Berliner Lieferdienst in der Krise: Gorillas ein innovatives Start-Up? Das Gegenteil ist der Fall
Der Express-Bringdienst inszeniert sich gerne als besonders modern. Doch das Verhalten der Geschäftsführung wirkt aus der Zeit gefallen. Ein Kommentar.
Der Berliner Express-Lieferdienst Gorillas galt als große Start-up-Hoffnung, jetzt rutscht das Unternehmen in die Krise. Ein Teil der Beschäftigten rebelliert seit Wochen mit wilden Streiks und Blockaden. Mitten im Wahlkampf hat nun sogar der Bundesarbeitsminister für die nächste Woche seinen Besuch angekündigt. Die Geschäftsführung ist offensichtlich überfordert – und könnte alles verlieren.
Wilde Streiks, also spontane Arbeitsniederlegungen, sind in Deutschland eigentlich nicht erlaubt. Wer sich an wilden Streiks beteiligt, riskiert Abmahnungen, unter Umständen sogar die Kündigung.
Doch das schreckt die Fahrradkuriere, die sich Rider nennen, nicht ab. Sie protestieren lautstark und medienwirksam. Ihre Forderungen: rechtzeitige Bezahlung, wetterfeste Kleidung und sichere Fahrräder. Also elementare Dinge, die Ihnen arbeitsrechtlich ohnehin zustehen, die sie aber offenbar nicht immer bekommen.
Der Geschäftsführer Kağan Sümer beschwor kürzlich in einer internen Email mit viel Pathos das Gemeinschaftsgefühl. Ein türkisches Sprichwort zitierend schrieb er: „Wenn ein Baum Äpfel trägt, werfen die Leute mit Steinen, um die Äpfel herunterzuholen.“
Soll heißen: Die Kritik sei nichts anderes als eine böswillige Kampagne von Neidern, die ein Stückchen des Erfolges abhaben wollen. Doch niemand könne Gorillas aufhalten.
Das testosterongetränkte Manifest erinnert an Auswüchse der Start-up-Szene, die schon vor Jahren auf Kritik stießen. Viele Gründer:innen versuchen heute eher mit dem Zeitgeist zu gehen, setzen auf unternehmerische Verantwortung und Nachhaltigkeit. Doch Sümer scheint in seiner eigenen Welt zu leben.
Alles nur geklaut?
Gorillas stellt sich als innovatives Start-up dar, aber das stimmt nicht. Als erster Express-Lieferdienst für Lebensmittel war GoPuff 2013 in den USA gegründet worden. In der Türkei startete 2015 Getir. Auch Delivery Hero aus Berlin betreibt seit Jahren ähnliche Dienste in mehreren Ländern Asiens.
Gelegenheit macht manchmal Unternehmer.
Der Onlinehandel mit Lebensmitteln ist in Deutschland kaum entwickelt, das Potenzial für Wachstum hoch. Deshalb gelang es Kağan Sümer, viele Millionen Euro an Wagniskapital einzusammeln. Und dann brachte die Coronapandemie auch noch einen Kundenansturm.
Doch inzwischen wächst auch hierzulande die Konkurrenz. Gegenüber erfahrenen Wettbewerbern wie Getir oder Delivery Hero hat Sümers Unternehmen nur einen Vorteil: die starke Marke. Gorillas ist cool, ohne Zweifel. Doch genau das setzt der Chef gerade aufs Spiel.
Das Geschäft von Gorillas liegt buchstäblich auf den Schultern der Rider. Die sind größtenteils junge Menschen aus Nicht-EU-Ländern. Sie sprechen wenig oder kein Deutsch, gelten für den deutschen Arbeitsmarkt als gering qualifiziert.
[Lesen Sie mehr: Warum das Berliner Milliarden-Start-up Gorillas jetzt unter besonders starkem Druck steht. (T+)]
Von ihrem Arbeitgeber sind sie in besonderer Weise abhängig. Dass Beschäftigte in einer solchen Situation aufbegehren, ist ungewöhnlich. Es verschafft ihnen aber auch Sympathien. Und ihr Selbstbewusstsein ist gerechtfertigt.
Längst konkurrieren die Lieferdienste auch um Rider. Um profitabel zu werden, muss das Unternehmen expandieren und europaweit viele neue Leute einstellen.
Sollte Gorillas als Arbeitgeber unattraktiv werden, dürfte das nicht nur Kund:innen abschrecken. Auch Investor:innen könnten fragen, ob ihr Geld bei einem Wettbewerber nicht besser angelegt wäre.
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