Streiks beim Lieferdienst gehen weiter: Fahrrad-Demo der Gorillas-Rider - mehrere Filialen kurzzeitig geschlossen
Die Mitarbeiter des Online-Supermarktes haben erneut in Berlin gestreikt. Im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen erhielten sie Unterstützung aus der Politik.
Mit einer Protesttour ziehen Beschäftigte des Express-Lieferdienstes Gorillas am Samstag durch Berlin. Aktivist:innen des Kollektivs "Gorillas Workers Collective" (GWC) haben dazu aufgerufen. Sie fordern unter anderem sicheres Equipment, wetterfeste Kleidung und bessere Bezahlung. Die Tour begann in Tempelhof, dort wird nun ein Lagerhaus des Unternehmens bestreikt.
Auch die Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) war dabei, um die Proteste zu unterstützen. "Wollen wir streiken?", fragte eine GWC-Aktivistin in die Runde. Die Umstehenden hoben die Hände. Damit war es beschlossene Sache. Die Arbeit wurde niedergelegt im Lagerhaus am Kaiserkorso. Etwa 50 Personen hatten sich vor der Filiale eingefunden, die dortigen Beschäftigten waren dazugekommen.
Am frühen Nachmittag sollte die Tour weiter nach Kreuzberg ziehen - zu einem anderen Lagerhaus in der Urbanstraße. Doch es gab Startschwierigkeiten. Einige Rider wollten ihre Gorillas-Bikes nutzen, der Warehouse Manager weigerte sich jedoch, die Schlüssel heraus zu geben. Er wisse nicht, ob die Beschäftigten die Räder für ihren Protest nutzen dürfen, sagt er. Die Polizei urteilte, dass die Demonstration nicht Teil des Streiks sei und das Firmeneigentum damit nicht verwendet werden darf.
Nachdem die Kreuzberger Politikerin Kiziltepe vermittelte, entschied die Einsatzleiterin der Polizei, dass alle Rider die Fahrräder nutzen dürfen, "die bereits in Umlauf sind", also schon aufgeschlossen. Wer kein Rad abbekam, musste auf anderen Wegen nachkommen.
An dem Lagerhaus in der Urbanstraße angekommen, forderte das GWC-Kollektiv zum Streik auf. Doch die Filiale war schon vor dem Eintreffen der Demonstrant:innen geschlossen worden. Bestellungen über die App sind in diesem Kiez momentan nicht möglich. Ein City Manager von Gorillas vor Ort hat den Beschäftigten des Lagerhauses offenbar untersagt, sich zu beteiligen. Tatsächlich schlossen sich keine weiteren Beschäftigten an.
In einer Stellungnahme teilte die Gorillas-Geschäftsführung am Samstagnachmittag mit, das GWC habe keine Grundlage für Streik-Aufrufe, da es sich "nicht um einen Betriebsrat handelt." Außerdem habe es bisher keine spontanen Arbeitsniederlegungen gegeben. "Die kurzzeitige Schließung einzelner Warehouses wurde durch das Unternehmen veranlasst, um unsere Mitarbeiter*innen vor Anfeindungen einiger weniger zu schützen", heißt es in dem Statement. Doch das stimmt nicht ganz - denn die Filiale in der Urbanstraße wurde erst geschlossen, nachdem am Mittag in Tempelhof die Arbeit niedergelegt wurde.
Die Rider ließen sich in ihrem Vorhaben nicht stoppen - und ihre Spontanität stellte die Polizei am Samstagnachmittag vor Herausforderungen. Welches Lagerhaus die Tour als nächstes anfahren soll, wurde am späten Nachmittag mit Abstimmungen vor Ort entschieden. Für die Polizei eine Herausforderung, denn die Strecke müsse erst abgesperrt werden. Daraufhin entschieden die Rider gemeinsam, keine Fahrraddemo zu machen, sondern "privat" in Kleingruppen zur nächsten Station zu fahren - das Lagerhaus in der Muskauer Straße.
Wettlauf zwischen Gorillas und Ridern
Doch dort waren die Filialleiter schon auf den Protest vorbereitet und kamen den Demonstrant:innen zuvor. Auch hier hatte das Unternehmen den Betrieb schon vorher eingestellt. Von da an begann ein Wettlauf zwischen Unternehmen und Protestierenden. Die Firma versuchte, betroffene Standorte zu schließen, bevor die Proteste beginnen. Doch das GWC trickste das Management aus.
Noch am Lagerhaus an der Muskauer Straße hatten die Protestierenden per Megafon dazu aufgerufen, zum Lagerhaus am Alexanderplatz zu fahren. Gleichzeitig waren Kleingruppen nach Friedrichshain aufgebrochen.
In der Gürtelstraße in Friedrichshain angekommen, rief das GWC derzeit zum Streik auf. Einige Beschäftigte schlossen sich dem Protest an, doch viele arbeiteten weiter. Die Lagerverwaltung überließ den Beschäftigten die Entscheidung. Die Stimmung war locker - "Ist hier eine Party?", fragte ein verblüffter Rider, der von einer Tour zurückkam. Am frühen Abend schloss dann auch das Lagerhaus in der Gürtelstraße.
Gefordert wird bessere Bezahlung, sicheres Equipment und wetterfeste Kleidung
Das GWC fordert unter anderem bessere Bezahlung, sicheres Equipment und wetterfeste Kleidung. Die Geschäftsführung habe die meisten dieser Forderungen bisher ignoriert, sagen die Protestierenden.
Gorillas ist ein Express-Lieferdienst, der Lebensmittel in wenigen Minuten zur Wohnungstür der Kund:innen bringt. Die Waren können über eine Smartphone-App bestellt werden. Fahrradkuriere fahren die Lieferungen aus. Für die Logistik betreibt Gorillas Lagerhäuser in Wohngebieten, sogenannte "Dark Stores".
Das Start-up wurde im März 2020 von Kağan Sümer in Berlin gegründet. Seit Anfang Juni tobt ein Arbeitskampf in dem jungen Unternehmen. Am Samstagmittag sprach die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) am Ausgangspunkt der Streiktour, dem Kaiserkorso, mit den Beschäftigten. Sie wolle die Gorillas-Beschäftigten bei ihrer Forderung nach Mitbestimmung und Arbeitsschutz unterstützen, sagte sie dem Tagesspiegel.
[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Die Politikerin sieht ein generelles Problem: "In der Digitalwirtschaft werden zum Teil bestimmte arbeitsrechtliche Regelungen, für die seit Jahrzehnten gekämpft wurde, nicht einhalten." Am Freitag hatte ein Gorillas-Sprecher in einer Presseerklärung mitgeteilt, die Geschäftsführung habe erste Schritte eines "Maßnahmenplans" für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen eingeleitet.
"Probleme mit der Gehaltsabrechnung aufgrund ungenauer Zeiterfassung wurden gelöst und sämtliche Zahlungsdiskrepanzen vollständig ausgeglichen." Außerdem seien " Gewichts-Anzeigetafeln in den Lagern, kleinere Rucksäcke und neue interne Richtlinien" eingeführt worden, um zu schwere Lieferungen zu vermeiden.
Eine GWC-Sprecherin widerspricht: Nur ein Teil der Probleme sei gelöst worden. Der Lieferdienst Gorillas hat stark von den Lockdowns profitiert, weil viele Menschen erstmals Lebensmittel online einkauften. Gorillas expandierte schnell, unter anderem nach Amsterdam, London und New York.
Inzwischen drängen jedoch Konkurrenten auf den europäischen Markt, etwa der türkische Anbieter Getir. Das Berliner Dax-Unternehmen Delivery Hero testet momentan seinen Bringdienst Foodpanda, der ab August in Berlin und anderen deutschen Städten Waren ausliefern soll.
Kritik an Gorillas-App nach Datenschutz-Test
Unterdessen gerät Gorillas auch von anderer Seite in die Kritik. Die Redaktion der Verbraucherschutz-Website mobilsicher.de hat die Datensicherheit der Gorillas-App getestet und rät von deren Nutzung ab: "Bei dieser App schätzen wir das Risiko für Ihre Privatsphäre als sehr hoch ein", heißt es im Testbericht. Demnach erfasst die Gorillas-App nicht nur sensible Daten von Kund:innen, sondern leitet sie auch an Drittanbieter weiter. Der Auswertung zufolge erhalten Firmen wie Facebook, Braze oder segment.io von Gorillas unter anderem die Werbe-ID der Kunden.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
"Diese ist für die Funktionalität der App nicht notwendig und dient in der Regel nur dazu, Nutzer*innen zu analysieren, weitere Informationen über sie hinzuzukaufen und sie außerhalb der App gezielt mit Werbung ansprechen zu können", schreibt mobilsicher.de. "Daher bewerten wir dieses Verhalten als kritisch."
Ungeachtet aller Kontroversen expandiert Gorillas weiter, lokal wie international. In Berlin hat das Unternehmen erst kürzlich ein neues Lagerhaus im Ortsteil Weißensee eröffnet. Außerdem ist das Start-up seit Anfang Juni auch in Italien aktiv. Fast zeitgleich trat auch der Rivale Getir in den italienischen Markt ein. Getir baut das Geschäft dort allerdings nicht ganz neu auf, sondern hat einen bereits bestehenden Lieferdienst namens Blok gekauft. Blok liefert auch in Spanien aus.