Ein Jahr Rot-Grün-Rot in Potsdam: Was das neue Bündnis geleistet hat - und was nicht
Vor einem Jahr gründete sich die neue Rathauskooperation. Die Bündnispartner sind zufrieden mit ihrer ersten Bilanz – die Opposition ganz und gar nicht.
Potsdam - Die Ziele klangen ambitioniert, als die Spitzen von SPD, Grünen und Linken vor einem Jahr ihre Kooperationsvereinbarung für Potsdam vorstellten: Mehr Klimaschutz, eine ökologische Verkehrswende, mehr sozialer Wohnungsbau, Maßnahmen gegen Kinderarmut und für eine moderne Stadtverwaltung. Ein Jahr besteht das rot-grün-rote Bündnis jetzt: Was hat es bisher umgesetzt, wo sind die entscheidenden Weichen gestellt? Und hat diese Rathauskooperation tatsächlich Zukunft?
Die drei Partner sind mit ihrer Arbeit - wenig überraschend - durchaus zufrieden, wenn auch meist aus unterschiedlichen Gründen. Intern allerdings knirscht es nach PNN-Recherchen immer wieder gewaltig. Zudem hatte auch das Bündnis mit der Corona-Zwangspause im Frühjahr zu kämpfen. Die Opposition im Stadthaus dagegen zeigt sich massiv unzufrieden mit Rot-Grün-Rot.
Wie bewerten die Kooperationspartner ihre Leistung?
Prinzipiell gut. Für die SPD als größtem Bündnispartner ist vor allem der "stabile Haushalt" wichtig, wie Fraktionschef Daniel Keller sagt. Es sei jetzt mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr, Radwege, Klimaschutz und Schulen eingestellt. Ferner verweist Keller, wie auch die Kooperationspartner der Linken, auf die bis zu zehn Millionen Euro, die bis 2024 für den Ankauf von Grundstücken für soziale Infrastruktur ausgegeben werden sollen. Ein Wiedergutmachungskurs - denn die stets SPD-geführte Stadtverwaltung hatte in der Vergangenheit viele jetzt benötigte Flächen selbst verkauft.
Co-Fraktionschefin Sarah Zalfen findet für eine Bilanz auch die politischen Voten zur Potsdamer Mitte wichtig. Am Alten Markt entstehen in einem zweiten Karree studentisches Wohnen sowie zahlreiche Sozialwohnungen, weil die Quartiere an das städtische Wohnungsunternehmen Pro Potsdam und Genossenschaften vergeben worden waren. Das ergebe "gute Rahmenbedingungen" für kleinteiliges Gewerbe. Zalfen sieht zudem das Kreativquartier mit gedeckelten Mieten für Künstler, das auf der Brache an der alten Feuerwache entstehen soll, als Erfolg der Kooperation. Das sehen auch die Grünen so.
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Allgemeiner fällt das Fazit der Linken aus: "Mit der konsequenten Stärkung des genossenschaftlichen und kommunalen Wohnens in vielen Aspekten und der endlich erfolgten Einrichtung einer Wohnungstauschzentrale wird ein wichtiger Beitrag zur Entspannung des Wohnungsmarkts geleistet", sagt Fraktionschef Stefan Wollenberg. Die Grünen-Fraktionsspitze um Gerd Zöller und Saskia Hüneke nennt als Erfolge zu prüfende Instrumente gegen den Mietenanstieg, aber auch den Beschluss zur Ausrufung des Klimanotstands in Potsdam. Damit verbunden seien zum Beispiel mehr Radwege, aber auch ein Programm für 1000 neue Bäume in Potsdam. Gestartet allerdings waren die Grünen mit einer Forderung nach 10.000 Bäumen.
Wie versteht sich die Kooperation hinter verschlossenen Türen?
Da geht es nach PNN-Recherchen durchaus rauer zu. Linke- und SPD-Vertreter frotzeln gern einmal über die vermeintliche "Rastlosigkeit" der Grünen, die in Schnellschüssen gipfele. Beispiel: Zuletzt hatten die Grünen gleich mehr als zehn Anträge ins Kommunalparlament einbringen wollen - viel zu viel, fanden die Partner. Mehrere Vorstöße zogen die Grünen später wieder zurück, etwa zur Rekommunalisierung der Energie und Wasser Potsdam.
Bei den Grünen und der SPD wird hingegen gern über die Linken gespottet, deren Fraktion deutlich zweigeteilt sei: in eine Auto- und eine Öko-Gruppe. Und die Grünen und die Linken wiederum lästern über die SPD, diese sei zu bräsig, sie bringe zu wenig inhaltliche Vorstöße ein.
Offiziell äußern sich die Verantwortlichen allerdings anders. So seien die Prioritäten durchaus unterschiedlich, sagt Linke-Chef Stefan Wollenberg. Aber das sei kein Nachteil: „Wir sind offen für Anregungen und Initiativen von außen, gleichzeitig wird aber auch innerhalb der Kooperation um politische Inhalte debattiert. Das erzeugt Reibung, führt zu neuen Ideen und qualifiziert unsere Arbeit.“
Ähnlich werten es die Grünen: „Die Kooperation umfasst viele starke Persönlichkeiten, das ist kein Problem, sondern eine Bereicherung.“ Angesichts des enormen Umfangs des Ehrenamtes eines Stadtverordnetenmandats dürften Unvollkommenheiten in der Abstimmung dazu gehören. SPD-Mann Keller betont die Gemeinsamkeiten: Man habe einen Takt gefunden, die Mehrheiten bei wichtigen Themen stünden.
Welcher Beschluss hat kurzfristig am meisten verändert?
Ein Thema nennen alle drei Partner - der Rückkehr des Potsdamer Klinikums "Ernst von Bergmann" zum Tarifsystem des öffentlichen Dienstes. "Dieses Bekenntnis" sei gerade unter Pandemie-Bedingungen ein verantwortungsvoller Schritt gewesen, sagt Keller. "Die Tarifrückkehr muss nun auch konsequent umgesetzt werden", ergänzt Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg. Allerdings hatte sich zuletzt gezeigt, dass das Klinikum durch die Corona-Pandemie sowie die Mehrkosten für höhere Löhne deutlich in die roten Zahlen rutscht.
Zwar haben Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) und die Kooperation zugesagt, notfalls Geld aus dem städtischen Haushalt zuzuschießen - wie viele Millionen Euro nötig sind, und ob deswegen anderswo gekürzt werden muss, ist allerdings offen. Die Appelle der Kommunalpolitiker, auch Bund, Krankenkassen und Länder müssten die Krankenhausfinanzierung zugunsten der Städte und Gemeinden reformieren, blieben bisher ohne größere Wirkung. Das hat schon für viel Kritik aus der bürgerlichen Opposition im Stadtparlament gesorgt, die auch von der rechtspopulistischen AfD geteilt wird. So kritisiert etwa AfD-Fraktionschef Chaled-Uwe Said, beim Klinikum handele es sich um ein Beispiel für die "häufig fehlende Finanzierbarkeit von Projekten". So stehe nun das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Klinikverbunds im Raum.
Wie bewertet die Opposition die bisherige Arbeit der Kooperation?
Zum Teil vernichtend. So erklärten die Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokraten, Sabine Becker und Björn Teuteberg, den PNN auf Anfrage: "Von der Kooperation werden keine Anstrengungen unternommen, die Attraktivität Potsdams als Wirtschaftsstandort und damit die Einnahmen im Haushalt zu erhöhen." Für Herausforderungen wie Bürokratieabbau, Digitalisierung und eine gezielte Wirtschaftsförderung habe die Rathauskoalition bislang keine glaubwürdige Strategie vorgelegt. Zudem befinde sich die Stadt "in einem gefährlichen haushaltspolitischen Blindflug", meinen die FDP-Politiker. Die Kooperation habe "einen Haushalt beschlossen, der die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie komplett leugnet, ohne zu erklären wie er überhaupt gegenfinanziert werden soll". Allerdings ist wie berichtet vermutlich im Herbst ein Nachtragshaushalt geplant, in den neben den Steuerausfällen auch die inzwischen angelaufenen Bundes- und Landeshilfen für Kommunen einfließen sollen.
Fehlende Finanzierungsstrategien moniert auch die AfD. Das sei zum Beispiel das Hauptproblem für die aus seiner Sicht nicht zwingend nötige Tram nach Krampnitz, findet AfD-Fraktionschef Said. Ferner sei das Problem des Dauerstaus in der Stadt weiter ungelöst, so sein Eindruck. Allerdings setzt die Kooperation hier besonders darauf, Alternativen zum Auto zu schaffen. Für Said passt die Politik der Kooperation aber auch an anderer Stelle nicht zusammen. So sei der Potsdamer Wohnungsmarkt weiter extrem angespannt - gleichwohl habe die Kooperation der langfristigen Auflösung vorhandener Flüchtlingsheime zugestimmt, wie berichtet auch wegen der Erfahrungen in der Coronakrise. Die Menschen in den Gemeinschaftsunterkünften sind größeren Infektionsrisiken ausgesetzt, es mussten komplette Unterkünfte unter Quarantäne gestellt werden.
Kritik gibt es auch am für Potsdam ausgerufenen Klimanotstand. Der Beschluss sei „ein sinnfreies, ideologisch motiviertes Projekt, das ohne jegliche Erfolge für das lokale und das Weltklima lediglich mehr Verwaltungshandeln erfordert und Entscheidungsprozesse verkompliziert", findet Said.
Eine kritische Haltung haben auch Lutz Boede und Anja Heigl von der linksalternativen Fraktion Die Andere, die aber für den Notstandsbeschluss gestimmt hatten: "Wir sind enttäuscht darüber, dass die Mehrheit dieser Kooperation beim Schulneubau in der Waldstadt ganze Waldstücke im Landschaftsschutzgebiet abholzen lassen will und damit den gemeinsamen Beschluss bricht." Auch in der Wohnungs- und Grundstückspolitik sei von den Versprechen der Kooperation bisher nichts angekommen. "Der Ausverkauf städtischer Grundstücke geht nun in Krampnitz weiter und der Bau der Sozialwohnungen soll dort um Jahre verschoben werden." Zu oft würden auch inhaltlich sinnvolle Anträge anderer Fraktionen abgeblockt, "ohne darüber offen und transparent zu diskutieren". Auch die CDU-Fraktionsspitze um Anna Lüdcke und Götz Friederich stellt fest: „Es wäre schön, wenn die rot-rot-grüne Kooperation ihre grundsätzliche pauschale Ausgrenzung der anderen demokratischen Fraktionen aufgeben und eine Einbindung in Entscheidungsfindungsprozesse ermöglichen würde. Das gilt insbesondere für die Grünen, wenn sie nicht immer nur einfach billige Mehrheitsbeschaffer für Rot-Rot sein wollen.“
Die CDU sieht aber auch andere Punkte kritisch. So schulde die Kooperation weiterhin „den Nachweis, nicht nur Themen anzuschieben - von Klimanotstand über Rechenzentrum bis zur autofreien Innenstadt -, sondern diese auch nachhaltig erfolgreich und nutzbringend umzusetzen“. Ferner verweist die CDU-Spitze auf manchmal zerstrittene Erscheinungsbild der Kooperation. In einigen Sitzungen des Stadtparlaments waren vor allem Vertreter von Linken und Grünen mehrmals aneinander geraten.
Wie geht es stadtpolitisch weiter?
Ernste Belastungsproben stehen dem Bündnis erst noch bevor, wenn es um mögliche Sparrunden in Folge der wegbrechenden Steuereinnahmen geht - zumal die Begehrlichkeiten groß und ganz unterschiedlicher Natur sind. So will die SPD den Fokus auf den Potsdamer Süden legen. In den dortigen Stadtteilen müsse das kulturelle und soziale Leben aufgewertet werden.
Von höchster Priorität sei zudem, "die von Corona besonders getroffenen Branchen zu unterstützen und auch trotz der erwarteten steuerlichen Einbußen einen soliden Haushalt aufzustellen".
Bei den Grünen und den Linken klingen die Wünsche anders, zum Teil auch teurer. So wolle man zum ticketfreien Nahverkehr kommen und exemplarisch mit kostenlosen Fahrscheinen für Kinder und Jugendliche beginnen, erklären beide Fraktionen. Das würde rund sechs Millionen Euro pro Jahr kosten, plus einen zweistelligen Millionenbetrag für dann benötigte Busse und Trams. Ein weiterer Schwerpunkt müsse die Digitalisierung im Bildungsbereich sein, sagt Linke-Fraktionschef Wollenberg.
Den Grünen hingegen geht es um die Mobilitätswende und mehr Klimaschutz: So müssten weitere Weichenstellungen für die autofreie Innenstadt und die Erhöhung der dortigen Aufenthaltsqualität erfolgen. Auch der Radschnellweg Richtung Krampnitz müsse zügig gebaut werden. Und die Grünen wünschen sich weiter eine breite Öffentlichkeitsbeteiligung, zum Beispiel zum Thema Garnisonkirche.
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