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Am Freitag demonstrierten Aktivisten von Fridays for Future und Bürger in der Waldstadt. 
© Ottmar Winter PNN

Ein Jahr Ausrufung des Klimanotstands: Kritik an Potsdams Klimapolitik

Vor einem Jahr erklärte eine große Mehrheit der Stadtverordneten den Klimanotstand für Potsdam. Kritiker glauben, dass sich in der Landeshauptstadt bisher kaum etwas verändert hat.

Potsdam -  Es war der Abend des 14. August 2019, einem Mittwoch, als die Potsdamer Stadtverordneten einen spektakulären Beschluss fassten: als erste Kommune in Brandenburg riefen sie den Klimanotstand aus. Angesichts der weltweiten Klimakatastrophe wollte eine große Mehrheit ein Zeichen ökologischer Vernunft setzen. Der Kerngedanke: Alle Entscheidungen der Kommunalpolitik sollten fortan auf ihre Auswirkungen auf das Klima geprüft werden. Ein Jahr und acht Tage sind seither vergangen und zwischen den Fraktionen ist ein erbitterter Streit darüber entfacht, ob die Erklärung zu Erfolg oder Misserfolg geführt hat.  Gibt es in Potsdam spürbare Veränderungen? Oder blieb alles beim Alten? War die Entscheidung, als 51. deutsche Kommune den Klimanotstand zu verkünden, nur Schaufensterpolitik? Und: ist die Notstandserklärung womöglich selbst zum Notfall geworden?

Oberbürgermeister begrüßte den Beschluss 

Uneinig waren die Kommunalpolitiker schon vor Jahresfrist. Die elfköpfige SPD-Fraktion und die jeweils zehn Stadtpolitiker von Grünen und Linken, die nach der Kommunalwahl vom Mai 2019 die neue Rathauskooperation bildeten, stimmten für die Erklärung, Die Andere (6 Sitze) und der Einzelabgeordnete der Partei ebenso. CDU (7), AfD (5) FDP (3) und das Bürgerbündnis (2) nicht. 

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) begrüßte den Beschluss damals. Immerhin zähle die Stadt zu den sogenannten „Masterplan Klimaschutz”- Kommunen. Die haben sich verpflichtet, ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2050 im Vergleich zu 1990 um 95 Prozent und den Endenergie-Verbrauch um 50 Prozent zu senken.

Es überrascht nicht, dass die CDU ihre ablehnende Haltung zum Klimanotstand nicht revidiert hat. Wieland Niekisch, stellvertretender CDU-Fraktionschef, ging SPD und Grüne am vergangenen Donnerstag in einer Presseerklärung frontal an. Sie hätten den Notstand nur als „Propagandaplattform” missbraucht. „Konkrete Taten? Fehlanzeige”, resümierte der Christdemokrat.

Fridays for Future ist unzufrieden

Überraschend ist eher, dass auch Rathauspolitiker, die den Notstand proklamierten, eine kritische Bilanz ziehen – und die Potsdamer Aktivisten von Fridays for Future die Kritik teilen. Die Stadt habe „bisher nur Maßnahmen aus dem Klimaschutzkonzept von 2010 verwirklicht, die nichts oder wenig kosten”, hält Andreas Walter, Geschäftsführer der Grünen-Fraktion fest, „das waren Appelle an die Bürger wie: Denkt dran, euren Müll zu trennen”.

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„Es gibt viele Beispiele dafür, dass es in Potsdam viel zu lange dauert, bis in der Umweltpolitik etwas passiert”, hat Sascha Krämer, Fraktions-Geschäftsführer der Linken, beobachtet. „Die Schritte des ersten Jahres waren deutlich zu klein”, sagt Christian Raschke, Stadtverordneter der linksalternativen Stadtfraktion Die Andere.

Daniel Keller (SPD) verweist auf Klimaentscheidungen im Stadthaushalt

Die SPD blickt freudvoller zurück. Für Kritik hat Daniel Keller, Co-Vorsitzender der SPD-Fraktion, wenig Verständnis: „Wir wussten vor einem Jahr doch: Das ist kein Sprint, das wird ein Marathon.” Obwohl die Stadtverordneten den Haushalt für 2020/21 wegen Corona „in einem Parforceritt” verabschiedet hätten, seien Akzente in der Klimapolitik gesetzt worden. „Der Haushaltsansatz für die Stärkung des ÖPNV lag bei 3,1 Millionen Euro, er stieg auf 20 Millionen bis 2024", sagt Keller, „der Ausbau des Radverkehrs von ursprünglich 1,2 auf nun 5,1 Millionen. Daran sieht man doch, dass der Startschuss nicht unterbewertet werden sollte.” Zudem seien die Auswirkungen auf die städtischen Unternehmen erheblich - wegen der nun erforderlichen Prüfungen auf die Umweltverträglichkeit von Vorhaben.

Demo am Freitag in Potsdam 

Höchst unzufrieden ist die Potsdamer Gruppe von Fridays for Future: „Der erklärte Klimanotstand fügt sich gut in die Symbolpolitik ein, ihm folgen offenbar keine Taten”, sagt Pressesprecherin Anna Duksch. So seien selbst die Kriterien, nach denen Entscheidungen auf Auswirkungen auf die Umwelt geprüft werden sollen, „nach einem Jahr völlig unklar”. Es gebe „keine Verpflichtung, danach zu handeln.” Die „guten Ansätze” im Masterplan Umwelt aber erst bis 2050 umsetzen zu wollen, „dauert viel zu lange”. Duksch mahnt: „So viel Zeit haben wir nicht mehr.”

Weil es „so nicht bleiben kann”, trafen sich die Aktivisten am Freitag um 17 Uhr zu einer erneuten Demonstration, diesmal am Bahnhof Rehbrücke, dann zogen sie durch die Waldstadt. Via Twitter hielten sie der Stadtpolitik vor, nach der Erklärung des Notstands nichts unternommen zu haben. „Sie haben leider (weitgehend) Recht”, antwortete der Grüne Walter, aber „schon bald” würden Beschlüsse zum Klimaschutz gefasst: zur Vermeidung von Dienstreisen der Verwaltungsmitarbeiter per Flugzeug beispielsweise und für eine Mobilitäts- und Energiewende.

Eindrücke von der Klima-Demo am 16. Juni 2019 in Potsdam. 
Eindrücke von der Klima-Demo am 16. Juni 2019 in Potsdam. 
© Hajo von Cölln

Potsdams Stadtkämmerer Burkhard Exner (SPD) und der Baubeigeordnete Bernd Rubelt (parteilos) wiesen Kritik über Twitter zurück. Rubelt erklärte, von dem im Masterplan Klimaschutz vorgesehenen Maßnahmen seien 34 in Umsetzung, darunter die Stadtklimakarte, die Eröffnung der Mobiagentur und die energetische Quartiersentwicklung. Der Notstands-Beschloss sei „notwendige Stärkung und Priorisierung“. Exner verwies auf die Klimaschutzmaßnahmen im städtischen Haushalt, die für 2020 und 2021 jeweils mit rund 50 Millionen Euro veranschlagt sind. Den Mammutanteil machen der Betriebskostenzuschuss und die Investitionsmittel für den ÖPNV aus, die sich in diesem Jahr auf 28,5 Millionen Euro summieren, 2021 auf 29,3 Millionen Euro.

In Krampnitz könne Ernsthaftigkeit unter Beweis gestellt werden

Angetrieben von der örtlichen Fridays for Future-Gruppe hatte die Stadt Konstanz am 2. Mai 2019 als erste deutsche Kommune den Klimanotstand ausgerufen, inzwischen folgten ihr mehr als 70. Laut einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur haben fast 50 Städte und Gemeinden weitreichende Umweltschutzmaßnamen wie den Umbau von Autospuren zu Radwegen, mehr Solaranlagen, klimaneutrale Gebäude und höhere Parkgebühren angeschoben.

Was in Potsdam geschah, ist dem Anderen-Stadtverordneten Raschke zu wenig: „Ein paar Poller und die Erhöhung der ÖPNV-Preise sind keine Verkehrswende. 1000 zusätzliche Bäume gleichen nicht mal die Grün- und Waldverluste im ganzen Stadtgebiet aus. Und die Umsetzung des Fahrradwegekonzeptes und des klimafreundlichen Bauens braucht anscheinend mehr Zeit als gedacht.” 

Gleichwohl habe die Rathauskoalition noch die Möglichkeit, „die Ernsthaftigkeit dieses Anliegens in den noch zu entwickelnden Gebieten, insbesondere in Krampnitz, unter Beweis zu stellen.Viel zu langsam gehe es in der Stadtverwaltung voran, sagt der Grüne Walter. Blockierer will er in der Bauverwaltung geortet haben. Die sperre sich etwa dagegen, Bauherren Auflagen für erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu erteilen. „Das wird seit zehn Jahren erfolgreich verhindert”, sagte Walter den PNN, die Grünen seien „dreimal mit Anträgen gescheitert”.

Die CDU-Fraktion will die Ernsthaftigkeit der Klimapolitik ihrer Gegner nun mit einer Art Lackmustest prüfen. „Unsere liebe Fähre” vom Kiewitt nach Hermannswerder sei „ein Symbol dafür, ob wir Umweltpolitik und Energieeinsparungen ernst meinen” oder die Erklärung zum Klimanotstand „wirklich nur Propaganda” sei, sagte Vize-Fraktionschef Niekisch in einem Video. Immerhin: Mit Stimmen der Grünen setzten die Christdemokraten einen Auftrag an die Verwaltung durch, die Lösung des Fährproblems zu prüfen.

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