Berlin-Spandau: Spandau, du kannst so hässlich sein ...
.... bist aber eigentlich gar nicht so übel. Ein kleiner Spaziergang für Neu-Berliner durch einen gern unterschätzten Bezirk.
Spandau lassen Berliner gern spöttisch links liegen. Der Tenor: Puh, viel zu weit draußen, irgendwo hinter der Havel, ohne Clubs, ohne Großstadtflair, vermieftes West-Berlin halt. Typischer Spruch: "Spandau? Pah, war ich noch nie!".
Und damit fängt's ja schon mal an. Das stimmt nämlich in der Regel nicht. Denn der westlichste Bezirk für viele Neuberliner das erste, was sie von der großen Stadt zu sehen bekommen. Wer in Tegel landet, fliegt über Spandau. Wälder, Wasser, die Altstadt mit ihrem Fachwerk. Spandau ist Berlins grüne Schönheit im Westen – auch für alle jene, die mit dem ICE aus Hamburg, Köln oder Frankfurt anreisen und somit erst mal durch Spandau durchmüssen. Oder mit dem Boot: Berlins Kreuzfahrt-Terminal befindet sich am Havelufer der Wilhelmstadt, dem Ortsteil des einstigen Kaisers.
Tanzen? Och, fahrt ihr mal ruhig alle in die aufgekratzte Stadt
Nur wer halt nicht vorhat, in Szeneclubs die Nächte durchzutanzen, der kann sich hier draußen, tief im Westen, ruhig niederlassen - so schlimm ist's gar nicht. Es gibt etliche Seen, ein wunderschönes Umland und bezahlbaren Wohnraum zur Miete und zum Kauf. Wer es ganz ruhig und ein bisschen teurer mag, ist in Spandau ebenfalls richtig, in den ländlichen Teilorten Gatow und Kladow nämlich. Sie prägen außer Grün und der Nähe zum Wasser Einfamilien- und auch Reihenhäuser.
Apropos jottwede, also „janz weit draußen“: Stimmt nur auf den ersten Blick, ist aber Innenstadtfolklore. Klar, auf der Heerstraße ist immer Stau und die U-Bahnlinie U7 ist die längste der Stadt (32 Kilometer). Mit dem Regionalexpress sind es allerdings von Spandau nur 14 Minuten bis zum Potsdamer Platz. Wer mit der S-Bahn zur Messe oder zum Olympiastadion will, muss sich gar nicht erst hinsetzen (10 Minuten).
Der Flughafen Tegel ist gleich um die Ecke
Die U7 führt direkt zum Ku’damm und nach Kreuzberg. Für den Lärm unter der Einflugschneise des Flughafens Tegel entschädigt – zumindest saisonweise – der kurze Weg mit dem Taxi in den Urlaub (15 Minuten zum Check-In-Schalter). Und ab 2017, wenn der BER in Betrieb geht - so ist ja immer noch der Plan (Stand: Februar 2016) -, herrscht Ruhe am Himmel. Einen BVG-Bus sollte der Spandauer finden; das Rathaus hat nämlich den Bahnhof Zoo als Berlins wichtigster Busknotenpunkt längst abgehängt (leider sind die Dinger trotzdem immer überfüllt). Für den Ausflug nach Brandenburg nimmt der Spandauer das Fahrrad.
Aber auch Spandau hat Kieze, die als Problemviertel gelten: ob Falkenhagener Feld, Heerstraße Nord oder auch diverse Kieze rings um die Altstadt. Spandau (230.000) hat eben mehr Einwohner als Kassel (195.000), Erfurt (206.000) oder das nahe Potsdam (165.000) auf der anderen Uferseite des Glienicker Sees. Und es war nie der Bezirk der Reichen, eher der piefige und doch charmante Arbeiterbezirk. Die Mieten steigen übrigens auch hier. Viele ziehen mit ihren Familien ins Umland, etwa ins benachbarte Falkensee, das als die am stärksten wachsende Gemeinde Deutschlands seit 1990 gilt.
Spandau, das war auch schon immer 'ne Marke. Siemens, BMW, Die Ärzte. Und seit 2000 gilt sogar Wladimir Putin irgendwie als Einheimischer: Er wurde hier offiziell zum „Ritter von Spandau“ geschlagen.
Diesen Text in leicht veränderter und aktualisierter Version haben wir unserem Tagesspiegel-Umzugsmagazin "Neu in Berlin" entnommen, auf das wir gern und ein bisschen stolz hinweisen (noch kein Geschenk für die neue Kollegin oder den neuen Nachbarn?). Wir haben's ja selbst produziert. Eine Kurzübersicht zu einigen Ortslagen und Ortsteilen finden Sie auf den nächsten Seiten. Viel Spaß.
Kladow, Gatow: Dörfer zwischen Havel und Glienicker See
Kladow Im Westen: Wald. Im Süden: Wald. Im Osten: Havel. Im Norden: die Rieselfelder (die zum Glück nicht in Betrieb sind, aber ein tolles Biotop zum Spazieren). Kladower nennen ihr Zentrum „Dorfplatz“, wobei „Dorf“ relativ ist - bei 17.000 Einwohnern und zwei überlasteten Einfallstraßen zur City. Gebaut werden freistehende, hochwertigere Häuser; etwa auf einst verwilderten Grundstücken, am Glienicker See oder auf dem Flugplatz in der „Landstadt Gatow“ (die übrigens zu Kladow gehört). Toll: der Arbeitsweg mit der BVG-Fähre vom sanierten Hafen zum S-Bahnhof Wannsee (60-Min.-Takt).
Gatow Das kleine, ländliche Gatow (wie auch das benachbarte ländliche, aber größere Kladow) liegt im Sozialatlas unter den Top 10 aller 96 Berliner Ortsteile in einem eher armen Bezirk. Elitär ist’s hier nicht, die Grundstückspreise sind erschwinglich – von bester Havel-Lage einmal abgesehen (aber die sind fast alle weg). Umland-Center sind nah (Havelpark). Im Nachbardorf Seeburg gibt’s leckeres Gemüse bei Bauer Huschke, einem Ex-Kladower übrigens. Und der Schnellbus X34 fährt direkt zum Zoo. Beliebter Fehler: Der Flugplatz Gatow liegt nicht in Gatow - siehe Kladow.
Wilhelmstadt und Pichelsdorf: Wohnen an der Scharfen Lanke
Wilhelmstadt: Ein typisch Spandauer Ortsteil - eher städtisch-einfach geprägt mit vielen Mietskasernen, unsanierte Altbauten und nicht dem besten Image. Die einstige Einkaufsmeile Pichelsdorfer Straße hat auch schon mal abwechslungsreichere Tage erlebt. Für Neuberliner gibt es noch reichlich Platz, nicht nur in einstigen Kasernen der britischen Armee - auch wenn einige als Notunterkunft für Flüchtlinge genutzt werden. Das Schwimmbad an der Gatower Straße wurde 2015 saniert eröffnet. Gut sind auch die studentischen Bars am Sportplatz Wilhelmstraße. Zu Ikea (seit den 80ern Berlins erste Filiale) ist’s auch nicht weit. Und Erholung? Gibt’s wenige hundert Meter weiter – siehe Pichelsdorf
Pichelsdorf: Auch das eine typische Spandauer Ortslage – nur wenige Minuten von den einfacheren Wohnlagen der Wilhelmstadt entfernt. Hier entdeckt man faszinierende Grundstücke: direkt am Havelufer, an der Scharfen Lanke. Hier wechseln sich Mietblöcke mit Villen und Yachtklubs ab. An Pichelsdorf vorbei führt die fünfspurige Heerstraße gen City. Idyllische Spaziergänge lohnen sich entlang der niedlichen Kanäle („Klein-Venedig“). Wichtig: Pichelsdorf (Spandau) nicht mit Pichelsberg (Charlottenburg) verwechseln!
Altstadt und Wasserstadt: Das städtische Spandau
Spandaus Zentrum: Prägend sind die historischen Häuser und Gassen in der größten Berliner Fußgängerzone: der Altstadt Spandau. Allerdings ist es abends oft bedrückend leer, weil viele in die Stadt fahren – die Verkehrsanbindung ist mehr als gut (ideal für den Arbeitsweg). Hier fahren Regionalbahnen, U- und S-Bahn. Und vor allem: Das Rathaus ist laut BVG (Stand: Februar 2016) der größte Busknotenpunkt der Stadt, noch vor dem Bahnhof Zoo (und fürchterlich überlastet, wie man unter diesem Tagesspiegel-Link nachlesen kann). Außerhalb der Altstadt nimmt die Attraktivität des Ortsteil schnell ab. Spannend, ob was zwischen Rathaus und ICE-Bahnhof gebaut wird: Hier gibt es eine gewaltige Post-Ruine an der Havel.
Wasserstadt: Eigentlich sollte der Flughafen Tegel seit 2011 dicht sein. Und so tosen heute noch Jets im 90-Sekunden-Takt über das Viertel, in dem bis zu 7500 Wohnungen entstehen sollten. Früher galt das Viertel wegen extrem Senatsinvestitionen und geringer Auslastung als Milliardengrab und sozial schwierig; das hat sich verbessert. Entstanden sind typische Neubaublöcke, Mehr- und Einfamilienhäuser, auch Townhouses wie beispielsweise „Berlin Terraces“. Die Ladendichte gilt als gering. Anwohner schwärmen von der Altstadt-Nähe („Radweg-Länge“) und der Havel: „Schaffen Sie sich ein Kanu an!“ Und 2017 soll auch Ruhe am Himmel sein.
Siemenstadt,Staaken, Falkenhagener Feld: Großsiedlung und Idyll
Siemensstadt: Ein Ortsteil, der sich immer wieder neu erfindet: Einst Arbeitergegend für Werksangehörige, dann sozial auf der Kippe (viele „einfache Wohnlagen“, vor allem in der Hochhausgegend), nach vielen Investitionen offenbar immer beliebter – vor allem die verwunschenen Mehrfamilienhäuser samt Grundstück aus den 30er Jahren sind gefragt; die Großsiedlung Siemensstadt zählt seit 2008 zum Weltkulturerbe der Unesco. Zur City West, beispielsweise ins noble Westend, ist es nicht weit. Die Stadtautobahn A100 ist nah; die U-Bahn führt durchs Viertel. In die Jungfernheide oder den Tegeler Forst kann man radeln.
Staaken. Hier ist man soweit im Westen, dass es schon wieder Osten ist – ein gängiger Spandauer Spruch. Denn ein Teil des Ortsteils, „Staaken-West“, wurde nach dem Krieg an die DDR abgetreten; 1990 kam das Stückchen zurück zu West-Berlin (und seitdem wird gebaut und gebaut und …). Einen sozial schwierigen Ruf hat die Großsiedlung an der Heerstraße; dabei stehen auf der anderen Straßenseite gleich viele Einfamilienhäuser mit eingewachsenen Grundstücken zu bezahlbaren Preisen. Nach Brandenburg ist’s ein Fußmarsch. Und in Staaken halten Regionalbahnen (16 Minuten bis Berlin-Hauptbahnhof). Lohnenswert: der Hahneberg mit 90 Metern Höhe – mit Blick bis zum Alexanderplatz. Daneben: Das Fort Hahneberg.
Falkenhagener Feld: Einer der Problemortsteile in Spandau, weil hier typische Bausünden der 60er und 70er Jahre entstanden sind – Hochhausviertel mit all ihren Problemen. Im Falkenhagener Feld leben traditionell viele Russlanddeutsche. Auch hier gibt es interessante, preisgünstige Ecken mit etwas älteren Einfamilienhäusern. Vorteil: Der Flugzeugkrach ist ab 2017 vorbei (oder 2018, das ist ja noch nicht so ganz klar). Das freut auch die versteckte Reihenhaussiedlung zwischen Bienen-, Ameisen- und Glühwürmchenweg. Idyllisch sind hier nicht nur die Straßennamen.