Insel Eiswerder: Vom Millionengrab zur Goldgrube
Der einstige Entwicklungsbereich der Wasserstadt Oberhavel entwickelt sich zu einem attraktiven Wohngebiet.
High Noon auf der Kleinen Eiswerderbrücke. Zwei Autos stehen sich auf der einspurigen Fahrbahn gegenüber. Beide sind gleichzeitig auf die Brücke gefahren, beide wollen nicht nachgeben, bis endlich der eine Autofahrer wutentbrannt den Rückwärtseingang einlegt und der Verkehr wieder anrollt.
Gut möglich, dass es in Zukunft öfter zu solchen Verkehrsbehinderungen kommen wird. Denn die kleine Insel Eiswerder entwickelt sich gerade, von der breiten Öffentlichkeit kaum bemerkt, zu einem Zentrum der Berliner Immobilienentwicklung. Ein Oldtimer-Zentrum ist in Planung, ein Speicher soll umgebaut werden, in denkmalgeschützten Gemäuern entstehen Wohnungen. Und auch anderswo am Ufer der Oberhavel, die hier breit wie ein See ist, stehen die Projektentwickler in den Startlöchern.
Die Wasserstadt Oberhavel vor dem Durchbruch – das wirkt wie ein Treppenwitz der Geschichte. Denn es ist erst wenige Jahre her, da galt die Wasserstadt als Millionengrab und Inbegriff einer verfehlten Stadtentwicklungspolitik. Das ehemals gewerblich und industriell genutzte Gebiet war einer der Entwicklungsbereiche nach dem besonderen Städtebaurecht, die das Land Berlin Anfang der neunziger Jahre festlegte. Um den nötigen Wohnraum für den erhofften Boom zu schaffen, wurde viel Geld in die Schaffung der Infrastruktur investiert. Doch das erwartete Bevölkerungswachstum blieb damals ebenso aus wie die Nachfrage der Investoren – die Entwicklungsbereiche wurden zu einem Verlustgeschäft.
Etwa 12 000 Wohnungen sollten gemäß der ursprünglichen Planung in der Wasserstadt Oberhavel entstehen. Später wurde die Zahl auf 8100 reduziert, von denen bis 2006 gerade mal 3700 tatsächlich gebaut wurden. Heute, schätzt Carsten Röding, Baustadtrat des Bezirks Spandau, dürften es etwa 5000 sein. Doch bald wird ihre Zahl deutlich zunehmen. „Dass ein Großteil der öffentlichen Infrastruktur über die Entwicklungsmaßnahme realisiert worden ist, hilft jetzt bei der Vermarktung“, stellt Röding fest.
Das Meilenwerk auf der Insel Eiswerder soll 2015 eröffnet werden
Das zeigt sich auf der Insel Eiswerder, auf der eine gepflegte Promenade zum Spazieren einlädt. Nicht nur deswegen ist Theodor J. Tantzen von Eiswerder begeistert. „Eiswerder ist eine reizvolle Insel, liegt nahe am ICE-Bahnhof Spandau und verfügt über eine schnelle Anbindung an den Berliner Westen“, zählt der Vorstand der Prinz von Preussen Grundbesitz AG die Vorzüge auf. Tantzen vermarktet momentan 75 Wohnungen, die in einem Teil des ehemaligen Preußischen Feuerwerkslaboratoriums entstehen werden. Sieben Wochen nach Vertriebsstart sind vier Fünftel der 35 Wohnungen des ersten Bauabschnitts verkauft oder reserviert – bei einem stolzen Preis von 3900 bis 4500 Euro pro Quadratmeter.
Da der Kauf einer denkmalgeschützten Immobilie steuerliche Vorteile mit sich bringt, richtet sich das Angebot vornehmlich an Kapitalanleger, die ihre Wohnung dann vermieten. Für die zwischen 55 und 90 Quadratmeter großen Einheiten rechnet Tantzen mit einer Kaltmiete von elf Euro pro Quadratmeter. Konflikte mit anderen Nutzungen auf der Insel befürchtet er nicht – auch nicht mit dem Meilenwerk. Unter diesem Namen plant der Berliner Unternehmer Martin Halder ein Zentrum für Oldtimer, das durch Manufakturen und Gastronomie ergänzt werden soll. „In diesen Tagen geht der Bauantrag beim Bezirk ein“, sagt Halder. Ziel sei es, das Meilenwerk 2015 zu eröffnen.
„Solche Lagen am Wasser sind nicht reproduzierbar“, schwärmt der Meilenwerk-Chef. Er und Tantzen sind nicht die einzigen Immobilienexperten, die von der Wasserlage mit Blick auf die Zitadelle Spandau begeistert sind. Auf dem Festland, südöstlich von Eiswerder, will der Architekt Ingo Pott die Havelwerke zu einem kreativen Gewerbezentrum machen (vgl. Tagesspiegel vom 16. November 2013). Wird Spandau jetzt also hip? „Auf jeden Fall ist Spandau extrem vielfältig“, antwortet Baustadtrat Röding. „Da geht noch was!“
Wohnen am Wasser – aber ohne Balkon
Zum Beispiel beim Wohnungsbau. Bezirk und Senat sind sich einig, dass es in der Wasserstadt ein Potenzial für den Bau von 2700 Wohnungen gibt. Einige Projekte sind in der Planung schon weit gediehen. So ist im gewaltigen Reichstypenspeicher, Ende der 1930er Jahre auf der Insel Eiswerder errichtet, ein Musterloft zu besichtigen. Das Berliner Unternehmen PSG bietet hier zwanzig Lofts mit Flächen zwischen 121 und 299 Quadratmeter zum Kauf an. Im Süden der Insel bereitet zudem ein Münchner Privatinvestor den Bau von Stadtvillen vor.
Ein noch größeres Projekt soll laut Baustadtrat Röding am westlichen Ufer der Havel, im Quartier Am Maselakepark, entstehen. Dort plant das russische Unternehmen Monarch den Bau von etwa 500 Wohnungen. Neubauwohnungen gibt es auch im Quartier Nordhafen: Am alten Strandbad, und damit direkt am Wasser, kostet beispielsweise eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 102 Quadratmeter Wohnfläche rund 325 000 Euro.
In der Vergangenheit gab es solche hochwertigen Wohnformen nicht. In den neunziger Jahren entstanden hauptsächlich Sozialwohnungen in dichter Bebauung. Wer etwa durch das Quartier Pulvermühle, unweit vom U-Bahnhof Haselhorst, schlendert, merkt über weite Strecken gar nicht, dass er sich in der Nähe des Wassers befindet. Auffällig ist auch, dass viele Wohnungen trotz ihrer attraktiven Lage keinen Balkon haben – die Förderrichtlinien sahen eben keinen Balkon vor. Trotzdem hat sich laut Röding die soziale Situation in der Wasserstadt zuletzt „stabilisiert“ – auch deswegen, weil neue Angebote, beispielsweise Reihenhäuser im Einzeleigentum, hinzugekommen sind.
Damit die Wohnungsbaupläne umgesetzt werden, sieht der Baustadtrat die Landespolitik und speziell den Liegenschaftsfonds in der Pflicht: Dieser müsse die landeseigenen Flächen so „auf den Markt bringen, dass sie dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen“. Im Frühjahr schrieb der Liegenschaftsfonds bereits ein rund 30 000 Quadratmeter großes Grundstück an der Daumstraße 75 aus, für das eine Mischnutzung aus Gewerbe und Wohnen vorgesehen ist. Derzeit werden laut einer Sprecherin des Liegenschaftsfonds Verhandlungen mit dem Bestbieter geführt.
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