg im FA-Cup-Finale 2006 haben Sie auch den ersten Elfmeter verwandelt. Hat Klopp für den Fall der Fälle schon für eine Sonderspielgenehmigung angefragt?
Er hat bereits sehr viele technisch versierte Spieler. Wenn es im Rückspiel zum Elfmeterschießen kommen sollte, wird Klopp bestimmt fünf Schützen finden.
Wird der Fangesang „Hamann, Hamann“, angelehnt an Gary Glitters „Come on, come on“ für Sie noch angestimmt im Stadion?
Das weiß ich gar nicht. Ich war schon eine Weile nicht mehr dort. Vielleicht höre ich ihn ja am Dienstagabend, wenn ich als Co-Kommentator von Sky in Anfield bin. Aber selbst zu meiner aktiven Zeit wurde das für mich nicht allzu oft angestimmt. Die größten Fan-Lieblinge waren eben die Offensivspieler, die wurden am meisten besungen.