Der Fall Khashoggi: Warum der Westen nicht mit Saudi-Arabien brechen will
Die Indizien für einen Mord an Jamal Khashoggi mehren sich. Die USA, Deutschland und die Türkei reagieren vorsichtig. Wer verfolgt welche Interessen?
Es sollte ein großer Auftritt für den saudischen Kronprinzen werden. Ende Oktober will Mohammed bin Salman beim Wirtschaftsgipfel in Riad sein ambitioniertes Reformprogramm „Vision 2030“ vorstellen und für Investitionen werben. Doch immer mehr Eingeladene sagen ihre Teilnahme am „Wüsten-Davos“ ab, Sponsoren ziehen sich zurück. Jetzt will auch US-Finanzminister Steven Mnuchin fernbleiben.
Der Grund: der mutmaßliche Mord am regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi. Die Berichte über das Verschwinden des 60-Jährigen legen den Verdacht nahe, dass das Königshaus ein Folter- und Killerkommando auf ihn angesetzt hat, das den Unliebsamen im Istanbuler Konsulat misshandelte und tötete. Die Spur führt bis hinauf zum Prinzen, der im Zuge seines Modernisierungskurses ökonomische und soziale Freiheiten gewährt, aber nicht bereit ist, Widerspruch oder gar Widerstand zu dulden.
Neben Thronfolger bin Salman gerät Donald Trump in Bedrängnis. US-Demokraten fordern Auskunft über finanzielle Verbindungen zwischen Firmen seiner Söhne und dem ölreichen Königreich. Der US-Präsident wehrt sich gegen den Vorwurf, er nehme Saudi-Arabien in Schutz, betont aber zugleich, das Land sei ein sehr wichtiger Verbündeter.
Wiederum andere Interessen verfolgt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Sie wirken freilich widersprüchlich. Einerseits sieht er die Gelegenheit, dem regionalen Konkurrenten Saudi-Arabien durch Schüren der Affäre Khashoggi zu schaden. Andererseits ist Erdogan auf die Gunst der Monarchie angewiesen.
Warum hält Trump zu Saudi-Arabien?
Donald Trump liebt Zahlen. Vor allem richtig große. 110 Milliarden Dollar ist so eine. Diese Summe hat er nach seiner ersten Auslandsreise, die ihn im Mai 2017 nach Saudi-Arabien führte, als seinen größten Erfolg verkauft. Für 110 Milliarden Dollar hätten die Saudis den USA Waffen abgekauft, erklärte der selbsterklärte weltbeste Dealmaker. Damit würden Zehntausende Jobs in der Rüstungsindustrie geschaffen.
Der damalige Außenminister Rex Tillerson erklärte die politischen Motive hinter dem angeblichen Megadeal: Das Abkommen unterstütze die Sicherheit des Landes und der Region angesichts des „iranischen Einflusses und der Bedrohungen an Saudi-Arabiens Grenzen von allen Seiten“. Nach Khashoggis Verschwinden wies Trump darauf hin, wie wichtig diese Beziehung für ihn ist – Sanktionen gegen Riad wären „schmerzhaft“.
Das Problem: Außer Absichtserklärungen ist dabei nicht viel herumgekommen, wie der Saudi-Arabien-Experte bei der Washingtoner Brookings Institution, Bruce Riedel, feststellte. „Es gibt keinen Deal. Das sind Fake News“, schrieb er im Juni 2017. Es gebe nur unverbindliche Wunschlisten. Außerdem gehe es bei allen genannten Aufträgen um Geschäfte, die bereits von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama eingefädelt worden seien.
Anderthalb Jahre später ist die Lage nicht viel anders, stellt Riedel fest. Das Königreich habe kein neues Waffensystem gekauft, seit Trump Präsident ist. Lediglich ein Auftrag sei ernsthaft diskutiert worden: ein Raketenabwehrsystem für 15 Milliarden Dollar. Der Kongress habe das Geschäft genehmigt, aber die Saudis hätten eine Frist für das Geschäft mit dem Hersteller Lockheed Martin im September verstreichen lassen.
Dass Saudi-Arabien die Waffen unter anderem für den Krieg im Jemen braucht, steht fest. Khashoggi hatte in seinem seiner letzten Stücke für die „Washington Post“ einen Waffenstillstand gefordert und Kronprinz Salman direkt für die Gewalt verantwortlich gemacht.
Sollte der US-Kongress nun Saudi-Arabien bestrafen wollen, könnte er zum Beispiel Sanktionen gegen Öl-Verkäufe verhängen. Dass Trump dazu bereit ist, bezweifelt Samantha Gross von Brookings. Trump könne sich steigende Öl- und Benzinpreise so kurz vor den Zwischenwahlen nicht leisten, sagte sie in ihrem Podcast.
Trump sagte allerdings am Donnerstagabend, dass er nicht davon ausgehe, dass Khashoggi noch lebe. Sollte Saudi-Arabien für den Tod des Journalisten verantwortlich sein, müssten daraus „sehr schwerwiegende“ Konsequenzen folgen, sagte der US-Präsident auf einer Pressekonferenz. Trump betonte aber auch, man müsse das Ergebnis der nach seinen Worten drei laufenden Untersuchungen in dem Fall abwarten. Er rechne bald mit Antworten.
Wie reagiert Deutschland?
Es ist erstaunlich. Ein schwerer Verdacht steht im Raum: Saudi-Arabien soll einen Journalisten gefoltert und ermordet habe. Aber die außenpolitische Öffentlichkeit schweigt. Kein Aufschrei geht durch Deutschland wie seinerzeit bei der Verurteilung des Bloggers Raif Badawi zu lebensbedrohlichen Stockhieben.
Wo ist die SPD, die die letzten drei Außenminister stellte? Deutschland muss lernen, wie eine Politik, wenn sie die Balance zwischen Werten und Pragmatismus aus den Augen verliert, Gefahr läuft, beim Korrekturversuch neue Fehler zu begehen. Berlin kann Riad nicht ignorieren.
Die Saudis haben Gewicht für die Stabilität im Nahen und Mittleren Osten, für den Palästinakonflikt, für die globale Energiepolitik und generell für die Weltwirtschaft als eine der 20 größten Volkswirtschaften. Deutschland hat zudem eigene Wirtschaftsinteressen in Saudi-Arabien. Es kann aber auch nicht wegsehen, wenn ein so gewichtiger Partner Grundregeln bricht.
Sigmar Gabriel hat als Außenminister die einseitige US-Politik – die Saudis hofieren, den Iran isolieren – zu Recht kritisiert, dann aber den umgekehrten Fehler begangen. Er zeigte zu viel Verständnis für den Iran und zu wenig für die Saudis. Die Saudis zogen ihren Botschafter ab.
Heiko Maas wollte das korrigieren, bemühte sich um eine Wiederannäherung und handelte, als die Saudis unter ihrem neuen Herrscher zu offensiv auftraten, überaus zahm. Riad reagierte überhart auf die Kritik der kanadischen Außenministerin Chrystia Freeland an der Menschenrechtslage. Dennoch erklärte Berlin nicht seine Solidarität mit dem engen Verbündeten Kanada, sondern schwieg. Vielleicht haben die Saudis das falsch verstanden. Jetzt muss Berlin klare Kante zeigen, schon aus Selbstachtung.
Was will Erdogan erreichen?
Für den türkischen Staatschef Erdogan ist der Fall Khashoggi heikel. Einerseits kann er die Gelegenheit nutzen, um Saudi-Arabien als Schurkenstaat vorzuführen und einen regionalen Gegenspieler zu schwächen. Saudis und Türken liegen in wichtigen Fragen über Kreuz. Beide verstehen sich als Anführer der muslimischen Welt. Beide versuchen, ihren Einfluss auf Kosten des anderen auszuweiten.
Zum Tragen kommt das im Verhältnis zum Iran. Die Regierenden in Ankara und Teheran machen in Syrien oft gemeinsame Sache mit Moskau. Sie sind die Garantiemächte für Feuerpausen und entmilitarisierte Zonen wie in Idlib. Die Saudis dagegen sind Erzfeinde der Iraner.
Die Scheichs in Riad führen einen Dauerkonflikt mit den Mullahs in Teheran. Katar hat das zu spüren bekommen. Das Emirat teilt sich mit dem Iran ein Gasfeld und setzt auf gute Beziehungen. Für die Saudis ein Affront, sie verhängten ein Embargo gegen Katar. Die Türkei unterstützt den reichen Kleinstaat politisch wie militärisch. Die Türkei und Katar pflegen zudem gute Beziehungen zu den Muslimbrüdern. Das empört die Saudis. Sie bekämpfen die islamistische Organisation.
Andererseits benötigt Erdogan die reichen Saudis als Geldgeber, zum Beispiel auf dem Immobilienmarkt. Die Türkei kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise. Da ist jeder Investor willkommen.
Auch deshalb möchte Erdogan nicht mit den Saudis brechen. Zudem sieht er eine Chance, von seinem Image als Unterdrücker der Opposition abzulenken, indem er anklagend auf die Saudis zeigt.
Christian Böhme, Christoph von Marschall, Juliane Schäuble